Am 25. Juli 1854 hat Walter Hunt in New York unter der Patentnummer 11.376 den Papierkragen zum Patent angemeldet. Der Mann hat ja eine Vielzahl von nützlichen Dingen erfunden, von der Sicherheitsnadel bis zur Nähmaschine. Der Papierkragen (und der spätere Zelluloidkragen) ist heute ein wenig aus der Mode gekommen. Mein Opa hatte noch solche Dinger. Mein Vater hatte welche für sein Frackhemd. Einen davon habe ich aufbewahrt, der liegt jetzt als Inspiration zum Schreiben neben mir. Mit Kragenköpfen vorn und hinten. Er ist von der Firma Schäffer in Bielefeld (einstmals einer der größten deutschen Hemdenhersteller) und nicht von der Leipziger Firma Mey&Edlich, die mit Papierkragen groß geworden ist.
Wie schon die beliebte Zeitschrift Die Gartenlaube 1874 zu berichten weiß: Diese Mey und Edlich’sche Fabrik ist jedenfalls die bedeutendste in Deutschland. Sie ist so eingerichtet, daß sie täglich 400,000 Stück Kragen, 100,000 Stück Manschetten und 30,000 Stück Vorhemdchen liefern kann. Sie beschäftigt jetzt schon 150 weibliche und 50 männliche Arbeiter, hat nur Dampfbetrieb, eigene Cartonnagenfabrik, Tischlerei, mechanisches Atelier und verarbeitete im Jahre 1872 circa 700,000 Pfund Cartonpapier, aus welchen ungefähr 25 Millionen Kragen und fünf Millionen Manschetten und Vorhemdchen verfertigt wurden. Die sogenannten Papierabfälle, aus welchen dann in den Papierfabriken die feinsten Briefpapiere fabricirt werden, betrugen ungefähr 70,000 Pfund. Der Absatz dieses Etablissements geht hauptsächlich nach Deutschland, Oesterreich, der Schweiz, nach Japan, Indien und Süd-Amerika, nach Schweden, Norwegen und Rußland. Also, am besten lesen Sie den ganzen ➱Artikel, dann wissen Sie alles über den Papierkragen.
Wenn die Gartenlaube schreibt, dass die Amerikaner 1872 im Jahr 450 Millionen Papierkragen verbrauchen, dann werden diese Zahlen ungefähr stimmen. Man muss sicher noch eine hohe Zahl von anknöpfbaren Kragen aus Leinen oder dem billigen englischen shirting dazurechnen (die anknöpfbaren Manschetten lassen wir mal heute aus). Die im Übrigen nicht teurer sind, als die Zelluloidkragen. Mein Reprint eines Montgomery Ward Katalogs von 1895 (eine Fundgrube für Kostümhistoriker!) sagt mir, dass das Dutzend Leinenkragen (in den verschiedensten Formen) einen Dollar fünfunddreißig kostet. Das Dutzend Celluloidkragen (nur vier Modelle zur Auswahl) kostet einsfünfzig. Die Systematik des Katalogs ist etwas gewöhnungsbedürftig: Collars and Cuffs sind auf S. 91-93, Herrenhemden (mit abnehmbaren Kragen und Manschetten) finden sich auf S. 292. Zwanzig Seiten später geht der Katalog übergangslos von Damenkorsetts zu Pferdegeschirr über, das finde ich sehr komisch.
Nicht nur Papier- und Leinenkragen werden bei Montgomery Ward im Dutzend angeboten, auch die Hemden sind im Dutzend billiger, wie man so schön sagt. So kostet ein Dutzend Hemden (mit zwei unterschiedlichen Kragen) je nach Qualität zwischen 10.80 $ und 16.50. Die Kragenknöppe gibt es umsonst dazu. Wir wollen jetzt lieber nicht danach fragen, was die Näherinnen für ein Hemd bekommen haben. Für den Preis von einem Dutzend Hemden kann man auch schon das billigste Modell einer Taschenuhr aus amerikanischer Produktion bekommen. Wenn sie gut gepflegt wurde, geht die heute noch. Papier- und Leinenkragen aus dem 19. Jahrhundert sowie die dazu passenden Kragenknöpfe kann man heute noch auf Auktionen oder im amerikanischen Ebay finden. Die niedrigen Preise für Hemdkragen sollen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der Masse der Amerikaner im Gilded Age nicht gut geht. Der American Dream, diese Wunschvorstellung vom Tellerwäscher zum Millionär, bleibt für die meisten der jetzt nach Amerika kommenden Einwanderer ein Traum. Die Vanderbilts, Rockefellers und Carnegies kaufen ihre Hemden nicht bei Montgomery Ward oder Sears&Roebuck und wie die jetzt aus dem Boden schießenden Versandhäuser so heißen, die ganz Amerika nicht nur mit Papierkragen versorgen. Auch mit Korsetts und Zaumzeug für Pferde. Für den Preis von einem Dutzend Hemden kann man bei Montgomery Ward übrigens auch einen Colt kaufen. Oder eine Winchester '73.
Die Papier- und Leinenkragen, die man im Victorian Age im Zwölferpack kauft und in keksdosenartigen Behältern aufbewahrt (ich habe noch einen aus braunem Leder), sind in den meisten Fällen weiß. Dies ist das Zeitalter der respectability, man möchte einen sauberen weißen Kragen haben. Auch wenn alles um einen herum nicht so sauber ist. Wenn man einen blue collar trägt, ist man ein Arbeiter. Wenn man einen white collar trägt, ist man etwas Besseres. Obgleich das Englische ja auch den Begriff white collar crime kennt. Weiße Kragen bürgen nicht für Moral. Im Victorian Age nicht und heute auch nicht. Aber man hält an dem steifen weißen Kragen fest und wagt keine Veränderungen. Dahinter steht vielleicht, wie John C. Fluegel in seiner Psychology of Clothes schrieb: The guilt attached to the idea of abandoning traditional male costume, owing to the moral symbolism associated with it. A man is apt to feel that if he dispensed with his thick coat and stiff, tight collar, he would be casting off the moral restraints that keep him to the narrow path of virtue and of duty.
Weiße Hemden sind ja nun im Alltag nicht so praktisch, und so finden wir zum Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr gemusterte Hemden. Irgendwann gelangen die regatta stripes auf die Hemdbrust, aber immer gibt es dazu den weißen Kragen und die weißen Manschetten. Diese Hemdenmode von farbigen oder gestreiften Hemden mit weißem Kragen und weißen Manschetten hat sich in England gehalten, selbst beim ➱Cutaway findet man solche Hemden heute häufig. Ich finde das eigentlich sehr schick und habe davon immer noch eine Anzahl im Schrank. Obgleich dieses sehr englische Kleidungsstück irgendwann nach Deutschland kam und bevorzugt von Friseuren, Versicherungsvertretern und Autoverkäufern getragen wurde. Schrecklich. Ebenso schrecklich wie diese orientalisch bunten Hemden, die Mohamed Al Fayed trägt. Da bringt auch ein weißer Kragen keine respectablity. Die englische Staatsbürgerschaft für den phoney pharao erst recht nicht.
Je steifer und höher der Kragen ist, desto größer ist die Eleganz. Das wussten schon die Incroyables während der Zeit des Directoire. Diese Kragen halten sich bis in die Romantik. Sie waren vor allem bei Künstlern beliebt, wie das Bild von Rembrandt Peale zeigt, der hier seinen Bruder Rubens portraitiert hat (ja, Vater ➱Peale hat all seinen Kindern Vornamen nach Malern gegeben). Danach tendieren die Künstler etwas mehr zur Bohème und tragen den Byron Kragen oder den Schillerkragen.
Aber die Bourgeoisie, macht solchen Firlefanz nicht mit, die will den steifen Kragen haben. Die folgende Stelle aus H.G. Wells' Roman Kipps mag dafür typisch sein: There came still other distractions, the natural distractions of adolescence, to take his mind off the inevitable. His costume, for example, began to interest him more; he began to realise himself as a visible object, to find an interest in the costume-room mirrors and the eyes of the girl-apprentices.
In this he was helped by counsel and example. Pearce, his immediate senior, was by way of being what was called a Masher, and preached his cult. During slack times grave discussions about collars, ties, the cut of trouser-legs, and the proper shape of a boot-toe, were held in the Manchester department. In due course Kipps went to a tailor, and his short jacket was replaced by a morning coat with tails. Stirred by this he purchased at his own expense three stand-up collars to replace his former turndown ones. They were nearly three inches high, higher than those Pearce wore, and they made his neck quite sore, and left a red mark under his ears...So equipped, he found himself fit company even for this fashionable apprentice who had now succeeded Minton in his seniority.
Der abknöpfbare steife Kragen hieß im 19. Jahrhundert im Französischen ironisch carcans (Halseisen) oder parasite (weil man ihn für unterschiedliche Hemden verwenden konnte). Der Wortwitz machte aus dem parasite den patricide, und so haben wir im Deutschen dann den Vatermörder. Dieser steife Kragen hat sich für formelle Kleidung wie den Frack bis heute gehalten. Und von Zeit zu Zeit trägt unser ➱Karl Lagerfeld solche Kragen ja auch, aber es setzt sich als Mode nicht mehr richtig durch.
Unsere Hemden heute, bei denen Kragen und Hemd aus einem Stück sind, sind noch gar nicht so alt. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wird sich dieser Hemdentyp in Amerika finden. Die amerikanische Firma Cluett Peabody & Company in Troy (New York) wird diesen Siegeszug verantwortlich sein. Und natürlich die tolle Arrow Collar Man Werbung durch J.C. Leyendecker. Die kleine Stadt Troy am Hudson ist mit einer Vielzahl von Firmen, die Kragen und Hemden herstellen, das, was Leipzig mit Mey&Edlich für Deutschland ist. Irgendwann wird dieses amerikanische Troja den Namen Collar City bekommen.
Denn selbst junge Engländer können sich mit all that jazz, der jetzt von Amerika herüberkommt, nicht so recht anfreunden; das gilt für die formlosen, leicht effeminierten Jacketts ebenso wie für die Hemden. Und so bleibt der detachable collar ein Standardteil der Garderobe. Das hat auch simple ökonomische Gründe: es ist viel billiger, einen Kragen zu waschen (oder reinigen zu lassen) als ein ganzes Hemd. Der detachable collar, der für meinen Opa eine Selbstverständlichkeit war, ist nicht ganz tot. Der englische Politiker Enoch Powell, bei dem ich nie so recht weiß, ob man ihn bewundern oder hassen soll, machte im hohen Alter in einem Interview ein erstaunliches Geständnis. Er wusste überhaupt nicht, dass man Hemden kaufen konnte, die keinen abknöpfbaren Kragen hatten. Sein Schneider versorgte ihn immer nur mit Hemden mit detachable collars.
Es gibt heute noch Firmen in der Jermyn Street, die das anbieten. Für Frack und Cutaway bleibt er eine Selbstverständlichkeit für den konservativen Gentleman. Für andere, nicht so offizielle Hemden ist er das gewisse Extra für Young Fogeys, die Suzanne Lowrys Young Fogey Handbook auswendig gelernt und das Chap Magazine abonniert haben. Bei bestimmten Berufsgruppen hält sich der detachable collar hartnäckig. Zum Beispiel der dog collar (eine etwas informelle Bezeichnung) der Geistlichen. Die Firma Gieves (bevor sie die Firma Hawkes kaufte und Gieves and Hawkes war) hielt für englische Offiziere selbstverständlich detachable collars parat (bei Gieves and Hawkes Military sind die immer noch im Angebot). Während die regulation shirts der Army und der Royal Air Force für den einfachen Soldaten keine abknöpfbaren Kragen vorsahen (nach manchen Modehistorikern läutete das das Ende des detachable collar ein), bestanden die Gentlemen bei ihren Hemden weiterhin auf dem detachable collar. Die Firma Gieve kommt mit ihren Offiziershemden übrigens auch in dem Film The Man Who Never Was vor. Es gibt noch eine Berufsgruppe in England, die auf den detachable collar wohl nie verzichten wird: Die englischen Juristen, die eine Perücke tragen, haben im Gerichtssaal selbstverständlich einen Klappenkragen an ihr Hemd geknöpft. Wenn sie Old Bailey verlassen, haben sie den steifen Kragen natürlich für den Rest des Tages gegen einen weißen anknöpfbaren Umlegekragen getauscht.
Wir haben heute keine roten Streifen unter den Ohren wie der junge Kipps in H.H. Wells' Roman, der dabei ist, in der Gesellschaft aufzusteigen. Weil es diese Vatermörderkragen nicht mehr gibt, die three inches high sind (das ist im Jahre 1890 die große Mode, höher wird er nicht werden). Obgleich viele englische Oberhemden auch heute noch knallharte Kragen haben, und die englischen Hemdenmacher auch relativ hohe Kragen anbieten. Aber vielleicht kommt ja alles wieder, und Karl Lagerfelds verschmockte Kleidung ist wirklich einmal in seinem Leben die Avantgarde. So etwas kann in der Mode ja ganz schnell gehen, im gleichen Jahr, in dem sich in England die Men's Dress Reform Party gründet (die übrigens nach elf Jahren wieder einging), sang Otto Reuter in Berlin sein Ick kann det Tempo nich vertragen!
Die Mode heut' erhitzt mein Blut.
Man hat schon früher mal jetragen
ein' steifen Kragen und schlappen Hut -
doch bis ick dachte: "Schön, is jut,
trägst steifen Krag'n und schlappen Hut",
da trug'n die andern, mir zur Wut
ein' steifen Hut und schlappen Kragen!
Jetzt - wo man wieder tragen tut
n' schlappen Hut und steifen Kragen,
da find' ick endlich erst den Mut -
Statt'n steifen Krag'n und schlappen Hut
für'n schlappen Hut und steifen Krag'n -
nee, n' steifen Krag'n und schlappen Hut -
nee, 'n schlappen Krag'n und steifen Hut-
Ick kann det Tempo nich vertragen!
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