Mittwoch, 30. September 2020
Translation Day
Montag, 28. September 2020
mein Melville
Als Herman Melville am 28. September 1891 starb, waren von seinem Roman Moby-Dick, der vierzig Jahre zuvor erschienen war, wohl höchstens dreitausend Exemplare verkauft worden. Dreitausend Leser habe ich mit meinem Blog in drei Tagen. Der Link im ersten Satz dieses Posts führt zu einer Seite, die powermobydick heißt, eine annotierte Internetausgabe. Was hätte ich 1976 bei der Moby-Dick Ausstellung nicht dafür gegeben, wenn ich so etwas gehabt hätte. Aber immer, wenn der Museumsdirektor Dr Joachim Kruse Textfragen hatte, musste ich den Roman wieder einmal lesen. Ich bin mittlerweile ziemlich firm in dem Roman, der 206.052 Wörter enthält. Über das lange Gedicht Clarel kann ich nicht unbedingt sagen, dass ich darin firm bin. Als ich anfing, diesen Blog zu schreiben, spielte ich mit dem Geanken, nur über Melville zu schreiben. Schon die Adresse meines Blogs wies darauf hin, denn Loomings ist das erste Kapitel von Moby-Dick. Und auch einer der ersten Posts, der Tiefen hieß, hatte mit Melville zu tun:
Der kleine Pip ist der einzige, für den das erkaltete Herz von Kapitän Ahab noch letzte menschliche Gefühle zeigt. Die Mannschaft der Pequod hält Pip für wahnsinnig. Es wäre besser, wenn sie Ahab für wahnsinnig halten würden. Der kleine Pip ist wahnsinnig, seit er über Bord gefallen ist und man ihn allein im Pazifik treiben ließ. Der kleine Pip hat in der Tiefe des Ozeans die Füße Gottes gesehen, wie sie den Webstuhl der Welt treten. Und er hat davon erzählt, deshalb hält man ihn für verrückt: 'So man's sanity is heaven's sense; and wandering from all mortal reason, man comes at last to that celestial thought, which, to reason, is absurd and frantic; and weal or woe, feels then uncompromised, indifferent as his God.' Melville hat seltsame Dinge aus der Bibel herausgelesen. Das hat seine wenigen zeitgenössischen Leser wahrscheinlich mehr verstört als seine komplizierte Syntax.Das steht in dem Kapitel The Whiteness of the Whale, vielleicht ist es eine Schlüsselstelle des Romans, aber beinahe jedes andere Kapitel könnten auch eine Schlüsselstelle in diesem abenteuerlichen Gemisch von Handlung, Digressionen und Exkursen sein. Man muss als Leser innehalten und nachdenken. Melville wollte nach einem halben Jahr mit dem Roman fertig sein, den er im Kopf hatte. Aber ist der Roman wirklich fertig, wenn er nach anderthalb Jahren den letzten Federstrich tut? God keep me from ever completing anything. This whole book is but a draught—nay, but the draught of a draught. Oh Time, Strength, Cash, and Patience! schreibt er am Ende des 32. Kapitels. I have written a wicked book, and feel spotless as the lamb, schreibt er im November an Nathaniel Hawthorne in der Art eines literarischen Liebesbriefs, er glaubt, dass Hawthorne ihn verstanden habe. Er unterzeichnet den Brief mit Herman, das tut er sonst nur bei Familienbriefen. Und er widmet ihm den Roman: In token of my admiration for his genius, this book is inscribed to Nathaniel Hawthorne.
Freitag, 25. September 2020
Juliette Gréco ✝
Ich mag Brassens überhaupt nicht, ich war auf einem ganz anderen Trip. Ich sammelte alles von Juliette Gréco, ✺Cora Vaucaire (die als erste Les feuilles mortes sang) und Barbara. Und ich besaß einen Band von Préverts Paroles, den ich peu à peu auswendig lernte. Bevor ich mir die Paroles kaufte, hatte ich den von Kurt Kusenberg besorgten Band Gedichte und Chansons benutzt, da gab es die Chansons zweisprachig. Das war praktisch, denn mein Französisch war noch nicht so gut, ich war in der Lateinklasse des Gymasiums gewesen. Aber dann gab es eine Reform der Oberstufe, ich konnte zwischen Russisch, Spanisch und Französisch wählen. Ich nahm Französisch und bekam glücklicherweise einen hervorragenden Lehrer.
1962 in Berlin kratzte ich mein ganzes Taschengeld zusammen, um mir eine Karte für das Konzert von der Muse des Existentialismus zu kaufen. Sie hatte Deutschland bisher gemieden; was man verstehen kann, wenn Mutter und Schwester ins das KZ Ravensbrück verschleppt wurden. Unglücklicherweise saß ich (Komödie Kurfürstendamm Reihe 12 Parkett links, Sitz Nr. 141) hinter Deutschlands schönstem Mann, dem Filmschauspieler Paul Hubschmid. Der war ein Sitzriese, und ich versuchte das ganze Konzert lang, an seinem linken oder rechten Ohr vorbei einen Blick auf das sich katzenartig bewegende Geschöpf im schwarzen Kleid zu werfen, das von einer kleinen Combo begleitet da vorne sang. Wenn ich an diesen Abend zurückdenke, dann ist es schon ein wenig komisch, dass ich nicht an Juliette, sondern an die ondulierten Haare von Paul Hubschmid denke.
Juliette Gréco sang an dem Abend viel von Jacques Prévert. Mein Französisch wurde damals von Woche zu Woche besser, weil ich wie viele meiner Klasse, diese Exi Phase hatte. Schwarze Rollis und alte Tweedjacketts tragen und nur noch französische Filme gucken war de rigeur. Und nebenbei begann ich, Proust zu lesen. Ich weiß, dass ich Sie jetzt langweile, ich habe das schon mehrfach hier im Blog gesagt, das steht schon in den Post Jacques Prévert und souvenirs et regrets. Aber es ist ja alles wahr. Und es sitzt immer noch im Herzen. Die Bücher und Platten sind immer noch da. Die Eintrittskarte für das Juliette Gréco Konzert liegt noch immer im Schreibtisch, ich bewahre sie wie eine Reliquie auf. Nur die Frauen, denen man damals Liebesgedichte von Jacques Prévert in die Briefe schrieb, sind entschwunden. Aber Préverts Gedichte und Juliettes Chansons bringen alles zurück, les souvenirs et les regrets aussi.
Juliette Gréco erfand den existenzialistischen Stil: langes, glattes Haar mit Stirnfransen, die 'Frisur einer Ertrunkenen', wie der Journalist Pierre Drouin es nannte, dazu dicke Pullis und Männerjacken mit hochgekrempelten Ärmeln. Gréco schrieb, ihre langen wilden Haare hätten sie in der Kriegszeit warm gehalten. Dasselbe sagte Simone de Beauvoir über ihren Turban. Existenzialisten trugen schlabbrige Hemden und Trenchcoats, einige pflegten einen frühen Punk-Stil. Einer lief mit einem 'völlig zerrissenen und zerlumpten Hemd herum', schrieb Drouin. Bald jedoch setzte sich der typische Exi-Look durch: der schwarze Rollkragenpulli.
Und hinzugefügt: It helps that she writes well, with a lightness of touch and a very Anglo-Saxon sense of humour. Das ist es, was Bakewell perfekt beherrscht: schwierige Dinge ganz einfach zu erklären. Und zu den wärmenden Haaren von Juliette Gréco sollte man noch anmerken, dass die bis zum Po gingen. Schreibt sie auf jeden Fall in ihrer Autobiographie. Gerade auf Deutsch erschienen ist Agnès Poiriers Buch Left Bank: Art, Passion and the Rebirth of Paris 1940–1950. Ein wenig oberflächlich und nicht auf dem Niveau von Bakewell, aber doch ein schönes Sittengemälde der Zeit.
Die langen Haare von Juliette Gréco und Rita Renoir (der tragédienne du strip-tease), die schwarzen Rollis, das leicht versiffte Aussehen, das war das Äußerliche. Man konnte den Stil leicht nachahmen, es gab genügend Wochenschauaufnahmen und Photos von der Pariser Szene. Wir stellten uns eine Gesellschaft außerhalb der Gesellschaft vor, die in Bars und Nachtclubs lebte; in einem Paris, das in unserer Vorstellung der Dunkelheit des amerikanischen Film Noir und dem französischen Poetischen Realismus (man denke an ✺Le jour se lève und ✺Le Quai des brumes) entsprungen war. So ganz falsch war das wohl nicht, denn es gibt mittlerweile ein Buch mit dem Titel Existentialism, Film Noir, and Hard-Boiled Fiction.
Weil sie noch nicht käuflich sind
Weil sie noch ohne Angst, mein Kind, sing!
Für die die noch nicht schweigen und
die noch der Welt das zeigen was
Recht und was Unrecht ist, mein Kind, sing!
Für die, die noch nicht blind gemacht
Bouzouki in der Sommernacht
ist kein Ersatz für Freiheit, Kind, sing!
Für die, die man einst vor der Stadt
zur Kirschenzeit verrissen hat
daß man sie nicht vergißt, mein Kind, sing!
Sing für die Freiheit, Kind
Hinter den Mauern sind
Menschen, die brauchen Dein Lied
Sing für Gerechtigkeit
Gegen Gleichgültigkeit
und gegen Haß, mein Kind
Für die, die schon die Ketten seh'n
und dennoch mutig weitergeh'n
Für eine kleine Hoffnung, Kind, sing!
Für die, die in Gefangenschaft
liegen in Nacht und Dunkelhaft
Die dennoch ungebeugt, mein Kind, sing!
Für die, die vielleicht niemals mehr
die rote Sonne über'm Meer
hinter Piräus seh'n, mein Kind, sing!
Für die, die einem Hoffnungsstrahl folgen,
die für das Ideal Freiheit
zugrundegeh'n, mein Kind, sing!
Bei YouTube hat jemand das mit den Worten kommentiert: Nie war ein Text aktueller als heute, da ist sicher etwas dran. Die Melodie ist von Gérard Jouannest, dem Mann, mit dem Juliette Gréco seit 1968 zusammenarbeitet. Er hatte zuvor Lieder für Jacques Brel geschrieben, wie zum Beispiel das berühmte ✺Ne Me Quitte Pas. Aber Brel (der in meinem Ikea CD Regal auch gut vertreten ist) hatte aufgehört zu singen, seine einjährige Abschiedstournee ging 1967 zu Ende. Jouannest sollte 1968 Barbara auf einer Tournee begleiten, aber die Tournee fiel ins Wasser, da sprang er bei Juliette Gréco als Klavierbegleiter ein, weil deren Pianist ausgefallen war. Er blieb bei ihr, nicht nur als Klavierbegleiter, er schrieb ihr Chansons (Mon fils chante, ✺Vivre, ✺Les années d’autrefois, ✺Un jour d’été und ✺C’était un train de nuit) und heiratete sie.
Nach einem halben Tag Juliette aus dem CD Player konnte ich sie am Abend auch noch sehen. Denn arte hatte wegen des Todes von Michel Piccoli sein Programm geändert. Sendete zuerst Sautets Film ✺Les choses de la vie und dann die Dokumentation ✺Der erstaunliche Monsieur Piccoli. In dem Film gibt es eine kurze Sequenz vom ✺INA mit einem Interview des frischgebackenen Ehepaars Gréco und Piccoli, die es geschafft hatten, der Presse zu entgehen.
In dem Film ist auch die Szene zu sehen, wo Piccoli in ✺Belle de Jour die Deneuve mit schmutzigem schwarzen Schlamm bewirft, fand ich immer die beste Szene des Films. Ich mochte den Film nie. Truffaut dreht bessere Filme, die Deneuve ist in La Sirène du Mississipi lebendiger als in Belle de Jour. Truffaut, der mit der Deneuve (wie mit beinahe all seinen Hauptdarstellerinnen) eine Affäre hat, hat einmal angedeutet, dass die Deneuve nur durch ihre Schönheit wirkt, nicht durch ihre schauspielerischen Qualitäten. Aber mit dem ✺Schlamm im Gesicht ist sie sehr überzeugend.
Donnerstag, 24. September 2020
Supreme Court
An dieser Stelle sollte mal eben eine kleine Geschichte aus den Fantastic Fables von Ambrose Bierce, Offizier im Bürgerkrieg wie Oliver Wendell Holmes, zitiert werden:
An eminent Justice of the Supreme Court of Patagascar was accused of having obtained his appointment by fraud.
“You wander,” he said to the Accuser; “it is of little importance how I obtained my power; it is only important how I have used it.”
“I confess,” said the Accuser, “that in comparison with the rascally way in which you have conducted yourself on the Bench, the rascally way in which you got there does seem rather a trifle.”
Mittwoch, 23. September 2020
Moderation ausstehend
Ein Leser hat sich beklagt, dass seine Kommentare zu meinen Posts nicht veröffentlicht worden sind. Es gibt in meinem Blog nicht so furchtbar viel Kommentare, aber das, was wichtig ist, veröffentliche ich schon. Wenn es mich denn erreicht. Und da gab es offenbar ein Problem. Googles Blogger hat jetzt seit einer Woche eine neue Oberfläche, alles ist für den Texteditor (also für mich) neu. Bunt. Gewöhnungsbedürftig. Und in vielen Details ein Ärgernis, ich schreibe demnächst mal darüber. Wenn Sie einen Eindruck haben wollen, wie verworren das Ganze ist, dann sollten Sie einmal diesen ✪Blog anklicken.
Aber mit der neuen Oberfläche kamen auch Dinge zutage, die mir bisher verborgen geblieben sind. Also von mir nicht abgedruckte Kommentare, unbeantwortete Fragen etc. All das blieb unbeantwortet, weil ich es vorher nie gesehen habe. Das meiste, das ich jetzt unter der Überschrift Moderation ausstehend zu lesen bekam, war Müll. Spam, wie es so schön heißt. Also Dinge wie dies hier: I’m in my bed, you’re in yours. One of us is obviously in the wrong place. Hey, i am looking for an online sexual partner ;) Click on my boobs if you are interested. Solche Angebote gab es reichlich. Es priesen sich auch Wunderheiler an, die vom Liebeskummer bis zum Krebs alles heilen konnten: Mein Herz war gebrochen, ich glaube nie, dass ich meine Ex wieder zurückbekomme, bis Dr. LOVE meine Ex innerhalb von 24 Stunden mit einem mächtigen Liebeszauber zurückbrachte. Er ist zuverlässig für positive Ergebnisse. Wenden Sie sich per E-Mail an den Zauberer für Liebeszauber: {DRODOGBO34@GMAIL.COM} oder per WhatsApp unter + 1 443 281 3404. Jemand wollte von mir für die Errichtung einer Fabrik in Nischni Nowgorod hunderttausend Rubel haben, ein anderer verlangte tausend Dollar in Bitcoin, damit er meine geheimsten und schmutzigsten Gedanken nicht der Welt offenbarte.
Offensichtlich hatte Google für sich entschieden, dass ich das alles nicht zu lesen brauchte, denn das alles war bei mir nicht angekommen. Aber jetzt mit dem neuen System kommt es wieder hoch. Ich könnte die Beispiele jetzt ad infinitum weiterführen, aber sie sehen schon, was gemeint ist. An allen Stellen des Internets, an denen eine Kommentarfunktion ist, kann man kommentieren, und jeder kommentiert offenbar. Das Internet ist wie eine riesige Klotür, auf die man Grafitti schreiben kann. Es kamen allerdings bei diesen Kommentaren auch ernstgemeinte Dinge ans Licht. Lob und Tadel. Kritik. Hinweise auf Fehler. Vielen Dank, ich habe das Kissinger in dem Post Gesten umwendend in Kiesinger korrigiert. In dem Post Ärmelknöpfe hätte ich nach Meinung eines Lesers anstelle Knopfloch das Wort Knoblauch schreiben sollen, das blieb unkorrigiert.
Während das meiste, was mich nicht erreichte, wie gesagt, Müll war, gab es auch manches von Lesern, die ich wirklich schätze. Einer von ihnen ist ein Blogger, der unter dem Namen ✪lyriost schreibt. Der hatte sich hier schon einmal zum Thema Kommentar in dem Post Haiku mit einem selbstgeschrieben Haiku gemeldet:
Manchmal
Wenig Kommentarso erkennt man Edelstein
wenn man ihn denn sieht
Sonntag, 20. September 2020
Anna Karenina: Übersetzungen
Donnerstag, 17. September 2020
Otto Blendermann
Der Architekt Otto Blendermann wurde am 17. September 1879 in Bremen geboren, er hat sich mit seinem Kompagnon August Abbehusen quer durch Bremen gebaut. Auch bei uns in der Weserstraße steht eins seiner Häuser. Viele seiner Bauwerke stehen heute noch, viele stehen unter Denkmalschutz. Dies hier ist das Rathaus in Bremen-Blumenthal. Man weiß nicht so genau, was das für ein Stil ist, ein bisschen Barock, ein bisschen Klassizismus, ein bisschen Jugendstil. Das Bauwerk steht heute leer, man weiß nicht so recht, was man damit anfangen soll. Vielleicht wird es eine Kita.
Bei diesem Gebäude ist die stilistische Zuordnung einfach, das ist Klassizismus, ein Stil, der für Theater immer gut ist. Das Gebäude steht heute nicht leer, es ist immer noch ein Theater. Seine große Zeit hatte das klassizistische Theater am Goetheplatz unter Kurt Hübner, damals wurde da wenig Klassik gespielt. Da gab es mit Regisseuren wie Peter Zadek und Peter Stein so ziemlich das Wildeste, das in Deutschland auf die Bühne kam.
Eines von Blendermanns größten Bauwerke ist das Landgut Hohehorst, eines der wenigen Schlösser, die noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gebaut werden (ein zweites Beispiel wäre das Schloss Wolfsburg von Paul Bonatz). Das riesige Gebäude in Löhnhorst steht heute leer, den Park darf man auch nicht mehr betreten. Sie können aber alles darüber in dem ausführlichen Post Hohehorst lesen.
Mein Lieblingsbauwerk von Otto Blendermann ist dieser steinerne Elephant (der schon in den Posts Gerhard Rohlfs und Afrika erwähnt wird), da bin ich mal nach dem Besuch des Bremer Freimarkts draufgeklettert. War eine Mutprobe, machten aber viele Schüler. Bei seiner Einweihung hatte das steinerne Monster den furchtbaren Namen Reichskolonialehrendenkmal bekommen. Damals sagte der General von Lettow-Vorbeck: Ein großes Volk muss Kolonien haben, um leben zu können. Ein großes Volk treibt Kolonialpolitik nicht nur, um Kultur zu verbreiten, ein großes Volk treibt Kolonialpolitik in erster Linie seiner selbst willen. Nicht eine Weltmission ist die Hauptsache, es gilt eine nationale Notwendigkeit. Ohne Kolonien muss ein blühendes Volk ersticken. Kolonien sind der Ausdruck der Kraft einer Nation. Davon sind wir heute glücklicherweise weit weg. Das steinerne Tier hat heute den Namen Antikolonialdenkmal. Und das ist nicht nur ein Name, es hat wirklich etwas mit der Aussöhnung mit Afrika zu tun.
Dienstag, 15. September 2020
Battle of Britain Day
Heute ist der achtzigste Jahrestag des Battle of Britain Day. Alle geplanten Veranstaltungen und die große Flugschau müssen wegen des Covid-19 Virus leider ausfallen oder sind in den Herbst verschoben worden. Die Feiern für diesen Tag gibt es schon lange. Schon während des Krieges wurde der Battle of Britain Day als ein Tag der Danksagung gefeiert, schauen Sie einmal in die British Pathé ✺Wochenschau aus dem Jahre 1943. Vor zehn Jahren hat der ehemalige Squadron Leader Tony Iveson (der auch bei der Operation Chastise dabei war) gesagt: As far as we were concerned we saved the world.
We few, we happy few, we band of brothers steht in dem Glasfenster der Royal Air Force Chapel in der Westminster Cathedral. Das sind die Worte die Shakespeares Henry V vor der Schlacht von Azincourt am St. Crispin's Day sagt. Sie sind sicher passend für die Royal Air Force, über die Winston Churchill jetzt sagt Never in the field of human conflict was so much owed by so many to so few. Über England tobt die Battle of Britain, am 7. September 1940 wird zum ersten Mal London bei Tag angegriffen. Die Deutschen haben es aufgegeben, die Flugplätze an Englands Südküste anzugreifen, um Englands Luftwaffe zu vernichten. Das Unternehmen Seelöwe ist gescheitert. Für den Air Vice Marshall Keith Park markiert deshalb der 7. September das Ende der Battle of Britain, für andere ist der 15. September, der Battle of Britain Day, wichtiger.
The Few werden auch die Teilnehmer der Battle of Britain heißen, es gibt für sie auch einen Schlips. Aber während man sich einen Royal Air Force Schlips jederzeit im Laden kaufen kann, den hier kann man nicht kaufen. Er ist dunkelblau, und darauf sind in Gold die Umrisse von England und die englische Rose der Tudors. Man kann ihn bei Gieves & Hawkes kaufen, aber man muss schon nachweisen, dass man damals dabei war. Aber solche Paraphernalia interessieren damals niemanden, es geht jetzt um das Überleben Englands. Es gibt aber noch eine andere Battle of Britain. Die finden im Geheimen statt, und es ist ein Machtkampf innerhalb der Royal Air Force, der die Ausmaße einer Shakespeare Tragödie annimmt.
Die Anfänge liegen schon in der Zeit vor dem Krieg, wenn man nicht weiß, ob man leichte, schnelle Jagdflugzeuge oder große Bomber bauen soll. Die Flugzeuge, mit denen Bomber Harris Deutschland angreifen wird, sind für die Verteidigung Englands in der Luft völlig ungeeignet. Aber auch innerhalb des Fighter Command gibt es unterschiedliche Konzepte. Air Marshall Sir Hugh Dowding setzt auf das Konzept von Air Vice Marshall Keith Park, dem die 11. Fighter Group untersteht. Park lässt seine Hurricanes und Spitfires unterstützt von englischen Radar im letzten Augenblick als Abfangjäger aufsteigen. Air Chief Marshall Trafford Leigh-Mallory setzt dagegen auf ein big wing Konzept und will seine ganze Flotte die ganze Zeit in der Luft behalten (in der Praxis funktioniert dieses System natürlich nicht). Dowding und Park setzen sich durch, und sie gewinnen damit die Luftschlacht über England. Das Bild hier zeigt einen fighter pilot der RAF, man erkennt ihn daran, dass er seinen obersten Knopf offenlässt, das sind die feinen Unterschiede, wenn es an das Sterben geht.
Dowding, der in dem Film ✺Battle of Britain von Sir Laurence Olivier (im Krieg Reserveoffizier und Pilot bei der Marine, allerdings ohne jeden Fronteinsatz) gespielt wird, hat sicherlich einen one track mind, sein Spitzname ist Stuffy. Was er für richtig hält, setzt er konsequent durch. Er macht sich dadurch in den Ministerien eine Vielzahl von Feinden, er ist kein bisschen diplomatisch. Aber er hat seit Ende der dreißiger Jahre sein Konzept (Radar, Sprechfunk und schnelle Jagdflugzeuge) durchgesetzt. Gegen die Intrigen, die jetzt gesponnen werden, ist er machtlos. Es gehört sicherlich zum Wesen des Militärs, dass es eine Vielzahl von hochrangigen Offizieren in Whitehall, im Cabinet Office, im War Office und im Air Ministry gibt, die den ganzen Krieg über ihren Schreibtisch nicht verlassen. Die haben viel Zeit für Kabalen und Intrigen.
Überhaupt keine Zeit dafür hat der Neuseeländer Keith Park, der ist die ganze Zeit mit seinem Flugzeug in der Luft. Der kennt jeden Flugplatz und jede Jagdstaffel. Er wird im Film von Trevor Howard gespielt, der mit seiner weißen Fliegerkombi richtig fesch aussieht. Der Film hält sich historisch ziemlich genau an die Wahrheit, deutet aber den Machtkampf zwischen Dowding und Leigh-Mallory nur an.
Wenn die Luftschlacht gewonnen ist, werden Dowding und Park ins Ministerium geladen und wie Angeklagte vor einem Kriegsgericht behandelt. In Anthony Powells wunderbarem Gesellschaftsbild A Dance to the Music of Time (das in zwölf Bänden die englische Gesellschaft vom Ersten Weltkriegs bis in die sechziger Jahre zeigt) gibt es eine Romanfigur namens Widmerpool. Eine charakterliche Ratte, der es aber im Krieg bis zum Brigadier bringt, der König der Intrigen im Cabinet Office. Bei allem, was ich über England im Zweiten Weltkrieg gelesen habe, fällt mir bei diesem Augenblick, in dem Dowdings Gegner triumphieren, immer nur der Name Widmerpool ein. Anthony Powell (der sich übrigens Pole ausspricht) wußte, worüber er schrieb, er hat seinen Krieg in Whitehall verbracht.
Keith Park weiß, was die Stunde geschlagen hat, als er am 17. Oktober in den Raum des Air Ministry kommt - die wollen nicht ihn und Dowding als Helden feiern, die bloody Air-Marshals (wie Lord Beaverbrook sie nennt, der für die Produktion von Flugzeugen zuständig ist) wollen Dowdings Kopf. Jahrzehnte später hat Park gesagt: To my dying day I shall feel bitter at the base intrigue which was used to remove Dowding and myself as soon as we had won the Battle of Britain. Dowding (der der ranghöchste Offizier im Raum ist) wehrt sich nicht, er kann nicht mit diesen Whitehall Intriganten umgehen. Er bekommt später einen Telephonanruf, dass er sein Büro innerhalb von 24 Stunden zu räumen habe, dem folgt noch ein Brief, in dem steht dass das Air Ministry habe no further work to offer you. Keith Park wird auf ein nebensächliches Kommando abgeschoben (wird aber später noch eine entscheidende Rolle im Luftkrieg im Mittelmeer spielen).
Vor wenigen Jahren hat eine Memorial Campaign für Sir Keith Park begonnen, der der am wenigsten gefeierte Held Englands ist. Der Marshall of the Air Force (ein Rang, den man Dowding und Park vorenthalten hat) Lord Tedder hat über Park gesagt If ever any one man won the Battle of Britain, he did. I don't believe it is realized how much that one man, with his leadership, his calm judgement and his skill, did to save not only this country, but the world. Vielleicht sollte das heute, achtzig Jahre nach dem Ende der Battle of Britain, noch einmal wiederholt werden.
Sir Hugh Dowding wird noch lange leben. Er wird Bücher über Theosophie und Parapsychologie schreiben, er glaubt auch an UFOs, und die verstorbenen Piloten sind dem Spiritisten erschienen. Trotz dieser etwas spinnerten Freizeitbeschäftigung wird unter Luftwaffenoffizieren sein Ruf über die Jahre legendär. Ein halbes Jahr vor seinem Tod hat er noch die Genugtuung, dass er bei der Vorführung des Filmes Battle of Britain (er hatte zuvor die Dreharbeiten besucht) lange standing ovations von Luftwaffenoffizieren erhielt.
Dowding und Park sind auch die Helden in Len Deightons Buch Fighter, einer der seriösesten Darstellungen der Luftschlacht von England. Dass dies Buch von jemandem kam, der als Autor von Spionageromanen wie The Ipcress File berühmt geworden war, und nicht von einem Berufshistoriker, mag auf den ersten Blick erstaunen. Aber man sollte Deighton nicht unterschätzen. Der Mann, der den ersten Schreibcomputer in England besaß, kann recherchieren und Fakten sammeln. Und er hat 1970 mit seinem Roman Bomber (einer Art non-fiction novel) gezeigt, dass er eine Menge von der Royal Air Force versteht (in der er von 1946 bis 1949 selbst gedient hatte). Der berühmte englische Historiker A.J.P. Taylor hatte ihn gedrängt, dieses Buch zu schreiben, in dem Deighton die Erlebnisse von hunderten von Überlebenden der Luftschlacht verwendet hat. Über den Kiwi war hero Keith Rodney Park gibt es eine neuere Biographie von dem neuseeländischen Historiker Vincent Orange (der auch Biographien über Dowding und Tedder geschrieben hat). Kurze, aber hervorragende Lebensläufe aller Beteiligten finden sich in dem von Hew Strachan edierten Band Military Lives (Oxford University Press 2002), einer Auswahl der besten Artikel aus dem Dictionary of National Biography.