Der Pole Józef Teodor Nałęcz Konrad Korzeniowski wurde heute vor 155 Jahren in Berditschew (das damals zum russischen Kaiserreich gehörte) geboren. Der Ort Berditschew, der auch der Geburtsort von Vladimir Horowitz war, ist nicht nur durch Józef Teodor Nałęcz Konrad Korzeniowski in der Literatur berühmt geworden. Sieben Jahre vor seiner Geburt hatte Balzac hier seine polnische Gräfin geheiratet. Von den Berühmtheiten der Literatur abgesehen, bleibt Berditschew in der Erinnerung, weil die SS hier 1941 die gesamte jüdische Bevölkerung umgebracht hat. Die für alles politische Morden symbolischen Worte von Mr Kurtz in Heart of Darkness - The horror! The horror! - gelten nicht nur für die Kongogreuel.
Der junge Korzeniowski aus der Wappengemeinschaft der Nałęcz wird seinen Namen ändern. Seeleute im Pazifik kannten ihn später unter dem Namen Polish Joe. Wir kennen ihn besser unter dem Namen Joseph Conrad. Wenn ich bedenke, dass er einer meiner Lieblingsschriftsteller ist, kommt er in diesem Blog viel zu selten vor. Er wird zwar immer wieder erwähnt, aber es gibt hier keinen langen Essay zu Joseph Conrad. Vielleicht kommt das ja noch einmal. Vor fünf Jahren, als zu seinem 150. Geburtstag das Feuilleton voll von Joseph Conrad war, hätte ich über ihn schreiben können. Doch ich hatte noch keinen Computer. Und wusste überhaupt nicht, was ein Blog ist. Aber vielleicht habe ich bisher auch nicht über Conrad geschrieben, weil ich mich nicht traute. Er, der manchmal so vertraut wie ein alter Freund ist (As years go by and the number of pages grows steadily, the feeling grows upon one, too, that one can write only for friends), kann so herrlich olympisch abweisend sein. So wie im Vorwort zu The Nigger of the Narcissus: A work that aspires, however humbly, to the condition of art should carry its justification in every line. And art itself may be defined as a single-minded attempt to render the highest kind of justice to the visible universe, by bringing to light the truth, manifold and one, underlying its every aspect. It is an attempt to find in its forms, in its colours, in its light, in its shadows, in the aspects of matter and in the facts of life what of each is fundamental, what is enduring and essential—their one illuminating and convincing quality—the very truth of their existence.
Vor fünf Jahren erschienen mit John Stapes The Several Lives of Joseph Conrad und Elmar Schenkels Fahrt ins Geheimnis: Joseph Conrad. Eine Biographie gleich zwei neue Biographien zu Conrad. Musste es wirklich sein? Gab es nicht schon genug gute Biographien zu Joseph Conrad? Sein Leben liegt vor uns, selbst wenn er sich den Biographen immer wieder entzieht. He who has read to the end of this book knows all that's worth knowing of me, sagt Conrad im Vorwort zu A Personal Record. Wahrscheinlich sind es Verlagsinteressen, die einen Wissenschaftler drängen, zum 150. Geburtstag des Autors eine neue Biographie zu schreiben. Revolutionär sind beide Bücher nicht. Wer die Klassiker der Conrad-Biographien wie Jocelyn Baines, Jerry Allen, Norman Sherry, Frederick R. Karl oder den Band in der Reihe der rowohlts monographien von Peter Nicolaisen gelesen hat, brauchte Stape (der auch der Herausgeber des Cambridge Companion to Joseph Conrad ist) oder Schenkel nicht unbedingt. Zumal der Autor Joseph Conrad ja jemand ist, der in seinem ganzen Werk für den Leser klar erkennbar hervortritt, every novel contains an element of autobiography—and this can hardly be denied, since the creator can only express himself in his creation. Oder: One's literary life must turn frequently for sustenance to memories and seek discourse with the shades. Und diese Rückerinnerung beherrscht der Mann, der never kept a diary and never owned a notebook. Was nicht so ganz stimmt, für seine Reise in das Herz der Finsternis, sprich den Kongo, haben wir ein Tagebuch. Genau genommen sind es nur zwei schmale Notizbücher (das zweite enthält nur nautische Notizen). Er hat es für Heart of Darkness wohl nicht benutzt, wahrscheinlich hatte er vergessen, dass es das Tagebuch noch gab.
Wir könnten sicherlich Conrad lesen, ohne seine Lebensgeschichte zu kennen, er ist immer im Text. Er schreibt belehrende Vorworte, er sagt uns, was er will: My task, which I am trying to achieve is, by the power of the written word, to make you hear, to make you feel--it is, before all, to make you see. Vielleicht hat es auch deshalb verhältnismäßig lange gedauert, bis nach der ersten Biographie von Conrads Freund Georges Jean-Aubry halbwegs zuverlässige Biographien, wie zum Beispiel die von Jocelyn Baines (der dafür den Duff Cooper Prize bekam), geschrieben wurden. Jocelyn Baines (Photo) war der Direktor des Verlags Thomas Nelson gewesen, war aber in das Geschäft mit antiquarischen Büchern gewechselt und Direktor von Bernard Quaritch geworden, vielleicht hatte er da mehr Zeit zum Schreiben. The first 'modern' life of Conrad, and it remains definitive, hatte die Verlagswerbung über das Buch gesagt. Das Times Literary Supplement konnte da (wie alle quality papers) nur beipflichten: A biography in which understanding is informed with detachment, and scholarship tempered with urbanity. It is hard to imagine a more reliable or readable book. Das Londoner Haus von Jocelyn Baines hat übrigens vor wenigen Jahren ein gewisser Tony Blair gekauft, aber der wusste wahrscheinlich nicht, wer Jocelyn Baines war. Ob er weiß, wer Joseph Conrad war? Hätte er ihm wie sein Amtskollege Ramsay MacDonald einen Adelstitel angeboten?
Für die Rezensentin des Telegraph war John Stapes Biographie disconcertingly disconnected, rather like a superior entry in Wikipedia. Das ist nun ein wenig fies, denn The Several Lives of Joseph Conrad ist ein seriöses Buch. Wenn auch ein wenig trocken und langweilig (daran konnte auch die gute Übersetzung von Eike Schönfeld nichts ändern), man ist heute von Biographien mehr gewöhnt. Und es wäre auch nur redlich gewesen, Jocelyn Baines' (immerhin im Vorwort erwähnte) Biographie im Literaturverzeichnis aufzuführen, statt sich selbst zehnmal dort einzutragen. Das sind peinliche Unsitten (das sogenannte hartnäckige Selbstzitat), die man immer häufiger findet. Elmar Schenkels Fahrt ins Geheimnis bietet dem deutschen Leser, der kein Fachwissenschaftler oder Anglistikstudent ist, viel mehr. Es ist weniger eine Biographie eines Literaturwissenschaftlers als ein langer Essay eines Schriftstellers. Der aber - das sei betont - vielen Lesern einen schönen Zugang zu Conrad geben kann.
Manche kommen zu Conrad, weil sie zur See gefahren sind. Beinahe alle Kapitäne, die ich kannte, hatten die gelb eingebundenen Werke von Conrad in ihrem Bücherschrank, each generation has its memories. Für die, die nie zur See gefahren waren, konnten die Romane eine Entführung in fremde ozeanische Welten sein: Lieber Onkel, ich weiß, dass Sie keine Bücher lesen, schrieb Joseph Roth 1928 in seinem Essay Geschenk an meinen Onkel in der Frankfurter Zeitung. Und er fuhr fort: Trotzdem gebe ich Ihnen einige. Ein Mann hat sie geschrieben, namens Joseph Conrad. Er war ein Pole von Geburt. Er wurde im tiefsten Kontinent geboren, nämlich in Wolynien … und seine Muttersprache war die polnische, die zu den kontinentalsten Sprachen der Welt gehört. Aber er ging mit 16 Jahren nach Marseille, bestieg ein Schiff, wurde ein Matrose und fuhr durch die Meere und wurde einer der größten Meister der ozeanischen Sprachen: der englischen. Und dies sind seine Bücher. Sie sind bewegt wie das Meer und ruhig wie das Meer und tief wie das Meer … Lesen Sie den Ozean!
Man braucht nicht unbedingt die Seeromane zu lesen. Thomas Mann empfahl dem deutschen Leser 1926 in seinem Vorwort zu The Secret Agent eben diesen Roman, weil darin nicht zur See gefahren wird, und weil es für mein Gefühl eine ungerechte Schmälerung von Conrads Ruhm bedeuten würde, wenn er allzu seemännischen Spezialcharakter gewönne. Sicher sind The Secret Agent oder Nostromo bedeutende Romane, aber mir fehlt hier etwas, es ist nicht der Conrad, den ich liebe. Den Conrad, der die See nie vergessen hat: I may safely say that through the blind force of circumstances the sea was to be all my world and the merchant service my only home for a long succession of years. No wonder, then, that in my two exclusively sea books —The Nigger of the Narcissus', and 'The Mirror of the Sea' (and in the few short sea stories like 'Youth' and 'Typhoon')—I have tried with an almost filial regard to render the vibration of life in the great world of waters, in the hearts of the simple men who have for ages traversed its solitudes, and also that something sentient which seems to dwell in ships — the creatures of their hands and the objects of their care.
Meine erste Proseminararbeit im Fach Englisch schrieb ich vor Jahrzehnten über Joseph Conrads Erzählung Typhoon. Ich garnierte sie reichhaltig mit Zitaten aus Thomas Manns Meerfahrt mit Don Quijote. Das fand ich sehr passend, Thomas Mann hat seinen Kollegen Conrad ja immer sehr geschätzt. Sollte ihm seine gesamte Bibliothek abbrennen, sagte Thomas Mann einmal, dann wolle er sich für die neue Bibliothek als erstes Buch Lord Jim von Joseph Conrad kaufen.
Die schöne Anekdote über den Verfasser von Oblomow, die sich in Meerfahrt mit Don Quijote findet, konnte ich in der Arbeit natürlich nicht auslassen: Iwan Gontscharow wurde während eines Sturmes auf hoher See vom Kapitän aus seiner Kajüte geholt: er sei ein Dichter, er müsse das sehen, es sei großartig. Der Verfasser des 'Oblomow' kam an Deck, sah sich um und sagte: 'Ja, Unfug, Unfug!' Dann ging er wieder hinunter. Meinem Dozenten gefiel mein essayistischer Stil nicht so sehr. Aber so sehr ich Peter Nicolaisen - il miglior fabbro - bewunderte, der ja der Joseph Conrad Fachmann war, und so viel ich von ihm gelernt habe, den essayistischen Stil hat er mir nicht austreiben können. Er hat mir meine wissenschaftliche Jugendsünde, die mit Feuer und Leidenschaft geschrieben war, längst verziehen. Zu einem runden Geburtstag hat er mir einen Aufsatz gewidmet. Da stand mein Name in kleinerer Kursivschrift unter dem Titel, in dem der Name Joseph Conrad stand. Joseph Conrad und ich, im Druck nebeneinander! Das hat mich sehr gerührt. Und vielleicht schreibe ich ja hier irgendwann noch einen langen Artikel über Joseph Conrad. Der wird natürlich wieder essayistisch, ich kann nicht anders. I don't like work--no man does--but I like what is in the work--the chance to find yourself. Your own reality--for yourself not for others--what no other man can ever know. They can only see the mere show, and never can tell what it really means.
Schöne Würdigung eines großen Autors. In Deutschland liest man ihn leider zu wenig, wie alle großen Autoren ist auch J. Conrad ein Meister der Sprache, daher am schönsten im Originaltext. Auch seine vermeintlichen Nebenwerke sind unvergesslich, wie z. B. "The Rover" oder "Victory".
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