Montag, 31. Dezember 2012

Silvester 2012




Was fange ich Silvester an?
Geh ich in Frack und meinen kessen
Blausanen Strümpfen zu dem Essen,
Das Herr Generaldirektor gibt?
Wo man heut nur beim Tanzen schiebt?
Die Hausfrau dehnt sich wild im Sessel -
Der Hausherr tut das sonst bei Dressel,
Das junge Volk verdrückt sich bald.
Der Sekt ist warm. Der Kaffee kalt.
Prost Neujahr!
Ach, ich armer Mann!
Was fange ich Silvester an?

Wälz ich mich im Familienschoße?
Erst gibt es Hecht mit süßer Sauce,
Dann gibt's Gelee. Dann gibt es Krach.
Der greise Männe selbst wird schwach.
Aufsteigen üble Knatschgerüche.
Der Hans knutscht Minna in der Küche.
Um zwölf steht Rührung auf der Uhr.
Die Bowle -? (Leichter Mosel nur )
Prost Neujahr!
Ach, ich armer Mann!
Was fange ich Silvester an?

Mach ich ins Amüsiervergnügen?
Drück ich mich in den Stadtbahnzügen?
Schrei ich in einer schwulen Bar:
'Huch, Schneeballblüte! Prost Neujahr!'
Geh ich zur Firma Sklarz Geschwister -
Bleigießen? Ists ein Fladen klein:
Dies wird wohl Deutschlands Zukunft sein...
Prost Neujahr!
Helft mir armem Mann!
Was fang ich bloß Silvester an?


(Einladungen dankend verbeten)

Wenn Ihnen Theobald Tiger alias Kurt Tucholsky heute nicht gefällt und Sie lieber Dinner for One lesen wollen, bitteschön: ➱hier ist esUnd dem Cheerio, Miss Sophie, me gal kann ich mich nur anschließen. A Happy New Year wünsche ich allen Lesern.

Sonntag, 30. Dezember 2012

HMS Resolute


Sir, the closing scene of my most pleasant and important mission has now to be performed. And permit me to hope that, long after every timber in her sturdy frame shall have perished, the remembrance of the old Resolute will be cherished by the people of the respective nations. I now, with a pride totally at variance with our professional ideas, strike my flag, and to you, sir, give up the ship. Mit diesen Worten übergab Captain Henry J. Hartstein die HMS Resolute am 30. Dezember 1856 an Admiral Sir George Seymour. Die Amerikaner hatten das im Packeis gescheiterte Schiff gefunden und wieder aufgerüscht. Hat den US Congress als Geschenk der Freundschaft an die Engländer richtiges Geld gekostet. Die Resolution zur Wiederherstellung der Resolute im Kongress war sehr wortreich:

Whereas it has become known to Congress, that the ship 'Resolute', late of the navy of Her Majesty the Queen of the United Kingdom of Great Britain and Ireland, on service in the Arctic Seas in search of Sir John Franklin and the survivors of the expedition under his command, was rescued and recovered in those seas by the officers and crew of the American whale-ship, the 'George Henry', after the Resolute had been necessarily abandoned in the ice by her officers and crew, and after drifting still in the ice for more than one thousand miles from the place where so abandoned—and that the said ship 'Resolute', having been brought to the United States by the salvors at great risk and peril, had been generously relinquished by them to Her Majesty's government.

Now, in token of the deep interest felt in the United States for the service in which Her Majesty's said ship was engaged when thus necessarily abandoned, and of the sense entertained by Congress of the act of Her Majesty's government in surrendering said ship to the salvors: Be it resolved by the Senate and House of Representatives of the United States of America in Congress assembled, That the President of the United States be, and he is hereby requested to cause the said ship 'Resolute', with all her armament, equipment, and property on board when she arrived in the United States, and which has been preserved in good condition, to be purchased of her present owners, and that he send the said ship with everything pertaining to her as aforesaid, after being fully repaired and equipped at one of the navy-yards of the United States, back to England under control of the secretary of the navy, with a request to Her Majesty's government, that the United States may be allowed to restore the said ship 'Resolute' to Her Majesty's service—and for the purchase of said ship and appurtenances, as afore-said, the sum of forty thousand dollars, or so much thereof as may be required, is hereby appropriated, to be paid out of any money in the treasury not otherwise appropriated.

Und was machen die Limeys? Sind sie dankbar? Nö, die machen kein Museumsschiff draus wie aus der ➱Cutty Sark. Die zerlegen die HMS Resolute zwanzig Jahre später. Aber ein klein wenig von dem Schiff geben sie doch wieder an Amerika zurück. Dreimal dürfen Sie raten, aus welchem Holz dieser Schreibtisch da oben geschnitzt ist!

Samstag, 29. Dezember 2012

Sir Archibald Alison


The rearguard under Ney, meanwhile, which had remained till the 17th at Smolensko, on arriving on the banks of the Losmina (18th) found the heights on their front and flank covered with troops and artillery, and were summoned to surrender. 'A marshal of France never surrenders,' was the dauntless reply of Ney, who instantly advanced with the utmost heroism against the batteries; but, after losing half his men, he was driven completely off the field, and only saved 3.000 men out of 12.000 by crossing the Dnieper during the night on a thin covering of ice. This shattered remnant, destitute of horses or artillery, was still incessantly pursued by the Cossacks for twenty leagues through the forests; but the indomitable valour of Ney made his way through all obstacles; and he at last, with 1.500 men, rejoined the Emperor, who, hailing him with the utmost joy as 'the bravest of the brave,' exclaimed, 'I have 300,000,000 of francs at the Tuileries: I would gladly have given them all to save Marshal Ney!'

Andere Historiker erzählen diese Geschichte besser, und leider stimmen die Zahlen auch nicht so ganz, Ney kommt wohl mit weniger als 1.500 Mann bei Napoleon an. Das obige Zitat stammt aus der ➱Kurzfassung der History of Europe from the commencement of the French revolution in 1789, to the restoration of the Bourbons in 1815. Die Kurzfassung ist immer noch zu lang. Wenn Sie sich wirklich langweilen wollen, dann lesen Sie Sir Archibald Alison. Alle 10 (oder - je nach Ausgabe - 14) Bände. Ich gebe gerne zu, dass ich davon nur den Teil über die Zeit von 1812 bis 1815 gelesen habe, das hat mir gereicht. Archibald Alison wurde heute vor 220 Jahren geboren, deshalb möchte ich mal eben an einen der großen Langweiler der britischen Historikerzunft erinnern.

Ich bin nicht der einzige, der ihn nicht mag. Benjamin Disraeli erledigt ihn ganz en passant mit einem einzigen Satz in seinem Roman Coningsby: Finally, Mr. Rigby impressed on Coningsby to read the Quarterly Review with great attention; and to make himself master of Mr. Wordy's History of the late War, in twenty volumes, a capital work, which proves that Providence was on the side of the Tories. Sir Archibald Alison alias Mr. Wordy ist Tory, aber die Tories haben im 19. Jahrhundert keine großen Historiker hervorgebracht. Alison ist nicht in der gleichen Liga wie Thomas Babington Macaulay und die anderen ➱whig historians. Dennoch war seine Geschichte Europas ein beispielloser Erfolg, sie erreichte zehn Neuauflagen innerhalb weniger Jahre. Es war die erste europäische Geschichte, die die französische Revolution einbezog. Und sie glänzte mit vielen kleinen Details. Aber ansonsten war sie eigentlich nur sehr wordy. Heute erwähnt den Schotten, der nach seinem Biographen Michael Michie (➱An Enlightenment Tory in Victorian Scotland: The Career of Sir Archibald Alison) ein Verbindungsglied zwischen dem Scottish Enlightenment und dem viktorianischen Konservatismus ist, kaum noch jemand.

Die Geschichte vom Marschall Ney - the bravest of the brave (hier ein Bild von Adolphe Yvon) - und Napoleon an der Beresina wird immer wieder erzählt. Zur Zeit steht Adam Zamoyski mit 1812: Napoleon's Fatal March on Moscow ganz oben auf der Bestsellerliste der Napoleonliteratur. Für die Neue Zürcher Zeitung war das Buch ein Meisterstück der Geschichtsschreibung, für den Observer war es a brilliant, chilling account of Napoleon's retreat from Moscow. Das weltweite Lob der Rezensenten ist sicherlich nicht unberechtigt. Aber musste das Buch wirklich geschrieben werden? Gab es nicht schon genügend Bücher zu diesem Thema?

Wir sehen hier noch einmal Marschall Ney im Schnee auf einem Bild von Auguste Raffet. Er sieht in seinem heldenhaften Kampf bei der Verteidigung der Brücke von Kowno bei den Malern immer etwas anders aus. Und auch bei den Historikern ist er immer ein wenig anders. Wenn Sie sich jetzt gerade Adam Zamoyski gekauft haben, ist dagegen überhaupt nichts zu sagen. Aber es gibt natürlich noch mehr. Allein die Memoirenliteratur (bei diesem ➱Link für Sammler von Zinnfiguren sehr lesbar zusammengefasst) könnte ja schon für ein Bild des Feldzuges ausreichen. Ich erwähne den Spinner ➱Paul Holzhausen ja nur ungerne, aber er war vor hundert Jahren hierzulande der erste, der mit Die Deutschen in Russland, 1812: Leben und Leiden auf der Moskauer Heerfahrt eine ➱Anthologie zeitgenössischer Stimmen herausgab.

Armand de Culaincourts Erinnerungen sind seit den dreißiger Jahren auf dem Markt, die deutschen Generäle des Rußlandfeldzuges haben sie damals mit Unbehagen gelesen. Das erstaunlich frische Buch Armeen und Amouren, die Aufzeichnungen des jungen Baron ➱Boris (von) Uxkull, kennt man erst seit 1965. Und es gibt natürlich auch seriöse Gesamtdarstellungen von Napoleons Rußlandfeldzug. Seit 1967 gibt es Alan Palmers Napoleon in Russia (deutsch: Napoleon in Russland bei G.B. Fischer), ein Buch, das leserfreundlich geschrieben ist und dennoch historisch seriös ist. Und 1985 erschien bei Weidenfeld und Nicolson Nigel Nicolsons Napoleon 1812, in seiner Kürze von 192 Seiten ein unübertroffenes Meisterwerk. Nur vergleichbar mit ➱A.G. Macdonells Napoleon and His Marshals.

Bei dem überschäumenden Beifall für das zweifellos gut geschriebene Buch von Adam Zamoyski scheint man ein Buch ein wenig zu verdrängen, das Historiker ernst nehmen werden. Nämlich ➱Dominic Lievens Russland und und Napoleon: Die Schlacht um Europa. Liest sich nicht so leicht wie Zamoyski. Ist aber in seinem Ansatz, den Feldzug von 1812 nur als einen Teil des russischen Engagemenst in dem europäischen Krieg zu sehen, wirklich originell. Und ist in vielen Teilen historisch seriöser als Zamoyski. Wahrscheinlich ist es deshalb kein Bestseller. Vielleicht, aber auch nicht. Weil den Verfasser viele Teile der Geschichte einfach nicht interessieren. Die Geschichte, die uns Alison über Marschall Ney erzählt, ist bei Lieven abgemagert zu: Three days later Matvei Platov's Cossacks captured Kovno. Michel Ney led his indomitable rearguard back across the river Neman and the 1812 campaign was over.

At eight o'clock on the night of December 14th, 1812, the last French soldier out of all the 600,000 of the Grande Armee crossed the river Niemen, and left the soil of Holy Russia, and that last soldier was Michel Ney, Duke of Elchingen and Prince of the Moskowa. An Emperor, two Kings, a Prince, eight Marshals, and 600,000 men had been defeated, all, all except the son of the barrel-cooper of Saarlouis. Das merken Sie beim Lesen sofort, das kann nicht Sir Achibald Alison oder Dominic Lieven sein. Dies ist das Ende des Kapitels Moscow aus Macdonells Buch Napoleon and His Marshals. Auf diesem Bild hier, das uns vorgaukelt, ein Jugendbild zu sein, ist der junge rothaarige Michel Ney als Husarenleutnant zu sehen, gemalt von Adolphe Brune. Das Bild ist aber kein wirkliches Portrait, es wurde gemalt, als der Fürst von der Moskwa schon lange tot war. Aber die Geschichte seines Todes kennen Sie schon, weil Sie ja diesen ➱Post gelesen haben.

Mehr zu dem Thema Napoleon in diesem Blog finden Sie ➱hier. Mehr zu dem Thema Archibald Alison finden Sie irgendwo anders.

Freitag, 28. Dezember 2012

Maggie Smith


Zum ersten Mal sah ich sie in Venedig sehen – und erben auf der Leinwand, das ist, zugegeben, über vierzig Jahre her. Im Augenblick kann ich sie jeden Tag in ➱Downton Abbey (den Link sollten Sie unbedingt anklicken) sehen, weil ich mir eine DVD Kassette der ersten Staffel gekauft habe. When you get into the granny era, you're lucky to get anything, hat sie mal gesagt. Da sind wir aber froh, dass sie die Rolle als Dowager Countess in Downton Abbey bekommen hat. Maggie Smith ist immer wiedererkennbar Maggie Smith, eigentlich ist sie immer wunderbar. Venedig sehen – und erben ist eine Verfilmung von Thomas Sterlings Roman The Evil of the Day, den gab es damals in der gerade frischen Rowohlt Krimireihe. Ist ein sehr intelligenter Roman, den man bei Amazon Marketplace in der englischen Ausgabe noch zu Preisen zwischen 4,60 € und 106,40 € finden kann. Die Rowohlt Ausgabe (Der Fuchs von Venedig) kann man ab 0,01 € bekommen.

Maggie Smith hat heute Geburtstag. Dazu möchte ich ganz herzlich gratulieren. Zur Feier des Tages habe ich ➱hier und ➱hier ein schönes kleines Maggie Smith Portrait für Sie. Und sie soll natürlich heute auch das letzte Wort haben: I tend to head for what's amusing because a lot of things aren't happy. But usually you can find a funny side to practically anything.

Donnerstag, 27. Dezember 2012

Schnellfeuergewehre


Wenn George Washington mit seinen Männern in der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember über den Delaware kommt (und dann die ganze Nacht hindurch nach Trenton marschiert), macht er sich keinerlei Gedanken über das Grundrecht der Amerikaner auf Waffenbesitz. Der Zusatzartikel der Verfassung, der den Amerikanern angeblich dieses Recht zugesteht, ist noch lange nicht geschrieben. Noch gilt hier in den Kolonien englisches Recht, noch sind die waffentragenden Milizionäre Rebellen. Washingtons Mutter hatte den ganzen Revolutionskrieg über Angst, die Engländer könnten ihren Sohn an einem Baum aufknüpfen. Hätten sie tun können, wenn sie ihn gefangen hätten. Noch ist es das Recht des englischen Königs, nach dem die Truppen handeln.

Für Thomas Jefferson war in seinem Entwurf für eine Verfassung von Virginia 1776 das Recht auf Waffenbesitz ein Recht, das den Bürger gegen die Tyrannei (und damit meinte er den englischen König) schützte: No free man shall ever be debarred the use of arms. The strongest reason for the people to retain the right to keep and bear arms is, as a last resort, to protect themselves against tyranny in government. In seiner ersten ➱Jahresbotschaft als Präsident der Vereinigten Staaten sagte George Washington: A free people ought not only to be armed, but disciplined; to which end a uniform and well-digested plan is requisite; and their safety and interest require that they should promote such manufactories as tend to render them independent of others for essential, particularly military, supplies... Dieses Zitat finden sich hundertfach auf den Seiten der amerikanischen Waffenfreaks. Jeder klittert sich seine Geschichte zusammen, wie sie ihm passt. Wenn man sich dreißig, vierzig dieser Seiten angeschaut hat, weiß man, wes Geistes Kind die Befürworter des Waffenbesitzes sind. Die auch auf den beigefügten ➱Photos meistens irgendwelche fetten Säcke sind, die keine vier Wochen Ausbildung bei einer Kampftruppeneinheit des Militärs überstehen würden.

Die ➱Gadsden Flag ist übrigens zur Zeit bei Waffenfreaks und Tea Party Anhängern wieder populär. Sie ist ein weiterer Teil der Geschichtsklitterung, für die sich Amerikas reaktionäre Rechte im Arsenal der Geschichte der amerikanischen Revolution bedient. Dank Google ist ja heute jeder ein kleiner Forscher, und so ist es verhältnismäßig einfach, bei den Gründungsvätern Argumente für den Waffenbesitz zu finden. Wie Jeffersons ➱Brief an Henry Carr: A strong body makes the mind strong. As to the species of exercise, I advise the gun. While this gives a moderate exercise to the body, it gives boldness, enterprise, and independence to the mind. Games played with the ball, and others of that nature, are too violent for the body, and stamp no character on the mind. Let your gun therefore be the constant companion of your walks. Never think of taking a book with you. Die aus dem Zusammenhang gerissene Stelle steht natürlich auch schon bei Facebook.

Ein Jahr nach Washingtons Jahresbotschaft - man hat inzwischen eine Unabhängigkeitserklärung und eine Verfassung - beschließt der Kongress einen dritten Zusatzartikel zur Verfassung: No Soldier shall, in time of peace be quartered in any house, without the consent of the Owner, nor in time of war, but in a manner to be prescribed by law. Dieser Artikel ist in der Diskussion um den Waffenbesitz in den USA niemals zitiert worden, obgleich er mit dem zweiten Artikel in direktem Zusammenhang steht. Dieser ➱zweite Zusatzartikel lautet, mit etwas komplizierter Grammatik: A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State, the right of the people to keep and bear Arms, shall not be infringed. Die Vereinigten Staaten haben damals kein stehendes Herr. Deshalb ist eine well regulated Militia... necessary to the security of a free State. Und die Angehörigen dieser Miliz müssen natürlich das Recht haben, Waffen zu tragen. Punktum. Nichts anderes steht in diesem Artikel, der eigentlich hätte obsolet sein können, in dem Augenblick, in dem Amerika ein stehendes Heer besaß.

Aber wie es mit dem Text einer Verfassung und ihren Zusatzartikeln so ist, kaum ist der Text geschrieben, schon scheint er auslegungsbedürftig zu sein. Wenn Gesetze eindeutig wären, wären Juristen arbeitslos. Der Artikel 22 (2) des Grundgesetzes heißt Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold. Er sagt nichts darüber, wie die Farben auf der Flagge verteilt werden sollen. Gut, das ist marginal im Vergleich mit der Auslegung, die das Second Amendment erfahren hat. Vielleicht hätte man im Kongress auch besser den ersten Entwurf für diesen Zusatzartikel verabschieden sollen: A well regulated militia, composed of the body of the people, being the best security of a free state, the right of the people to keep and bear arms shall not be infringed; but no one religiously scrupulous of bearing arms shall be compelled to render military service in person. Hieraus würde wohl keine 80-jährige ➱Oma ihr angebliches Grundrecht auf den Besitz eines Schnellfeuergewehrs ableiten wollen.

Mit den Urteilen des Supreme Court ist das in Amerika so eine Sache, obgleich der zweite Zusatzartikel den Supreme Court erstaunlicherweise nicht so häufig beschäftigt hat. Wenige Richter werden in Amerika wegen ihrer juristischen Qualifikation berufen. Das kritisierte vor hundert Jahren schon Mark Twain: I hate to hear people say this Judge will vote so and so, because he is a Democrat -- and this one so and so because he is a Republican. It is shameful. The Judges have the Constitution for their guidance; they have no right to any politics save the politics of rigid right and justice when they are sitting in judgment upon the great matters that come before them. Vielleicht ist ➱Oliver Wendell Holmes Jr der einzige gewesen, der seinen Posten nicht der politischen Protektion verdankt hat. Wenige Richter glänzen in ihrer Amtszeit wie ➱Earl Warren durch landmark decisions wie Brown v. Board of Education (1954), Gideon v. Wainwright (1963), Reynolds v. Sims(1964) und Miranda v. Arizona (1966). Das Miranda Urteil kennen Kojak Fans, aber natürlich ist Brown v. Board of Education eine der wichtigsten Entscheidungen des Supreme Court gewesen.

Im Falle der immer wieder umstrittenen Auslegung des Second Amendment ist es das Urteil des ➱Supreme Court aus dem Jahre 2008, das vorläufig leider Rechtsgeschichte geschrieben hat. Alle vorhergehenden Urteile hatten, wenn auch manchmal das Second Amendment uminterpretierend, die Basis des Second Amendment -  A well regulated Militia, being necessary to the security of a free State - nicht angetastet. Aber nun heißt es plötzlich: The Second Amendment protects an individual right to possess a firearm unconnected with service in a militia, and to use that arm for traditionally lawful purposes, such as self-defense within the home. Da müssen bei der National Rifle Association die Sektkorken nur so geknallt haben. Immerhin haben aber vier der neun Richter gegen dieses Urteil gestimmt. Wenn Richter John Paul Stevens (mit 88 Jahren der älteste der Richter) über das Urteil sagte, dass es a strained and unpersuasive reading der Verfassung darstelle, dann ist das vielleicht noch untertrieben. Als er 2008 über today’s law-changing decision sagte, dass sie bestowed a dramatic upheaval in the law, dann ist das nicht untertrieben.

Gunfighter Nation hat der amerikanische Historiker Richard Slotkin seine dreibändige Geschichte des amerikanischen Westens genannt, und der Titel scheint symbolisch für das Land zu sein. Richard Hofstadter hat mit seinem Aufsatz America as a Gun Culture den Begriff gun culture eingeführt. Und diese gun culture basiert auf harten Fakten und Zahlen, werfen Sie doch einmal einen Blick auf diese ➱Statistik. Kann man diesen highway to hell verhindern? Wie will das Land die Millionen von Waffen jemals loswerden, selbst wenn die Stimmung nach den Morden von Newtown (die ja leider nur ein periodisch wiederkehrendes Ereignis sind) plötzlich umschlägt? Wer wird der Herkules sein, der den Augiasstall ausmistet? Werden wir das erleben, dass die Firmen ColtRemington ArmsSmith & Wesson und Sturm, Ruger & Co (die die meisten amerikanischen Waffen herstellen) ihre Werkstore schließen?

Amazon.com liefert keine Waffen an meine Adresse: We are not able to ship this item to your default shipping address. Aber innerhalb Amerikas verschicken sie schon. Ich wollte auch keine kaufen, ich wollte nur mal eben testen, ob es bei Amazon schon Waffen zu kaufen gibt. Ich habe keine Waffen, aber eine P38 könnte ich wahrscheinlich immer noch mit geschlossenen Augen auseinandernehmen und zusammensetzen. Ich weiß, was Waffen anrichten können, dafür bin ich lange genug Soldat gewesen. Aber das ist vorbei, ich habe mit dieser martialischen Welt nichts mehr zu tun. Ich denke aber gerne an einen Bataillonskommandeur zurück, der in seiner ➱Pistolentasche nie eine P38, sondern immer nur Schokolade hatte.

Dass die Waffen das Denken der zartesten Seelen in Amerika beeinflussen können, zeigt ein Gedicht von Emily Dickinson, einer Dichterin, bei der wohl niemand die Assoziation gun haben würde:

My Life had stood - a Loaded Gun -
In Corners - till a Day
The Owner passed - identified -
And carried Me away -

And now We roam in Sovereign Woods -
And now We hunt the Doe -
And every time I speak for Him -
The Mountains straight reply -

And do I smile, such cordial light
Upon the Valley glow -
It is as a Vesuvian face
Had let its pleasure through -

And when at Night - Our good Day done -
I guard My Master's Head -
'Tis better than the Eider-Duck's
Deep Pillow - to have shared -

To foe of His - I'm deadly foe -
None stir the second time -
On whom I lay a Yellow Eye -
Or an emphatic Thumb -

Though I than He - may longer live
He longer must - than I -
For I have but the power to kill,
Without--the power to die--

Mittwoch, 26. Dezember 2012

Trenton, Weihnachten 1776


Nein, so hat es auf keinen Fall ausgesehen. Obgleich beinahe jeder Amerikaner dieses Bild von ➱Emanuel Leutze für eine korrekte Wiedergabe dieser Geschichte hält, wie der General George Washington in der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember 1776 über den vereisten Delaware gekommen ist. Und wie er die hessische Garnison in Trenton leicht überwältigen konnte, weil die noch alle von der Weihnachtsfeier besoffen waren.

Aber die deutsche Garnison (also diese Hessen, die ihr ➱Landesherr an die Engländer verkauft hatte) war nicht betrunken, als Washingtons sie im Morgengrauen des 26. Dezembers angreift. Sie waren seit drei Tagen im Alarmzustand. Und der Übergang über den Delaware bei McConkey's Ferry sah in der Wirklichkeit auch ganz anders aus als auf Leutzes Historienbild. Wohl kaum wie auf diesem Bild von George Caleb Bingham (1871), denn dieses flatboat kennt man nur am Mississippi und Missouri.

Wenn man David Hackett Fischers Buch ➱Washington's Crossing liest, bekommt man eine andere Sicht der Dinge. Der Doyen der amerikanischen Historiker hat sich die ersten Siege von Washingtons Armee bei Trenton und Princeton als Thema genommen (vorher hatte Washington in ➱New York und New Jersey nur Niederlagen hinnehmen müssen). Nicht, dass Trenton oder Princeton wirklich bedeutende Schlachten des Unabhängigkeitskrieges gewesen sind. ➱Saratoga wäre das. Oder das Gefecht von ➱Cowpens. Aber die ineinander übergehenden Gefechte von Trenton und Princeton sind, wie der Reihentitel von Fischers Buch sagt, Pivotal Moments in American History. Sie sind psychologisch von ungeheurer Bedeutung und geben der zusammengewürfelten Armee und ihrem Oberkommandierenden Selbstvertrauen. Washington wollte endlich einen Sieg, auch wenn es nur ein kleiner Sieg war. Er fürchtete, dass sich seine Armee sonst bis zum Jahresende aufgelöst hätte.

Fischer hat alle Figuren dieses Dramas aus den Archiven geholt (der 200-seitige Appendix macht diese Leistung deutlich), von General Howe bis zum kleinen hessischen Soldaten, und hat sie zum Leben erweckt. Nicht nur das Militär, auch die Zivilbevölkerung wird vor unseren Augen wieder lebendig. Es gelingt dem Autor, uns das Geschehen so plastisch zu vermitteln, dass wir als Leser das Gefühl bekommen, an der Jahreswende 1776 zu 1777 hier dabeigewesen zu sein. Das Wetter bei der nächtlichen Flussüberquerung inklusive (Stormy with much Rain. Hail & Snow at Times). Aber so exzellent das Buch ist, es fehlt ihm irgendwie das letzte Flair. Barbara Tuchmann schreibt in ➱The First Salute aufregender (obgleich ihre Leistung als Historikerin da gar nicht so großartig ist), und auch Christopher Hibbert ist in Redcoats and Rebels: The American Revolution Through British Eyes spannender.

Das liegt wahrscheinlich daran, dass Fischer kein Militärhistoriker ist. In diesem Fall hätte es ihm nicht geschadet, wenn er etwas weniger in Archiven gewühlt und etwas mehr vom englischen Meister der military history, John Keegan, gelernt hätte. Man braucht als Historiker nicht jedes Detail aufzutischen. Nigel Nicolson macht das in seinem zweihundert Seiten kurzen Napoleon 1812 auf brillante Art und Weise deutlich. Und manchmal sind auch bedeutende Historiker betriebsblind. Wenn David Hackett Fischer von einem Studenten in hessischen Diensten namens Seume berichtet, dann ist dieser ➱J.G. Seume für ihn nur eine von vielen Quellen, er bringt ihn nicht mit dem deutschen Dichter in Verbindung.

Wenn ich jetzt ein wenig an David Hackett Fischer herummäkle, dann heißt das nicht, dass Washington's Crossing kein hervorragendes Buch ist. Er hat immerhin den Pulitzer Prize dafür bekommen. Aber seine Bücher Albion's Seed: Four British Folkways in America oder Liberty and Freedom sind eben noch besser. Man wird von diesem Autor ja verwöhnt. Das Interessanteste in dem 200-seitigen Appendix ist das Kapitel über die Darstellung des Übergangs über den Delaware. Aus dem ich dieses Bild von Sandow Birk (der ja auch einmal Copleys ➱Watson and the Shark variiert hat) habe, das ich vorher nicht kannte.

Die anderen Bilder sind, von oben nach unten: Leutzes berühmtes Washington Crossing the Delaware und das gleiche Motiv von ➱George Caleb Bingham. Larry Rivers' ➱Bild von 1953, das eine Provokation der Kunstwelt sein sollte, das ist es wahrscheinlich noch heute. Bei dem riesigen Bild ➱The Passage of the Delaware von Thomas Sully aus dem Jahre 1819 hat man ein wenig das Gefühl, dass der Maler an Napoleon an der ➱Beresina gedacht haben könnte. Man kann hier auch sicher einen Einfluß der französischen heroischen Schlachtenmalerei annehmen. Das nächste Bild fällt - wie auch Sandow Birks Surferbild - ein wenig aus der Reihe. Es ist Robert Colescotts George Washington Carver Crossing the Delaware, zu dem es ➱hier einen informativen Artikel gibt.

Das hier wollte ich Ihnen eigentlich gar nicht zumuten. So hat es in der kalten Weihnachtsnacht auf dem Delaware auf keinen Fall ausgesehen. Das Photo stammt von einem der jährlich stattfindenden re-enactments, so etwas können die Amerikaner ja nicht lassen. Irgendwie schmeckt das furchtbar nach einer Disneyisierung der amerikanischen Geschichte. Dazu fällt mir jetzt nur eine Stelle aus ➱Kurt Vonneguts Roman Slaughterhouse Five ein: The two little girls and I crossed the Delaware River where George Washington had crossed it, the next morning. We went to the New York World's Fair, saw what the past had been like, according to the Ford Motor Car Company and Walt Disney, saw what the future would be like, according to General Motors. And I asked myself about the present: how wide it was, how deep it was, how much was mine to keep.

Dienstag, 25. Dezember 2012

Chevrolet


Am  25. Dezember 1878 wurde in der Uhrmacherstadt La Chaux-de-Fonds Louis Chevrolet geboren. La Chaux-de-Fonds liegt im Kanton Neuenburg, das einmal zu Preußen gehört hat. Als Wilhelm II im September 1912 die Schweiz besuchte, schrieb die Neue Zürcher ZeitungMit Ehrfurcht und warmer Sympathie begrüsst unser Volk den grossen Beherrscher des mächtigen deutschen Reiches. Es ist unser aller herzlicher Wunsch, dass die wenigen Tage, die er in unserm Lande zubringen wird, bei unserm Gaste keine andern als erfreuliche Eindrücke und Erinnerungen zurücklassen mögen. Wilhelm kam nicht in Zivil, er hatte sich mit der Uniform der Neuenburger Garde Schützen verkleidet. Die Schweiz hat ihn begeistert empfangen, Karl Liebknecht hat den Schweizern vorgeworfen, sie hätten dem Kaiser wie einem Messias aus Berlin gehuldigt. Ja, damals mochte man uns noch in der Schweiz.

Wilhelm war nicht gekommen, um ein Konto bei einer Schweizer Bank zu eröffnen oder um Nettigkeiten mit dem Schweizer Präsidenten Ludwig Forrer auszutauschen. Er wollte sich ein Manöver der Schweizer Armee ansehen. Das bei Kaiserwetter sogleich zu einem Kaisermanöver wurde. Das da im Hintergrund ist nicht die Schweizer Armee, das sind die Zuschauer. Hunderttausend. So viele würden heute wohl kaum kommen, wenn sich ein deutsches Staatsoberhaupt die Schweizer Armee anschauen wollte. Nicht, dass es da nichts zu besichtigen gäbe, umgerechnet auf die Einwohnerzahl gibt die Schweiz mehr als alle anderen Länder für ihre Heimwehr aus.

In dem gleichen Jahr 1912 stellte Louis Chevrolet, inzwischen kein Neuenburger Bürger mehr, sondern ein amerikanischer Bürger, sein neues Modell, den Chevrolet Classic Six, vor. Wilhelm II besaß keinen Chevrolet. Das Auto hat keine Zukunft. Ich setze auf das Pferd, sagte er am Anfang des Jahrhunderts. Stinkkarren waren die Automobile für ihn. Sein Bruder Heinrich (nach dem die Prinz Heinrich Mütze heißt) war da ganz anderer Meinung, er war ein begeisterter Autosportler - und der Erfinder des Scheibenwischers. Heinrich fuhr einen Opel (später auch Mercedes), Wilhelm, dessen kaiserlicher Fuhrpark sich schnell vermehrte, fuhr später meistens auch Opel (besaß aber auch Mercedes Limousinen). Louis Chevrolet ist am 6. Juni 1941 in der Autostadt Detroit in bitterer Armut gestorben. Zwei Tage vor ihm starb übrigens Wilhelm II, der Mann, der so viele Uniformen, aber nie einen Chevrolet besaß. Den hundertsten Geburtstag der Automarke Chevrolet hat man im letzten Jahr auch in La Chaux-de-Fonds ➱gefeiert, wo man den Sohn der Stadt beinahe schon vergessen hatte.

Der amerikanische Chevrolet ist eigentlich ein Auto wie alle amerikanischen Autos. Unsafe at any speed, wie Ralph Nader gesagt hat. Aber die Popular Culture liebt ihn: In the 100 years that Chevrolets have roamed U.S. roads and byways, the car has been portrayed in movies, TV and music as the modest, everyman vehicle that anyone could afford, as well as a signifier of reckless speed, eternal youth and a persistent raffishness. Schrieb Susan Whitall in den The Detroit News im letzten Jahr zur Hunderjahrfeier der Firma Chevrolet. Das letzte trifft sicherlich auf das Auto in Two-Lane Blacktop zu (➱hier wartet noch ein Post darauf, von Ihnen gelesen zu werden), aber Chevys in Film und Fernsehen sind ein Klacks gegen Chevys in der Pop Musik. Die besten einhundert finden Sie auf dieser ➱Seite. Und da können wir es natürlich nicht auslassen, ➱American Pie zu zitieren:

So bye-bye, Miss American Pie.
Drove my Chevy to the levee,
But the levee was dry.
And them good old boys were drinkin’ whiskey and rye
Singin’, "this’ll be the day that I die."

Geht natürlich nur von ➱Don McLean. Nicht von dieser Resteverwerterin Madonna Louise Ciccone.

Montag, 24. Dezember 2012

Drei deutsche Weihnachtsgedichte


Weihnachten

So steh ich nun vor deutschen Trümmern
und sing mir still mein Weihnachtslied.
Ich brauch mich nicht mehr drum zu kümmern,
was weit in aller Welt geschieht.
Die ist den andern. Uns die Klage.
Ich summe leis, ich merk es kaum,
die Weise meiner Jugendtage:
O Tannebaum!


Wenn ich so der Knecht Ruprecht wäre
und käm in dies Brimborium
- bei Deutschen fruchtet keine Lehre –
weiß Gott! ich kehrte wieder um.
Das letzte Brotkorn geht zur Neige.
Die Gasse grölt. Sie schlagen Schaum.
Ich hing sie gern in deine Zweige,
O Tannebaum!

Ich starre in die Knisterkerzen:
Wer ist an all dem Jammer schuld?
Wer warf uns so in Blut und Schmerzen?
Uns Deutsche mit der Lammsgeduld?
Die leiden nicht. Die warten bieder.
Ich träume meinen alten Traum:
Schlag, Volk, die Kastendünkel nieder!
Glaub diesen Burschen nie, nie wieder!
Dann sing du frei die Weihnachtslieder:
O Tannebaum! O Tannebaum!

Kurt Tucholsky (1918)

Maria

Die Nacht ihrer ersten Geburt war
Kalt gewesen. In späteren Jahren aber
Vergaß sie gänzlich
Den Frost in den Kummerbalken und rauchenden Ofen
Und das Würgen der Nachgeburt gegen Morgen zu.
Aber vor allem vergaß sie die bittere Scham
Nicht allein zu sein
Die dem Armen eigen ist.
Hauptsächlich deshalb
Ward es in späteren Jahren zum Fest, bei dem
Alles dabei war.
Das rohe Geschwätz der Hirten verstummte.
Später wurden aus ihnen Könige in der Geschichte.
Der Wind, der sehr kalt war
Wurde zum Engelsgesang.
Ja, von dem Loch im Dach, das den Frost einließ, blieb nur
Der Stern, der hineinsah.
Alles dies
Kam vom Gesicht ihres Sohnes, der leicht war
Gesang liebte
Arme zu sich lud
Und die Gewohnheit hatte, unter Königen zu leben
Und einen Stern über sich zu sehen zur Nachtzeit.


Bertolt Brecht (1922)

Weihnachtslied, chemisch gereinigt

Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
Nur wer hat, kriegt noch geschenkt.
Mutter schenkte Euch das Leben.
Das genügt, wenn man’s bedenkt.
Einmal kommt auch eure Zeit.
Morgen ist’s noch nicht soweit.

Doch ihr dürft nicht traurig werden.
Reiche haben Armut gern.
Gänsebraten macht Beschwerden.
Puppen sind nicht mehr modern.
Morgen kommt der Weihnachtsmann.
Allerdings nur nebenan.

Lauft ein bisschen durch die Straßen!
Dort gibt’s Weihnachtsfest genug.
Christentum, vom Turm geblasen,
macht die kleinsten Kinder klug.
Kopf gut schütteln vor Gebrauch!
Ohne Christbaum geht es auch.

Tannengrün mit Osrambirnen –
Lernt drauf pfeifen! Werdet stolz!
Reißt die Bretter von den Stirnen,
denn im Ofen fehlt’s an Holz!
Stille Nacht und heil’ge Nacht –
Weint, wenn’s geht, nicht! Sondern lacht!

Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
Wer nichts kriegt, der kriegt Geduld!
Morgen, Kinder, lernt fürs Leben!
Gott ist nicht allein dran schuld.
Gottes Güte reicht so weit …
Ach, du liebe Weihnachtszeit!

Erich Kästner (1928)

Zehn Jahre liegen zwischen dem ersten und dem letzten Gedicht, zehn Jahre, die Kriegsende und beginnende Weltwirtschaftskrise umspannen. Wir stehen nicht mehr vor deutschen Trümmern wie Kurt Tucholsky, aber Erich Kästners Gedicht ist leider immer noch aktuell.

Ich wünsche all meinen Lesern ein frohes Weihnachtsfest.

Sonntag, 23. Dezember 2012

Vor zwei Jahren


Vor zwei Jahren war ich als Blogger noch nicht so bekannt. Obgleich ich schon damals erstaunlich viele Leser hatte. Leider ist es ja das Prinzip eines Weblogs, dass immer das Neueste oben ist. Was viele Leser dazu verführt, immer nur das Neueste zu lesen. Aber manchmal ist das Alte auch nicht schlecht, und da ich gestern sah, dass der zwei Jahre alte Post Weihnachtsfeiern damals so wenig Leser gefunden hatte (obgleich es am Tag zuvor bei ➱A Midnight Clear sehr, sehr viele waren), hole ich den mal eben - wie Weihnachtssterne und Christbaumschmuck - aus dem Keller. Weil er ein paar Leser mehr verdient hat. Und weil ich ihn nach zwei Jahren immer noch mag.

'A cold coming we had of it,
Just the worst time of the year
For a journey, and such a journey:
The ways deep and the weather sharp,
The very dead of winter.'
And the camels galled, sore-footed,
refractory,
Lying down in the melting snow.
There were times we regretted
The summer palaces on slopes, the
terraces,
And the silken girls bringing sherbet.

Then the camel men cursing and
grumbling
And running away, and wanting their
liquor and women,
And the night-fires going out, and the
lack of shelters,
And the cities hostile and the towns
unfriendly
And the villages dirty and charging high
prices:
A hard time we had of it.
At the end we preferred to travel all
night,
Sleeping in snatches,
With the voices singing in our ears,
saying
That this was all folly.

Then at dawn we came down to a
temperate valley,
Wet, below the snow line, smelling of
vegetation;
With a running stream and a water-mill
beating the darkness,
And three trees on the low sky,
And an old white horse galloped in
away in the meadow.
Then we came to a tavern with
vine-leaves over the lintel,
Six hands at an open door dicing for
pieces of silver,
And feet kicking the empty wine-skins.
But there was no imformation, and so
we continued
And arrived at evening, not a moment
too soon
Finding the place; it was (you may say)
satisfactory.

All this was a long time ago, I
remember,
And I would do it again, but set down
This set down
This: were we led all that way for
Birth or Death? There was a Birth,
certainly,
We had evidence and no doubt. I had
seen birth and death,
But had thought they were different;
this Birth was
Hard and bitter agony for us, like
Death, our death.
We returned to our places, these
Kingdoms,
But no longer at ease here, in the old
dispensation,
With an alien people clutching their
gods.
I should be glad of another death.

Es ist ein schönes Gedicht, dieses Journey of the Magi von T.S. Eliot. Er hatte es geschrieben, nachdem er ein Christ geworden war und zur Church of England gefunden hatte. Dafür sollten wir, Christen oder Nicht-Christen, dankbar sei, wenn eine Konversion so etwas abwirft. Die ersten Zeilen dieses Textes, der (wie so vieles in der modernen Lyrik) als eine Art dramatic monologue daherkommt, sind nicht von Eliot. Die stammen aus einer Predigt von Lancelot Andrewes aus dem Jahre 1622. Eliot hat über ihn ➱geschrieben, er hielt ihn für einen der besten englischen Prediger. Andere halten John Donne dafür. Ich weiß noch, wie der Hamburger Professor Rudolf Haas uns in der Vorlesung über das 17. Jahrhundert die Lektüre der Predigten von John Donne ans Herz legte. Ich war wahrscheinlich der einzige im Audimax, der in jenem Semester abends (wenn ich nicht in der Oper war) noch einmal ins Seminar gegangen ist und die Predigten von John Donne gelesen hat. Das war enthusiastisch und naiv, aber nur mit Enthusiasmus und Naivität kann man eine Liebe zur Literatur haben. Und John Donne hat in seinen Predigten wirklich große Momente.

Lancelot Andrewes auch. Denn diese ersten Zeilen seiner ➱Weihnachtserzählung sind ja beinahe modern, und das war es wohl auch, was Eliot daran gereizt hat: Last we consider the time of their coming, the season of the year. It was no summer progress. A cold coming they had of it at this time of the year, just the worst time of the year to take a journey, and specially a long journey. The ways deep, the weather sharp, the days short, the sun farthest off, in solsitio brumali, the very dead of winter. Venimus, we are come, if that be one, venimus, we are now come, come at this time, that sure is another.

Ich habe das Gedicht vor Jahren in einem Seminar über englische Lyrik kurz vor Weihnachten behandelt, das machen quer durch die Welt viele Lehrer und Dozenten so. Bei Englischlehrern und Hochschullehrern löst Weihnachten immer den Pawlovschen Reflex T.S. Eliot aus. Aber ich war mit dieser philologischen Weihnachtspflichtübung ein bisschen unzufrieden, und kontrastierte das Gedicht mit einem anderen Gedicht, das The Adoration of the Magi hieß. Das ist von ➱Andrew Hudgins, den ich in diesem Blog schon einmal vorgestellt habe. Er ist in Deutschland kaum bekannt, aber ich halte ihn für einen der interessantesten amerikanischen Dichter der Gegenwart. Nicht zuletzt, weil er einer der ganz wenigen christlichen Dichter der Gegenwart ist. Und ich möchte hier auch gerne noch einmal etwas länger über ihn schreiben. Vielleicht im nächsten April, wenn ich mich wieder dem National Poetry Month der Amerikaner anschließe und einen Monat lang nur Gedichte serviere.

Und falls ich Sie nun auf Andrew Hudgins neugierig gemacht habe - und wenn Sie gleich das Gedicht gelesen haben, werden Sie sicher neugierig sein - habe ich noch einen Literaturtip für Sie. Und der heißt The Glass Hammer: A Southern Childhood. Eine Autobiographie in Gedichten, das ist einfach großartig. Auf den ersten Blick einfach, aber dann fängt unser Gehirn an zu arbeiten. Das sind Gedichte, die man nicht so schnell wieder los wird, sie beissen sich in unserer Erinnerung fest. The Adoration of the Magi stammt nicht aus The Glass Hammer, aber sie könnte auch dort stehen.

A boy - okay, it's me - wears a fringed
blue tablecloth and fidgets as Joseph
in his church Christmas play. He watches
ten-year-old magi with false beards
hold out gold, frankincense, and myrrh.
Dear God, he's desperate to pee.
Six angels with coat-hanger wings
dance by. Their tinfoil halos tilt
and slide down on their foreheads. One,
too large, has fallen past a girl's
small nose and hangs about her neck.
She pulls it up, keeps dancing. He smirks.
And each time Mary lifts her child
its doll-eyes click open and then
clack shut when she lays Jesus down.
What's wrong with me? he thinks, despairing.
Why won't my soul expand with reverence?
He hopes no one can tell by looking at him.
The pressure in his loins makes him dizzy.
He sways. The Youth Choir warbles, Hark
the herald angels sing. The curtain drops.
And that grim boy bolts off, stage left,
one hand pressed hard into his crotch.

Eine Alltagssituation. Das könnte in diesen Tagen in jeder Kita passieren. Und doch, die Magie der Weihnachtsgeschichte entfaltet sich auch hier, transzendiert das Alltägliche. Und selbst wenn wir beim Lesen lächeln müssen, wir ertappen uns dabei, dass die Frage What's wrong with me? Why won't my soul expand with reverence? auch unsere Frage ist.

Als ich diese Gedichte damals im Seminar behandelte, waren die deutsch-deutschen Grenzbäume gerade gefallen, und wir hatten die ersten Studenten aus den neuen Bundesländern an der Uni. Die meisten kamen aus Mecklenburg-Vorpommern, semmelblonde Flachsköpfe, riesig nett, aber mit großen Defiziten im Englischen. Sie hatten keinen so guten Englischlehrer wie ihn ihr Landsmann Uwe Johnson gehabt hatte. Die sprachlichen Defizite erklären dann auch den Satz, den ein Student produzierte, als er die beiden Gedichte miteinander vergleichen sollte. That man Eliot, he is great, sagte er. Und fuhr fort: But that man Hudgins, he is real. Ich habe diesen schönen Satz Andrew Hudgins vor Monaten per E-Mail übermittelt, und er hat herzlich darüber gelacht.

Aber so naiv und unfreiwillig komisch der Satz ist, instinktiv hatte der Student etwas Wahres gesagt. Eliots Gedicht ist mit seinen Bildungszitaten und seiner Symbolik darauf angelegt, etwas Großes, Bedeutendes zu sein. Hudgins ist da mehr down to earth, auf den ersten Blick unscheinbar, alltäglich. Keine Lancelot Andrewes Zitate, keine Vorausdeutung auf die Kreuzigung (three trees on the low sky), keine Six hands at an open door dicing for pieces of silver Symbolik. Und doch sind die Weisen aus dem Morgenland da, um Jesus Christus anzubeten, auch wenn sie zehn Jahre alt sind und falsche Bärte tragen. Die Weihnachtsgeschichte wird immer wieder lebendig, auch wenn die Weihnachtskrippe von Lego oder Playmobil ist. Und auch unsere Zweifel sind immer wieder da, What's wrong with me? Why won't my soul expand with reverence? 

Mein blonder Student aus Meck-Pomm ist inzwischen Lehrer geworden. Vielleicht behandelt er in diesem Tagen Andrew Hudgins The Adoration of the Magi im Unterricht. Hudgins Gedichtband The Never-Ending (aus dem das Gedicht stammt) ist ein Zitat von Sokrates vorangestellt: If anyone asks you "what that is, of which the inherence makes the body hot", you will reply not heat (this is what I call the safe and stupid answer) but fire, a far superior answer. Das Feuer, sichtbar lodernd oder verborgen glimmend, das ist es, was die Dichtung ausmacht. So wie in den letzten Zeilen von Gerard Manley Hopkins' The Windhover: To Christ our Lord:

AND the fire that breaks from thee then, a billion
Times told lovelier, more dangerous, O my chevalier!
No wonder of it: shéer plód makes plough down sillion
Shine, and blue-bleak embers, ah my dear,
Fall, gall themselves, and gash gold-vermillion
.

Samstag, 22. Dezember 2012

Zar und Zimmermann


Wenn Sie das jetzt lesen, ist die Welt doch nicht untergegangen. Auf den Maya Kalender ist auch kein Verlass mehr. Das ist bei Weltuntergängen ja immer das gleiche. Und da wir wieder im normalen Leben sind, möchte ich mal eben daran erinnern, dass heute vor 175 Jahren in ➱Leipzig Albert Lortzings Oper Zar und Zimmermann Premiere hatte. Sie kennen das, es ist die alte Geschichte mit dem russischen Zaren, der sich in Holland als Arbeiter mit Migrationshintergrund im Schiffbau ausbilden lässt, um die holländische Technologie auszuspionieren. Wie lange er wirklich als Schiffszimmermann auf seiner Bildungsreise durch Europa - die auch die Große Gesandtschaft heißt - gearbeitet hat, darüber gehen die Quellen auseinander. Aber die Geschichte schreit natürlich nach einer romantischen Oper. Vor allem, wenn man komische Figuren (wie den Bürgermeister van Bett) und eine Liebeshandlung hineinschreibt. Den Holzschuhtanz nicht zu vergessen. Alle Vorurteile, die wir über ➱Holland haben, kommen drin vor. Und dann ist da noch diese schöne, schmalzige Romanze Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen. Ein Lied, das kein Tenor ausgelassen hat.

Albert Lortzing hat nicht nur die Musik der Oper geschrieben, er hat auch das ➱Libretto verfasst. Während er in Leipzig mit den Proben für seine Oper beschäftigt war, wurde in Berlin schon eine Oper über den kaiserlichen Zimmermann gespielt, Gaetano Donizettis Il borgomastro di Saardam. Man weiß aber nicht, ob Lortzing diese Oper gekannt hat. Dass sich beide Opern ähneln. bedeutet nicht, dass Lortzing bei Donizetti abgeschrieben hat. Beide Opern haben die gleiche Quelle, nämlich die Komödie ➱Le bourgmestre de Sardam, ou Les deux Pierres von Mélésville, Jean-Toussaint Merle und Eugène Cantiran de Boirie aus dem Jahre 1818. Aber in all diesen Vorlagen kommt natürlich Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen nicht vor, das gibt es nur bei Lortzing. Zwanzig Jahre nach der Uraufführung von Zar und Zimmermann taucht das flandrische Mädchen in Johann Nepomuk Vogls Soldaten-Lieder mit völlig verändertem Text (aber der Melodie von Lortzing) wieder auf. Aber da gehört es natürlich nicht hin. Das Lied gehört natürlich auf die Bühne. Oder auf die Schallplatte.

Hören Sie doch einmal in die Version mit ➱Fritz Wunderlich hinein. Die fällt mir als erste ein, aber das liegt natürlich daran, dass ich ein Fan von ➱Wunderlich bin. Meine Leser sind offensichtlich Rudolf Schock Fans, an die Zahlen, die der Post ➱Rudolf Schock erreicht hat, kommen Wunderlich und ➱Fischer-Dieskau nicht heran. Leider habe ich im Netz keine Aufnahme mit Rudolf Schock von dem Lied des Marquis von Chateauneuf gefunden. Er hat es natürlich gesungen, ich finde seine Aufnahme eine der besten überhaupt. Sie können sich ➱hier alle Versionen von Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen anhören, die man im Internet findet.

Leider habe ich den Schweden Nicolai Gedda auch nicht gefunden. Der singt nämlich den Marquis von Chateauneuf in der Aufnahme, die Karl Löbl und Robert Werba empfehlen, die alte ➱EMI Aufnahme von 1965Die bestmögliche Realisation dieser Oper. Eine unglaublich homogene Besetzung, eine unübertreffliche Ansammlung von Spitzenkräften, deren stilistisches Verständnis für Lortzing ebenso groß ist wie die stimmliche Qualität und Disziplin. Von Heger väterlich umsorgt, entstand so eine der Handlung und Musik adäquate Aufnahme.

Ich kann sie auch empfehlen, es ist die einzige Aufnahme, die ich von der Oper habe. Ich vertraue bei Opern in den meisten Fällen der Empfehlung von Karl Löbl. Außerdem verfasste er in zwei Bänden Opern auf Schallplatten (1983) gemeinsam mit Robert Werba ein viel gerühmtes Lexikon mit Kommentaren zu den einzelnen Aufnahmen, heißt es im Wikipedia Eintrag von Karl Löbl. Das könnte man fett und 16 Punkt setzen, denn es gibt nichts Besseres als das Hermes Handlexikon: Opern auf Schallplatten.

Freitag, 21. Dezember 2012

Maya Kalender


Ob das heute noch was wird mit dem Weltuntergang? Ich schreibe lieber mal nichts, und wenn Sie sich in die richtige Weltuntergangsstimmung versetzen wollen, dann lesen Sie doch noch einmal diesen Post, der ➱Weltuntergang heißt. Da gibt es auch das hübsche Gedicht Weltende von Jakob van Hoddis. Im Expressionismus waren Weltuntergänge ja schon mal ein Thema.

Bei den Viktorianern auch. So sagt Michael Freeman vom Mansfield College in Oxford: Storms and volcanic eruptions, earthquakes and other natural disasters 'swept like tidal waves through early nineteenth-century periodicals, broadsheets and panoramas'. Catastrophic and apocalyptic visions acquired a remarkable common currency, the Malthusian spectre a constant reminder of the need for atonement. For some onlookers, Martin's most famous canvases of divine revelation seemed simultaneously to encode new geological and astronomical truths. This was ... powerfully demonstrated in The Great Day of his Wrath (1852), in which the Edinburgh of James Hutton, with its grand citadel, hilltop terraces and spectacular volcanic landscape, explodes outwards and appears suspended upside-down, flags still flying from its buildings and before crashing head-on into the valley below. Das Bild von dem englischen Maler ➱John Martin in der Tate Gallery ist zwei Meter mal drei Meter groß. Sieht aber auch auf der Kunstpostkarte noch beeindruckend aus. Roland Emmerich ist nix dagegen.

Es wäre gut, wenn Sie jetzt diese Mütze aufsetzen würden. Zur Zeit John Martins brauchte man für die Voraussagung des Weltuntergangs nicht den Maya Kalender, da genügte die Bibel. Was mich wundert ist, dass in der Weltuntergangdebatte die ➱Horae Apocalyptica von Edward Bishop Elliott überhaupt nicht erwähnt werden. Wenn Sie jetzt gerade noch auf den Untergang warten, können Sie ➱hier noch ein wenig drin lesen. Oder Ingmar Bergmans ➱Das Siebente Siegel sehen. Oder die restlichen Weihnachtskarten schreiben. Das mache ich jetzt mal.

Donnerstag, 20. Dezember 2012

DHL


Social-Media-Portale wie Facebook, YouTube oder Twitter bieten uns neue Chancen, um Meinungen, Gedanken und Erfahrungen mit anderen Nutzern, Freunden, Kollegen oder Kunden auszutauschen – und das weltweit. Täglich wird auch über unser Unternehmen im Web intensiv diskutiert. Jeder, der sich online über Deutsche Post DHL äußert, prägt damit das Bild des Unternehmens in der Öffentlichkeit. Wenn auch Sie sich in Blogs, Foren oder sozialen Netzwerken über Deutsche Post DHL austauschen, möchten wir Sie bitten, die folgenden Punkte zu beachten: Ja, und dann kommen die zehn Gebote. Allerdings nicht vom Berg Sinai, sondern von der Firma, die DHL heißt. Was nicht Dauert Halt Länger bedeutet, wie man gemeinhin annimmt. Nein, die Firma ist nach den Firmengründern Adrian Dalsey, Larry Hillblom und Robert Lynn benannt. Die die Firma mal gegründet haben, weil sie eine kleine Marktlücke im Beförderungsnetz im Pazifik gefunden hatten, nach ihren Nachnamen haben sie die Firma dann DHL genannt. Was aber bei der Deutschen Post vor zehn Jahren niemand wusste, als der Paketdienst plötzlich DHL hieß, ich habe mich damals drei Tage lang von einer Dienststelle zu anderen gefragt. Da hat man einen neuen Namen und weiß nicht weshalb. Raider heißt jetzt Twix.

Früher - Sie können sich vielleicht noch an früher erinnern - da kannte man den Paketboten persönlich, er kam immer zur gleichen Zeit. Heute sind es immer andere, viele haben Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben, manche haben Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Die haben offensichtlich noch nicht davon profitiert, dass ihr Arbeitgeber weltweit bessere Bildung fördert und so zu mehr Bildungsgerechtigkeit beiträgt. Aber eins beherrschen sie alle perfekt: den Empfängernamen in ihr MDE zu tippen und damit diesen gelben Benachrichtigungszettel auszufüllen, auf dem steht, dass man sich sein Paket (vielleicht) am nächsten Tag am anderen Ende der Stadt abholen kann. Auf diese Weise stärken wir das Vertrauen unserer Kunden in unser Unternehmen. Unsere Kunden wissen, dass sie sich auf uns verlassen können und schätzen uns als zugänglichen und serviceorientierten Anbieter, der ihnen ihr Leben leichter macht. Tun sie nicht, das Internet ist voll von zum Teil wirklich komischen Geschichten über die Unfähigkeit des Unternehmens. Aber die Firma DHL möchte verhindern, dass sich die von ihnen unterbezahlten Lohnabhängigen an diesem öffentlichen Diskurs beteiligen: Besonders wichtig: Internes bleibt intern. Das ist natürlich nicht der Versuch einer Zensur.

Die zehn Gebote von DHL heißen natürlich nicht Zehn Gebote, sie heißen ➱Social Media Guidelines, soviel Englisch muss bei einem deutschen Unternehmen schon sein. Weil sie ja weltweit agieren: Wir setzen unser Wissen und unsere globale Präsenz ein, um einen positiven Beitrag für Umwelt und Gesellschaft zu leisten. Können Sie sich noch daran erinnern, wie der Thomas Haribo Gottschalk zusammen mit seinem Bruder Christoph für DHL Reklame machte. Hat er Millionen bei verdient. Die Millionen hätte man vielleicht besser in die Gehälter der Zusteller stecken sollen. Aber der sich immer weiter verschlechternde Service interessiert das Unternehmen nicht, ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Wir sehen hier fünf Werbeträger der Firma DHL Zwei der Herren werden den Konzernrichtlinien (Der Verhaltenskodex (Code of Conduct) ist integraler Bestandteil unserer Unternehmenskultur und eng verzahnt mit dem in unserer Konzernstrategie verankerten Leitprinzip 'Respekt & Resultate') wohl nicht so ganz gerecht. Der zweite von links ist ein gewisser Dr. Thomas Middelhoff, hinter dem ist der Staatsanwalt noch her. Der Herr neben ihm ist Dr. Klaus Zumwinkel, mit dem ist der Staatsanwalt schon fertig.

Diese Flagge gibt es nicht mehr. Es war die Flagge des Bundespostministeriums. Damals, als wir noch einen Bundespostminister hatten. Der brauchte niemals Briefmarken auf seine Briefe zu kleben, was ein schönes Vorrecht seines Amtes war. Heute hat die Post kein Ministerium mehr, heute werden die Konzernführungsaufgaben im Corporate Center wahrgenommen. Der neue Vorstand Dr. Frank Appel verdient einige Millionen weniger als Herr Dr. Zumwinkel. Der ganze Vorstand bekam 2008 12,78 Millionen Euro. Das Unternehmen veröffentlicht seit einigen Jahren sogar die Vorstandsbezüge. Ach, was sind wir doch transparent. Allerdings wird man auf dieser Seite feststellen, dass man die Antikorruptionsrichtlinien, Standards für Geschäftsethik, Wettbewerbsrichtlinie und die Investitionsrichtlinie nicht herunterladen kann. Ist Nur für interne Zwecke. Wenn man sich alles auf ➱diesen Seiten durchliest, dann wird einem von diesem aufgeblähten Gesülze richtig schlecht. Hier übernimmt man nach amerikanischem Muster eine Philosophie (ich liebe es, wenn Firmen sich dieses Wortes bedienen - je kläglicher das Unternehmen, desto großartiger die Philosophie), die irgendwo zwischen dem Glaubensbekenntnis von Walmart und dem von Mitt Romney liegt. In völligem Gegensatz zu dem Geschwafel und diesem ➱Propagandavideo steht allerdings der ➱Erfahrungsbericht einer Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen. Der natürlich in Missachtung der Social Media Guidelines des Ausbeutungsunternehmens ins Internet gestellt wurde.

Die Deutsche Post DHL veröffentlicht vielleicht ihre Vorstandsgehälter, aber niemals die Monatsgehälter eines Zustellers. Weil das ja auch häufig gar keine Deutsche Post DHL Fachkräfte für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen sind, sondern weil die als Paketsklaven für Subunternehmer arbeiten. Man hat schon alle Formen des noch halbwegs legalen Lohndumpings ausgereizt. Vor einem Jahr hat der NDR einen Film über die Misere der Zusteller gezeigt (Sie können ihn ➱hier sehen). Der Autor des Films, der in Wallraff Manier sozusagen undercover bei DHL gearbeitet hatte, glaubte trotz der Beteuerungen von Deutsche Post DHL kaum, dass sich wirklich etwas änderte. Dafür müssen wir sicherstellen, dass wir unseren Kunden stets den bestmöglichen Service bieten. Kontinuität und Zuverlässigkeit stehen dabei an erster Stelle. Wo auch immer sie uns begegnen, müssen uns unsere Kunden sofort erkennen. Unsere Markenpositionierung vereint die Werte und Einstellungen unserer Marke, steht bei der Selbstbeschreibung der Qualität von DHL. Ein klein wenig anders, aber viel griffiger klingt dagegen DHL- hat das Grauen einen Namen? eines frustrierten Kunden.

Die frustrierten Kunden ärgern sich immer nur über die da unten. Die da oben haben sich so abgeschirmt, dass sie der Volkszorn nie erreicht. Und sie nie Gefahr laufen, geteert und gefedert zu werden. Das mit dem Abschirmen haben sie jetzt perfekt drauf, Tom Wolfe sollte sein Mau-Mauing the Flak Catchers mal überarbeiten und eine Bedienungsanleitung Mau-Mauing DHL schreiben. Bei DHL drücken sie dem Kunden, der sich am Schalter beschweren will, ein gelbes Kärtchen mit einer Telephonnummer und einer E-Mail Adresse in die Hand. Ich habe schon Schalterbeamte erlebt, die den Griff zum Beschwerdekärtchen schneller ausführten, als Billy the Kid zur Pistole greifen konnte. Das macht offensichtlich die langjährige Übung, das Beschwerdekärtchen scheint häufiger verlangt zu werden.

Das ist der einzige Service den DHL anbietet, sagte die Frau am Schalter letzte Woche zu mir, als sie mir das Beschwerdekärtchen rüberreichte. Sie wusste in ihrer Einfalt ja nicht, was sie da sagte. Wenn Sie die Hotline anrufen, landen Sie in einem Telephonzentrum, das wahrscheinlich irgendwo in der inneren Mongolei beiheimatet ist. Wenn Sie Glück haben, bekommen Sie Monate später einen windelweich formulierten Entschuldigungsbrief. Ändern tut sich überhaupt nichts. Unser freundlicher und partnerschaftlicher Umgang mit unseren Kunden und unsere Zuverlässigkeit unterstreichen unseren persönlichen Ansatz. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt, durch den sich unsere Marke gegenüber den Wettbewerbern auszeichnet. Aber es ist letztlich sowieso alles egal, da morgen die Welt untergeht.