Der Maler Philipp Otto Runge ist am 2. Dezember 1810 gestorben, er hatte hier am 23. Juli des Jahres (seinem 240. Geburtstag) schon einen ➱Post. Es ist ein Post, der leider so gut wie gar nicht gelesen wurde. So etwas ist für mich immer ein Rätsel. Hat noch weniger Leser als ➱Fritz Overbeck. Während dessen Worpsweder Kollege ➱Heinrich Vogeler fünfstellige Leserzahlen hat. Dadurch, dass ich ➱Ferdinand von Rayski wieder wieder angepriesen habe, ist er nach einem Jahr endlich in die vierstelligen Zahlen gewandert. Ich hoffe, dass das mit dem Anpreisen funktioniert, deshalb stelle ich den Post zu Philipp Otto Runge, der einmal gesagt hat: Hätte ich es sagen wollen oder können, hätte ich nicht nötig, es zu malen, einfach noch einmal ein. Hätte ich es malen können, hätte ich es nicht nötig, es zu sagen.
Dieses Selbstportrait von Philipp Otto Runge zählt zu seinen schönsten Bildern. Ich mag es sehr, auch sein Selbstportrait als ➱Federzeichnung ist sehr schön. Ich weiß nicht, weshalb ich bei diesem Portrait immer an das Selbstportrait von ➱Carel Fabritius denken muss. Der schaut uns zwar auch an, aber er hat nicht diese Traurigkeit in den Augen. Goethe hielt viel von dem Maler, der heute vor 240 Jahren geboren wurde: Es ist ein Individuum, wie sie selten geboren werden. Sein vorzüglich Talent, sein wahres treues Wesen als Künstler und Mensch, erweckte schon längst Neigung und Anhänglichkeit bey mir; und wenn seine Richtung ihn von dem Wege ablenkte, den ich für den rechten halte, so erregte es in mir kein Mißfallen, sondern ich begleitete ihn gern.
Und noch ein anderer Dichter der Romantik lobt Runge. So schreibt Clemens Brentano in einem Brief an Johann Friedrich Böhmer, nachdem der ihm Runges Gedicht ➱Es blüht eine schöne Blume geschickt hatte: Das Lied ist wirklich von Runge er-Rungen, ent-Rungen, entsp-Rungen, durchd-Rungen usw ... Er ist eigentlich doch der tiefsinnigste Künstler, der unmittelbarste der neueren Zeit gewesen, der eine Tiefe, ein Inneres, das vielleicht nie Gestalt gewonnen, zu Tage hat gebären müssen; was aber von solchem an die Oberfläche tritt, tritt heutzutage der Oberflächlichkeit entgegen; darum ist er so wenig gekannt und erkannt.
Das ist es: die Dichter rühmen ihn, aber beim Publikum ist der Maler kaum bekannt. Dennoch lobt Runge in einem Brief an seinen Bruder das Publikum und sagt: daß in einem Staat wie Hamburg sehr viel auf den guten Willen des Publicums gerechnet werden könne, wo die beschränkte Würkung der Behörden nicht ausreicht, und daß immer eine Masse von Menschen vorhanden bleibt, wo diesen guten Willen durch innern und äußern Antrieb rege zu machen möglich ist. Da ist sicherlich etwas dran, und die beschränkte Würkung der Behörden hat ja heute in Hamburg wieder Aktualität.
Allerdings muss man sagen, dass Runge hier nicht das Publikum meint, dass seine seine Bilder bewundern soll, sondern die Patriotische Gesellschaft. Die hatte Runge gerade als Ehrenmitglied aufgenommen, unter anderem, weil es sich bei ihm um einen talentvollen, denkenden Künstler handle. Im Rathaus denkt man offensichtlich nicht, das wird wenige Jahre später der Marschall ➱Davout für die Hamburger übernehmen. In der Kunsthalle Hamburg denkt man offensichtlich auch nicht, die Beschreibung des wohl bekanntesten Bildes von Runge auf der Seite der Kunsthalle ist nun wirklich ärmlich, wenn man das zum Beispiel mit diesem ➱Post eines Bloggers vergleicht. Noch mehr zu Runge findet sich bei jemandem, der als ➱Kunstdirektor schreibt oder an dieser Stelle, wo man Daniel Runges ➱Nachrichten von dem Lebens- und Bildungsgange des Mahlers Philipp Otto Runge findet.
Wenn Sie mehr zu dem Bild wissen wollen, kann ich nur Jörg Traegers Philipp Otto Runge: Die Hülsenbeckschen Kinder: Von der Reflexion des Naiven im Kunstwerk der Romantik empfehlen, das in der hervorragenden Reihe Fischer Kunststück erschienen ist. Der Kunsthistoriker Jörg Traeger war die Nummer Eins der Runge Forschung, sein kleines Buch ist sicher auf einem höheren Niveau als das Buch von Ellen Pomikalko und Ute Blaich ➱Philipp Otto Runge: Die Hülsenbeckschen Kinder. Aber das ist ein rotfuchs-Kunstbuch, das macht auch einen Sinn. Ute Blaich habe ich immer geschätzt, ich habe noch ihre LP (Deutsche Grammophon) von The Wind in the Willows im Regal. Und da ich bei Kiddies bin, möchte ich noch auf das interessante Buch So nah und doch so fern: Philipp Otto Runges gesteigerte Wirklichkeit der Kinder. Eine Entdeckungsreise durch die Bildwelten Runges und seiner Zeit des Pädagogen Andreas Gruschka hinweisen.
Runges Äußerungen über den guten Willen des Publicums sind übrigens prophetisch: als 2010 die Ausstellung ➱Kosmos Runge: Der Morgen der Romantik in der Hamburger Kunsthalle eröffnet wird, hat man gerade große Teile des ➱Werkes gekauft, die vorher nur geliehen waren. Es ist übrigens ➱Alfred Lichtwark gewesen, der (mit privater Unterstützung) die ersten Käufe für die Kunsthalle tätigte, Runge selbst interessierte ihn nicht so sehr. Ihn interessierte, dass Runge (hier mit seiner Frau ➱Pauline und seinem Bruder Daniel) ein Hamburger war. Das Bild hat den Titel ➱Wir Drei, es war ein Geschenk Runges an seine Eltern.
Es ist natürlich eine ➱Eiche, dieser symbolträchtige deutsche Baum, an den sich Daniel Runge lehnt. In den Befreiungskriegen wird die Eiche über das Symbol der Treue hinaus zu einem nationalen Symbol für Einigkeit, Schutz und Festigkeit. Die drei Soldaten eines Freicorps auf dem Bild von Kersting halten ihre Wache in einem Eichenwald, es dürfte kein anderer Wald sein. Simon Schama hat in seinem Buch Landscape and Memory (➱Der Traum von der Wildnis) eine Menge über den deutschen Wald zu sagen, ich halte Landscape and Memory für sein bestes Buch.
Der englische Kunsthistoriker Matthew Craske hat in seinem höchst originellen Buch Art in Europe 1700-1830 darauf hingewiesen, dass die geschlossen auftretende Familie wie in Wir Drei oder dem Bildnis seiner Eltern vor dem Hintergrund der Bedrohung durch Napoleon zu sehen ist. Runge malt nicht nur 1806 seine Eltern in seinem Heimatort Wolgast. Er ist auch nach Wolgast gezogen, weil es der Firma Firma Hülsenbeck, Runge & Co, in der einmal als kaufmännischer Gehilfe angefangen hat, sehr schlecht geht. Der Konkurs kommt im nächsten Jahr, die Kontinentalsperre macht sich bemerkbar (darüber sollten die Engländer mit ihrem Brexit mal nachdenken), aber Daniel Runge (hier von seinem Bruder portraitiert) wird eine neue, erfolgreiche Firma gründen. Sein Bruder wird dort stiller Teilhaber sein.
Auf der Rückseite dieses beinahe zwei Meter hohen Gemäldes können wir die Geburtsdaten der Eltern des Künstlers lesen, sowie den Satz: Diese meine lieben Eltern habe ich meinen Geschwistern und mir zum Andenken gemalt und zur Lust mein Söhnlein Otto Sigismund als 1 1/2 Jahr, und meines Bruders Jacob Söhnlein Friedrich als 3 1/2 Jahr. Wollgast im Sommer 1806. Im Herbst 1806 wird Napoleon bei Jena und Auerstedt die preußische Armee schlagen und danach in Berlin einziehen. Die kleine schwedische Flagge (Pommern ist damals noch schwedisch) auf einem der Schiffe im Hintergrund, die Runges Vater gehören, ist vielleicht eine Hoffnung, dass es nicht so schlimm werden kann.
Es gibt von dem Bild eine zweite, kleinere Version, eine Ölskizze. Die Kinder fehlen, die Lilie mit ihrer Symbolik fehlt, die gepflegt bürgerliche Kleidung von Runges Eltern ist einfacher gehalten, die Schiffe von Daniel Nikolaus Runge sind nicht zu sehen. Runges Eltern sind neunundsechzig Jahre alt, sie sehen älter aus. Runges Vater steckt noch im 18. Jahrhundert, er trägt noch eine Perücke. Das Ehepaar wirkt ein klein wenig verloren vor seinem Haus. Es fehlen die Kinder, Daniel Nikolaus Runge und Magdalena Dorothea haben elf Kinder, da müssen jetzt die Enkel mit auf das Bild, über das Alfred Lichtwark sagte: In der deutschen Kunst um 1806 steht es wie ein Wunder.
Lichtwark meinte damit, dass es einzigartig sei und keine Vorbilder in der europäischen Malerei habe. Das sagt auch Mario Praz in Conversation Pieces, der größten Studie des Familienbilds. Allerdings mit leicht boshafter Ironie: There is nothing conventional in this severe, almost surly pair of old people dressed in materials hard as metal; solemnly taking a walk, they cross the sparse orchard and are considered with some misgiving by one of the grandchildren, who convulsively clutches a flower and who maybe a moment ago has given the grandmother the rose she holds in her left hand. One cannot suppose that she received it with a smiling face: one suspects that in the hands of such a formidable-looking woman any flower would soon wither. The house behind them looks like a prison wall; the free view of the water with its moored boats and of the sky (which is overcast by a black cloud) does nothing to dispel the sense of a cloistered and severe life communicated by the figures, the wall, and the toothed fence.
Mein Katalog der Hamburger Ausstellung ➱Runge in seiner Zeit aus dem Jahre 1977 sieht besser aus als dieser hier. Weil ich ihn mir neu gekauft habe. Nachdem ich den ersten Katalog damals durchgearbeitet habe, habe ich ihn einer Studentin der Kunstgeschichte geschenkte. À propos Studenten, kurz bevor ich die Uni verließ, belehrte mich eine Kollegin, dass man jetzt nicht mehr Studenten sagte. Das hieße jetzt Studierende. Ich sagte ihr, dass ich für solchen Unsinn zu alt sei. Und unterließ es höflicherweise zu sagen, dass es Schwachsinn sei, weibliche Schafe Schäfinnen zu nennen. Was sie in ihrer Vorlesung hartnäckig tat.
Jörg Traegers Katalog Philipp Otto Runge und sein Werk: Monographie und kritischer Katalog ist schwer zu bekommen. Er steht bei mir im Regal, weil ich damals Mitglied des Deutschen Kunstverein war, es war die Jahresgabe für die Mitglieder. Die Jahresgaben waren immer teurer als der Jahresbeitrag, das hatte mir mein Freund ➱Peter gesagt. Als die Jahresgaben immer mickriger wurden, bin ich aus dem Verein ausgetreten. Aber wer sich für Runges Leben und Werk interessiert, ist auch mit kleineren Büchern gut bedient. Man bekommt zum Beispiel ➱Jens Christian Jensens Buch (DuMont) bei Amazon Marketplace ab einem Cent, und auch Frank Büttners bei C.H. Beck erschienenes Taschenbuch ist antiquarisch noch zu finden. Es ist ein schmales, kleinformatiges Buch (128 Seiten), aber es ist ein sehr gutes Buch.
Der Morgen ist die grenzenlose Erleuchtung des Universums, hat Runge gesagt. Lange hat er an dieser romantischen Weltvision gearbeitet. Welcher Lebendige, Sinnbegabte, liebt nicht vor allen Wundererscheinungen des verbreiteten Raums um ihn das allerfreuliche Licht – mit seinen Farben, seinen Strahlen und Wogen; seiner milden Allgegenwart, als weckender Tag. Wie des Lebens innerste Seele atmet es der rastlosen Gestirne Riesenwelt, und schwimmt tanzend in seiner blauen Flut – atmet es der funkelnde, ewigruhende Stein, die sinnige, saugende Pflanze, und das wilde, brennende, vielgestaltete Tier – vor allen aber der herrliche Fremdling mit den sinnvollen Augen, dem schwebenden Gange, und den zartgeschlossenen, tonreichen Lippen.
Wie ein König der irdischen Natur ruft es jede Kraft zu zahllosen Verwandlungen, knüpft und löst unendliche Bündnisse, hängt sein himmlisches Bild jedem irdischen Wesen um. – Seine Gegenwart allein offenbart die Wunderherrlichkeit der Reiche der Welt. Das ist nicht von Runge, das steht in Novalis' ➱Hymnen an die Nacht (auf den ihn Tieck hingewiesen hatte), aber es passt zu diesem Bild, das den Zauber des ersten Sonnenlichts mit symbolischer Überhöhung auf die Leinwand bannt.
Mir wäre es lieber gewesen, wenn Runge Landschaften gemalt hätte. Denn als er an der ersten Fassung seiner schwebenden Aurora (➱Der kleine Morgen) arbeitet, malt John Constable ein Bild wie ➱dieses. Es drängt sich alles zur Landschaft. Ist denn in dieser neuen Kunst — der Landschafterey, wenn man so will, — nicht auch ein höchster Punkt zu erreichen? der vielleicht noch schöner wird wie die vorigen? Ich will mein Leben in einer Reihe Kunstwerke darstellen; wenn die Sonne sinkt und wenn der Mond die Wolken vergoldet, will ich die fliehenden Geister festhalten, wir erleben die schöne Zeit dieser Kunst nicht mehr, aber wir wollen unser Leben daran setzen, sie würklich und in Wahrheit hervorzurufen –. Das hier ist eine Nillandschaft, Otto Runge war niemals am Nil, er war auch nicht in Italien oder Paris wie andere Maler seiner Zeit. Und die Nillandschaft ist keine freie romantische Phantasie, er braucht sie als Mittelteil für seine ➱Ruhe auf der Flucht.
Der Weg, den Sie betreten haben, ist um so rühmlicher, als er wahrscheinlich ein einsamer bleiben muß; ja was ist einsamer, als die Philosophie, da sie sich selbst verlassen muß, um sich zu belauschen? Ihr Bestreben ist mir daher stets so achtungswerth und rührend erschienen, da Sie gewissermaaßen die Augen schließen, um in sich hinabzusteigen und zu sehen, wie Sie zum Sehen gekommen; denn an solchem Bestreben sehe ich, daß das Leben der Kunst wahrlich verloren ist, indem der Künstler sich umsehen muß in sich selbst, um das Verlorne Paradies aus seiner Nothwendigkeit zu construiren. Das schreibt Brentano im Januar 1810 in einem ➱Brief an Runge, der wird aber keinen langen Weg mehr gehen, am Ende des Jahres ist er tot. In dem Jahr hat er noch die, wie er, an der Tuberkulose sterbende Sophia Sieveking gemalt, vielleicht sein letztes Werk.
Das hier ist Runges Portrait seines Freundes Friedrich August von Klinckowström, eines Mannes, der als preußischer Offizier anfängt und danach Direktor einer Erziehungsanstalt für adlige Knaben wird, daneben malt er aber auch noch. Wenn Klinckowström ihm aus Paris schreibt, ist Runge versucht, auch nach Paris zu gehen. Aber er fürchtet sich vor den vielen Einflüssen, seine Kunst soll ganz aus ihm heraus kommen. Rembrandt bedeutet ihm viel. Der ist ihm einmal im Traum erschienen und hat ihn seinen lieben Otto genannt, als er noch an der Kopenhagener Akademie studierte. Runge bleibt in Hamburg und schreibt an Klinckowström: Mir ist recht oft beklommen zu Muthe, dass ich so allein bin. Könnte ich es auf irgend eine Weise, die mir als Wunsch nur bekannt ist, dahin bringen, etwa 10 junge Leute von verschiedener Art ihre Studien zu betreiben anzuleiten! Aber dazu wird es nicht kommen, Runge, der in seinen Briefen mit beinahe allen Romantikern vernetzt ist, bleibt allein.
Haben Sie schon einmal mit diesen Karten Skat gespielt? Dieses Kartenspiel von Runge ist 1924 im Insel Verlag erschienen, es wurde nach den wiedergefundenen Originalstöcken von Friedrich Wilhelm Gubitz in der Spielkartenfabrik Altenburg hergestellt. Und damit bin ich bei einem anderen Philipp Otto Runge. Einem Mann, der ➱Gedichte schreibt, Spielkarten entwirft und ➱Scherenschnitte anfertigt. Und dann schreibt er auch noch Märchen, plattdeutsch. Die Sprache, mit der er aufgewachsen ist, er liebt sie. Vielleicht kennen Sie ➱Van den Machandelboom nicht, aber ➱Von den Fischer un siine Fru, das kennen sie bestimmt. Runge schickt es an die Brüder Grimm, die es in ihre Sammlung aufnehmen.
Und eines Tages wird Runge selbst zur ➱Literatur: Nun hat man die eine von mir gebrachte mundartliche Mär 'Von den Machandelboom' glücklich in die Leitung für 'Einsiedler' aufgenommen, doch die andere, die ich gleichfalls vor Jahren auf der Insel Rügen einem alten Weib nachgeschrieben und überdies als Variation notiert habe, weil die Alte, wunderlich hartnäckig, mal so, mal so erzählt hat, nämlich die Mär 'Von dem Fischer un syner Fru' liegt immer noch ungedruckt, wenngleich der Buchhändler Zimmer schon vor zwei Jahren den Herren Arnim und Brentano die Aufnahme des Märchens vom Butt in das Wunderhorn empfohlen hat. Hier ist nun Gelegenheit, erneut über die Sache, wie ich sie endlich doppelt vorlege, zu sprechen. Deswegen bin ich, auf Wunsch der Herren Grimm, von weither angereist. Denn eigentlich sollte ich vor meinem Bild sitzen. Das heißt 'Der Morgen' und will und will nicht fertig werden.
So nett das bei Günter Grass ist, wir wollen dem literarischen Runge nicht das letzte Wort überlassen. Das letzte Wort soll der wirklich Runge haben, der gerne Platt snackt und der dabei ist, das Verlorne Paradies aus seiner Nothwendigkeit zu construiren. Im August 1810 schreibt Runge an Brentano: daß es mir in meinem Leben höchstens nur 1, 2, höchstens 3 Jahre erlaubt gewesen ist, ohne Unterbrechung, ein Künstler- oder vorzüglich ein Mahlerbestreben rein durchzuführen, so bin ich oft Jahre lang von aller wirklichen Arbeit durch so verschiedene Begebenheiten abgehalten, ja einige mahl mit der Aussicht, nie wieder dazu zu kommen. Daher habe ich so vieles angefangen, so wenig vollendet.
Der Weg, den Sie betreten haben, ist um so rühmlicher, als er wahrscheinlich ein einsamer bleiben muß; ja was ist einsamer, als die Philosophie, da sie sich selbst verlassen muß, um sich zu belauschen? Ihr Bestreben ist mir daher stets so achtungswerth und rührend erschienen, da Sie gewissermaaßen die Augen schließen, um in sich hinabzusteigen und zu sehen, wie Sie zum Sehen gekommen; denn an solchem Bestreben sehe ich, daß das Leben der Kunst wahrlich verloren ist, indem der Künstler sich umsehen muß in sich selbst, um das Verlorne Paradies aus seiner Nothwendigkeit zu construiren. Das schreibt Brentano im Januar 1810 in einem ➱Brief an Runge, der wird aber keinen langen Weg mehr gehen, am Ende des Jahres ist er tot. In dem Jahr hat er noch die, wie er, an der Tuberkulose sterbende Sophia Sieveking gemalt, vielleicht sein letztes Werk.
Haben Sie schon einmal mit diesen Karten Skat gespielt? Dieses Kartenspiel von Runge ist 1924 im Insel Verlag erschienen, es wurde nach den wiedergefundenen Originalstöcken von Friedrich Wilhelm Gubitz in der Spielkartenfabrik Altenburg hergestellt. Und damit bin ich bei einem anderen Philipp Otto Runge. Einem Mann, der ➱Gedichte schreibt, Spielkarten entwirft und ➱Scherenschnitte anfertigt. Und dann schreibt er auch noch Märchen, plattdeutsch. Die Sprache, mit der er aufgewachsen ist, er liebt sie. Vielleicht kennen Sie ➱Van den Machandelboom nicht, aber ➱Von den Fischer un siine Fru, das kennen sie bestimmt. Runge schickt es an die Brüder Grimm, die es in ihre Sammlung aufnehmen.
Und eines Tages wird Runge selbst zur ➱Literatur: Nun hat man die eine von mir gebrachte mundartliche Mär 'Von den Machandelboom' glücklich in die Leitung für 'Einsiedler' aufgenommen, doch die andere, die ich gleichfalls vor Jahren auf der Insel Rügen einem alten Weib nachgeschrieben und überdies als Variation notiert habe, weil die Alte, wunderlich hartnäckig, mal so, mal so erzählt hat, nämlich die Mär 'Von dem Fischer un syner Fru' liegt immer noch ungedruckt, wenngleich der Buchhändler Zimmer schon vor zwei Jahren den Herren Arnim und Brentano die Aufnahme des Märchens vom Butt in das Wunderhorn empfohlen hat. Hier ist nun Gelegenheit, erneut über die Sache, wie ich sie endlich doppelt vorlege, zu sprechen. Deswegen bin ich, auf Wunsch der Herren Grimm, von weither angereist. Denn eigentlich sollte ich vor meinem Bild sitzen. Das heißt 'Der Morgen' und will und will nicht fertig werden.
So nett das bei Günter Grass ist, wir wollen dem literarischen Runge nicht das letzte Wort überlassen. Das letzte Wort soll der wirklich Runge haben, der gerne Platt snackt und der dabei ist, das Verlorne Paradies aus seiner Nothwendigkeit zu construiren. Im August 1810 schreibt Runge an Brentano: daß es mir in meinem Leben höchstens nur 1, 2, höchstens 3 Jahre erlaubt gewesen ist, ohne Unterbrechung, ein Künstler- oder vorzüglich ein Mahlerbestreben rein durchzuführen, so bin ich oft Jahre lang von aller wirklichen Arbeit durch so verschiedene Begebenheiten abgehalten, ja einige mahl mit der Aussicht, nie wieder dazu zu kommen. Daher habe ich so vieles angefangen, so wenig vollendet.
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