Dienstag, 26. Dezember 2017

Borsalino


Was wäre der Film Der eiskalte Engel ohne diesen Hut? Es ist natürlich ein Borsalino. Alain Delon hatte solch einen Hut schon in dem Film Borsalino & Co getragen, der eine schöne Werbung für die italienische Hutfabrik bedeutete. Vielleicht sollte man ein Remake von diesem Film drehen, um ein wenig Werbung für Borsalino zu machen, denn die Firma steht vor dem Aus. Dabei läuft die Nachfrage nach den ➱Luxusfilzhüten angeblich gut.

Schuld an der Pleite ist ein gewisser Dr Marco Marenco, zu dessen Firmengefüge Borsalino gehörte. Marco Marenco ist ein kleiner Mann, aber auch kleine Männer können großes Unheil bewirken. Marenco, der schon seine Finger in dem Parmalat Skandal hatte, ist nicht mehr auf der Flucht, vor zwei Jahren hat ihn die Schweiz an Italien ausgeliefert. Eigentlich hat Herr Marenco mit Gas und Strom zu tun, die Aktienmehrheit bei Borsalino hatte er sich nur aus Spaß gekauft. Jetzt hat er 3,5 Milliarden Euro Schulden, und die Insolvenzverwalter werden sagen, wie es mit Borsalino weitergeht.

Giuseppe Borsalino (Bild) hatte das Unternehmen 1857 gegründet. Zuerst war es nur eine kleine Werkstatt, aber die Firma wuchs und wuchs. Seinen Sohn Teresio schickt Giuseppe in die Schweiz, nach Belgien, Deutschland und England, damit er Sprachen lernte. Teresio macht eine Lehre in der Fabrik seines Vaters und arbeitet danach als einfacher Hutmacher in einer deutschen Hutfabrik. Als er die väterliche Firma übernimmt, modernisiert er sie. Und er steckt die Gewinne wieder in die Firma; Teresio, der nebenbei Politiker ist, ist nicht von Banken abhängig. Das ist anders als bei Boss, wo die italienischen Eigner der Firma immer nur Kapital entziehen.

Teresio Borsalinos Geschichte ist eine success story, die nichts mit der kläglichen Geschichte der Firma heute zu tun hat. Die Firma beschäftigt um 1900 (als Giuseppe stirbt) zwischen 1.800 und 2.000 Hutmacher und stellt 1909 1.650.000 Hüte her, 1913 sind es schon zwei Millionen. Mehr als die Hälfte davon geht in den Export. Viel geht nach Amerika. Auch Al Capone trug Borsalino.

Und alle Gangster in Gangsterfilmen auch. Ein Borsalino gehört zum Gangster wie ein Citroen Traction Avant. Wir reden hier nicht von der Wirklichkeit, wir reden von filmischen Symbolen. Der Senator Borsalino wird einige Jahre die Präsidentschaft der faschistischen Industriellenvereinigung innehaben, aber die Faschisten betrachten ihn mit Argwohn. Er sie auch. Er ist jemand, der ein klein wenig angloman ist, und der seinen Arbeitern von der Krankenversicherung bis zur Pension alles zukommen lässt. Dazu kommen Krankenhäuser in Allessandria und zahlreiche Stiftungen. In all dem ähnelt Teresio Borsalino dem Engländer Sir Titus Salt und dem Grafen ➱Ermenegildo Zegna. Niemand von der Familie der Borsalinos ähnelt dem Dottore Marco Marenco. Vielleicht war es ein Fehler, dass die Familie die Firma nach 150 Jahren verkauft hat.

Giuseppe Borsalino hatte in jungen Jahren die berühmte Hutfabrik Battersby in England besucht. Hatte in unbeobachteten Augenblicken Taschentücher in alle herumstehenden Gefäße getaucht, damit seine Chemiker zu Hause herausfinden konnten, was das Geheimnis der Battersby Hüte ausmachte. Das Wort Industriespionage ist noch nicht erfunden. Man ahnt ja heute gar nicht mehr, was da alles an Quecksilber, Teer und Schellack auf das Kaninchenfell kommt. 1888 wird Giuseppe Borsalino Maschinen aus England für die Hutproduktion importieren, er ist der erste in Italien, der das macht. 1894 hat Borsalino seinen Freund, den Bergsteiger Matthias Zurbriggen, nach Neuseeland begleitet. Während der neuseeländische Berge bestieg, sicherte sich Borsalino langfristige Verträge mit neuseeländischen Kaninchenzüchtern.

Borsalino hat die Weltwirtschaftskrise überlebt, aber die Zahlen von 1913 nicht mehr erreicht. In den letzten Jahren war es still geworden um die Firma, angeblich liebäugelten ➱Louis Vuitton und Dolce & Gabbana mit einem Kauf der Firma. Die Konkurenten, die Borsalino einmal hatte, wie Vanzina und Panizza, scheinen verschwunden oder konzentrieren sich auf Damenhüte. Denn Damen tragen noch Hut, Männer nicht mehr. Herren schon, aber die sind selten geworden. Es ist, wie manche Journalisten schreiben, der Untergang der Hutkultur.

Mein Vater trug in den 50er Jahren zu feierlichen Anlässen und zu Beerdigungen einen schwarzen Zylinder. Das war damals durchaus üblich, wie man auf diesem Photo von einer Hochzeit in Süddeutschland in den 50er Jahren sehen kann. Der Mann mit dem grauen Hut da hinten hat natürlich überhaupt keinen Stil. Aber immerhin einen Hut auf dem Kopf.

Als die ➱Zylinder langsam ausstarben, setzte mein Vater einen schwarzen Homburg auf, so einen, wie ihn Adenauer hier trägt. Wenn mein Vater zum Markt ging (das nahm er meiner Mutter gerne ab, weil er dann mit den Bauern Platt schnacken konnte), trug er eine Kapitänsmütze mit einem Vegesacker Wappen vorne drauf. Die trug jeder im Ort, beinahe alle kauften die bei Schiphorst bei uns um die Ecke. Mein Vater auch. Er trug seine Kapitänsmütze aber nur in Vegesack, in Bremen oder anderswo hätte er die nicht aufgesetzt.

Da war er ganz anders als Helmut Schmidt, der seine Elblotsenmütze bei jeder passenden und vor allem unpassenden Gelegenheit trug. Schmidt kaufte seine Mützen beim Mützenmacher Eisenberg. ➱Lars Küntzel, dem der Laden heute gehört, hat immer die Modelle Prinz-Heinrich, Altona, Kiel, Elbsegler und Lotsenmütze im Programm. Er ist der letzte Mützenmacher in Hamburg, dieser Berufsstand scheint auszusterben. Ernst Fricke, bei dem mein Vater seine Hüte kaufte, den gibt es auch nicht mehr. Fricke hatte sein Geschäft in der Sögestrasse Nummer 27, vier Häuser rechts von ➱Stiesing. Herr Fricke hielt nichts von den Italienern, er kaufte seine Hüte in London und Paris ein.

Ich habe vor Jahren hier schon einmal über ➱Hüte geschrieben. Und den Post jugendlich forsch mit diesem Absatz beendet: Ich habe beschlossen - einer der vielen guten Vorsätze für das neue Jahr - irgendwann an dieser Stelle noch mehr über Hüte zu schreiben, über Trilbys, Porkpies, Homburgs und Bowler. Vielleicht gibt es dann wieder eine Hutkultur. Und wenn wir eine Hutkultur haben, kriegen wir vielleicht auch wieder einmal eine richtige Kultur. Ach, wäre das schön. Aus den vielen Posts zu Hüten ist leider bisher nichts geworden, aber vielleicht kommt das noch. Ich stelle heute noch einmal den Post über die Hüte, leicht überarbeitet, hier ein.

Ich wusste noch nichts vom Untergang des Hauses Borsalino, aber ich hatte die ganze Woche einen Borsalino auf dem Kopf. Ich habe bestimmt ein halbes Dutzend, habe auch einen Homburg, aber die schlappen Hüte sind mir lieber. Die Firma war ja immer für ihre weichen Hüte berühmt. Und dafür, dass der Schriftzug mit 24-karätigem Gold ins Etikett gestanzt wird. Wo ist sie hin, die Hutkultur?

Vor einem halben Jahrhundert betrat der Mann von Welt niemals die Straße, wenn er nicht einen Hut auf dem Kopf hatte. Und Handschuhe trug. Das gehörte einfach dazu. Arbeiter trugen Mützen, Herren trugen Hüte. Heute tragen selbst Rentner, die sich eigentlich gut kleiden könnten, Basecaps. Wollen Sie irgendwelche New Yorker Rapper imitieren? Wirkt ja nur peinlich. Der Hutindustrie, wenn man von einer Industrie überhaupt noch reden kann, geht es schlecht. Was ist aus Vanzina geworden? Panizza scheint nur noch als Hutmuseum zu existieren, scheint aber nach dieser Seite wieder zu leben.

Christys stand vor wenigen Jahren vor dem Ruin, wurde aber gerettet. Lock & Co gibt es glücklicherweise noch immer, seit dreihundert Jahren im Familienbesitz. Na ja, nicht ganz, seit 1996 gehören sie zu ➱Swaine Adeney Brigg. Ich weiß noch, als der Laden von Ernst Fricke in der Sögestraße in Bremen schloss, weil der Inhaber verstorben war. Und er war ein so feiner Herr, schluchzte die Verkäuferin, und er ist zweimal im Jahr nach London gefahren, um Hüte zu bestellen. Dafür trugen die Hüte, die er bei Lock & Co geordert hatte, auch seinen Namen neben dem Firmenwapperl im Futter. Dass die Hüte aus England kamen, darauf legte man im anglophilen Bremen viel Wert. Aber die feinen Herren, die Hüte aus London tragen, sind eine bedrohte Spezies geworden.

Kennedy ist schuld, sagen manche ➱Modehistoriker. Weil er Hüte gehasst hat. Das stimmt nicht so ganz, zu seiner Amtseinführung hat er einen Zylinder getragen, wie die Präsidenten vor ihm. Es war schweinekalt an dem 20. Januar 1961 als der Dichter Robert Frost sein Gedicht ➱The Gift Outright vorlas. Und von der Sonne geblendet und Tränen in den Augen vom kalten Wind, mittendrin stockte. Kriegt er es zu Ende? fragten sich die Zuschauer. Er kriegte.

Seit dem Tag gehören amerikanische Dichter schon beinahe zur Amtseinführung eines Präsidenten (Maya Angelou, Miller Williams, Elizabeth Alexander), Hüte nicht mehr. Das war der neue Kennedy Stil, der die Dichtung mit der Politik vermengte. Kennedy hat allerdings manchmal Hüte getragen, es gibt Photos davon. Aber die Kennedy Jahre markieren modehistorisch doch schon einen Einschnitt (nicht nur wegen des Zweiknopf Einreihers, den Kennedy bevorzugte), der Hut verschwindet langsam aus der Öffentlichkeit. Dabei ist die Öffentlichkeit der Ort, wohin der Hut gehört. Man trägt ihn nicht drinnen.

Außer man heißt Indiana Jones oder Crocodile Dundee. Indiana Jones trägt hier übrigens keinen Borsalino, wie man es letztens in jedem Artikel über Borsalino vom Telegraph bis zur Süddeutschen lesen konnte. Dies ist ein Fedora von Herbert Johnson, der ➱The Poet heißt. Manchmal geht der Hut drinnen doch, da es Religionsgemeinschaften gibt, bei denen der Hut in der Kirche oder der Synagoge getragen wird. Der amerikanische Soziologe ➱Richard Sennett hat in seinem Buch The Fall of Public Man den Verfall der Umgangsformen nachgezeichnet. Über Jahrhunderte hat es - ich vereinfache Sennett mal ein wenig - Umgangsformen für das Draußen und das Drinnen gegeben. Die Umgangsformen für die Öffentlichkeit waren von anderer Art als die Umgangsformen im privaten Bereich.

Sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber nicht mehr. Verließ man das Haus und betrat die Straße, war man in einer anderen Welt, die ihre eigenen Gesetze hatte. Der Begriff des Straßenanzugs kommt noch aus dieser Zeit. Dem Rentner, der mit einer ➱Jogginghose und Adiletten auf die Straße schlurft, um sich seine Bild Zeitung zu kaufen, ist das heute egal. Man wird für diesen Aufzug nicht mehr gesellschaftlich ostraziert. Die clothes police nimmt heute niemanden mehr in Gewahrsam. Dabei wäre das ein Desideratum von größerer gesellschaftlicher Bedeutung als das Rauchverbot, dass es diesen public man, von dem Richard Sennett spricht, wieder gibt. Die clothes police könnte dann auch gleichzeitig das Handyverbot in der Öffentlichkeit kontrollieren.

Ich muss es gestehen, ich liebe Hüte. Natürlich habe ich auch diese englischen und irischen Mützen in allen Farben. Obgleich ich davon mehrere habe, trage ich in den letzten Jahren nur diese braune Tweedmütze von Lock & Co., die bestimmt schon dreißig Jahre alt ist. Diese Dinge werden ja im Alter, wenn sie nicht von liebenden Frauen entsorgt werden, immer besser. Ich hatte mal einen blauen Bowler von Barbisio, den habe ich aber leichtfertig einer Theater AG geliehen. Als ich ihn zurückbekam, war er nicht mehr der gleiche. Da habe ich ihnen den für ihren Fundus geschenkt. Mein Hutvorrat (von Lock& Co., Christys, Herbert Johnson) hat vor fünfzehn Jahren eine schöne Erweiterung erfahren, als ich bei einem Second Hand Laden ein halbes Dutzend der feinsten Hüte der Welt (ungetragen) für einen Fuffi kaufte. Und der Händler gab noch einen dazu.

Und neben den ganzen Borsalinos, Vanzinas und Panizzas war dieses Gratisgeschenk mein Lieblingshut. Es ist ein graugrüner weicher Sporthut, leider ist sein Etikett irgendwann mal herausgefallen (man liest nur noch Firenze - Paris - London), das mir versicherte, dass er aus lapin sei.

Ich weiß, was lapin bedeutet. Ich war vor Jahrzehnten der einzige aus meinem Bataillon, der kein lapin au vin rouge gegessen hat, als wir ein Vierteljahr in Frankreich im Manöver waren (lesen Sie ➱hier mehr dazu). Weil ich Offizier vom Dienst war und zu spät zum Essen kam, da war das Kaninchen alle. Der Koch hat mir ein paar Spiegeleier gebraten. Wenige Stunden später war ich der einzige im Bataillon ohne Lebensmittelvergiftung. Seitdem weiß ich, dass lapins nicht zum Essen da sind, sondern nur für Hüte gut sind. Damals trug ich noch so ein Schiffchen, wie das hier drei dieser ➱Offiziere tragen, diese praktische und elegante Kopfbedeckung gibt es heute auch nicht mehr.

Wenn die meisten Männer heute keine Hüte mehr tragen, gibt es doch Bereiche, in denen die Kopfbedeckungen noch florieren. Zum Beispiel der demnächst bevorstehende Karneval, wo Männer, die niemals einen schönen Borsalino aufsetzen würden, sich die seltsamsten Papphüte auf den Kopp setzen. Und natürlich die Welt des Films. Viele Filme wären nichts ohne Hüte, die Firma Baron Hats in Hollywood sorgt dafür, dass die Stars die richtigen Hüte bekommen. Sean Connery trägt in den frühen James Bond Filmen selbstverständlich einen Hut, den er dann elegant in Miss Moneypennys Büro durch die Luft segeln lässt.

Solche Trilbys gibt es heute noch zu kaufen, schauen Sie doch einmal hier hinein. Den Hut von Oddjob hat man da aber nicht im Angebot. Wahrscheinlich ist dass die wahre Bestimmung des Hutes in der Zukunft, dass wir sie in Filmen sehen können. Monsieur Hulot mit einem porkpie, diese Herren hier mit ihren Stetsons ... Man könnte da lange Listen zu diesem vestimentären Symbol erstellen. Für den Bowler gibt es mit Fred Miller Robinsons Buch The Man in the Bowler Hat: His History and Iconography ja schon eine kleine Kulturgeschichte. Da wünscht man sich doch etwas Ähnliches für Hüte im Film.

1 Kommentar:

  1. Ein sehr schöner Artikel. Als Kinder hatten sowohl wir als auch die Erwachsenen die sogenannten guten Sachen, oder Sonntagssachen, zum anziehen. Die wurden getragen, wenn wir mit den Eltern an Wochenenden oder Feiertagen spazieren gehen mussten. Dramatisch, wenn dann doch ab und zu mal Grasflecken auf den Knien waren, oder gar ein Loch in der Hose. Den Ausdruck Straßenanzug kannte ich gar nicht.
    Mit dem Verschwinden des Straßenanzuges geht vermutlich auch das Verschwinden des Flaneurs einher. Mein Opa ging noch regelmäßig sonntags mit Stock und Hut spazieren, er lebte auf dem Land.
    Gepflegtes Rauchen war zu großen Teilen eine öffentliche Interaktion. Man rauchte Pfeife, Zigarre und auch Zigarette zum Genuss und zeigte dies in der Gesellschaft. Dafür gab es schöne Zigarettenspitzen, Tabakdosen, Verpackungen und viele andere Accessoires. Das hat nichts mit der schnell reingepfiffenen Suchtkippe zu tun. Das Genussrauchen (Ja, gesund ist auch das nicht.) ist aber mittlerweile auch verpönt. Man rauchte eigentlich für sich und für die Anderen, so wie Mr. Robinson, die sie sich eine Zigarette anzündet, als sie Benjamin Braddock, der sie nach Hause gefahren hat, zu verführen gedenkt.

    AntwortenLöschen