Sonntag, 31. Juli 2011

Prinzen


Ich blieb also allein, ohne jemanden, mit dem ich wirklich hätte sprechen können, bis ich vor sechs Jahren einmal eine Panne in der Wüste Sahara hatte. Etwas an meinem Motor war kaputtgegangen. Und da ich weder einen Mechaniker noch Passagiere bei mir hatte, machte ich mich ganz allein an die schwierige Reparatur. Es war für mich eine Frage auf Leben und Tod. Ich hatte für kaum acht Tage Trinkwasser mit.
Am ersten Abend bin ich also im Sande eingeschlafen, tausend Meilen von jeder bewohnten Gegend entfernt. Ich war viel verlassener als ein Schiffbrüchiger auf einem Floß mitten im Ozean. Ihr könnt euch daher meine Überraschung vorstellen, als bei Tagesanbruch eine seltsame kleine Stimme mich weckte:
»Bitte... zeichne mir ein Schaf!«
»Wie bitte?«
»Zeichne mir ein Schaf...«
Ich bin auf die Füße gesprungen, als wäre der Blitz in mich gefahren. Ich habe mir die Augen gerieben und genau hingeschaut. Da sah ich ein kleines, höchst ungewöhnliches Männchen, das mich ernsthaft betrachtete. Hier das beste Proträt, das ich später von ihm zuwege brachte. Aber das Bild ist bestimmt nicht so bezaubernd wie das Modell. Ich kann nichts dafür. Ich war im Alter von sechs Jahren von den großen Leuten aus meiner Malerlaufbahn geworfen worden und hatte nichts zu zeichnen gelernt als geschlossene und offene Riesenschlangen.
Ich schaute mir die Erscheinung also mit großen, staunenden Augen an. Vergeßt nicht, daß ich mich tausend Meilen abseits jeder bewohnten Gegend befand. Auch schien mir mein kleines Männchen nicht verirrt, auch nicht halbtot vor Müdigkeit, Hunger, Durst oder Angst. Es machte durchaus nicht den Eindruck eines mitten in der Wüste verlorenen Kindes, tausend Meilen von jeder bewohnten Gegend. Als ich endlich sprechen konnte, sagte ich zu ihm:
»Aber... was machst denn du da?«
Da wiederholte es ganz sanft, wie eine sehr ernsthafte Sache:
»Bitte... zeichne mir ein Schaf...«
Wenn das Geheimnis zu eindrucksvoll ist, wagt man nicht zu widerstehen. So absurd es mir erschien - tausend Meilen von jeder menschlichen Behausung und in Todesgefahr -, ich zog aus meiner Tasche ein Blatt Papier und eine Füllfeder. Dann aber erinnerte ich mich, daß ich vor allem Geographie, Geschichte, Rechnen und Grammatik studiert hatte, und mißmutig sagte ich zu dem Männchen, daß ich nicht zeichnen könne. Es antwortete:
»Das macht nichts. Zeichne mir ein Schaf.«
Da ich nie ein Schaf gezeichnet hatte, machte ich ihm eine von den einzigen zwei Zeichnungen, die ich zuwege brachte.

So fängt es an. Genau genommen sind wir schon in Kapitel II. Im ersten Kapitel hatte der Erzähler davon berichtet, wie er als Kind Riesenschlangen gezeichnet hat. Natürlich weiß jeder, das wir uns in dem Roman befinden, der Der kleine Prinz heißt. Wenn mich jemand nach einer Nacht in der Wüste mit der Aufforderung weckte Bitte... zeichne mir ein Schaf! ich würde es sofort tun. Wenn ich schon keine Kühe zeichnen kann, Schafe kann ich. Dafür habe ich aber Probleme mit Riesenschlangen.

Antoine de Saint-Exupéry ist heute vor 67 Jahren mit seinem Flugzeug abgeschossen worden. Um seinen Tod ranken sich Gerüchte und Legenden. Die Romane des Autors haben mich durch die fünfziger Jahre begleitet, und obgleich ich für Flugzeuge nichts, aber auch gar nichts, übrig habe, liebte ich den erzählerischen Mikrokosmos des Vicomte. Und seine poetische Sprache. Den petit Prince hatte ich nie gelesen, ich bekam ihn von einer Freundin geschenkt, als ich schon ziemlich erwachsen war. Aber wie es so mit den Kinderbüchern ist, die immer von Erwachsenen geschrieben werden, sie werden ja zuerst von Erwachsenen gelesen. Denn Erwachsene können meistens wie Léon Werth, dem der Autor das Buch widmete, alles verstehen, sogar die Bücher für Kinder. Und alle großen Leute sind einmal Kinder gewesen. Ich weiß immer noch nicht, ob der Kleine Prinz wirklich ein Buch für Kinder ist. Weil es damals ein Buch nur für mich war, weil es - ich weiß nicht weshalb - etwas märchenhaft Geheimnisvolles hatte. So wie Le Grand Meaulnes von Henri Alain-Fournier.

Wenn wir das Buch lesen oder es einem Kind vorlesen, dann werden wir froh sein, den kleinen Prinzen gekannt zu haben. Weil er immer unser Freund sein wird. Und weil der Fuchs, der die Hühner jagt und von den Menschen gejagt wird, ihm sein Geheimnis verraten hat: Es ist ganz einfach: man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.«
»Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar«, wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken.
»Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, sie macht deine Rose so wichtig.«
»Die Zeit, die ich für meine Rose verloren habe...«, sagte der kleine Prinz, um es sich zu merken.
»Die Menschen haben diese Wahrheit vergessen«, sagte der Fuchs. »Aber du darfst sie nicht vergessen. Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast. Du bist für deine Rose 
verantwortlich...«

Das sollten wir kleinen Prinzen niemals vergessen.

Samstag, 30. Juli 2011

Thomas Gray


Wir machen mal eben mit englischer Lyrik weiter. Ist aber heute nicht so witzig wie gestern. Der englische Dichter Thomas Gray starb heute vor 240 Jahren. In der Premier League der englischen Dichter des 18. Jahrhunderts steht er immer auf Platz zwei hinter Alexander Pope. Weil er die Elegy written in a Country Churchyard geschrieben hat. Die Kirche da im Hintergrund auf dem Bild, auf dem Thomas Gray aus einem Fenster guckt, ist die Kirche von Stoke Poges. Auf dem Friedhof soll er die Elegy geschrieben haben, dort liegt er auch begraben, far from the madding crowd's ignoble strife.

Er ist schon mehrfach in diesem Blog vorgekommen, wie zum Beispiel in dem ➱Horace Walpole Post. Das soll aber nicht heißen, dass ich ihn mag. Ich mag ihn eigentlich gar nicht. Wenn Sie alles über Thomas Gray wissen wollen, lesen Sie das hier auf dieser ➱Seite (in dieser Kürze geht es nicht besser) und benutzen Sie das hervorragende ➱Thomas Gray Archiv. Thomas Gray ist keiner von den Dichtern, die jung sterben. Wie Chatterton oder Keats. Er hätte Zeit für ein großes Werk gehabt. Zu seinen Lebzeiten werden mal gerade eben tausend Verse von ihm veröffentlicht. James Thomsons Winter ist so lang, und das ist nur ein Viertel der Seasons. Nein, er schreibt nicht viel. Seine gesammelten Werke könnten mistaken for the works of a flea sein, hat er gefürchtet. Wie recht er hat.

Er will auch gar kein Dichter sein. Er besteht bei dem Druck der Gedichte, dass Mr. Gray auf dem Titelblatt steht. Heute bedeutet dieses Mr. wenig, im 18. Jahrhundert ist man ein Gentleman wenn man ein Mr. vor seinen Namen setzt. Die englischen quality papers haben das noch bis in die jüngste Zeit - also bis sie von Rupert Murdoch gekauft wurden und keine quality papers mehr waren - beibehalten. Popstars, Schauspieler, Sportgrößen und dieser ganze riff raff waren auf der ersten Seite des Observer niemals ein Mr.

Wenn er seine Elegy nicht geschrieben hätte, die der General Wolfe seinen Offizieren angeblich vor der Schlacht von Quebec rezitiert hat (The paths of glory lead but to the grave), er wäre heute weniger berühmt als Mark Akenside. Oder John Dyer, dessen Gedicht ➱Grongar Hill ich origineller finde als vieles von Gray. Ich weiß auch nicht, ob Thomas Gray wirklich originell ist. Er ist auf jeden Fall belesen, er hat sein ganzes Leben studiert - aber kein Studium wirklich zu Ende geführt. Er hat sein ganzes Leben lang gelesen, wie er in einem Brief an seinen Freund Richard West schreibt: I am going into the country for a few weeks, but shall be never the nearer any society; so, if you have any charity, you will continue to write. My life is like Harry the fourth's supper of Hens, "Poulets a la broche, Poulets en Râgout, Poulets en Hâchis, Poulets en Fricasées." Reading here, Reading there; nothing but books with different sauces. Diese Lektüre und diese Bildung färbt natürlich auf seinen Stil ab, und so wird man bei genauerer Betrachtung vieles in seinem Werk finden, das schon so ähnlich bei anderen steht. Etwas Ähnliches hat George Saintsbury gemeint, als er in seiner Geschichte der englischen Literatur 1898 Gray als a man of less original poetical inspiration than Collins bezeichnet. Und der berühmte Dr Johnson war noch härter mit dem armen Gray umgesprungen: Sir, he was dull in company, dull in his closet, dull every where. He was dull in a new way, and that made many people think him GREAT. He was a mechanical poet.

William Shakespeare hatte den Vorteil, dass er nur über small Latin and less Greek verfügte. Das Füllhorn der griechischen und lateinischen Dichtung wird spätestens durch John Milton zu einer Büchse der Pandora für die englische Lyrik. Es ist das, was man so schön poetic diction nennt. Die zweite Zeile in Grays Gedicht auf seinen Freund Richard West zum Beispiel: and reddening Phoebus lifts his golden fire. Kann er nicht einfach sagen, dass die Sonne aufgeht? Kann er nicht. Weil er glaubt, dass dieser Zeitstil mit all seinen Bildungsassoziationen erst Dichtung zu Dichtung macht. Und so reden die Dichter von einer Wollenheerde (wie unser guter Johann Heinrich Voß), wo sie Schafe meinen. Das ist ganz fürchterlich, sagt William Wordsworth eine Generation später: Gray was at the head of those who, by their reasonings, have attempted to widen the space of separation betwixt Prose and Metrical composition, and was more than any other man curiously elaborate in the structure of his own poetic diction. Und er zieht daraus für seine Dichtung Konsequenzen:

There will also be found in these volumes little of what is usually called poetic diction; I have taken as much pains to avoid it as others ordinarily take to produce it; this I have done for the reason already alleged, to bring my language near to the language of men, and further, because the pleasure which I have proposed to myself to impart is of a kind very different from that which is supposed by many persons to be the proper object of poetry.

Und da kann man ihm nur zustimmen. Die ganzen griechischen Götter, die sich in den Gedichtszeilen tummeln, dies verkrampfte Bemühen aller Bausteine der antiken Rhetorik, geht einem ja auf die Dauer irgendwie auf die Nerven. Aber es gibt auch redeeming features bei Thomas Gray. Und das teilt er mit James Thomson, mit William Cowper, mit Akenside und Dyer: sie können das auch lassen. Und können plötzlich die sie umgebende englische Landschaft beschreiben, ohne Phoebus und Nymphen zu bemühen. Und ohne die Muse anzurufen. Wie Thomas Gray am Anfang seiner Elegy:

The curfew tolls the knell of parting day,
The lowing herd wind slowly o'er the lea,
The ploughman homeward plods his weary way,
And leaves the world to darkness and to me.

Now fades the glimmering landscape on the sight,
And all the air a solemn stillness holds,
Save where the beetle wheels his droning flight,
And drowsy tinklings lull the distant folds; 


Na also, geht doch. Ist doch gleich etwas anderes als diese Verse:

But com thou Goddes fair and free,
In Heav'n ycleap'd Euphrosyne,
And by men, heart-easing Mirth,
Whom lovely Venus at a birth
With two sister Graces more [ 15 ]
To Ivy-crowned Bacchus bore;
Or whether (as som Sager sing)
The frolick Wind that breathes the Spring,
Zephir with Aurora playing,
As he met her once a Maying


Das ist John Milton. Ich habe gestern in einem Blog gelesen: I have a confession to make. I hate John Milton. And when I say, I hate John Milton, I don't just mean that I find him actively boring to read--although I do--or that I disagree with his politics, morals, ethics, and philosophy at almost every conceivable point--although I do--or even that I feel he personally would be someone to avoid being trapped in an elevator with, no matter what it took. Danke dafür. Was haben wir nur früher getan, bevor die Welt des Weblogs erfunden wurde?

Grays ➱Elegy ist eins der bekanntesten englischen Gedichte. Es immer wieder nachgedruckt worden, imitiert und parodiert (zum Beispiel ➱hier und ➱hier oder ➱hier) worden. So well liked as to have occasioned many humble imitations of it by the herd of versifying scribblers, schrieb ein Zeitgenosse. Einige Generationen zurück konnten noch viele Engländer es auswendig aufsagen, es bietet sich wegen der Vielzahl seiner Platitüden auch dafür an. Ich weiß immer noch nicht, ob es wirklich große Lyrik ist. Oder ob es nur eine geschickte Mixtur von Elementen des Klassizismus, Empfindsamkeit, ➱graveyard poetry und beginnender Vorromantik ist. Gray's Elegy pleased instantly, and eternally. His Odes did not, nor yet do they, please like his Elegy, hat Lord Byron über Gray gesagt. Vielleicht reicht das auch aus. Vor allem, weil Thomas Gray ja nie ein Dichter sein wollte.

Freitag, 29. Juli 2011

St Paul's Cathedral


Heute vor dreißig Jahren saßen 750 Millionen Menschen weltweit vor dem Fernsehgerät. Mehr als eine halbe Million Leute waren in London unterwegs. Jeder wollte es sehen. Ich hatte sogar aus England einen Charles & Diana Teebecher. Weiß aber nicht, wo der abgeblieben ist. [.....Hier folgt jetzt eine 15-minütige Schreibpause] Habe ihn gefunden, war nicht bei den Teebechern in der Küche, war umfunktioniert zum Behälter für alle Sorten Pfeifenstopfer. The Marriage of The Prince of Wales and Lady Diana Spencer Wednesday, 29th July, 1981 steht drauf. Plus Bilder der Brautleute. Unten drunter steht Made in England. Das wäre jetzt fies gewesen, wenn da Made in China drunter gestanden hätte.

Zur Hochzeit von Charles und Diana hatte der englische poet laureate John Betjeman pflichtgemäß ein Gedicht abgeliefert, das aber wohl nicht zu seinen größten Schöpfungen gehört:

Blackbirds in City churchyards hail the dawn,
Charles and Diana, on your wedding morn.
Come College youths, release your twelve-voiced power
Concealed within the graceful belfry tower.
Till loud as breakers plunging up the shore
The land is drowned in one melodious roar.

Seit die Engländer im 17. Jahrhundert die Position des poet laureate erfunden haben, dichten die Hofdichter gegen eine geringe Bezahlung, die immer ein Fässchen Wein einschließt (a butt of sack), zu offiziellen Gelegenheiten. Oder sie dichten dann überhaupt nicht. William Wordsworth nahm die Position nur an, weil ihm der Premierminister Robert Peel versicherte, dass er keinerlei Gelegenheitsgedichte schreiben müsste, you shall have nothing required of you. Hat er dann auch nicht getan. Er ist der einzige poet laureate gewesen, der keinerlei Gedichte für offizielle Gelegenheiten verfasst hat. Die Königin Victoria mochte seinen Nachfolger Alfred Tennyson sowieso lieber, dessen Gedichte hatte sie immer auf dem Nachttisch liegen.

Die Bezahlung ist heute für die Gelegenheitsbeschäftigung der poetry on demand gar nicht schlecht, immerhin 5.750 Pfund Sterling im Jahr. In vornehmeren Zeiten als unseren hätte man diese Summe in guineas bekommen. Dafür bekommt man den Posten jetzt nicht mehr auf Lebenszeit. Seit Andrew Motion beschloss, der Krone nur zehn Jahre zu dienen (das wäre Lord Tennyson nicht in den Sinn gekommen), gibt es alle zehn Jahre einen neuen Hofdichter. John Betjeman war gerade frisch im Amt, da musste er auch schon ein Gedicht für die Hochzeit von Anne und Mark Phillips schreiben:

Hundreds of birds in the air
And millions of leaves on the pavement,
Then the bells pealing on
Over palace and people outside,
All for the words "I will"
To love's most holy enslavement -
What can we do but rejoice
With a triumphing bridegroom and bride?


Ist auch nicht so toll. the lines were composed last night on the Pullman from Manchester to London after four double Scotches slowly consumed, hat er in einem Brief gesagt. Und so klingt das auch. Er hat das Gedicht für seine Collected Poems noch überarbeitet (nachdem er die Hochzeit im Fernsehen gesehen hatte), aber das hat nicht viel genützt.

Ja, die englischen Hofdichter haben es nicht leicht. Als Andrew Motion sich überlegte, ob er ein Gedicht für die Hochzeit von Charles und Camilla schreiben sollte (vielleicht Ode to a Mistress?) offerierte ihm sein Dichterkollege Attila the Stockbroker ein kleines Gelegenheitsgedicht mit dem Titel In Sympathy with the Poet Laureate. Das war nur zwei Verse lang:

It really doesn’t matter who is sitting on the throne
They are all as dull as dishwater and should be left alone.

Andrew Motion hat dann aber mit Spring Wedding doch ein richtiges Gedicht geschrieben.

I took your news outdoors, and strolled a while
In silence on my square of garden-ground
Where I could dim the roar of arguments,
Ignore the scandal-flywheel whirring round,

And hear instead the green fuse in the flower
Ignite, the breeze stretch out a shadow-hand
To ruffle blossom on its sticking points,
The blackbirds sing, and singing take their stand.

I took your news outdoors, and found the Spring
Had honored all its promises to start
Disclosing how the principles of earth
Can make a common purpose with the heart.

The heart which slips and sidles like a stream
Weighed down by winter-wreckage near its source --
But given time, and come the clearing rain,
Breaks loose to revel in its proper course.


Es gibt von dem Gedicht leichte Varianten, aber ich glaube nicht, dass die Zeilen

I took the news outdoors 
that you had married Parker Bowles
I couldn’t imagine why until it struck me–
she’s built like one of your bloody horses.


jemals in dem Gedicht gewesen sind.

Als der englische Schriftsteller Francis Wheen im Guardian die Dichtung des poet laureate Ted Hughes kritisierte, sandte ihm Andrew Motion (der damals noch nicht im Traum daran dachte, eines Tages poet laureate zu sein) zur Verteidigung seines Dichterkollegens ein kleines Gedicht. Es hat den Titel Lines Composed by Her Majesty Queen Elizabeth In Sympathy With Her Poet Laureate. Das finde ich das hübscheste von all den Gedichten, die für das englische Königshaus geschrieben wurden:

My family are a trial to Ted Hughes:
No sooner do they marry than divorce
His burdens would be lighter if he chose
To write about a corgi or a horse.

Donnerstag, 28. Juli 2011

Kyritz an der Knatter


Falls Sie jetzt zu googeln anfangen, den Ort gibt es wirklich. Die sind da auch ganz witzig, weil sie einen Gedenkstein haben, der daran erinnert, dass hier am 14.2.1842 um 10.57 auf dem Marktplatz NICHTS geschah. Die hatten da auch ein Lügenmuseum in dem Ort, hat sich aber finanziell nicht getragen. Wenn all die Lügner in der deutschen Politik da gespendet hätten, hätte es für das Museum keinen finanziellen Probleme gegeben. Irgendwie bietet sich Kyritz an der Knatter als Geburtsort von Nikolaus Kuno Freiherr von Knatter geradezu an. Doch. Sie kennen ihn auch. Vielleicht eher unter dem schönen Namen Nick Knatterton. Erfunden von Manfred Schmidt (heute vor zwölf Jahren gestorben), begann der Detektiv seine Karriere vor 61 Jahren in der Quick.


Deutsche Comics sind ja normalerweise nicht so witzig, dieser war witzig. Und sparte nicht mit satirischen Seitenhieben auf Politiker der jungen Bundesrepublik. Wenn man damals mit Nick Knatterton aufgewachsen war, landete man  ein Jahrzehnt später bei Lemmy Caution. Also dem wirklichen Lemmy Caution, vor Godards Alphaville. Lemmy Caution war schon witzig, vor allem wenn er im Regina in der Nachtvorstellung lief und die halbe Uni im Kino war und den Film kommentierte. Später musste man sich dann mit James Bond begnügen, aber irgendwie waren Nick Knatterton und Lemmy Caution witziger.

Das 19. Jahrhundert hat den Great Detective erfunden, also diese Übermenschen wie Auguste Dupin oder Sherlock Holmes, die auch ein Nebenprodukt der Wissenschaftsbesessenheit des Jahrhunderts sind, wie der Franzose Régis Messac 1929 in seinem Buch Le Detective novel et l’influence de la pensée scientifique scharfsinnig gezeigt hat. Die Amerikaner dachten sich irgendwann, nachdem sie jahrzehntelang den englischen Detektivroman imitiert hatten (und das tut Elizabeth George ja heute noch), dass das Krimigenre ein wenig action gebrauchen könnte und die armchair detectives mal ihren Sessel verlassen sollten. Das war der Anfang von Hammett und Chandler. Und irgendwann hatten wir dann keine Gentleman Detektive mehr, sondern hatten Mickey Spillanes Helden Mike Hammer und I, the Jury.

1950 begann der Meisterdetektiv Baron Nick Knatterton auf den Seiten der Illustrierten Quick zu ermitteln. Gleichzeitig gab es im Radio noch einen anderen Meisterdetektiv. Der hieß Kalle Blomquist und war ein wenig jünger als der alterslose Mann mit der karierten Schirmmütze. Damals wußte man in Deutschland noch nicht so viel vom englischsprachigen Detektivroman. Sherlock Holmes kannte man, der war schon zur Zeit von Wilhelm II. nach Deutschland gekommen (ebenso wie Nick Carter). Und erstaunlicherweise hat es schon 1914 in Deutschland die erste Doktorarbeit zu dem Thema gegeben, Friedrich Depkens Sherlock Holmes, Raffles und ihre Vorbilder. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte und Technik der Kriminalerzählung. Bei der Anglomanie der Bremer musste eine solche Arbeit natürlich aus Bremen kommen. Sie war bei Professor Johannes Hoops (aus Bremen) in Heidelberg geschrieben worden, dessen Nachruf (und den Artikel in der Bremischen Biographie 1912-1962) der Bremer Studienrat Depken eines Tages schreiben würde.

Im Jahre 1950 kannten die meisten Deutschen den Sherlock Holmes vielleicht nur noch in der Personifizierung von Hans Albers aus dem Film Der Mann, der Sherlock Holmes war. Den sich dann Manfred Schmidt als ein Vorbild seiner Figur genommen hat. Manfred Schmidt ist übrigens auch in Bremen aufgewachsen - es wäre jetzt eine schöne Spekulation, ob er mal Dr. Friedrich Depken als Lehrer gehabt hat - und er zeichnete schon als Jugendlicher Bildergeschichten für die Bremer Nachrichten. Die natürlich bestimmt noch nicht so pointenreich und witzig waren wie Nick Knatterton. Eigentlich war die Figur nur als Satire erfunden, um die in Deutschland aufkommenden Comics vom Supermann zu parodieren und so lächerlich zu machen, daß den Lesern der Spaß an dieser Schwachsinnsliteratur verging, hat Manfred Schmidt gesagt. Das ging nun völlig daneben, die erste Bildergeschichte weckte den Appetit auf mehr. Die Leser zwangen dem Autor wieder den Stift in die Hand. Und der beklagte sich: Das heißt, daß ich ihn Folge für Folge weiterzeichnen mußte, zehn volle Jahre lang. Mein Widerwillen gegen diese Tätigkeit wurde so groß, daß meine Hand eines Tages zurückzuckte, wenn sie sich mit dem Bleistift einem Stück Papier näherte.

Kombiniere, hätte der Meisterdetektiv gesagt: Davon glauben wir nun kein Wort, das ist sicher wieder so eine verschmidtste Übertreibung.

Mittwoch, 27. Juli 2011

Thomas Herbst


Als ich das erste Mal mit meinen Eltern in Holland bin, haben wir  keinen Reiseführer dabei. Ich weiß nicht, ob es so etwas wie einen Reiseführer für Holland damals überhaupt schon auf dem Buchmarkt gab. Auf jeden Fall gab es Anfang der fünfziger Jahre noch keine Touristen. Wir entdecken uns unser Holland selbst. Durch Zufall entdecken wir den Hoge Veluwe Park und das Kröller-Müller Museum. Sand und Heide, ein bisschen Wald, Kiefern und Tannen. Ist wie bei uns auf der Geestkante. Aber für Holländer sind Sand, Heide und Wald ja schon eine Sensation. Sensationell ist natürlich das Museum, beinahe alle Van Goghs an einem Platz. Wenn ich ehrlich sein soll, interessierten mich die Van Goghs gar nicht so sehr, weil ich von der kleinen Whistler Ausstellung fasziniert war. Ich kaufte auch nur die Postkarten mit den frühen Bildern, die noch kein bisschen nach Van Gogh aussehen. Wie Haagse Bos met meisjesfiguur von 1882. In manchen der Bilder aus dieser Zeit in Nuenen malt er schöne Himmel, wie den Abendhimmel über einem Arbeiterhäuschen 1885 (oben). Er hat sich in diesen 1880er Jahren ja malerisch schnell weiterentwickelt, keine Frage.

Andererseits, wenn man einen der unterschätztesten deutschen Maler in dieser Zeit, den Hamburger Thomas Herbst (links), dagegenhält, ist der künstlerisch schon viel weiter als van Gogh. Wie man an dem Dorfteich von 1883 in der Hamburger Kunsthalle sehen kann. Über Thomas Herbst schreibe ich nun wirklich gerne, und ich nehme seinen Geburtstag mal zum Anlass, ihn hier ein wenig bekannter zu machen. Thomas Herbst ist in meinem Kunstgeschichtsstudium nie vorgekommen, und man hat ihn ja auch viel zu spät wahrgenommen. Außer ➱Friedrich Ahlers-Hestermann, der schon 1939 ein Buch über ihn geschrieben hat.

Meine Mutter entdeckte den Maler in einer kleinen Ausstellung und brachte mir ein Katalogbuch mit. Erstaunlicherweise nicht aus einem Hamburger Verlag sondern aus einem Bremer Verlag. Thomas Herbst hat sie nicht so sehr interessiert, aber seine Kühe, die fand sie Klasse. So gut sie als Hobbymalerin Worpsweder Wolkenhimmel fälschen konnte, Kühe konnte sie überhaupt nicht. Ich kann auch keine Kühe, aber wenn Carlo oder Wanda mir sagen: mal' mir mal 'ne Kuh, dann tue ich das. Irgendwie sehen die dann auch schon wie Kühe aus. Max Liebermann, der Freund von Thomas Herbst, hat auch seine Schwierigkeiten mit Kühen (obgleich er sicherlich mit links bessere Kühe malen konnte als ich), der lässt sich die Kühe in seinen Bildern immer von seinem Freund Thomas Herbst malen. Das ist jetzt ein klein wenig übertrieben, aber die Kuh auf dem Bild Holländische Dorfstraße (1885) von Liebermann ist einwandfrei von Thomas Herbst. Der hat, gleichsam als eine Art Signatur, auch noch seinen kleinen Hund auf die Dorfstrasse gemalt. Das ist der gleiche Hund, der auch auf dem Hamburger Bild Am Dorfteich von 1883 mit drauf ist. Und außer dem kleinen Hund auf John Constables Bild von ➱Willy Lott's House in der Tate Gallery ist mir der Hund am Dorfteich in der Hamburger Kunsthalle einer der liebsten.

Herbst ist, ebenso wie sein Freund Liebermann, von Holland begeistert. Und Herbst und Van Gogh haben, auch wenn das jetzt ein klein wenig weit hergeholt ist, beide den gleichen Lehrer. Der heißt Anton Mauve, hat eine Cousine von Van Gogh geheiratet und hat Vincent das Malen beigebracht. Mauve ist auch mal hier in der Gegend gewesen, in Oosterbeek am Südrand der Veluwe gab es eine Malerkolonie, das holländische Barbizon, wie man sie nennt. Thomas Herbst hat Mauve als Lehrer an der Düsseldorfer Akademie. Nach Düsseldorf ist Herbst eigentlich nur gegangen, weil das nah an Holland war. Erstaunlicherweise hat er (im Gegensatz zu Liebermann) in Holland so gut wie nie gemalt, später sind die Hamburger Elbmarschen sein Hollandersatz geworden. Er ist der Maler der Elbmarschen. Und natürlich der Kühe. Kuh-Herbst hat man ihn etwas abfällig zu seinen Lebzeiten genannt. Bei Kühen in der Malerei muss ich eigentlich immer an den Jacob Philipp Hackert denken (auf den Goethe große Stücke hielt), der furchtbar langweilige Kühe links und rechts im Vordergrund seiner Bilder plazierte. Mit diesen Kühen haben die Herbstschen Kühe nichts gemein, irgendwie ist die Kuh bei ihm nur eine weitere Leinwand im Bild, auf der Licht und Schatten mit den Farben spielen. Am nächsten kommt ihm noch Willem Maris, der auch sehr schöne impressionistische ➱Kühe gemalt hat.

Wenn das jetzt nicht zu lang würde, könnte ich hier mal einen kleinen Exkurs über Kuhmaler seit Paulus Potter schreiben. Es ist erstaunlich, wie viele Maler Kühe gemalt haben. Der Lehrer von Thomas Herbst, Anton Mauve, natürlich auch. Wenn es schon Bücher über das Schwein in der Weltliteratur gibt, sollte es so etwas für die Kuh in der Kunst erst recht geben. In England hat es 2002 schon einmal eine sehr originelle Ausstellung mit dem Titel ➱Love, Labour & Loss: 300 Years of British Livestock Farming in Art gegeben.

Thomas Herbst ist in Hamburg geboren und in Hamburg gestorben. In den ersten zwanzig Jahren seines Künstlerlebens ist er zwar in Paris gewesen (zusammen mit Liebermann) und hat zeitweilig in München gelebt, aber seit 1884 ist er in Hamburg geblieben. Und ist der Aufforderung ➱Alfred Lichtwarks: Meine Herren, malen Sie hamburgische Landschaft! gefolgt. Max Liebermann hat das als eine vielleicht falsche Entscheidung seiner Freundes gesehen: Dieser seiner Liebe zur Vaterstadt war er gefolgt, ohne die Einbuße zu bedenken, die er sowohl in materieller Hinsicht – da in Hamburg kein Kunstmarkt ist – wie in geistiger Beziehung erlitt, da er auf den Contakt Mitstrebender verzichten mußte. Vielleicht ist darin der Grund zu suchen, daß er sich nicht ganz seinen eminenten Fähigkeiten nach entwickelt hat. Vielleicht liegt es aber auch an seinen meist sehr kleinformatigen Bildern, dass Thomas Herbst auf dem Kunstmarkt nicht so reüssiert. In der Gründerzeit will man etwas Repräsentatives im Goldrahmen haben. Kleinformatige impressionistische Bilder von jemandem, der 'n büschen französisch ist, sind da nicht so gefragt. Und dann gibt es noch den lapidaren Satz aus der Neuen Rundschau aus dem Jahre 1898: Hamburger Maler wissen aus Erfahrung, dass unsere Bevölkerung sich für Motive aus der Heimath wenig interessirt.

Es gibt nicht so viele Portraits von dem Künstler. Das (abgeschnittene) Photo oben zeigt ihn als eleganten Mann von Welt. Und das war eine Seite seines Lebens, der Dandy, der Mann mit den Manieren eines Gentleman, der in die Welt von Marcel Proust hineingepasst hätte. Die hamburgische Gesellschaft um 1900 ist eine hermetische Welt. Wenn man die Erinnerungen von Ascan Klée Gobert und anderen liest, bekommt man den Eindruck, dass die Grenzen von Harvesthude (oder anderen Stadtteilen, in denen man wohnen kann), unüberwindlicher sind, als die der Gesellschaft des Faubourg Saint-Germain. Thomas Herbst in seinem maßgeschneiderten Salonanzug (was nichts anderes als ein ➱Morning Coat ist) und seinen maßgeschneiderten Fräcken verkehrt ohne Schwierigkeiten auf dem glatten Parkett. Er kann allerdings auch mit Bauern in Schleswig-Holstein Platt schnacken. Obgleich der Flaneur und Dandy auf dem platten Land ein wenig verloren wirkt, sein Besuch in Worpswede ist auf jeden Fall ein Desaster.

Es gibt ein Portrait von Ernst Eitner, das Thomas Herbst im ➱Frack zeigt, hingegossen in einen Sessel, aber leider kann man da nicht so viel von dem Maler erkennen. Der Frack war sein Kleidungsstück, abends für die feine Gesellschaft und tagsüber trug er ausrangierte Fräcke als seinen Malerfrack. Wie sein Kollege Arthur Illies es so schön beschrieb: Da Herbst viel zu Gesellschaften eingeladen wird, hat er Frackanzüge, und diese trägt er nun beim Malen auf den Kuhweiden auf. Hinten hat er einen Pinselvorrat stecken und vorne, besonders auf der Brust, streicht er beim Malen seine Pinsel aus, sodass seine Vorderansicht genau so mit Farbe verkrustet ist wie seine kaum gesäuberte Palette. So sieht man ihn mit seinem roten Bart, fliegenden, pinselstarrenden Rockschößen und einem dreibeinigen Feldstuhl hinter sich den Kühen hinterhersausen. Von Arthur Illies gibt es auch ein witziges Photo aus dem Jahre 1894, das Thomas Herbst in einem solchen Kleidungsstück zeigt, wie er auf einer Weide Kühen hinterher schest. Leider finde ich im Netz keine Abbildung davon, aber in Bernd Küsters Buch Thomas Herbst: Ein deutscher Impressionist ist das Photo enthalten. Wenn Sie sich jetzt beeilen, können Sie noch die letzten Exemplare dieses schönen Buches bei Amazon Marketplace kaufen.

Denn mit Büchern zu Thomas Herbst sieht es (genau wie mit repräsentativen Abbildungen im Internet) etwas dürftig aus. Außer dem Buch von Bernd Küster aus dem Jahre 1999 gibt es noch das Buch von Friedrich Ahlers-Heestermann Thomas Herbst: Ein Malerleben von 1848-1915, von dem es vor Jahren auch eine Faksimileausgabe gab (die auf der ➱Seite des Verlags noch lieferbar ist, ebenso wie das ➱Tagebuch von Thomas Herbst).

Und natürlich bekommt Thomas Herbst viel Raum bei dem Kunsthistoriker Carsten Meyer-Tönnesmann, dessen gewichtige (in jeder Beziehung des Wortes) Dissertation Der Hamburgische Künstlerclub von 1897 im Jahre 1985 bei Christians in Hamburg erschienen ist. Mit einem Vorwort vom damaligen Bürgermeister Klaus von Dohnanyi. Ist hervorragend, aber heute leider vergriffen, im ZVAB sind noch einige Exemplare.

Es gibt davon eine charmante, reichbebilderte Kurzfassung, die 1997 beim Verlag Atelier im Bauernhaus in Fischerhude erschienen ist. Die ist, wenn ich es recht sehe, auch schon wieder vergriffen, vielleicht nerven Sie mal den ➱Verlag, dass er das Buch wieder auflegt. Der Autor arbeitet zur Zeit an einem Werkverzeichnis des Malers. Das soll in zwei Jahren fertig sein. Und die Kunsthalle Hamburg plant zum hundertsten Todestag des Künstlers im Jahre 2015 eine größere Gedächtnisausstellung. Den Satz: "Informationen nimmt der Kunsthistoriker Carsten Meyer-Tönnesmann unter der Telefonnummer 0 40/81 05 77 sowie per E-Mail unter kuenststlerclub@aol.com entgegen" habe ich den Harburger Nachrichten entnommen und gebe ihn mal so weiter. Ich darf das, weil ich gestern mit Herrn Dr. Meyer-Tönnesmann telephoniert habe. Falls Sie noch einen Thomas Herbst im Wohnzimmer haben sollten, melden Sie sich doch mal bei ihm. Er hat natürlich auch eine ➱Website. Aber noch keinen Blog für Thomas Herbst. Das melde ich doch mal bei ihm als ein Desiderat an.

Man kann heute noch Bilder von Thomas Herbst kaufen (die Preise steigen), die Hamburger Galerien Abrahams und Herold scheinen da groß im Geschäft zu sein. Und dann gibt es seit einigen Jahren in Hamburg eine Thomas Herbst Gesellschaft. Man soll den Hamburgern ja nicht nachsagen, dass sie kunstfeindlich wären. Vor allem, wenn man aus Bremen kommt. Aber ich kann es nicht lassen, diese kleine Anekdote zu servieren, in der ein Hamburger Senator in den Zeiten des Kunsthallendirektors Gustav Pauli eine Ausstellung der Bilder der Kunsthalle Hamburg in Berlin eröffnet. Mit den Worten: Wir freuen uns, daß die Reichshauptstadt Berlin so viele Bewunderer für unsere Bilder in sich schließt. Wir Hamburger verstehen eigentlich mehr von Geschäften als von Bildern, am meisten von Kaffee. Ich weiß nicht, ob sich das heute wirklich geändert hat. Thomas Herbst hatte es begrüßt, dass der Bremer Gustav Pauli nach dem Tode Lichtwarks an die Hamburger Kunsthalle berufen wurde, weil er sich mit Lichtwark völlig überworfen hatte. Aber Pauli kam aus der feinen Bremer Gesellschaft, das bedeutete für Thomas Herbst viel.

Als er 1915 starb, war er in der Kunstwelt so gut wie vergessen, er hatte alles getan, um in der Kunstwelt ungenannt zu bleiben (Meyer-Tönnesmann). Lediglich Friedrich Ahlers-Hestermann, der Herbst 1905 kennengelernt hatte, schrieb einen Nachruf für ihn. Und dann 1939 das erste Buch, das lange Zeit das einzige bleiben sollte. Es ist ein Buch der Treue hat Werner Kayser gesagt, es hat nach mehr als siebzig Jahren nichts von seiner Frische und Unverstelltheit verloren. Und deshalb lasse ich einmal Friedrich Ahlers-Hestermann das letzte Wort: Er besaß, was den meisten neueren Malern abgeht: Gemüt. Nicht in dem üblen, sentimentalen Sinne, sondern in der Form von großer Herzenswärme. Das, was er malte, sah er nicht nur mit den schärfsten Augen an – er war, wenn es ihn als Maler anzog, auch immer regelrecht darin verliebt. … Er malte nicht nur mit dem Pinsel, auch mit dem Herzen; nicht um seine Virtuosität zu zeigen, sondern aus Liebe zu dem Stück Natur, das er vor sich sah. Dieses innige Verhältnis zu dem Gegenstand seiner Malerei gibt dieser einen ganz eigenen Wert, eine ganz besondere Note und einen wundervollen poetischen Ausdruck.

Dienstag, 26. Juli 2011

Hastenbeck


»Es ist mein Sohn, der mich zu Grunde gerichtet und sich selbst beschimpft hat.«
   Der dies Wort sprach, war der alte, nahezu siebzigjährige Kurfürst von Hannover und König von Großbritannien und Irland, Georg der Zweite, der Sieger von Dettingen, und sein Aufschrei fand einen zustimmenden Widerhall durch ganz Europa, vom Felsen Kalpe bis nach Asien hinein, und jenseits des Atlantischen Ozeans bis tief in die amerikanischen Urwälder.

   Wieder einmal war ein unbekannter Ort zu einem Namen in der Weltgeschichte gekommen, diesmal zu einem übelberüchtigten. Dieser Ort hieß Kloster Zeven in der Landdrostei Stade, der aber, welcher hier seinen Lorbeeren von Fontenoy, Lawfeld und Hastenbeck die Schleife anflocht und dadurch dem greisen Vater das gramvolle Gesicht in die Hände niederdrückte, hieß William Augustus, Duke of Cumberland, der Metzger Cumberland – butcher Cumberland, wie ihn die Schotten nach seinem einzigen Siegesfelde bei Culloden nannten. Und wie Schottland ihm nachsang:
   »Mourn, hapless Caledonia, mourn!« so klang ihm jetzt ein anderer Jammerruf nach. Der aber lautete: »Weh, Niedersachsen, weh!«
   Aber es war doch ein anderes: das Schlächtermesser-Wetzen auf dem Feld bei Culloden und der Ritt, Degen in der Scheide und die Faust auf dem Federhute, vom Felde bei Hastenbeck.


Wilhelm Raabe Leser haben das natürlich sofort erkannt, es ist der Beginn der Erzählung Hastenbeck. Der Anfang sagt eigentlich schon alles über den Prinzen William Augustus, den Herzog von Cumberland. Ich möchte den Jahrestag der Schlacht von Hastenbeck dazu benutzen, ein wenig Häme über diesen englischen General aus königlichem Haus auszuschütten. Mit 21 Jahren ist er schon Generalmajor, wenn Pappi König ist, dann geht so etwas. Mit 22 ist er in seiner ersten Schlacht, er hat da aber nichts zu sagen, George II führt seine Truppen selbst in die Schlacht von Dettingen. Das ist das letzte Mal in der Geschichte, dass ein englischer König eine Armee anführt. Eigentlich ist der siebzigjährige Earl of Stair der Oberkommandierende der englischen Armee, aber den schiebt George II zur Seite. Jon Manchip White sagt in seinem Buch Lorbeer und Rosen: Graf von Moritz von Sachsen süffisant: Den Oberbefehl führte, bis König Georg II. höchstpersönlich eintraf, Lord Stair, der sich einst mit Moritz in eine Pariser Mätresse geteilt und sich als Schüler Marlboroughs und Eugens hohes Ansehen erworben hatte. Unglücklicherweise galt Stairs militärische Erfahrung bei Georg II. und seinem jugendlichen Sohn Cumberland wenig, da beide auf dem bequemen Standpunkt verharrten, Fürsten von Geblüt seien zum Befehlen geboren.

Vom Befehlen und Anführen kann allerdings nicht die Rede sein, da Georgs Pferd mit ihm durchgeht, nachdem er vor der Schlacht einmal martialisch die Reihen abgeritten ist. Irgendwann fällt er vom Pferd und verpasst den größten Teil der Schlacht. Als er endlich wieder auf den Beinen ist (der Fähnrich Cyrus Trapaud soll ihn gerettet haben), bringt man ihm ein neues Pferd. Rot vor Wut brüllt er I don't want a damned horse! Nach anderen Quellen hat er Scheisspferd gesagt. Angeblich hat er sich dann mit den Worten Nun, wenn mein Pferd dann laufen will,  meine Füße sollen es wenigstens nicht mit gezogenem Degen an die Spitze der hannöverschen Infanterie gestellt. Was kaum wahrscheinlich ist, da sein Pferd ihn ganz bis zur Nachhut getragen hat. Friedrich II. von Preußen äußert sich in seinen Bemerkungen zum Siebenjährigen Krieg sehr sarkastisch über den angeblichen Helden George II : Ich weiß von einem Officier, der dabei zugegen war, daß der König von England während des ganzen Gefechts vor der Spitze seines hanöverischen Bataillons stand, den linken Fuß rückwärts gestellt, den Arm mit dem Degen in der Hand gerade ausgestreckt, ungefähr in der Positur, die ein Fechtmeister einnimmt, wenn er eine Quarte stoßen will. Es gab Beweise der Tapferkeit, aber keinen Befehl, der auf die Schlacht selbst Bezug gehabt hätte.

Dann hält George auf dem Schlachtfeld Hof und lässt ein Mittagessen servieren, weil die Franzosen in der ganzen Konfusion, die man kaum eine wirkliche Schlacht nennen kann, abgerückt sind. George verfolgt den Feind nicht, aber er bestellt bei Händel das Dettingen Te Deum. Und wird natürlich hoch zu Ross gemalt. Dieses Bild ist wahrscheinlich von seinem Höfling Robert Darcy, 4th Earl of Holderness (der am Bildrand rechts zu sehen ist) bei John Wootton in Auftrag gegeben worden. Es schmeichelt den beiden Generälen George (Bildmitte) und William Augustus. So schlank waren sie in Wirklichkeit nicht. Die Maler verklären jeden königlichen Trottel zum Helden, und die zeitgenössischen Propagandisten der Hannoveraner tun mit ihrer Beschreibung der Schlacht das Übrige dazu.

Der fette Sohn des Königs trägt eine Schussverletzung am Bein davon. Zwei Jahre später ist er Oberkommandierender der Pragmatischen Armee in den Niederlanden. Bei Fountenoy zeigt ihm Moritz von Sachsen (links), wie man wirklich eine Schlacht schlägt. Der uneheliche Sohn von August dem Starken wird Jahre später bei der Schlacht von Lauffeldt wiederum die Nemesis von unserem dicken Cumberland sein. Maurice de Saxe, Marschall von Frankreich, ist sowieso ein viel interessantere Person als Cumberland, der als General eine Niete ist. Wenn Moritz von Sachsen 1748 Maastricht einnimmt, was Cumberland wieder nicht verhindern kann, ist der Österreichische Erbfolgekrieg zu Ende. Und auch die militärische Karriere von Moritz. Vierzig Jahre lang ist er Soldat gewesen, hat unter Marlborough und Prinz Eugen gekämpft, ist vom Fähnrich bis zum Feldmarschall auf allen Schlachtfeldern Europas gewesen. Er zieht sich in sein Schloss Chambord zurück und macht es zu einem Zentrum von Gelehrten und Künstlern.

Das wäre undenkbar bei unserem William Augustus (hier von Reynolds gemalt), Philosophen und Künstler sind nicht seine Welt. Er bleibt auch noch in der Armee. Der nächste Krieg steht schon vor der Tür. Das ist der Siebenjährige Krieg, von dem Cumberland aber nur zwei Jahre als Oberkommandierender der Observationsarmee erleben wird. Weil die Armee (nach Raabes Worten) nur noch ein Janhagel ist, zu dem der Duc de Cumberland das königlich großbritannische Hülfsheer heruntergebracht habe. Und weil da nämlich diese Schlacht von Hastenbeck ist. Und dann diese Schande der Konvention von Kloster Zeven. Wenn in Wilhelm Raabes Erzählung die Rede von seinen Lorbeeren von Fontenoy, Lawfeld und Hastenbeck, dann ist das natürlich bitterste Ironie. Nirgendwo hat der dicke Cumberland sich Lorbeeren erworben.

Eine einzige Schlacht hat er in seiner militärischen Karriere gewonnen, und die gereicht ihm zur ewigen Schande. Und damit sind wir wieder bei Wilhelm Raabes Text, wo die Rede ist vom Duke of Cumberland, der Metzger Cumberland – butcher Cumberland, wie ihn die Schotten nach seinem einzigen Siegesfelde bei Culloden nannten. Und wie Schottland ihm nachsang: »Mourn, hapless Caledonia, mourn! Dazu sage ich jetzt nichts mehr, weil ich vor einem Jahr etwas darüber ➱geschrieben habe.

William Augustus und Moritz, zwei Karrieren des 18. Jahrhunderts. Der uneheliche Sohn des Kurfürsten von Sachsen und Königs von Polen und der schwedischen Gräfin Aurora von Königsmarck hat in allen Bereichen des Lebens mehr vorzuweisen als der Dicke aus dem Haus Hannover. Ich will jetzt nicht seine Freundschaft mit Voltaire betonen, sein Werk über die Kriegskunst Mes Rêveries, seine militärischen Erfolge. Nein, es gibt etwas ganz anderes, was ihn von William Augustus unterscheidet, und dass ist seine Menschlichkeit gegenüber seinen Soldaten und seinen Feinden. Die Kriegsverbrechen, die Cumberland nach Culloden begeht, wären Moritz nicht in den Sinn gekommen.

Und doch gibt es etwas, was die beiden verbindet. Ein Stoff, aus dem Sir Walter Scott etwas hätte machen können. Oder Alexandre Dumas. Es ist ein historischer Krimi, eine Bluttat, die vor beider Leben stattfand. Manche meiner Leser ahnen schon, worauf ich jetzt hinaus will. Weil ich den einen Teil der ➱Geschichte im letzten Jahr schon einmal erzählt habe. Wahrscheinlich ist es dem Marschall von Frankreich ein besonderes Vergnügen gewesen, den Herzog von Cumberland auf dem Schlachtfeld zu besiegen, weil er wußte, dass dessen Opa seinen Onkel hatte ermorden lassen. Wenn das kein Stoff für einen Krimi ist.

Montag, 25. Juli 2011

Papierkragen


Am 25. Juli 1854 hat Walter Hunt in New York unter der Patentnummer 11.376 den Papierkragen zum Patent angemeldet. Der Mann hat ja eine Vielzahl von nützlichen Dingen erfunden, von der Sicherheitsnadel bis zur Nähmaschine. Der Papierkragen (und der spätere Zelluloidkragen) ist heute ein wenig aus der Mode gekommen. Mein Opa hatte noch solche Dinger. Mein Vater hatte welche für sein Frackhemd. Einen davon habe ich aufbewahrt, der liegt jetzt als Inspiration zum Schreiben neben mir. Mit Kragenköpfen vorn und hinten. Er ist von der Firma Schäffer in Bielefeld (einstmals einer der größten deutschen Hemdenhersteller) und nicht von der Leipziger Firma Mey&Edlich, die mit Papierkragen groß geworden ist.

Wie schon die beliebte Zeitschrift Die Gartenlaube 1874 zu berichten weiß: Diese Mey und Edlich’sche Fabrik ist jedenfalls die bedeutendste in Deutschland. Sie ist so eingerichtet, daß sie täglich 400,000 Stück Kragen, 100,000 Stück Manschetten und 30,000 Stück Vorhemdchen liefern kann. Sie beschäftigt jetzt schon 150 weibliche und 50 männliche Arbeiter, hat nur Dampfbetrieb, eigene Cartonnagenfabrik, Tischlerei, mechanisches Atelier und verarbeitete im Jahre 1872 circa 700,000 Pfund Cartonpapier, aus welchen ungefähr 25 Millionen Kragen und fünf Millionen Manschetten und Vorhemdchen verfertigt wurden. Die sogenannten Papierabfälle, aus welchen dann in den Papierfabriken die feinsten Briefpapiere fabricirt werden, betrugen ungefähr 70,000 Pfund. Der Absatz dieses Etablissements geht hauptsächlich nach Deutschland, Oesterreich, der Schweiz, nach Japan, Indien und Süd-Amerika, nach Schweden, Norwegen und Rußland. Also, am besten lesen Sie den ganzen ➱Artikel, dann wissen Sie alles über den Papierkragen.

Wenn die Gartenlaube schreibt, dass die Amerikaner 1872 im Jahr 450 Millionen Papierkragen verbrauchen, dann werden diese Zahlen ungefähr stimmen. Man muss sicher noch eine hohe Zahl von anknöpfbaren Kragen aus Leinen oder dem billigen englischen shirting dazurechnen (die anknöpfbaren Manschetten lassen wir mal heute aus). Die im Übrigen nicht teurer sind, als die Zelluloidkragen. Mein Reprint eines Montgomery Ward Katalogs von 1895 (eine Fundgrube für Kostümhistoriker!) sagt mir, dass das Dutzend Leinenkragen (in den verschiedensten Formen) einen Dollar fünfunddreißig kostet. Das Dutzend Celluloidkragen (nur vier Modelle zur Auswahl) kostet einsfünfzig. Die Systematik des Katalogs ist etwas gewöhnungsbedürftig: Collars and Cuffs sind auf S. 91-93, Herrenhemden (mit abnehmbaren Kragen und Manschetten) finden sich auf S. 292.  Zwanzig Seiten später geht der Katalog übergangslos von Damenkorsetts zu Pferdegeschirr über, das finde ich sehr komisch.

Nicht nur Papier- und Leinenkragen werden bei Montgomery Ward im Dutzend angeboten, auch die Hemden sind im Dutzend billiger, wie man so schön sagt. So kostet ein Dutzend Hemden (mit zwei unterschiedlichen Kragen) je nach Qualität zwischen 10.80 $ und 16.50. Die Kragenknöppe gibt es umsonst dazu. Wir wollen jetzt lieber nicht danach fragen, was die Näherinnen für ein Hemd bekommen haben. Für den Preis von einem Dutzend Hemden kann man auch schon das billigste Modell einer Taschenuhr aus amerikanischer Produktion bekommen. Wenn sie gut gepflegt wurde, geht die heute noch. Papier- und Leinenkragen aus dem 19. Jahrhundert sowie die dazu passenden Kragenknöpfe kann man heute noch auf Auktionen oder im amerikanischen Ebay finden. Die niedrigen Preise für Hemdkragen sollen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der Masse der Amerikaner im Gilded Age nicht gut geht. Der American Dream, diese Wunschvorstellung vom Tellerwäscher zum Millionär, bleibt für die meisten der jetzt nach Amerika kommenden Einwanderer ein Traum. Die Vanderbilts, Rockefellers und Carnegies kaufen ihre Hemden nicht bei Montgomery Ward oder Sears&Roebuck und wie die jetzt aus dem Boden schießenden Versandhäuser so heißen, die ganz Amerika nicht nur mit Papierkragen versorgen. Auch mit Korsetts und Zaumzeug für Pferde. Für den Preis von einem Dutzend Hemden kann man bei Montgomery Ward übrigens auch einen Colt kaufen. Oder eine Winchester '73.

Die Papier- und Leinenkragen, die man im Victorian Age im Zwölferpack kauft und in keksdosenartigen Behältern aufbewahrt (ich habe noch einen aus braunem Leder), sind in den meisten Fällen weiß. Dies ist das Zeitalter der respectability, man möchte einen sauberen weißen Kragen haben. Auch wenn alles um einen herum nicht so sauber ist. Wenn man einen blue collar trägt, ist man ein Arbeiter. Wenn man einen white collar trägt, ist man etwas Besseres. Obgleich das Englische ja auch den Begriff white collar crime kennt. Weiße Kragen bürgen nicht für Moral. Im Victorian Age nicht und heute auch nicht. Aber man hält an dem steifen weißen Kragen fest und wagt keine Veränderungen. Dahinter steht vielleicht, wie John C. Fluegel in seiner Psychology of Clothes schrieb: The guilt attached to the idea of abandoning traditional male costume, owing to the moral symbolism associated with it. A man is apt to feel that if he dispensed with his thick coat and stiff, tight collar, he would be casting off the moral restraints that keep him to the narrow path of virtue and of duty.

Weiße Hemden sind ja nun im Alltag nicht so praktisch, und so finden wir zum Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr gemusterte Hemden. Irgendwann gelangen die regatta stripes auf die Hemdbrust, aber immer gibt es dazu den weißen Kragen und die weißen Manschetten. Diese Hemdenmode von farbigen oder gestreiften Hemden mit weißem Kragen und weißen Manschetten hat sich in England gehalten, selbst beim ➱Cutaway findet man solche Hemden heute häufig. Ich finde das eigentlich sehr schick und habe davon immer noch eine Anzahl im Schrank. Obgleich dieses sehr englische Kleidungsstück irgendwann nach Deutschland kam und bevorzugt von Friseuren, Versicherungsvertretern und Autoverkäufern getragen wurde. Schrecklich. Ebenso schrecklich wie diese orientalisch bunten Hemden, die Mohamed Al Fayed trägt. Da bringt auch ein weißer Kragen keine respectablity. Die englische Staatsbürgerschaft für den phoney pharao erst recht nicht.

Je steifer und höher der Kragen ist, desto größer ist die Eleganz. Das wussten schon die Incroyables während der Zeit des Directoire. Diese Kragen halten sich bis in die Romantik. Sie waren vor allem bei Künstlern beliebt, wie das Bild von Rembrandt Peale zeigt, der hier seinen Bruder Rubens portraitiert hat (ja, Vater ➱Peale hat all seinen Kindern Vornamen nach Malern gegeben). Danach tendieren die Künstler etwas mehr zur Bohème und tragen den Byron Kragen oder den Schillerkragen.

Aber die Bourgeoisie, macht solchen Firlefanz nicht mit, die will den steifen Kragen haben. Die folgende Stelle aus H.G. Wells' Roman Kipps mag dafür typisch sein: There came still other distractions, the natural distractions of adolescence, to take his mind off the inevitable. His costume, for example, began to interest him more; he began to realise himself as a visible object, to find an interest in the costume-room mirrors and the eyes of the girl-apprentices.
      In this he was helped by counsel and example. Pearce, his immediate senior, was by way of being what was called a Masher, and preached his cult. During slack times grave discussions about collars, ties, the cut of trouser-legs, and the proper shape of a boot-toe, were held in the Manchester department. In due course Kipps went to a tailor, and his short jacket was replaced by a morning coat with tails. Stirred by this he purchased at his own expense three stand-up collars to replace his former turndown ones. They were nearly three inches high, higher than those Pearce wore, and they made his neck quite sore, and left a red mark under his ears...So equipped, he found himself fit company even for this fashionable apprentice who had now succeeded Minton in his seniority.


Der abknöpfbare steife Kragen hieß im 19. Jahrhundert im Französischen ironisch carcans (Halseisen) oder parasite (weil man ihn für unterschiedliche Hemden verwenden konnte). Der Wortwitz machte aus dem parasite den patricide, und so haben wir im Deutschen dann den Vatermörder. Dieser steife Kragen hat sich für formelle Kleidung wie den Frack bis heute gehalten. Und von Zeit zu Zeit trägt unser ➱Karl Lagerfeld solche Kragen ja auch, aber es setzt sich als Mode nicht mehr richtig durch.

Unsere Hemden heute, bei denen Kragen und Hemd aus einem Stück sind, sind noch gar nicht so alt. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wird sich dieser Hemdentyp in Amerika finden. Die amerikanische Firma Cluett Peabody & Company in Troy (New York) wird diesen Siegeszug verantwortlich sein. Und natürlich die tolle Arrow Collar Man Werbung durch J.C. Leyendecker. Die kleine Stadt Troy am Hudson ist mit einer Vielzahl von Firmen, die Kragen und Hemden herstellen, das, was Leipzig mit Mey&Edlich für Deutschland ist. Irgendwann wird dieses amerikanische Troja den Namen Collar City bekommen.

Die Amerikaner haben den detachable collar erfunden, irgendwann in den 1820er Jahren. Vorher war das Oberhemd aus einem Stück. Wenige Jahrzehnte zuvor gab es noch gar keine Unterschiede zwischen Unter- und Oberhemd. Wenn heute junge Leute ein T-Sirt zu allen Gelegenheiten tragen, sind sie modisch wieder auf dem Stand von 1790, als das Hemd Unterhemd, Nachthemd und Oberhemd in einem war. Hundert Jahre nach der Erfindung des anknöpfbaren Kragens, der in diesem Jahrhundert alle Formen durchlaufen hatte, setzt sich in Amerika das Hemd, wie wir es heute kennen, immer mehr durch. Nicht in England. Engländer beharren länger auf Traditionen. Zwar gibt es in England seit 1929 eine Men's Dress Reform Party (MDRP) und schon vorher eine Anti-Collar League, aber deren ➱Kleidungsideale werden sich im konservativen England nicht durchsetzen.

Denn selbst junge Engländer können sich mit all that jazz, der jetzt von Amerika herüberkommt, nicht so recht anfreunden; das gilt für die formlosen, leicht effeminierten Jacketts ebenso wie für die Hemden. Und so bleibt der detachable collar ein Standardteil der Garderobe. Das hat auch simple ökonomische Gründe: es ist viel billiger, einen Kragen zu waschen (oder reinigen zu lassen) als ein ganzes Hemd. Der detachable collar, der für meinen Opa eine Selbstverständlichkeit war, ist nicht ganz tot. Der englische Politiker Enoch Powell, bei dem ich nie so recht weiß, ob man ihn bewundern oder hassen soll, machte im hohen Alter in einem Interview ein erstaunliches Geständnis. Er wusste überhaupt nicht, dass man Hemden kaufen konnte, die keinen abknöpfbaren Kragen hatten. Sein Schneider versorgte ihn immer nur mit Hemden mit detachable collars.

Es gibt heute noch Firmen in der Jermyn Street, die das anbieten. Für Frack und Cutaway bleibt er eine Selbstverständlichkeit für den konservativen Gentleman. Für andere, nicht so offizielle Hemden ist er das gewisse Extra für Young Fogeys, die Suzanne Lowrys Young Fogey Handbook auswendig gelernt und das Chap Magazine abonniert haben. Bei bestimmten Berufsgruppen hält sich der detachable collar hartnäckig. Zum Beispiel der dog collar (eine etwas informelle Bezeichnung) der Geistlichen. Die Firma Gieves (bevor sie die Firma Hawkes kaufte und Gieves and Hawkes war) hielt für englische Offiziere selbstverständlich detachable collars parat (bei Gieves and Hawkes Military sind die immer noch im Angebot). Während die regulation shirts der Army und der Royal Air Force für den einfachen Soldaten keine abknöpfbaren Kragen vorsahen (nach manchen Modehistorikern läutete das das Ende des detachable collar ein), bestanden die Gentlemen bei ihren Hemden weiterhin auf dem detachable collar. Die Firma Gieve kommt mit ihren Offiziershemden übrigens auch in dem Film The Man Who Never Was vor. Es gibt noch eine Berufsgruppe in England, die auf den detachable collar wohl nie verzichten wird: Die englischen Juristen, die eine Perücke tragen, haben im Gerichtssaal selbstverständlich einen Klappenkragen an ihr Hemd geknöpft. Wenn sie Old Bailey verlassen, haben sie den steifen Kragen natürlich für den Rest des Tages gegen einen weißen anknöpfbaren Umlegekragen getauscht.

Wir haben heute keine roten Streifen unter den Ohren wie der junge Kipps in H.H. Wells' Roman, der dabei ist, in der Gesellschaft aufzusteigen. Weil es diese Vatermörderkragen nicht mehr gibt, die three inches high sind (das ist im Jahre 1890 die große Mode, höher wird er nicht werden). Obgleich viele englische Oberhemden auch heute noch knallharte Kragen haben, und die englischen Hemdenmacher auch relativ hohe Kragen anbieten. Aber vielleicht kommt ja alles wieder, und Karl Lagerfelds verschmockte Kleidung ist wirklich einmal in seinem Leben die Avantgarde. So etwas kann in der Mode ja ganz schnell gehen, im gleichen Jahr, in dem sich in England die Men's Dress Reform Party gründet (die übrigens nach elf Jahren wieder einging), sang Otto Reuter in Berlin sein Ick kann det Tempo nich vertragen!

Die Mode heut' erhitzt mein Blut.
Man hat schon früher mal jetragen
ein' steifen Kragen und schlappen Hut -
doch bis ick dachte: "Schön, is jut,
trägst steifen Krag'n und schlappen Hut",
da trug'n die andern, mir zur Wut
ein' steifen Hut und schlappen Kragen!
Jetzt - wo man wieder tragen tut
n' schlappen Hut und steifen Kragen,
da find' ick endlich erst den Mut -
Statt'n steifen Krag'n und schlappen Hut
für'n schlappen Hut und steifen Krag'n -
nee, n' steifen Krag'n und schlappen Hut -
nee, 'n schlappen Krag'n und steifen Hut-
Ick kann det Tempo nich vertragen!

Sonntag, 24. Juli 2011

Dumas (père)


Alexandre Dumas hat heute Geburtstag, wir verdanken ihm die Drei Musketiere und den Grafen von Monte Christo. Und nicht mehr zu zählende Film- und Fernsehversionen derselben, wobei mir die Richard Lester Versionen der Geschichte von Les Trois Mousquetaires am besten gefallen. Aber keine Angst, ich werde jetzt weder die Hauptwerke des Meisters des melodramatischen Abenteuerromans detailliert besprechen, noch werde ich mich über die zum Teil unsäglich schrottigen Leinwandproduktionen äußern. Obgleich die mal so einen richtigen Hassartikel verdient hätten.

Nein, verneigen wir uns vor dem Meister des gepflegt kitschigen historischen Abenteuerromans. Gut, er ist literarisch nicht ganz auf dem Niveau von Sir Walter Scott, aber von Zeit zu Zeit brauchen wir im Fernsehen einfach Edmond Dantès (selbst wenn er von Depardieu gespielt wird) oder den jungen Heißsporn d'Artagnan. All normal people need both - classics and trash, hat George Bernard Shaw gesagt. Auch wenn die langen Romane von Alexandre Dumas mit der Vielzahl von Nebenpersonen und Nebenhandlungen ein klein wenig unübersichtlich sind, bei dieser Sorte Roman macht das nichts. Zur Not gibt es ja noch ein so schönes ➱Schaubild, das uns die Handlung von Der Graf von Monte Christo verdeutlicht. Die Konfusion bei den Roman entsteht nicht zuletzt dadurch, dass Alexandre Dumas einer kleinen Fabrik von Lohnschreibern (seinen nègres, wie er sie nennt) vorsteht, die seine Romane schreiben. Es wäre wohl verlorene Liebesmühe, wollte man feststellen, welche Passagen eines Romans von ihm und welche von seinen Gehilfen sind. Nicht in allem, wo Alexandre Dumas drauf steht, ist auch Alexandre Dumas drin.

Zumal es ja noch einen anderen Alexandre Dumas gibt, der auch schreibt. Und das bringt mich zu der kleinen Geschichte, die ich am Geburtstag von Alexandre Dumas (père) gerne erzählen möchte. 1996 bracht die Firma Montblanc im Rahmen ihrer nach Schriftstellern benannten Schreibwerkzeuge auch einen Alexandre Dumas Füllfederhalter heraus. Das klingt in der Werbung so: Die Alexandre Dumas Writers Edition Füllfederhalter sind ebenso perfekt wie die Arbeit dieses bedeutenden Romanschriftstellers. Sie bestehen aus feinsten Materialien und haben einen schimmernden Glanz, der durch die dunkelbraune Kappe aus Edelharz hervorgehoben wird. Alle Details am Kappenkopf unterstreichen die Persönlichkeit von Alexandre Dumas: der Clip mit seinem ausgeprägten Schwertsymbol, die rhodinierte 18-karätige Goldfeder, in die eine filigrane Schwertlilie eingrariert ist und seine goldfarbene Signatur auf der Kappe. Dieser Text steht so wörtlich auf der ➱Firmenseite. Einschließlich der neuen Wortprägung eingrariert. Die sind bei Montblanc offensichtlich zu doof zum Korrekturlesen.

Ich weiß jetzt nicht, ob Dumas oder seinen Gehilfen ein solcher Schwachsinn von Text aus der Feder geflossen wäre, aber die Strafe für Montblanc folgte postwendend. Ein Dumas Kenner stellte nach dem Kauf fest, dass die Unterschrift auf dem schweineteuren Füller nicht echt war. Es war nicht die Unterschrift von Dumas (père), sondern die seines Sohnes. Montblanc zog die ausgelieferten Modelle sofort zurück, aber etliche waren schon verkauft und gelten heute als Sammlerstücke. Weshalb weiß ich nicht so genau.

In der ➱Writers Edition (dafür hat man kein deutsches Wort, in der Welt von Werbefuzzis und Schlagersängern klingt Englisch ja immer sooo toll) gibt es heute Modelle von Edgar Allan Poe bis Proust, von F. Scott Fitzgerald bis Thomas Mann (der seinen Füller einen sinnreichen Tintenspender genannt hatte). Ich nehme an, dass keiner der Schriftsteller mit einem Montblanc geschrieben hat. Hemingway ganz bestimmt nicht, weil der mal für Parker Reklame gemacht hat. Ich bin auch davon überzeugt, dass kein Füllfederhalter aus der Writers Edition einen seiner Besitzer zu einem Schriftsteller machen wird. Ich habe sowieso leichte Aversionen gegen Montblanc (die irgendwie das Äquivalent zu Rolex sind), weil ich seit mehr als einem halben Jahrhundert nur Pelikan benutze. Oder einen geerbten schwarzen dreißiger Jahre Soennecken, aber der leckt leider inzwischen ein wenig. Bei Pelikan gibt es glücklicherweise keine Writers Edition.

Vor Jahren offerierte mir ein Student als Prüfungsthema das Werk von Agatha Christie. Ich war nicht so recht begeistert. Obgleich ich dafür berühmt (oder berüchtigt) war - was sich sicherlich auch in diesem Blog fortsetzt - Popular Culture und High Culture zu vermischen, sah ich solche Themen eigentlich nur ungern. Aber ich habe nichts gegen Agatha Christie, also akzeptierte ich das. Ich hatte allerdings ein leichtes Ressentiment gegen den Kandidaten, der mir etwas zu selbstgefällig verkündete, er wisse ALLES zum Thema Agatha Christie. Er wusste in der Prüfung viel, sehr viel. Eine Minute vor Schluss fragte ich ihn, ob er noch zu der Aussage stände, die er vor Monaten hier in meinem Dienstzimmer gemacht hätte. Siegessicher sagte er: Ja. Die Prüfung war bestanden, dies hier ging nur noch ein klein wenig darum, den selbstgefälligen Typ ein wenig Demut zu lehren. Also fragte ich ihn, wie der Clip des Montblanc Agatha Christie aussieht. Wenn man alles über Agatha Christie weiß, dann muss man auch so etwas wissen. Er wusste es nicht. Dinge wie diese sind der Grund dafür, dass niemand mehr mit mir Trivial Pursuit spielt.

Samstag, 23. Juli 2011

Courbière


In Bremen versuchte ichs indessen allein auf meine eigene Hand, und es gelang mir am hellen lichten Tage unter ziemlicher Gefahr. Die nächste Veranlassung war ein Gezänk mit dem Feldwebel über Brotlieferung, in welches sich der kommandierende Offizier etwas diktatorisch handgreiflich mischte. Das Gespenst der Preußen saß mir fest im Gehirn; ich hatte ganz gegen meine Gewohnheit ohne alle Absicht in einigen Gläsern Wein mich etwas warm getrunken und machte kurz und gut auf und davon, am Ufer hin, über die Brücke weg, in die Altstadt hinein. Ein guter, alter, ehrlicher Spießbürger mochte mir doch wohl einige Verwirrung ansehen; er kam freundlich zu mir und fragte: »Freund! Ihr seid wohl ein hessischer Deserteur?« »Und wenn ich denn einer wäre?« sagte ich. »Da muß ich Euch sagen, unser Magistrat hat Kartell mit dem Landgrafen.« Und nun –

Mit den Worten und nun bricht die Lebensbeschreibung von Johann Gottfried Seume ab. Das ist etwas unbefriedigend, weil er nun nichts mehr über den General Guillaume René de l’Homme, Seigneur de Courbière sagt, der heute vor zweihundert Jahren starb, der ihm ein hochherzig mitleidiger Vorgesetzter war. Und der ein preußischer General war, der sich niemals Napoleon ergeben hat. Ich mag diesen Mann irgendwie, ich habe ihn ja auch schon mehrfach in diesem Blog erwähnt. Weil er diese Qualitäten hat, die wir an Preußen bewundern. Und die Friedrich II. nicht hat. Denn dessen Büttel sind gerade dabei den armen Seume einzufangen, und ihn in die preußische Armee zu pressen. Was war da noch mit unserer Verherrlichung von einem Herrscher der Aufklärung und einem Freund Voltaires? Wahrscheinlich haben wir zuviel Fontane gelesen oder zuviel Fridericus Rex Filme gesehen.

Lassen Sie uns noch einmal zurückspringen zu diesem und nun. Wir sind in Bremen im Spätsommer des Jahres 1783, Seume ist zwanzig Jahre alt. Genau ein Jahr vorher ist er nach mehrmonatiger Überfahrt über den Atlantik in Halifax gelandet. Als Soldat auf Seiten der Engländer, die gegen ihre eigenen Landsleute im Amerika kämpfen. Auf dem Wege nach Paris hatten ihn die Schergen des Landgrafen von Hessen-Kassel gekascht. Dieser Friedrich II (namensgleich mit dem Preußen) ist jetzt ganz groß im Geschäft mit dem Soldatenverkauf an die Engländer. Sein Sohn Wilhelm, wird ihm darin folgen. Die Wilhelmshöhe und die Rembrandts müssen ja irgendwie finanziert werden.

.... und nun ist Seume von dem amerikanischen Abenteuer zurück. Aber man lässt ihn nicht weg von der Armee. Kaum ist er in Bremen angekommen, will er fliehen. Die braven Bremer helfen ihm, über die Weser zu kommen. Jahrhunderte später wird der Marschendichter Hermann Allmers ein Seume Denkmal spenden (links). Aber es nutzt Seume alles nichts, er wird wieder eingefangen. Diesmal von den Angestellten des anderen Friedrich (diesem Ausbund an preußischen Tugenden). Das hatte Seume nämlich gefürchtet, als das Schiff die Weser herauffuhr: Hier schreckte uns die Besorgnis, daß wir bei Minden würden an die Preußen verkauft werden. Es wurde laut gesprochen, und der bekannte gewissenlose Seelenschacher des alten Landgrafen machte die Sache nicht unwahrscheinlich. Man bringt ihn nach Emden, wo er noch vier Jahre lang dem großen Friedrich dienen darf. Er macht noch mehrere Fluchtversuche, um den entwürdigenden Verhältnissen zu entkommen. Darauf steht der mehrmalige Spießrutenlauf, die Todestrafe. Da hätte der alte Fritz wahrscheinlich keinen Augenblick gezögert. Aber in Emden wird Preußen vertreten durch den Generalmajor Guillaume René de l’Homme, Seigneur de Courbière, und der begnadigt den jungen Seume. Und macht ihn zum Hauslehrer seiner Kinder.

Und wenn er später nicht noch ein deutscher Held geworden wäre und mit 74 Jahren den Franzosen, die ihn zur Kapitulation aufforderten, diesen unsterblichen Satz gesagt hätte Votre Général me dit ici qu'il n'ya plus un Roi de Prusse, puis que les Français ont occupé ses états. Eh bien, ça se peut; mais s'il n'ya plus un Roi de Prusse, il existe encore un Roi de Graudenz. Dites cela à votre général, wir müssten den Wilhelm Courbière schon allein wegen seiner Menschlichkeit gegenüber Seume bewundern. Und deshalb ist es schade, dass Seumes Autobiographie genau an dieser Stelle mit den Worten und nun aufhört und wir von Courbière im Band 11 der Gesammelten Werke von 1837 nur etwas durch das Zeugnis von Seumes Freunden erfahren und nicht durch seine eigenen Worte.

An den 200. Todestag des Edelmannes aus einer hugenottischen Familie, der seinen ehemaligen Untergebenen Seume um ein Jahr überlebte, erinnert heute im Internet nur die SZ Online. Da dachte ich mir: ja bei der Süddeutschen, da hat man noch Stil und Kultur. Aber das war gar nicht die Süddeutsche Zeitung, das war die Sächsische Zeitung. Und die kennen den Baron Courbière nicht wegen des gebürtigen Sachsen Seume, wie ich zuerst dachte, sondern weil es einmal ein preußisches Regiment namens Courbière gegeben hat, das in Görlitz stationiert war. Soviel zum Thema Erinnerungskultur.