Dienstag, 25. September 2018
Lügenpresse
Nachdem der englische General Robert Napier die Bergfestung von Magdala erobert hatte, setzt eine beispiellose Plünderung ein. Gerhard Rohlfs, der als Beobachter bei den Truppen Napiers ist, hat das alles beschrieben. Er hat auch einem betrunkenen englischen Soldaten die goldene Kaiserkrone für zwei Buddeln Rum abgekauft. Er war sich nicht so sicher, ob dies wirklich die Krone des Kaisers Theodor von Abessinien war, schickt das Beutestück aber an den preußischen König. Der sie den Engländern zurückgibt. So korrekt sind die Deutschen. Das ist der Tenor eines Presseberichts über den Verbleib der Krone, mit dem ausländische Unterstellungen von Unterschlagung zurückgewiesen werden. Die vor allem aus Frankreich kommen. An dieser Stelle gebraucht die Zeitung das Wort Lügenpresse. Gemeint sind damit die Franzosen. Wir sind im Jahre 1868, und mich erstaunte dieser frühe Gebrauch des Wortes, das 2014 das Unwort des Jahres war.
Ich hatte nie über die Geschichte des heute inflationär gebrauchten Wortes nachgedacht, musste aber nach der Lektüre des recht guten Wikipedia Artikels feststellen, dass das Wort schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Gebrauch ist, und vor allem während der 1848er Revolution (als auch die Zensur aufgehoben wird) Konjunktur hat. Nun begann ich zu suchen: wann fängt das Ganze an? Ich fand in einem katholischen Blatt namens Herold des Glaubens aus dem Jahre 1839 den vielleicht frühesten Beleg, allerdings wird die Lügenpresse hier noch in Anführungszeichen gesetzt. 180 Jahre Lügenpresse, 180 Jahre Verteufelung des politischen Gegners. Wir lügen alle betitelte Margret Boveri ihr Buch über den Journalismus im Dritten Reich. Damals hatte das Wort Lügenpresse seine zweite Konjunktur, heute dank AfD und Pegida wieder. Wer heute Lügenpresse brüllt, hatte früher wahrscheinlich ein Abo des Neuen Deutschland. Die Verluderung der Sitten nimmt zu. Können wir stolz darauf sein?
Gerhard Rohlfs war sich 1868 darüber im klaren, dass er wohl nicht die echte goldene Krone an sich genommen hatte. Er spricht davon, dass die wirkliche goldene Königskrone, Säbel, Schwert von Sir Robert Napier fürs englische Gouvernement und mit vollstem Rechte in Beschlag genommen wurde. England hat eine Krone im 20. Jahrhundert Haile Selassie bei einem Staatsbesuch zurückgegeben. Allerdings nur eine silberne, die goldene ist weiterhin im Victoria und Albert Museum. Den Rest der Beutekunst von der Plünderung von Magdala hat man nicht zurückerstattet. Dafür kämpft heute die Organisation Afromet. Nichts auf der Welt kommt wirklich in Ordnung.
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