Montag, 24. Januar 2011

Winston Churchill


Am 24. Januar des Jahres 1965 ist Winston Churchill gestorben. Auf den Tag genau siebzig Jahre nach seinem Vater. Er war wahrscheinlich der einflussreichste Politiker Englands im 20. Jahrhundert. Er war auch Träger des Literaturnobelpreises, sozusagen ein Kollege von Herta Müller. Ich kann mich an seinen Tod noch ganz genau erinnern, weil ich damals mit meinem Bataillon auf dem Truppenübungsplatz Bergen-Hohne war und am Sonntag nach seinem Tod an dem militärischen Festgottesdienst der englischen Garnison teilgenommen habe. Es war ein eindrucksvolles Erlebnis. Da ich das schon in meine immer wieder unterbrochenen Memoiren hineingeschrieben habe, stand ich vor der Frage: erzähle ich die Geschichte noch einmal oder kopiere ich es? Und da ich immer noch diesen grippigen Infekt habe, habe ich mich für das Leichtere von beiden entschieden. Habe aber den Text aus den Bremensien, der dort in einem größeren Zusammenhang mit Kriegsgräbern in Frankreich steht, etwas umgeschrieben. Was wäre ein Blogger, wenn er nicht schreiben dürfte?

Vier Wochen nach unserer Abfahrt aus dem französischen Zentralmassiv sind wir schon wieder im Manöver, diesmal in Bergen-Hohne (was etwas besser als Bergen-Belsen klingt). In La Courtine lag schon meterhoch Schnee, hier ist nur Schmuddelwetter. Bergen war der größte Truppenübungsplatz der Wehrmacht, dann übernahmen ihn die Engländer. Der englische Schauspieler Dirk Bogarde, damals Hauptmann im Nachrichtenkorps, war hier. Hatte das KZ in Belsen gesehen. Hatte mit seinen Offizierskameraden das Zelt angezündet, in dem am Vortag Montgomery die deutsche Kapitulation entgegengenommen hatte. Jetzt ist es der größte Truppenübungsplatz der NATO. Zwar ist er seit wenigen Jahren offiziell nicht mehr in englischer Hand, aber die Engländer haben immer noch das Sagen.

Ich werde als Verbindungsoffizier zu den Engländern abgestellt, da mein Kommandeur weiß, dass ich in wenigen Monaten Englisch studieren werde. Als ich mich dem Kommandeur der 11. Husaren vorstelle, schleppt der mich sofort in die Offiziersmesse, vor ein Ölgemälde der Schlacht von Waterloo. Er erklärt mir, dass dieser kaum zu erkennende Offizier, der die Hand an den Speichen des Rades einer Kanone hat, der UrUrUrGroßvater des Leutnants X. sei. In der Vorhalle sind die emblazoned battle honours, ich entdecke Somme 1916/1918 und Amiens. Ich erzähle ihm, dass ich da vor sechs Jahren mit meiner Jugendgruppe Gräber gepflegt habe. Er hört es sich mit einem really? höflich an, aber es interessiert ihn nicht wirklich. Gehören Gräber und Friedhöfe so zum Soldatenhandwerk, dass sie nicht weiter erwähnenswert sind? Dass mein Großvater und mein Vater Offiziere waren, das interessiert ihn. Tradition wird hier großgeschrieben, Klassenbewusstsein und Snobismus auch.

Was mir damals keiner sagt ist, dass dies ein Eliteregiment ist, das auf der englischen Snobismusskala ganz oben steht (hier Prince Michael of Kent in der Uniform des Regiments). Und George MacDonald Fraser hat seine Flashman Romane noch nicht geschrieben, sonst hätte ich gewusst, wo ich bin. Junge Leutnants haben kleine Perserbrücken als Fußmatten in ihrem Land Rover, auf solchen Snobismus muss man kommen.  Ein verkaterter Leutnant bringt frühmorgens schlingernd seinen MG Sportwagen (British Racing Green) auf dem Paradeplatz zum Stehen. Steigt aus, in unordentlichem Zivil unter seinem British Warm Coat und nimmt die Parade seiner Kompanie ab. So etwas könnte bei uns nie passieren. Ich wundere mich auch nicht über die Erzählungen, dass diese arroganten Hunde häufig im Schutz der Dunkelheit von ihren eigenen Soldaten verprügelt werden. Ich habe mit diesen subalterns, die nur auf ihre Public School und ihren Oberklassenakzent stolz sind, nichts gemeinsam. Einer von denen wird wenig später Anthony Beevor sein, der als Schüler von John Keegan noch als Militärhistoriker berühmt werden wird. Aber das weiß ich damals nicht. Ich nehme an, dass er das Niveau der subalterns gewaltig gehoben hat.

Mit ihren Captains und Colonels komme ich bestens aus. Ich gewinne neue Freunde, die auf lange Zeit Freunde bleiben werden. Major Harry H. wird nach seiner Pensionierung ein Hotel in Leeds aufmachen wird: Headingley, Jay, overlooking the cricket ground! Da passt es gut, dass die Krawatte des Regiments genau so aussieht wie die des MCC. Harry H. erzählt mir, dass alle englischen Offiziersfamilien Deutschland lieben. Sie sind schon überall auf der Welt gewesen, aber hier ist am besten. Armeeangehörige bekommen Rabatt beim Kauf eines Mercedes. Wenige Jahre später hätten sie auch gerne deutsche Nummernschilder an dem Benz. Weil die irischen Terroristen diese Army Auslandsnummernschilder so leicht erkennen können.

So sehr ihnen Deutschland gefällt, sie beklagen, dass sie kaum Kontakte zu deutschen Offizieren haben. Ich versuche das zu ändern und will meine Freunde in die englische Offiziersmesse mitnehmen. Sie weigern sich alle, Berührungsängste. Mangelhafte Sprachkenntnisse, sie können das englische Nato-Alphabet, können einfachen Funkverkehr auf Englisch, können Roger, over am Funkgerät sagen. Aber sie haben nicht wie ich seit sie sechzehn sind jeden Montag den Observer am Bahnhofskiosk gekauft. Und gelesen. Die Kompaniechefs beherrschen ihr militärisches Handwerk, und sie sind auch menschlich und charakterlich Vorbilder für die Soldaten, aber bei Fremdsprachen hört es auf. Da sind wir jungen Reserveoffiziere, die nur für einige Jahre als Zeitsoldaten in der Armee sind, ihnen überlegen. Als wir die drei Monate in Frankreich waren, waren wir die einzigen im Bataillon, die Französisch konnten. Das soll jetzt nicht herablassend klingen, die Berufssoldaten waren zum großen Teil aus einer anderen Generation, die hatten nicht unsere Bildungschancen gehabt. Ich will über mein altes Bataillon, das es ebenso wie die 11. Husaren nicht mehr gibt, kein einziges böses Wort sagen. Die Bundeswehr könnte sich glücklich schätzen, wenn sie heute noch ein solches Offizierscorps hätte, wie ich es erlebt habe.

Winston Churchill stirbt am 24. Januar. Wenige Tage später gibt es einen Gedenkgottesdienst, ich habe eine offizielle Einladung vom Colonel und nehme einen befreundeten Oberleutnant von den Panzeraufklärern mit. Die sind die Nachfahren der Kavallerie, ihr Offizierkorps ist damals zu achtzig Prozent adelig, der Oberleutnant ist es auch. Die können sich noch benehmen. Sie haben gelbe Kragenspiegel und tragen manchmal gelbe Seidenwesten unter der Uniform (was natürlich verboten ist). Ich versuche, meinen Kommandeur mitzuschleppen. Aber dieser Mann, den ich bewundere und der sonst vor nichts Angst hat und, kneift in dieser Stunde. Das deutsche Standortkommando schickt einen Oberfeldwebel als Repräsentanten. Es hätte sich gehört, einen General zu schicken. Wir haben in Deutschland wirklich keinen Stil. Der Oberleutnant aus dem hannöverschen Adel und ich sind die einzigen deutschen Offiziere an diesem Vormittag in der Kirche. 

Ich ärgere mich in diesem Augenblick, dass ich nur die zweite Garnitur auf den Truppenübungsplatz mitgenommen habe und meine neue elegante hellgraue Uniformjacke zu Hause gelassen habe. Gerade mal eine Spur im Hellgrau dunkler als die des Kommandeurs. Der mag das gar nicht, wenn seine jungen Leutnants hellere Uniformjacken haben als er. Die englischen Offiziere, die ich vom Truppenübungsplatz nur in den Nato-Tarnfarben kenne, sind heute nicht wiederzuerkennen. Sie tragen nicht den khakifarbenen Service Dress, eingeführt von General Wolseley, jenem Wolseley, den Gilbert und Sullivan in ihrer Oper The Pirates of Penzance so wunderbar karikiert haben.

Nein, dies ist die Full Dress Uniform, dunkelblaue und rote Jacken mit Orden, dunkle Hosen mit breiten roten Streifen. Die 11. Husaren tragen rote Hosen, sie sind die einzigen in der englischen Armee, die rote Hosen tragen. Jeder Offizier hat ein Stöckchen unter dem Arm, das muss offensichtlich sein, auch in der Kirche. General Gordon (of Khartoum) ist in China nur mit seinem swagger stick bewaffnet den Chinesen entgegenmarschiert. Vor der Kirche stehen zwei Panzer, frisch dunkelgrün angemalt, aus dem Ersten Weltkrieg, deren Einsatz Winston Churchill so energisch durchgesetzt hat. Es bleibt mir rätselhaft, wo man die in den letzten drei Tagen aufgetrieben hat. Die Feier ist eine Mischung aus anglikanischem High Church Gottesdienst (auch der Militärgeistliche trägt Orden an seinem Talar) und militärischem Zeremoniell, man weiß nie, wann man niederknien und wann man salutieren soll. Es fehlt jetzt nur noch ein Tattoo, so ein ganzes Musikcorps, und der Trommler mit Leopardenfell behängt. Aber es wird draußen nur einen Trompeter neben den Churchill Tanks geben, der einen retreat bläst.

Die 11. Husaren sind von der Welle der Auflösung und Zusammenlegung von Regimentern in der Zeit von 1958 bis 1961 verschont geblieben, der nächsten im Jahre 1969 werden sie nicht entgehen. Sie werden mit den Royal Hussars (Prince of Wales’s Own) zusammengelegt werden. Ihre Emblazoned Battle Honours dürfen sie behalten, denen kann man entnehmen, dass sie seit dem Siebenjährigen Krieg in jeder europäischen (plus Tobruk und El Alamein) Schlacht waren, inklusive der Charge of the Light Brigade bei Balaclava. Tennysons Gedicht über sie ist in jedem Schulbuch.

Sie heißen cherrypickers, weil sie von Napoleons Truppen in einem Garten bei San Martin de Trevejo beim Kirschenpflücken überrascht wurden und sich da wieder herausgehauen haben. Ihre roten Hosen haben aber nichts mit dem Kirschenpflücken zu tun, sagt mir der Colonel. Das sind die Farben von Albert von Coburg-Gotha, Victorias Prinzgemahl, dessen Husarenregiment sie seit 1840 sind. Ihr Motto ist deutsch: Treu und fest. Hier ist George VI als Colonel of the Bataillon zu sehen. Im Oktober 1968 (da weiß er schon, dass das Ende dieses Regiments bevorsteht) wird ihr Colonel Peter Hamer in dem Manöver Eternal Triangle in der Lüneburger Heide die Centurion-Panzer von zwei Schwadronen einen letzten Panzerangriff in geschlossener Formation fahren lassen. Sieht toll aus, ist aber völlig unsinnig. Schwanengesang. Wenn die Engländer untergehen, tun sie es mit Stil. Und auf Kosten der niedersächsischen Landwirtschaft. Unser Regierungsamtmann, der in diesem Manöver hinter der Truppe her fährt, um die Manöverschäden aufzunehmen, wird seine Freude daran gehabt haben.

Nach dem Trauerfeierlichkeiten in London ist Sir Winston Churchill auf Saint Martin’s Churchyard in Bladon zur letzten Ruhe gebettet worden. Unweit des prächtigen Schlosses, das nach einem kleinen bayrischen Kaff an der Donau namens Blindheim den Namen Blenheim hat. Weil die Engländer Blindheim nun mal nicht aussprechen können. Das war die Zeit, als John Churchill, der Herzog von Marlborough (über den Winston Churchill ein Buch geschrieben hat), Englands berühmtester General war. 

Als die Franzosen Marlbrough s'en va-t-en guerre, Ne sait quand reviendra sangen. Churchill ist im Schloss Blenheim geboren worden, die Geschichte, dass seine Mutter ihn in einer Tanzpause in der Damentoilette zur Welt gebracht hat ist ein klein wenig übertrieben. Siebzig Jahre vor seinem Tod schreibt der junge Winston Churchill an seine Mutter: I went this morning to Bladon to look at Papa's grave . . . . I was so struck by the sense of quietness and peace, as well as by the old-world air of the place that my sadness was not unmixed with solace. Er hat das Familiengrab immer wieder besucht und schon früh den Wunsch geäußert, dort auch begraben zu werden, the paths of glory lead but to the grave.

I stood beside the grave of him who blazed
The comet of a season, and I saw
The humblest of all sepulchres, and gazed
With not the less of sorrow and of awe
On that neglected turf and quiet stone,
With name no clearer than the names unknown,
Which lay unread around it; and asked
The Gardener of that ground, why it might be
That for this plant strangers his memory tasked
Through the thick deaths of half a century;
And thus he answered -"Well, I do not know
Why frequent travellers turn to pilgrims so;
He died before my day of sextonship,
And I had not the digging of this grave."
And is this all? I thought, -and do we rip
The veil of Immortality? and crave
I know not what of honour and of light
Through unborn ages, to endure this blight?
So soon, and so successless?

Das ist der Anfang eines Gedichtes, das Churchill's Grave heißt. Lord Byron schreibt hier aber nicht über den Herzog von Marlborough, sondern über seinen Dichterkollegen Charles Churchill. Dennoch haben diese Zeilen auch für Churchills Grab auf dem Friedhof von Bladon Bedeutung. Man hat die Grabstätte der Familie nicht pfleglich behandelt. 1998 hat man die schlichte und schöne Grabplatte durch eine kitschige monströse Platte ersetzt, die vielen ein Ärgernis ist. Wie auch die Pilgerschar der Besucher auf dem Friedhof. Irgendwie sind die da in Bladon ein wenig undankbar, denn ohne Churchill wären sie vielleicht nicht mehr auf der Landkarte.

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