Dienstag, 19. Mai 2020

Michel Piccoli ✝


Weshalb er in The Lines of Wellington mitgespielt hat, weiß ich nicht. Wahrscheinlich wollte er Catherine Deneuve Gesellschaft leisten, die sich auch in diesen Zelluloidschrott verirrt hatte. Aber vielleicht hat ihn das auch gereizt, er liebt ja kleine Rollen in Filmen zu spielen. Wie in Hitchcocks Topaz, wo er als Doppelagent agiert. Zugegeben, der Filmtod von Karin Dor (lesen Sie hier mehr) ist gut gemacht. Ist aber nichts gegen die Szene, in der es Piccoli klar ist, dass er enttarnt worden ist. Er verlässt den Saal, geht still nach Hause und bringt sich um. Topaz ist einer der schlechtesten Filme von Hitchcock, oder wie der Telegraph schrieb:

This really is the low point, without even star value to get us through a limply tortuous plot: it's about the uncovering of a Soviet spy in General de Gaulle's retinue. Save for a single overhead view of Karin Dor being shot, her purple dress spilling out in a lifeless pool beneath her, all imagination was absent, and the ending had to be recut in total desperation, without a shred of suitable footage to imply Michel Piccoli's suicide. Hitchcock blew this one, and knew it. Truffaut Fans gucken sich diesen Film natürlich nur wegen Claude Jade an.

Michel Piccoli war elf Jahre mit Juliette Gréco verheiratet (aus der ersten Ehe mit Éléonore Hirt hat er eine Tochter), jetzt ist er seit fünfunddreißig Jahren mit Ludivine Clerc verheiratet. Die der Wikipedia Artikel als Großgrundbesitzerin bezeichnet. Das mag sie auch sein, aber sie ist auch Drehbuchautorin und Schauspielerin, das sollte man nicht unterschlagen.

Er war immer mit schönen Frauen zu sehen, er hat gerne mit Romy Schneider zusammen gespielt, wie in Die Dinge des LebensDas Mädchen und der Kommissar oder hier in Trio infernal (und noch in anderen Filmen). Ich fand Sautets Melodram Die Dinge des Lebens damals ziemlich kitschig (finde ich wahrscheinlich heute noch). Es war für mich auch eine Enttäuschung, weil Sautet wenige Jahre zuvor einen klassischen Gangsterfilm wie Der Panther wird gehetzt mit Lino Ventura gedreht hatte (zu Lino Ventura gibt es hier einen Post). Aber Piccoli mochte Sautet und drehte viele Filme mit ihm.

Sautets Film Les choses de la vie mochte ich allerdings, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass Lea Massari da mitspielte. Von diesem Film hat es mal ein amerikanisches Re-Make gegeben, wo Richard Gere die Rolle von Michel Piccoli spielt. Gere kann man vergessen, aber die rothaarige Lolita Davidovich war auch in dem Film, und die vergisst man natürlich nicht. Piccoli war am Anfang seiner Karriere mit Bunuel berühmt geworden, und Bunuel ist eine ganz andere Sache als Sautet mit seinen love stories. Aber die Franzosen lieben das Erzählkino mit seinen Geschichten.

In Claude Lelouchs Komödie ✺Männer und Frauen, eine Gebrauchsanleitung bringt eine Figur den schönen Satz: der amerikanische Film erzählt eine kleine Geschichte mit riesigen Mitteln, der französische Film erzählt eine riesige Geschichte mit kleinen Mitteln. Und das wird er immer wieder tun. Schauen Sie doch einmal in diesen ✺Trailer von Männer und Frauen, eine Gebrauchsanleitung (oder klicken Sie oben den ganzen Film an), dann wissen Sie, weshalb die Franzosen diese Sorte Film immer wieder drehen werden. Truffaut hatte schon recht: Le cinéma c'est de l'art de faire faire de jolies choses à de jolies femmes.

Wenn Piccoli bei Sautet auch gradlinige Charaktere spielt, ist er doch in vielen anderen Filmen immer ein wenig zwielichtig. So wie hier in Belle de Jour: äußerlich der korrekte Bourgeois, aber doch geheimnisvoll, hintergründig. Er hat einmal gesagt, er würde gerne so spielen wie Munch malte. Er liebt es, seine Rollen mit ein wenig Theorie zu untermauern, er hat in Interviews viel über seine Rollen und seine Filme gesagt. Sie können auf dieser Seite der Cahiers du Cinéma ein langes Interview mit ihm lesen [ist leider verschwunden].

In Godards Le Mépris (Die Verachtung) hatte er seine erste Hauptrolle. Wir sehen ihn hier nackt mit Hut in der Badewanne, Brigitte Bardot (die seine Ehefrau spielt) trägt eine Perücke. Er spielt einen Drehbuchautor in der Krise, so wie Godard in den sechziger Jahren ständig in einer Krise zu sein scheint. Ich habe an meinen Figuren oft bemerkt, dass ich eigentlich den Regisseur spiele. Die Regisseure delegieren ihr Geheimnis an mich, hat er einmal gesagt. Für Le Mépris gilt das auf jeden Fall.

Truffaut hatte keine großen Aversionen gegen Hollywood. Dort hat er 1962 Hitchcock interviewt, woraus dann sein großartiges Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? entstand ist. Und er flog nach Hollywood, um in Close Encounters of the Third Kind mitzuspielen. Godard dagegen weigerte sich vor fünf Jahren, den Ehrenoscar in Hollywood anzunehmen. Auf die Frage Why don’t you attend the award ceremony? antwortete er: I don’t have a visa for the US and I don’t want to apply for one. And I don’t want to fly for that long. Mit Michel Piccoli (hier mit Emmanuelle Béart in Die schöne Querulantin) hätte Hollywood nichts anfangen können. Topaz bleibt sein einziger Hollywoodfilm.

Mein Lieblingsfilm mit Piccoli, da brauche ich nicht lange nachzudenken, ist Eine Komödie im Mai (Milou en Mai). Ich glaube, es ist auch die einzige DVD mit ihm, die ich habe. Stimmt nicht ganz, da er mit einer Nebenrolle in Der Teufel mit der weißen Weste (Le Doulos) von Jean Pierre Melville auftaucht, und diesen Regisseur habe ich komplett. Louis Malles Film Eine Komödie im Mai hat hier schon einen Post, der Mai-Unruhen heißt.

Der französische Schauspieler Jacques Daniel Michel Piccoli ist am 12. Mai in seinem Haus in der Normandie gestorben. Diesen Text habe ich vor fünf Jahren zu seinem neunzigsten Geburtstag geschrieben, ich stelle ihn hier noch einmal ein. Diesmal mit Links zu allen Filmen.


Und falls Sie noch mehr französischen Film haben wollen, könnten Sie ja einmal hier hineinschauen: Que reste-t-il de nos amoursLes films de ma vieExisMa Nuit Chez Maud, La vie de chateau, Spielregeln, Sabbelkino, Waltz into Darkness, Liaisons Dangereuses, Mai-Unruhen, Fahrstuhl zum Schafott, Aimez-vous Brahms?, Lastkraftwagen, where life and movies overlap, Menschen am Sonntag, Piloten, Cyrano mit Mac, Ertrinken verbotenJeanne Moreau, Catherine Deneuve, Et Dieu… créa la femme, Fanny Ardant, Mireille Dark, Arletty, Jacqueline Bisset, Hundert, Angie Dickinson, Uschi Glas, ResteYves Montand, Jean Gabin, Lino Ventura, Jean Desailly, Jean-Louis Trintignant, Michel Piccoli, Alain Delon, Le grand blond, Steve Cochran, Gregor von Rezzori, FernandelFrançois Truffaut, Claude Lelouch, Henri Langlois, Alain Resnais, Bourgeoisie, Roman Polanski, Bertrand Tavernier, Ray Bradbury, Jacques Tourneur, Robbe-GrilletMichel Legrand, Mundharmonika, Mademoiselle chante le blues, temps perdu, Bonnie und Clyde, Fantasy, Kulturwandel, JugendkulturParisParis, Sommer 1959, Two-Lane Blacktop, Cyrano mit MacKatharine Ross, Le grand blondeBlazerBorsalino

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