Samstag, 8. Dezember 2012

Haiku


Pinkel besser hier!
Bis zu Hause findest du
weder Baum noch Strauch.

Was das hier soll? Haben Sie die Überschrift nicht gelesen? Das ist ein Haiku, zählen Sie mal die Silben: fünf, sieben, fünf. So soll ein Haiku sein. Uli Becker - sowieso ein Meister der kurzen Form - aus dessen Buch Fallende Groschen: Asphalthaiku dieses schöne Beispiel stammt, kann den Trick 17 auch als Haiku servieren:

Erste Zeile fünf, 
die zweite sieben Silben -
dritte wieder fünf.

Das steht auf der Umschlagrückseite seiner neuesten Haiku-Produktion Dr. Dolittles Dolcefarniente: In achtzig Haiku aus der Welt. Kürzer kann man das Haiku nicht definieren. Dr. Dolittles Dolcefarniente war nach Frollein Butterfly. 69 Haiku und Fallende Groschen: Asphalthaiku sein dritter Band von Haikus, aber ich weiß nicht so ganz, ob man seine Gedichte bei der Deutschen Haiku Gesellschaft mag. Oder ob sie nichts als ein mieser kleinen Etikettenschwindel (so Uli Becker) sind. Aber immerhin wird er in der ➱Viertelsjahrschrift der Deutschen Haiku Gesellschaft erwähnt. Das beruhigt mich. Und bevor wir jetzt wissenschaftlich zu ernst werden - denn immerhin heißt Haiku (japanisch. 俳句 ) ja lustiger Vers - gibt es noch zwei Stück von Uli Becker:

Vögeln beim Fliegen
zuzuschauen, welche Lust!
Umgekehrt nicht so.

Die Eidechse scheint
wunschlos glücklich, buddhagleich:
Hier irrt die Motte


Haiku ist eins der wenigen japanischen Wörter die ich kenne, sabiro ist ein anderes, so heißt der Anzug. Man kann die Savile Row noch in dem Wort erkennen. Mir persönlich wären japanische Haikus ja vollkommen egal, wenn ich nicht im jugendlichen Alter diese schlimme Ezra Pound Phase gehabt hätte. Und Ezra musste ja mit allen Formen spielen, die er im Baukasten der Lyrik der Welt fand, von der provenzalischen canzone bis zum japanischen Haiku (im Alter beginnt er sogar noch, Chinesisch zu lernen). Und eins seiner Haikus ist sehr berühmt geworden:

In a Station of the Metro
The apparition of these faces in the crowd;
Petals on a wet, black bough.

Noch gelungener finde ich Pounds Kombination von einem Alba (dem Tagelied der provenzalischen Troubadoure) und der japanischen Gedichtsform:

Alba

As cool as the pale wet leaves
of lily-of-the-valley
She lay beside me in the dawn


In a Station of the Metro ist streng genommen kein richtiges Haiku, Pound spricht bei seinem imagistischen ➱Gedicht auch nur von einem hokku-like sentence. Berühmt geworden ist auch das Werk eines bis dahin unbekannten Dichters namens James Bond: You only live twice: / Once when you're born, / And once when you look death in the face. Es gibt in dem Roman You only live twice  auch eine interessante Unterhaltung zwischen James Bond und dem Bösewicht Ernest Stavro Blofeld, wo Bond auf Blofelds Frage Have you ever heard the Japanese expression kirisute gomen? antwortet Spare me the Lafcadio Hearn, Blofeld. Und da nennt Bond, ebenso gebildet wie sein Schöpfer Ian Fleming, einen wichtigen Namen, denn Lafcadio Hearn (der das letzte Jahrzehnt seines Lebens in Japan lebte) ist sicherlich jemand, mit dem das Interesse an Japan in der amerikanischen Literatur beginnt.

Und da ich bei berühmten Haikus (oder Haiku ähnlichen Gedichten) bin, will ich dies nicht auslassen:

Kleine Motten taumeln schaudernd quer aus dem Buchs;
sie sterben heute abend und werden nie wissen,
daß es nicht Frühling war.


Das ist von Rilke, der in den zwanziger Jahren einmal mit dieser Gedichtform experimentierte. Da ist das schon in Europa zur Mode geworden. Eine Mode, die vielleicht 1905 begonnen hat, als Marcel Revon seine Anthologie de La Litterature Japonaise veröffentlichte. 1920 bringt die Nouvelle Revue française eine Sondernummer zum Haiku (mit einem Vorwort von Jean Paulhan) heraus, in dem die Crème de la Crème der französischen Literatur vertreten ist. Als die Redaktion der NRF vier Jahre später eine Art Haiku Wettbewerb ausschreibt, bekommt sie über tausend Gedichte zugesandt. Hätten sie einen Wettbewerb für Oden gemacht, wären das nicht so viele gewesen, die kurze Form hat Vor- und Nachteile.

Das japanische Haiku wird fortan auch in der deutschen Lyrik heimisch werden. Man kann es offensichtlich für alles gebrauchen, wie dieses hübsche bösartige Gedicht von Sarah Kirsch aus der Zeit nach der sogenannten Wende zeigt:

Den Mond über der Havel
hatte Schalck
wohl zurückgelassen

Schalck ist natürlich der Herr Schalck-Golodkowski. Der sitzt heute nicht etwa im Gefängnis, wie manche glauben, der wohnt in der Schickeria Enklave Rottach-Egern. Wenn von der DDR nix mehr übrig ist, der Mond über der Havel ist aber noch da. Wenn dies ein ernstzunehmender Artikel über das deutsche Haiku würde (was er nicht ist), dann müsste ich natürlich Imma von Bodmershof erwähnen. Die Österreicherin, die einmal mit dem Hölderlin Forscher ➱Norbert von Hellingrath verlobt war, ist eine wichtige Figur in der deutschen Haiku Bewegung (➱hier alles über sie). Es ist ein weiter Weg von Hölderlin zum Haiku. Mit dem Fernöstlichen hatte es Hölderlin ja nun gar nicht. Goethe schon:

Dieses Baums Blatt der von Osten
Meinem Garten anvertraut
Gibt geheimen Sinn zu kosten
Wie’s den Wissenden erbaut.
Ist es Ein lebendig Wesen
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es Zwei die sich erlesen
Daß man sie als Eines kennt?
Solche Frage zu erwidern
Fand ich wohl den rechten Sinn;
Fühlst du nicht an meinen Liedern
Daß ich Eins und doppelt bin.

Ich habe jetzt Schwierigkeiten, von Goethes Ginkgo Biloba aus dem West-Östlichen Divan zu meinem Lieblingsdichter Uli Becker zu kommen. Dem habe ich vor einem Jahr ➱hier einen Geburtstagsgruß in den Blog geschrieben, er hat das sogar gelesen. Damals war auch schon von seinen Haikus die Rede. Aus dem schönen Band Frollein Butterfly. 69 Haiku hatte ich diesen lyrischen Quickie (der Begriff stammt leider nicht von mir sondern aus der ➱Zeit) zitiert:

Tun kein Auge zu
heut nacht vor lauter Vögeln,
Hommage à Hitchcock.


Der Wikipedia Eintrag weiß eine ganze Menge über das Haiku in Deutschland, ich zitiere mal eben daraus einige Sätze: Lange Zeit auf eine kleine Gemeinde von Haikuschreibenden beschränkt, hat sich in den letzten Jahren eine lebendige Szene entwickelt. Zum Teil ist sie in der ➱Deutschen Haiku-Gesellschaft vertreten, auf deren Homepage sich eine Seite mit aktuellen Autoren findet... Die Vierteljahresschrift der DHG heißt ➱Sommergras. Ich hätte hier einen Übersichtsartikel von ➱Sabine Sommerkamp über Die deutschsprachige Haiku-Dichtung: Von den Anfängen bis zur Gegenwart für Sie, dann wissen Sie mehr. Und sicherlich lohnt auch der Artikel Das Verschwinden der Schwalbe: Aspekte moderner deutschsprachiger Haiku von ➱Mario Fitterer die Lektüre.

Das Dichten von Haikus greift um sich, das ist wie bei dem Sudoku. Allerdings muss man natürlich dazu sagen, dass das Sudoku im Gegensatz zum Haiku gar keine japanische Sache ist, weil es von einem Amerikaner namens Howard Gans erfunden wurde. Aber es gibt natürlich schon ➱Soduko Haikus. Und das Internet ist voller Programme, mit denen man ein Haiku generieren kann, füttern Sie Google mal mit Haiku Generator. Sie können bei Google auch Haiku schreiben eingeben. Sie werden überrascht sein, wie viele gute Ratschläge Sie bekommen. Doch mit solchen Dingen möchten die echten Haiku Dichter natürlich nichts zu tun haben.

Es gibt einen Grund, weshalb ich heute einen Post mit dem Titel Haiku schreibe. Gerhard Stein, in Haiku Kreisen kein Unbekannter (sein Buch Die kleine Brücke: Haiku-Sammlung. Mit einem Essay Haiku und Zen ist bei Amazon noch lieferbar), hat mich gefragt, ob ich in meinem Blog nicht einmal ein wenig Werbung für seine neueste Haiku Anthologie machen könnte. Sie finden alles, was Sie dazu wissen sollten, auf dieser ➱Seite. Ich weiß jetzt nicht, ob sich Uli Becker auch beteiligen darf, aber es scheint bisher noch nicht die tausend Haikus zu geben, die die Nouvelle Revue française 1924 erhielt.

Ich hätte zum Schluss noch ein Haiku von Helga Stein aus der Sammlung Spaziergang am Meer (➱Ammasem Verlag), das überhaupt nicht zu der Dunkelheit, der Kälte und dem Schnee draußen passt. Aber es macht Hoffnung, dass die Tage wieder länger werden.

Heute kein Haiku -
das Blau der Förde paßt nicht
in siebzehn Silben.

4 Kommentare:

  1. Manchmal

    Wenig Kommentar
    so erkennt man Edelstein
    wenn man ihn denn sieht

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  2. Ein sozusagen skelettierter Haiku, neulich im großen Netz gefunden, z.B. hier: http://redditlurker.com/funny/Post/t3_ycx64 ...
    (und an dieser Stelle auch mal ein großes Dankeschön für diese vielen unterhaltsamen, lehreichen, großartigen, inspirierenden Posts!)

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  3. Hai Nippon du Land
    des siebzehn Silben Vers´
    der nur dir gehört.

    Schau nicht hinüber
    nach Germany, dem Land, welches
    besser keine schreibt.

    Ups, eine Silbe zuviel. Ich werd der Deutschen Haiku Gesellschaft wohl nicht beitreten.

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  4. der blogbeitrag ist zum schmunzeln, der kommentar von u. reinecke zum kopfschütteln. schön, wenn jemand seine voruteile in frage stellt. schade, wenn jemand seinen kirchturm nicht verlassen mag, obwohl es hinter dem horizont weiter geht.

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