Freitag, 28. Januar 2011

Montaigne


Nur denen, welche den Montaigne gar nicht kennen, hat man es nötig zu sagen, wie viel kühnes und lesenswürdiges sie darinne finden können. Allein werden sie sich wohl durch die Aufschriften reizen lassen, wenn sie der Ruhm des Verfassers nicht reizen kann? Man kann nach dem strengsten Wortverstande behaupten, daß man nichts schönes von einem Franzosen gelesen hat, ohne den Montaigne gelesen zu haben; und es würde eine Schande für unsre Landsleute sein, wann sie den und jenen neuen Moralisten, der doch vielleicht nichts als ein Kopiste, oder wohl gar ein unverschämter Ausschreiber dieses ursprünglichen Schriftstellers war, mit Vergnügen gelesen und wohl gar bewundert haben sollten, und gegen den Vater derselben unempfindlich blieben. Kostet in den Vossischen Buchläden hier und in Potsdam 1 Rtlr. 8 Gr.

Schreibt Gotthold Ephraim Lessing. Die schöne Prachtausgabe der Essais von 1998, Sonderband in der Reihe Die andere Bibliothek, kostet heute nicht mehr einen Reichsthaler und acht Groschen sondern 77 Euro. Noch in diesem Jahr wird sie bei dtv als Taschenbuch erscheinen, kostet dann nur noch 29,90 Euro. Ihr Übersetzer Hans Stilett (Bild) hat ein erstaunliches Leben hinter sich. Nachdem er dreißig Jahre im Bundespresseamt tätig war, hat er zu studieren begonnen und wurde mit 67 Jahren mit einer Arbeit über das Reisetagebuch des Michel de Eyquem promoviert. Als er die komplette Neuübersetzung von Montaignes Essais vorlegte, war er 76 Jahre alt.

Lessing betont bei seiner Besprechung von Montaignes Essais, dass sie nach der neuesten Ausgabe des Herrn Peter Coste ins Deutsche übersetzt seien. Wobei er den Übersetzer Johann Daniel Tietz nicht erwähnt, der die gerade von dem in London lebenden Franzosen Pierre Coste herausgegeben Essais in nur einem Jahr ins Deutsche übertragen hatte. Diese Übersetzung hat sich über Jahrhunderte gehalten. Zweitausendeins hat sie gerade wieder neu herausgebracht, verschweigt aber im Katalog dezent, dass die Ausgabe aus dem Jahr 1753-54 stammt. Dafür kostet sie aber auch nur noch 9,99 €. Hans Stilett hat für seine Übersetzung etwas länger gebraucht als der fünfundzwanzigjährige Johann Daniel Tietz. Aber ich nehme an, dass sie auch Jahrhunderte halten wird.

Die Ausgabe, durch die Montaigne bei uns Deutschen bekannt wurde ist aber nicht die von Tietz sondern die von Johann Joachim Christoph Bode, dem Übersetzer von Sterne, Smollett und Goldsmith. Über die hat der Schweizer Historiker Herbert Lüthy im Nachwort zu seiner eigenen Übersetzung für den Manesse Verlag (1953) einige Nettigkeiten gesagt, die so bezaubernd sind, dass ich sie gerne hier abtippe: Die zweite, berühmte Übertragung von Johann Jakob Christoph Bode hat der direkten, knappen und bündigen Verdeutschung von Tietz wenig sachliche Verbesserungen, einige übersetzerische Goldfunde, manche ganze Abschnitte und Gedankengänge unkenntlich machende Mißverständnisse und vor allem so viel hausbackene teutsche Späßchen und Schörkel hinzugefügt, sie geht so aufs Ungefähr neben dem halbverstandenen Text her und macht ihn so duzbrüderlich zum biederen deutschen Aufklärer mit närrisch archaisierenden Zöpfchen, daß von Geist und Stil Montaignes wenig übrigeblieben ist.

Ich besitze die blaue Prachtausgabe auch. Weil ich sie von Heike und Friedhard geschenkt bekommen habe. Davor bin ich mit der alten Manesse Ausgabe durchs Leben gekommen. Man kann vielleicht auch ohne Montaigne durchs Leben kommen, aber was wäre das für ein Leben, wenn man ihn nicht gelesen hätte? Die Manesse Ausgabe habe ich seit dem März 1962, das Datum habe ich vorne ins Buch geschrieben. Mit echtem Gold, das war mir Montaigne wert. Das Gold stammte von einer kleinen Goldfolie, die die Degussa als Werbegeschenk weggab. Damit habe ich damals nur meine wichtigsten Bücher signiert. Die Prachtausgabe vom Eichborn Verlag braucht kein goldenes Datum, sie hat das Gold schon vorne auf dem Einband. Ist kein echtes Gold, sieht aber eindrucksvoll aus. Sie ist auch sehr schön gedruckt, die Seiten haben ein wunderbares Layout wie das bei den Büchern der anderen Bibliothek von Greno/Eichhorn üblich ist. Ein schönes Seitenlayout ist ja schon selten geworden, optische McDonalds Einheitsmenüs allenthalben. Aber diese Seiten sind wie das Essen in einem französischen Landgasthof, mit offenem vin de pays auf der Papiertischdecke, auf der die Kinder malen können. Die Manesse Ausgabe hat gegenüber Eichborns Prachtband allerdings einen Vorteil: man kann sie im Bett, in der Eisenbahn oder im Flugzeug lesen, weil sie so schön klein ist.

Im Vorwort zu seinem Buch wendet sich Montaigne (sicherlich ein klein wenig kokettierend) an den Leser: C'est icy un livre de bonne foy, lecteur. Il t'advertit dés l'entree, que je ne m'y suis proposé aucune fin, que domestique et privee : je n'y ay eu nulle consideration de ton service, ny de ma gloire : mes forces ne sont pas capables d'un tel dessein. Je l'ay voüé à la commodité particuliere de mes parens et amis : à ce que m'ayans perdu (ce qu'ils ont à faire bien tost) ils y puissent retrouver aucuns traicts de mes conditions et humeurs, et que par ce moyen ils nourrissent plus entiere et plus vifve, la connoissance qu'ils ont eu de moy. Si c'eust esté pour rechercher la faveur du monde, je me fusse paré de beautez empruntees. Je veux qu'on m'y voye en ma façon simple, naturelle et ordinaire, sans estude et artifice : car c'est moy que je peins. Mes defauts s'y liront au vif, mes imperfections et ma forme naïfve, autant que la reverence publique me l'a permis. Que si j'eusse esté parmy ces nations qu'on dit vivre encore souz la douce liberté des premieres loix de nature, je t'asseure que je m'y fusse tres-volontiers peint tout entier, Et tout nud. Ainsi, Lecteur, je suis moy-mesme la matiere de mon livre : ce n'est pas raison que tu employes ton loisir en un subject si frivole et si vain. Und mit A Dieu donq. De Montaigne, ce 12 de juin 1580 schliesst er diese Vorrede ab. Eigentlich hätte er nur einen Satz gebraucht, nämlich den, den sich Thomas Mann im Frühjahr 1904 in seinem Tagebuch notierte: J’ay faict ce que j’ay voulu: tout le monde me recognoist en mon Livre et mon Livre en moy.

Michel Eyquem wurde am 28. Februar im Jahre 1533 auf dem Schloss Montaigne geboren. montaigne ist eigentlich nur eine andere Schreibweise für montagne, aber irgendwie klang das de Montaigne für ihn wohl etwas vornehmer als der Familienname Eyquem. Im Kapitel Von der Eitelkeit sagt er Quel remede ? c'est le lieu de ma naissance, et de la plus part de mes ancestres : ils y ont mis leur affection et leur nom. Das stimmt nicht so ganz, dass all seine Vorfahren auf dem Schloss Montaigne geboren seien, sein Vater war der erste. Ein klein wenig eitel ist der Michel Eyquem doch. Das ist sehr beruhigend.

1 Kommentar:

  1. Ja aber auch sehr tröstlich. "Man kann vielleicht auch ohne Montaigne durchs Leben kommen, aber was wäre das für ein Leben, wenn man ihn nicht gelesen hätte?" Sehr richtig. Wurde gerade motiviert, eben die erwähnte Ausgabe erneut in die Hand zu nehmen und fühlte mich prompt, ja was? zu Hause, beruhigt, einverstanden, sicher... sehr am richtigen Fleck jedenfalls, danke für die Erinnerung.

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