Drei der deutschen Afrikareisenden des 19. Jahrhunderts, Gerhard Rohlfs, Heinrich Vogelsang und Adolf Lüderitz, kamen aus der Hansestadt Bremen. Und wir haben da ein Kolonialdenkmal, das jetzt Antikolonialdenkmal heißt (lesen Sie mehr in dem Post Afrika). Das Bremer Kolonialdenkmal ist ein stilisierter Elefant aus Klinkern. Wunderbar, um in der Nacht da drauf zu klettern, die Klinker geben einen guten Griff für die Schuhe. Man verbindet einen Bummel über den Bremer Freimarkt immer mit der Mutprobe, dem nächtlichen Erklettern des Elefanten, wofür ist der sonst da? Die Polizei guckt da schon gar nicht mehr hin. Mit dem Bau des Elefanten, dem sogenannten Reichskolonialehrendenkmal, wollte man 1931 symbolisch an den Handel mit Afrika im 19. Jahrhundert anknüpfen, in der Hoffnung, dass die alten Verbindungen in den 1920er Jahren neu belebt werden könnten. 1989 hat man das steinerne Tier zum Antikolonialdenkmal umgewidmet. So einfach trennt man sich von der Vergangenheit. Beim Bremer Kultursenator gibt es jetzt eine etwas magere Seite, die Materialien zu Bremens Rolle im Kolonialismus anbietet. Man geht vorsichtig mit der dunken Vergangenheit um, die Aufschrift Colonialwaren an Lebensmittelgeschäften gibt es auch nicht mehr.
Mit dem Kolonialismus hat Gerhard Rohlfs, ebenso wie Gustav Nachtigal, eigentlich nicht so viel am Hut, er gründet keine Kolonie wie Lüderitz, mordet sich nicht durch Afrika wie Dr Carl Peters, den man auch blutige Hand und Hänge-Peters nennt. Dass Hans Albers in einem Nazi Propagandafilm den Dr Peters verkörperte, gereicht ihm nicht zur Ehre. Rohlfs ist, dass muss man betonen, entschieden gegen Sklaverei und Sklavenhandel, obwohl ihn ein geschenkter Sklave, den er Henry Noël tauft, ständig begleitet.
Rohlfs wird sich für die Afrikapolitik des Bismarckschen Reiches instrumentalisieren lassen, vor allem, wenn er deutscher Generalkonsul in Sansibar ist. Dort steht er aber im ständigen Gegensatz zu Bismarck, der lange an ihm festhält, als andere seine Abberufung forden. Das Amt in Sansibar gibt Rohlfs (hier bei seinem Antrittsbesuch beim Sultan) nach einem halben Jahr auf. Nicht von Haus aus Beamter und von daher mit jenem allen amtlichen Organisationsstrukturen gemäßen Schematismus nicht vertraut, der auch seiner Aufgabe zugrunde lag, nicht dazu zu bewegen, sich den Gepflogenheiten seines - und ebenso des Auswärtigen - Amtes anzupassen, etwa die regelmäßige Berichterstattung strikt einzuhalten, kein geschulter Diplomat und damit innerhalb des exklusiven Diplomatischen Dienstes ein Fremdkörper. Das schreibt ein gewisser Graf von Pfeil, der im übrigen mit einem Mörder wie Dr Carl Peters paktiert.
Bremen wollte für Gerhard Rohlfs ein Denkmal bauen lassen, das ihn auf einem riesigen Kamel zeigen sollte, aber daraus ist, wie aus anderen Plänen, nichts geworden. Erst 1961 haben wir in Vegesack eine moderne Plastik bekommen, eine Kreuzung zwischen Stele und Wegweiser, die im Fährgrund steht. Kann man aber nicht raufklettern. An seinem Geburtshaus ist eine Plakette, eine Gerhard Rohlfs Straße haben wir seit 1910 auch. Ein Gerhard Rohlfs Gymnasium sowieso.
Er wird als Sohn eines Arztes 1831 in Vegesack geboren, und im Gegensatz zu seinen beiden älteren Brüdern, die beide ordentliche Ärzte werden, ist er ein missratenes Kind. Ständige Schulwechsel, keine Matura. Büxt aus in die Armee, um Schleswig-Holstein vor Dänemark zu retten. In der schleswig-holsteinischen Frage, die wir alle nicht verstehen, über die Lord Palmerston gesagt hatte: Only three people... have ever really understood the Schleswig-Holstein business—the Prince Consort, who is dead—a German professor, who has gone mad—and I, who have forgotten all about it.
Rohlfs wird in der Schlacht von Idstedt zum Secondelieutenant befördert, wegen Tapferkeit. Danach ist der Krieg zu Ende, Rohlfs studiert Medizin, wechselt ständig die Universitäten, Heidelberg, Würzburg, Göttingen. Ein lustiges Leben im studentischen Corps der Hannoverana, Alkohol, Spielschulden. Eine Wiederholung, ein Jahrhundert weiter, von A Rake’s Progress. In den Semesterferien scheitert ein Versuch, in der österreichischen Armee unterzukommen. Er desertiert nach kurzer Zeit und geht nach Frankreich. Er wird seine Schwester von Nîmes aus bitten, ihm Geld zu senden. Da bereitet er sich auf ein Examen vor, den Concours für eine militärärztliche Tätigkeit in der Légion êtrangère. Er besteht 1855 den Kurs (der in Deutschland nicht für eine Zulassung als Arzt ausgereicht hätte), wahrscheinlich ist von den wenigen Semestern bei Rudolf Virchow in Würzburg doch etwas hängen geblieben. Er ist jetzt Feldscher in der Armee einer Kolonialmacht in Algerien. Sechs Jahre (oder vielleicht nur drei, die Quellen sind da widersprüchlich) in einer Besatzungsarmee, über diese Zeit wird der spätere Reiseschriftsteller wenig schreiben.
Bis jetzt ist das die Karriere eines Verlierers, in manchem der Karriere des jungen Joseph Conrad ähnlich. Nur bringt der mehr an Intelligenz und Sprachbegabung mit. Niemand würde in der Phase von Conrads Leben, als er Spielschulden hat und einen Selbstmordversuch unternimmt, darauf wetten, dass er Kapitän in der englischen Marine und einer der bedeutendsten englischen Romanciers werden wird. Niemand wird 1861 darauf wetten, dass aus dem gescheiterten stud. med. Gerhard Rohlfs der meistgelesene deutsche Afrikaschriftsteller des 19. Jahrhunderts werden wird.
Wenn wir Rohlfs mit seinem Zeitgenossen Sir Richard Francis Burton vergleichen, werden die intellektuellen Defizite von Rohlfs nur noch deutlicher. Nach der Zeit in der französischen Armee geht er nach Marokko, wird Leibarzt eines Sultans und hätte jetzt eigentlich ein Auskommen. Sein Bruder reist ihm nach und versucht, ihn zur Heimkehr zu überreden. Vergeblich, Rohlfs will weiter in das Herz des dunklen Kontinents. Seine erste Reise (die sein älterer Bruder Hermann finanziert hat) endet in einem Desaster, er entkommt nur knapp dem Tod. Sein zerschossener und zerhackter Arm wird von einheimischen Naturheilkundlern in weichen Ton gelegt und heilt wieder aus (die linke Hand wird gelähmt bleiben). Diese medizinische Wundertat machte den Hauptteil des Gerhard Rohlfs Vortrags in der siebten Klasse meines Gymnasiums aus. Wenn man vierzehn ist, wird man von solchen Geschichten beeindruckt.
Der Reiz des Neuen, das Lockende, völlig unbekannte Gegenden durchziehen zu können, fremde Völker und Sitten, ihre Sprache und Gebräuche kennen zu lernen, ein Trieb zu Abenteuern, ein Hang, Gefahren zu trotzen: Alles dies bewog mich, das Wagnis auszuführen, schrieb Rohlfs. Jeder andere würde nach diesen Erlebnissen nach Vegesack zurückkehren. Aber nicht Gerhard Rohlfs, achtzehn Jahre seines Lebens wird er in Afrika verbringen, und diese Jahre zählen doppelt, wird er sagen. Er wird der erste sein, der die Sahara durchquert, von Tripolis bis Lagos, von Tanger bis Assuan. Er wird der erste und letzte sein, der ein Afrika kennen lernt, das vor ihm noch kein Europäer gesehen hat, das noch nicht von den Kolonialmächten aufgeteilt ist. Seine Expeditionen werden im Laufe der Zeit immer besser ausgestattet sein, werden durch das Mitnehmen von hochkarätigen Wissenschaftlern auch wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Am Anfang hat er nur sein in der Legion geschultes Gespür für Macht- und Sozialstrukturen, seine Beobachtungsgabe (die noch nicht die geschulte Beobachtung, die thick descripion, eines Clifford Geertz ist) und seinen Bleistift, mit dem er alles aufschreibt.
Quer durch Afrika liest sich noch heute gut. Es hat nicht die literarische und moralische Dimension von Joseph Conrads Heart of Darkness, aber es zeigt einen wachen Geist, einen neugierigen und erstaunlicherweise in dieser Zeit unvoreingenommenen Beobachter. Von Kiplings white man’s burden und von Carl Peters’ Rassenideologiewahn ist hier wenig zu spüren. Es ist auch ein Zeugnis einer gewissen Arglosigkeit und Naivität, die ihn am Ende seines Lebens den Massenmörder Leopold II von Belgien als einen hochherzigen Menschenfreund sehen lässt. Conrad hat in Heart of Darkness über den Genozid in Belgisch-Kongo anders geurteilt, die letzten Worte von Kurtz sind: the horror, the horror. Mark Twain wird in King Leopold’s Soliloquy schärfere, bösere Worte finden. Die zweite Auflage (price 25 cents) ziert ein Kreuz und ein Schlachtermesser
Wenn man Rainer-K. Langners etwas verworrene Mixtur aus fabulierendem Roman und Rohlfschen Zitaten, Das Geheimnis der großen Wüste, außer acht lässt, dann bleibt das wohl beste Werk über den Afrikareisenden das kleine Buch von Wolfgang Genschorek, Im Alleingang durch die Wüste: Das Forscherleben des Gerhard Rohlfs ist 1982 bei Brockhaus in Leipzig in der Reihe Pioniere der Menschheit erschienen. Es setzt Rohlfs in die politischen Verhältnisse seiner Zeit, spart nicht mit Kritik. Denkt aber nicht daran, wie Genschoreks DDR-Historikerkollegen das mit Gustav Nachtigal tun, ihn in die Nähe zu Carl Peters zu rücken.
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Ein schöner Beitrag! Bernd Rohlfs
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