Donnerstag, 20. November 2014

Ein Platz an der Sonne


Ich habe hier ein Zifferblatt mit einem Uhrwerk dran, sagte ich zu meinem Uhrmacher. Auf dem Zifferblatt stand Arctos Elite. Es war fabrikneu, ebenso wie das Werk, ein erstklassiges ETA 2390. Hatte mich fünf Euro auf dem Flohmarkt gekostet. Fernsehlotterie, sagte mein Uhrmacher. Ich guckte ihn fragend an. Ein Platz an der Sonne, sagte er. Das war ursprünglich mal 'ne Uhr mit Goldgehäuse. Das Gehäuse hat jemand eingeschmolzen. Ich könnte Ihnen ein neues dafür bauen. Das hat er dann auch getan. 38 mm groß, Edelstahl mit Schraubboden. Ist ein Unikat, niemand hat solch eine Uhr. Hat mich natürlich etwas mehr als fünf Euro gekostet.

Mit dem Wort Elite bezeichnete die Uhrenfabrik von Philipp Weber und Jakob Aeschbach Uhren besonderer Qualität. In den dreißiger Jahren finden sich häufig UROFA Kaliber in diesen Uhren. Das sogenannte Raumnutzwerk (das ➱hier einen Post hat) ist in den rechteckigen Uhren (manchmal auch in runden) der Marke Arctos in den dreißiger Jahre nicht selten. Wegen der guten alten geschäftlichen Beziehungen zu Dr Kurtz hat Philipp Weber dem ehemaligen Direktor der UROFA nach dem Krieg auch Maschinen und Werkzeug geliehenen, als Kurtz in Ganderkesee einen Neubeginn wagte. Dazu können Sie ➱hier noch mehr lesen. Meine Uhr mit dem Kurtz Kaliber 25 trägt auch den Namen Arctos Elite, elitärer als mit diesem Werk - dem ersten deutschen Armbanduhrwerk mit einer ➱Breguet Spirale - geht es nun nicht.

Da ich bei gerade bei der Arctos Elite bin, sollte ich sagen, dass ich noch eine andere Arctos Elite besitze. Sie ist klein, quadratisch und aus Gold. Hat eine vierstellige Gehäusenummer, hergestellt vor der Währungsreform. Da konnte man in Pforzheim noch aus dem Vollen schöpfen. Weil das Land Baden-Württemberg seine gesamten Goldvorräte nach Pforzheim geschafft hatte, man dachte sich, in der Goldstadt Pforzheim kann man schon damit umgehen.

Ich hatte sie billig bekommen, aber das Zifferblatt war völlig hin. Da half nur die Firma Bethge (ich hätte auch Causemann nehmen können, aber mein Uhrmacher bevorzugte Bethge), die haben dann für 180 Euro ein wunderbares Zifferblatt hinbekommen. Auf dem Markt der Zifferblattrestaurierung tummeln sich viele Anbieter, aber wenn einem die Uhr etwas wert ist, sollte man zu den besten gehen. Sonst hat man am Ende so etwas wie dies hier, das Swiss ist schon zu bewundern.

Einen Sonderfall bei Zifferblättern stellt diese IWC dar, die einem Kunden so verkauft wurde. Als er sie stolz seinen Freunden zeigte, fing einer von denen plötzlich an, furchtbar zu lachen. Sehen Sie weshalb? Das ist eine echte IWC gewesen, nichts aus der Kollektion ➱Crazy Hours von Franck Muller. Hier stellt sich die Frage, ob man die Uhr an die ➱IWC zurückgeben oder als Kuriosität behalten soll. In Schaffhausen ist man bestimmt nicht so glücklich über dieses Zifferblatt.

Für Uhrenfreunde ist die Zifferblattauffrischung (was eigentlich immer ein neues Zifferblatt bedeutet) eine problematische Sache, die Originalität geht verloren. Aber Originalzustand hin oder her, auf diesem versilberten Zifferblatt war nichts mehr zu erkennen. Sah schlimmer aus als das Zifferblatt der GUB oben links. Das geht ja noch als champagnerfarben durch. Jetzt habe ich sozusagen eine nagelneue Arctos Elite aus Gold, die viel schöner ist, als die Golduhren, die man bei der Lotterie Ein Platz an der Sonne gewinnen konnte.

Ich hatte nie ein Los für die Fernsehlotterie Ein Platz an der Sonne, aber ich habe jetzt diese einmalige Stahluhr, die aus dieser Sendung stammte. Und ich habe letztens dazu gelernt (man kann ja immer etwas dazu lernen), dass das plakative Wort Ein Platz an der Sonne viel älter ist als die Fernsehlotterie. Ich war im ➱Warleberger Hof, um mir die Ausstellung Die Kieler Südseesammlung und die Kaiserliche Marine“ anzuschauen, und da stand es groß auf einem Plakat an der Wand: Ein Platz an der Sonne.

Eine Erklärung gab es auch dabei. Der Reichskanzler Bernhard von Bülow, damals noch Staatssekretär, hatte in einer Reichstagsdebatte am 6. Dezember 1897 in Bezug auf die deutsche Kolonialpolitik gesagt: Mit einem Worte: wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne. Es wurde offensichtlich zu einem geflügelten Wort, denn dreizehn Jahre später (an einem 20. November wie heute) spöttelte der Abgeordnete Eugen Richter im Reichstag in seiner Verurteilung der Hunnenrede des Kaisers:

Die Ausführungen des Herrn Reichskanzlers haben das gestern ziemlich scharf pointiert, daß im gegebenen Falle auch Deutschland mit weiterem Landerwerb vorgehen könnte. Ich bin dieser Meinung nicht; ich bin der Meinung, der Platz an der Sonne ist schon heiß genug für uns in Kiautschou, daß wir gar keine Neigung empfinden können, das Territorium oder die Interessensphäre nach irgend einer Richtung zu erweitern.

Deutsche koloniale Großmannssucht, die einst Bremer wie Gerhard Rohlfs, Heinrich Vogelsang und Adolf Lüderitz in die weite Welt trieb. Wenn man ein Gerhard Rohlfs Gymasium besucht hat, dann ist einem diese Welt von kleinauf vertraut (lesen Sie mehr in dem Post ➱Afrika und ➱Emily Ruete). Vor allem, wenn es in Bremen noch ein Überseemuseum gab und Lebensmittelläden noch ein Schild Kolonialwaren trugen.

Und wir hatten diesen Elephanten, auf den man nach dem Besuch des Freimarkts unbedingt klettern musste. Die sieben Meter aus rotem Stein waren eine Herausforderung. Das Denkmal hieß mal Reichskolonialehrendenkmal, heute es den schönen Namen Antikolonialdenkmal, das ist albern, ist aber politically correct. Für uns war er nur der Elephant, und das ist er für viele Bremer immer noch, political correctness hin oder her. Auch den Ortsnamen Kiautschou kannte ich schon als Kind, aber das war für uns kein Ort in der Südsee, das war eine Hütte an der Hamme. Kannte jeder Schlittschuhläufer. Die Hammehütte hat ➱hier schon einen Post und kommt natürlich auch in dem Post ➱Schlittschuhlaufen vor.

In der Musterkolonie Kiautschou gab es sogar eine Bierbrauerei, in der ein Bier mit der Marke Germania streng nach dem Reinheitsgebot für deutsches Bier gebraut wurde, das deutsche Bier gibt es übrigens immer noch. Es heißt aber nicht mehr Germania sondern Tsingtao Beer und steht in jedem gut sortierten chinesischen Supermarkt im Regal. In der Hammehütte Kiautschou konnte man bei der Wirtin Mudder Puff auch Bier bekommen, aber kein Germania aus China. Die Wassersportler, die dort einkehrten, haben uns die unsterblichen Zeilen hinterlassen:

Hamme runter, Hamme ruff,
am besten ist’s bei Mutter Puff.
Ob Regen oder Sonnenschein,
wir kehr’n hier immer wieder ein.
Und ist das Wetter auch mal mau,
erfreuen wir uns an KIAUTSCHAU.
Und ist kaputt mal der Motor,
verliern wir doch nicht den Humor.
Die Hauskapelle spielt dazu,
bis wir dann endlich geh’n zur Ruh.
Wir wühlen uns ins Heu hinein
Und schlafen endlich selig ein.

Das klingt doch besser, als was Paul Baehr in seinem Gedicht Kiautschou (in dem er den Verlust des Platzes an der Sonne beklagte) dichtete:

England und Japan, Hand in Hand, 
Der gelben Rasse Übermacht, 
Die Hetzarbeit vom Themsestrand, 
Sie haben dieses Werk vollbracht. 
Weh' dir, Nippon! In Schmerz und Wut 
Millionenfach der Schwur erbraust: 
Den Überfall auf deutsches Blut 
Vergisst dir nie die deutsche Faust!

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