Samstag, 1. Januar 2011

Stil


Vor einigen Jahren half ich auf einem Parkplatz in einer norddeutschen Großstadt einer mir unbekannten Dame der besseren Gesellschaft, mehrere Gepäckstücke in ihren Daimler zu wuchten, man hat ja diese gute Erziehung zum Ritterlichen. Die Dame bestand darauf, mir zum Dank meinen Parkschein zu bezahlen und sagte dann plötzlich im Gespräch: Sie sind nicht von hier. Ich war ein wenig verblüfft und sagte ihr, dass ich aus Bremen komme. Sie sind auch nicht aus Bremen, Sie kommen woanders her, ich höre das an ihrer Sprache. Nun war ich völlig erstaunt, auch ein wenig verärgert, dass man meine bremische Herkunft anzweifelte (denn das ist ja irgendwie das Schlimmste, das man einem Bremer antun kann). Aber vielleicht war hier jemand, der wie Professor Henry Sweet (den Shaw in Pygmalion als Henry Higgins verewigen sollte) die Gabe hatte, jemandem auf den Kilometer genau zu sagen, woher er kam. Ostercappeln, sagte die Dame. Das erstaunte mich, ich bot der Dame ein halbes Dutzend Ortsnamen zwischen Preußisch Oldendorf und Bad Rothenfelde an, wo Verwandte aus den Familien meiner Großeltern wohnten. Ich sehe, wir verstehen uns, sagte die Dame, man kann seiner Herkunft nicht entkommen. Ich denke noch immer leicht amüsiert an dieses Erlebnis, offensichtlich gibt es in meinem Akzent, der je nach Stimmungslage sehr, sehr bremisch sein kann, noch sprachliche Reste aus der Kindheit, als wir aus dem zerbombten Bremen zu den Verwandten längs des Wiehengebirges geflohen waren.

Der Autor von Wir alle spielen Theater hat uns versichert, dass wir alle verschiedene Rollenrepertoires beherrschen. Und meistens kommen mit diesen Repertoires auch noch verschiedene Akzente. Ich kann neben meinem steifen (mit betontem -st) Bremisch noch mit einem anderen deutschen Akzent aufwarten. Irgendjemand auf der Hardthöhe hatte in den Anfangstagen der Bundeswehr die Idee, die Division, in der ich war, zur Hälfte aus quirligen Rheinländern und zur anderen Hälfte aus sturen Norddeutschen zusammenzusetzen. Man war in Bonn davon überzeugt, dass das eine gute Mischung sei. Und ich hatte noch einige Jahren Schwierigkeiten, meinen Jürgen von Manger Akzent wieder loszuwerden.

Färbt unser Sprechstil auf das Schreiben ab? Manchmal, eher häufig, spreche ich wie Jan Fedder oder Tim Mälzer (die ich auch in ihrem Sprechen uneingeschränkt bewundere) -  aber schreibe ich auch so? In den Weihnachtstagen schickte mir ein Freund diese Adresse. Da kann man bei der FAZ seinen Stil testen lassen, kriegt dafür sogar ein Zertifikat: Ich schreibe wie XYZ. Ich habe aus meinem Blog etwas kopiert und erfuhr, dass ich wie Friederike Mayröcker schreibe. Nahm einen anderen Text - und davon gibt es ja bei mir im Blog genug - und da schrieb ich wie Melinda Nadj Abonji. Musste erst nachgucken, wer das überhaupt war, aber dann fiel mir ein, dass ich sie einmal auf 3sat gesehen hatte. Dritter Versuch. Diesmal war ich Kurt Tucholsky. Dagegen ist nichts zu sagen. Und als ich eben den Anfang dieses Textes eingab, schrieb ich laut FAZ Stiltest wie Theodor Fontane. Das gefällt mir.

Ich nehme ja auch jeden Namen, solange mir dieser Test auf wissenschaftlicher Basis nicht erzählt, ich schriebe wie Renate Meinhof von der Süddeutschen. Ich würde gerne wie Simon Schama schreiben, und ich muss natürlich zugeben, dass mehr als fünfzig Jahre regelmäßiger Lektüre von Observer oder Sunday Times irgendwo Spuren hinterlassen. Ich bewundere Tom Wolfe, aber es hätte keinen Sinn, ihn nachahmen zu wollen. Ich finde es sehr gut, wie Günter de Bruyn schreibt - aber damit sind wir letztlich wieder bei Fontane, denn er wird im Alter Fontane im Stil immer ähnlicher.

Ich habe eben noch drei verschiedene Texte aus diesem Blog in den wissenschaftlichen FAZ Stiltester eingegeben und erfahren, ich schreibe wie 1) Heinrich Heine 2) Friedrich Nietzsche 3) Thomas Bernhard. Ja, ich bin schon ein Chamäleon. Und dann habe ich den wirklich echten Test gemacht, ich habe einen Text von Heine genommen. Und wie schreibt er? Darauf kommen Sie nie. Heinrich Heine schreibt wie Friedrich Nietzsche. Ich glaube, das wäre Harry jetzt peinlich. Und dann ritt mich der Teufel, und ich tippte einen Text von Brigitte Kronauer in das Eingabefeld. Und erfuhr, dass sie wie Georg Klein schreibt. Ich weiß zwar nicht, wer das ist, aber es ist bestimmt komisch.

Erfunden hat das Ganze ein siebenundzwanzigjähriger Russe aus Montenegro namens Dmitry Chestnykh. Zuerst gab es das nur auf Englisch. Die Seite wurde über Nacht Kult, und viele machten damit die seltsamsten Erlebnisse: I entered a passage from the NIV translation of the Bible and got Kurt Vonnegut. Holy Cat's Cradle! Und die kanadische Schrifstellerin Margaret Atwood, die ich einmal getroffen habe und von der ich ein schönes Photo gemacht habe, bekannte auf Twitter: According to the I Write Like analysis, I write like... Ta da! Stephen King! Who knew? Ich habe eben bei der absolut sicheren und unbestechlichen Messmethode einen Text von Stephen King eingegeben. Und siehe da, er schreibt nicht wie Margaret Atwood, er schreibt wie Artur Schnitzler. Also ich habe das Spiel ein Stündchen lang mit deutschen und englischen Texten getrieben. Nie identifizierte das Stilerkennungsprogramm den Autor. Außer in einem Fall. Als ich eine im Internet zugängliche Leseprobe von Tellkamps Der Turm eingab, sagte das Programm: Sie schreiben wie Uwe Tellkamp.

Die Lehre für mich aus diesem elektronischen Trivial Pursuit war: ich schreibe weiter wie bisher. Auch wenn ich in diesem neuen Jahr etwas langsamer schreiben werde. Vielleicht nicht mehr jeden Tag, wie manche Leser es jetzt schon gewohnt sind. Vielleicht manchmal etwas anspruchsvoller im Stil, um gleich in den ersten Zeilen dieser Niederschrift zu beweisen oder darzutun, daß ich noch zu den Gebildeten mich zählen darf. Nach dem Stiltester der FAZ ist das von Theodor Fontane, haarscharf daneben, aber auch vorbei. Wir wissen natürlich, dass es der erste Satz des wunderbaren Romans Stopfkuchen von Wilhelm Raabe ist.

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