Montag, 3. Januar 2011

Victor Borge


Den Namen Victor Borge hat er in Amerika angenommen, eigentlich hieß er Börge Rosenbaum und war ein Däne. Heute vor 102 Jahren in Kopenhagen geboren. Aber wenn man Rosenbaum heißt und es nicht lassen kann, im Konzertsaal Witze über die Nazis zu machen, dann kommt das bei den Besatzern im Jahre 1940 nicht so gut an. Nur Klavier zu spielen war ihm irgendwann zu langweilig, und deshalb erfand er diese unnachahmliche Kombination von einem Klaviervirtuosen und einem Komiker. Die ihm schöne Beinamen eintrug: The Clown Prince of Denmark oder The Unmelancholy Dane.

Aber bei aller Komik sollte man nicht vergessen, dass er auch ein hervorragenden Pianist war und sicherlich auch eine Karriere als seriöser Konzertpianist hätte machen können. Wenn da nicht die Lust am Witzeerzählen gewesen wäre. Als er in Amerika ankam, konnte er kein Wort Englisch, das musste er lernen - er lernte es im Kino - wenn er mit seiner Piano-Comedy Nummer weitermachen wollte. Dänische Witze verstehen die Amerikaner nicht so gut. Heute gibt es ja den Holländer Hans Liberg, der auch Witze am Piano macht. Aber der ist nichts gegen Victor Borge. Weil Borge auch jeden stand-up comedian an die Wand spielen konnte, wenn er nicht Klavier spielte. Liberg kommt in japanische Designerklamotten gehüllt auf die Bühne und spielt den Clown, die Witze sind voraussagbar. Victor Borge war der Gentleman, bei dem man nicht erwartete, dass er einen plötzlichen Rollenwechsel im Repertoire hatte.

Ich habe den Great Dane vor beinahe einem halben Jahrhundert bei dänischen Bekannten im Fernsehen gesehen. Natürlich schwarz-weiß, mehr gab es bei Danmark Radio noch nicht (in Deutschland auch nicht). Machte aber gar nichts. Ich war damals hin und weg von dem Mann. Hätte sofort eine DVD von ihm gekauft, aber so etwas gab es damals noch nicht (heute kann man ihn auf CD und DVD und im Internet hören und sehen). Ich habe ihn dann noch häufig im Radio gehört, und irgendwann tauchte er auch im deutschen Fernsehen auf. Besonders seine Nummer mit der Phonetic Punctuation war damals besonders beliebt. War das Äquivalent zu Jerry Lewis mit seiner Schreibmaschinennummer. Aber es gibt noch anderes und besseres als die Sache mit der phonetic punctuation. Wenn Sie Google mit Victor Borge füttern und dann auf Videos klicken, haben Sie bestimmt für die nächsten Stunden (oder Tage) Ihr Vergnügen.

Borge war ein eleganter Mann, und er hatte einen guten Schneider. Er war irgendwie dazu geboren seine Arbeitskleidung, den Frack oder das Dinner Jacket, richtig auszufüllen. Viele Musiker und Dirigenten sehen im Frack ja immer etwas seltsam aus, wahrscheinlich deshalb, weil er aus einem Kostümverleih kommt. Natürlich erlaubte er sich, dafür ist das show business ja da, kleine sartoriale Freiheiten, wie auf diesem Photo zu sehen ist. Die chamoisfarbene Frackweste (mit gleichfarbigem Einstecktuch) wäre nichts für Puristen. Passt aber farblich zum Dannebrog Orden.

Der 3. Januar ist der Todestag von Baldassare Galuppi, einem der wichtigsten italienischen Opernkomponisten des achtzehnten Jahrhunderts. Der hat auch Klaviersonaten geschrieben, die von Pianisten nicht so häufig gespielt werden wie die von Mozart, Haydn, Beethoven oder Schubert. Aber ein italienischer Pianist hat eine Galuppi Sonate nie ausgelassen. Und das ist ➱Arturo Benedetti Michelangeli, von seinen Verehrern nur ABM genannt (obgleich diese Abkürzung heute eine andere Bedeutung evoziert). Arturo Benedetti Michelangeli war ebenso wie Borge ein eleganter Mann, geradezu ein Dandy. Er liebte auch schnelle italienische Sportwagen, und es ranken sich tausende von Geschichten um ihn. Von denen wohl nicht alle wahr sind.

Wenn er nicht mit seinem eigenen Klavier rund um die Welt gereist wäre, hätte ihn Italien auch als Botschafter italienischer Eleganz um die Welt schicken können. Beachten Sie doch einmal bei dieser Aufnahme mit abgeschaltetem Ton, wie sein Frack sitzt. Und wie ökonomisch er mit seinen Escarpins das Pedal einsetzt. ABM galt als einer der grössten Perfektionisten, und das ist er auch in seiner Kleidung. Nun kann es natürlich völlig gleichgültig sein, wie ein Pianist spielt - wenn er brillant ist, kann er meinetwegen wie Struwelpeter auf die Bühne kommen. Aber nicht erst seit Mozarts rotem Frack gehört Eleganz mit zu dem show business, das sich im Konzertsaal abspielt. Und da muss man doch leider in den letzten Jahrzehnten einen Verfall der Kleidungskultur beklagen (das konnte man bei allen Weihnachtskonzerten wieder im Fernsehen sehen). Wenn man bedenkt, wie viel Geld heute für Solisten und Dirigenten bezahlt wird, müsste bei denen doch etwas für einen guten Schneider übrig bleiben. Da braucht das Teil nicht unbedingt von Wilvorst zu sein. Zumal sie das ja als Berufskleidung von der Steuer absetzen können.

Das einzige Mal, das ich ABM gesehen hatte, trug er keinen Frack, sondern einen dunklen Anzug und einen schwarzen dünnen Rollkragenpullover. Rollkragenpullover hat er sein Leben lang geliebt, man kann es auf vielen Photos sehen, aber im Konzertsaal hatte er sie nicht getragen. Aber jetzt im Jahre 1989 war alles anders. Im Jahr zuvor war er in Frankreich auf der Bühne zusammengebrochen, die Konzerte in Bremen, Kiel und Hamburg sind für ihn so etwas wie ein neuer Lebensabschnitt. Dieses neue Leben wird begleitet von dem Pianisten und Dirigenten Cord Garben, der über seine Zeit mit ABM auch ein Buch geschrieben hat. Es gibt wenige Bücher über Arturo Benedetti Michelangeli. Ganz wenige. Wenn man einmal an Glenn Gould denkt, über den gibt es viele Bücher. Auch sehr gute Bücher. Arturo Benedetti Michelangeli: Gratwanderungen mit einem Genie ist aus verschmähter Liebe geschrieben, weil der enigmatische Pianist irgendwann mit dem Autor gebrochen hatte, und der Schmäh scheint leider zu sehr in dem Buch durch. Vielleicht ist es immer noch besser als wenn es eine Hagiographie geworden wäre. Natürlich ist Klatsch und Tratsch immer schön. Am besten hat mir in dem Buch die Anekdote gefallen, wo Justus Frantz, der sich selbst mal als einen der besten Pianisten der Welt bezeichnet hat, vergeblich versucht hat, zu dem Meister vorzudringen. Ich sage jetzt nix mehr über Justus Frantz, weil Volkers Bruder mit ihm zur Schule gegangen ist, und wir uns schon mal über den künstlerischen Status seines Klassenkameraden heftig gestritten haben.

Die Galuppi Klaviersonate hat ABM an dem Abend, als ich ihn sah, nicht gespielt. Da spielte er nur Mozart. Sie ist aber hier zu hören oder auf dieser DVD zu sehen. Die Aufnahme im Internet hat ein Hörer so kommentiert: La version définitive d'un pure chef d'oeuvre. Galuppi évoque à la fois Scarlatti et Mozart avec une pointe de Haydn. Das ist sehr schön gesagt. Die Sonate C-Dur vertreibt auch böse Geister. whenever it is a damp, drizzly November in my soul (wie Melvilles Ishmael sagt), sollte man diese CD auflegen. Denn dann tritt das ein, was Wordsworth in seinem Gedicht über die daffodils so schön gedichtet hat: And then my heart with pleasure fills, And dances with the daffodils.

Alle neunzig Klaviersonaten von Galuppi sind von Peter Seivewright aufgenommen worden. Wem das zu viel ist, der ist der der Aufnahme von Wolfgang Glemser von sechs Sonaten sicher gut bedient.

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