Montag, 18. Dezember 2017

Angströhre


Wie die Zeit vergeht! Ich kann das nicht glauben, dass es schon mehr als ein Jahr her ist, dass ich über den Maler Philipp Wirth (der am 18. Dezember 1878 starb) geschrieben habe. Er ist ja jemand, mit dem sich die Kunstgeschichte nicht so sehr beschäftigt, obgleich man Gustav Paulis Begeisterung für dieses Selbstportrait verstehen kann. Wirth muss das Selbstportrait nach seinem Pariser Aufenthalt gemalt haben, so viel großstädtische Eleganz findet man in Wirths Heimatstadt Miltenberg in der Mitte des 19. Jahrhunderts wohl nicht. Hat er sich seinen Zylinder aus Paris mitgebracht? Oder ist das ein Werk seines Vaters, der Hutmacher war?

Als Philipp Wirth sich mit dem Zylinder malt, ist der Zylinder als Kopfbedeckung hauptsächlich bei den Nachfolgern von Beau Brummel zu finden. Also eher bei Künstlern und in der Bohème als im bürgerlichen Leben. Das ändert sich, als Victorias Gatte Albert von Coburg Gotha den Zylinder aufsetzt. Von nun an ist die Angströhre auch für die bürgerliche Gesellschaft de rigeur. Zum ➱Cutaway ist sie heute noch Vorschrift. Selbst John F. Kennedy, dem man nachsagte, dass er die Hutmode beendet hätte, trug zu seiner ➱Inauguration einen Zylinder.

Wir können dem Selbstportrait von Philipp Wirth noch etwas entnehmen: die Kleidung wird schwarz, nicht nur in der Bohème. Gab es vorher grüne und blaue Fräcke, so ist jetzt alles schwarz. Wenn Albert stirbt, wird die Königin Victoria ein beispielloses Trauerzeremoniell ausleben. Selbst Kleinkinder werden schwarze Fäden in die Windeln gestickt bekommen, wenn jemand in der Familie stirbt. Samuel Courtauld wird mit seiner schwarzen Kunstseide ein Millionenvermögen machen. Die beste Kulturgeschichte zur schwarzen Kleidung ist John Harveys Men in Black, das habe ich schon in den Post Men in Black und Schwarz geschrieben.

Hier ist Philipp Wirth noch ein junger Künstler, hier hat er sich im Stil der Romantik gemalt, in der man die sogenannte altdeutsche Tracht trug. Die noch die Kleidung der Studenten und der Maler war, bevor sie die Kleidung der  Revolutionäre wurde. Carl Philipp Fohr, der hier einen viel gelesenen Post hat, hat so etwas getragen, wahrscheinlich ist er auch in seiner altdeutschen Tracht im Tiber ertrunken. Der Zylinder ist heute aus dem Bild der Mode verschwunden. Mein Opa hatte einen chapeau claque, mit dem wir als Kinder gespielt haben. Als ich acht war, trat ich damit als Zauberkünstler auf. Ich trug meinen verschlissenen weinroten Brokatbademantel und den Zylinder, ich konnte allerdings nur drei Zauberkunststücke. Da reißt auch ein chapeau claque nicht viel heraus.

Die Zylinder sind noch in der Malerei zu finden (zum Beispiel bei dem Bild Streik), auch in der Literatur. Zahlreich bei Proust. Sie haben noch ihre große Zeit im Film der dreißiger Jahre. People think I was born in top hat and tails, hat Fred Astaire, der Star von Top Hat, gesagt. Wir finden den Zylinder auch in der Karikatur, kaum ein Kapitalist oder Plutokrat, der nicht einen Zylinder trägt und eine Zigarre raucht. Im Deutschen heißt der Zylinder manchmal auch Angströhre, was wahrscheinlich von dem englischen anxiety hat kommt.

Denn bei seinem ersten Auftreten verbreitet der Zylinder Angst und Schrecken. Ein gewisser John Hetherington soll am 15. Januar 1797 zum ersten Mal so etwas getragen haben, appearing on the public highway wearing upon his head a tall structure having a shining lustre and calculated to frighten timid people, steht im Polizeibericht. Ich weiß nicht, ob die Geschichte wirklich wahr ist, aber se non è vero, è ben trovato. Das mit der Erfindung des Zylinders im Jahre 1797 ist zu bezweifeln, denn schon vorher finden sich französische Incroyables mit Zylindern in den Modezeitschriften. Und zwei Jahre vor dem kurzen dramatischen Auftritt von Mr Hetherington mit seiner Angströhre (several women fainted at the unusual sight, while children screamed, dogs yelped and a younger son of Cordwainer Thomas was thrown down by the crowd which collected and had his right arm broken), malt Jacques Louis David den Monsieur Pierre Seriziat. Und der trägt bestimmt einen Zylinder.

Wenige Jahre, bevor sich Phlipp Wirth mit seinem Zylinder malt, malt sich der Berliner Maler Franz Krüger zusammen mit dem Prinzen Wilhelm von Preußen. Den Prinzen kennen wir auch unter dem Namen Kartätschenprinz, den Maler als Pferde-Krüger, beide haben hier schon einen Post. Es ist ein schönes Bild, aber mit dem Gedanken an die blutige Niederschlagung des Aufstandes, bekommt es eine andere Dimension. Da ahnt man, weshalb Karl Gutzkow über Krüger, den er als den Hofmaler Professor Lüders in seinen Roman Die Ritter vom Geiste hineingeschrieben hat, von einem Künstler spricht, den die niedrigste Servilität zum Parade- und Uniformmaler gestempelt hatte.

Das Bild ziert auch das Buch Das Bildnis des eleganten Mannes: Ein Zylinderbrevier von Werther bis Kennedy. Ich bin nicht sicher, ob ich das Buch, das zuerst in Häppchen im Herrenjournal erschien, zur Lektüre empfehlen kann. Es ist sicherlich auf einem höheren Niveau als das Büchlein Die Uniformen der Braunhemden des Verfassers. Das schrieb er, als er Obertruppführer im Stab der berüchtigen SA-Brigade 31 Berlin-Brandenburg war. Er heißt Hermann-Marten von Eelking, für die einen ist er eine Art Gott der Herrenmode, für die anderen ein ganz gewöhnlicher Nazi. Ich habe in dem Post ➱Modebücher schon einiges zu Herrn Eelking gesagt, was mir einige Haßmails eingetragen hat (der Herr hat offensichtlich immer noch einen Fanclub), aber ich habe dem Post kaum etwas hinzuzufügen.

Ich kann nicht mit diesem Eelking aufhören, ich muss noch einen Zylinderträger aus dem Hut zaubern. Wir kennen ihn als den Mad Hatter, obgleich er im Text von Alice in Wonderland nur Hatter und nicht Mad Hatter heißt. Aber ein klein wenig mad ist er schon. Wie die Engländer, die jetzt wieder aus dem Brexit herauswollen. Bevor es den (mad) hatter gab, gab es im Englischen schon die Redewendung mad as a hatter. Und die hatte einen traurigen Grund, die Hutmacher verwandten bei ihrer Arbeit an den Filzhüten ➱Quecksilber, eine der Folgen der Quecksilbervergiftung war, dass sie im Irrenhaus landeten. Zylinder sind eine gefährliche Sache.

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