Donnerstag, 10. August 2017

Jeanne Moreau


Ach, was war sie da noch jung, als sie 1954 neben Lino Ventura und ▹Jean Gabin in Touchez pas au grisbi (Wenn es Nacht wird in Paris) eine kleine Nachtclubsängerin spielt, die die Geliebte des Gangsterbosses ist. Die beiden Herren sind übrigens schon in dem Post ▹Lino Ventura zu sehen. Ich mag Touchez pas au grisbi auch deshalb, weil Larry Adler (der ▹hier schon einen Post hat) da Mundharmonika spielt, unübertroffen. Und natürlich, weil Ventura und Gabin ungeheuer elegante Anzüge trugen. Das war damals der ▹französische Film: schöne Frauen, elegante Männer und gute Filmmusik.

Jeanne Moreau hatte es mit der Nacht und der Dunkelheit, auf die Szene mit dem nächtlichen Paris und der Musik von ▹Miles Davis hatte ich schon letztens in dem Post Lush Life hingewiesen. Und die meisten Zuschauer werden es nicht bemerkt haben, dass sie auch mit einer ganz kleinen Rolle 1959 in Les quatre cents coups zu sehen ist. Da kommt sie in der Nacht aus dem Haus in der Rue Montmartre (Nummer 146) und sucht ihren Hund. Damals verhandelte Truffaut schon mit ihr über den Film Jules und Jim, und wo sie schon mal da war, konnte sie auch in Sie küßten und sie schlugen ihn mitspielen. Den Film hatte unser Direktor damals für den ▹Schülerfilmclub empfohlen. Nicht weil er das Talent des jungen Truffaut entdeckt hatte, nein, aus rein pädagogischen Gründen.

Mit Fahrstuhl zum Schafott war sie berühmt geworden, mit Gefährliche Liebschaften (einem Film, der schon einen ▹Post hat) noch berühmter. Aber ganz wirklich berühmt wurde man damals nur, wenn man in einem Antonioni Film mitspielte. Der italienische Regisseur hat hier natürlich mit ▹Antonioni einen Post, wo sich auch die Links zu den Antonioni Filmen finden, die mich damals beeindruckt haben. Nicht ▹Blow-Up, aber zum Beispiel ▹Il Grido, ein ganz großer Film.

Ein ganz großer Film ist auch La Notte - da ist sie wieder die Nacht. Das Photo zeigt Jeanne Moreau und ▹Marcello Mastroianni in der ▹Schlußszene. Modehistorisch beachten wir einmal das kleine Schwarze und Jeanne Moreau und den eleganten Anzug von Mastroianni. Der wahrscheinlich von Attolini kommt, er war da Kunde. Und den Lesern, die gerne die Modeposts lesen, kann ich sagen, dass ich gerade an einem Post über Attolini schreibe. Das wird sie beruhigen.

Sie konnte auch ganz anders sein. Zum Beispiel in dem Truffaut Film Die Braut trug Schwarz, da war sie tough, Männer verschlingend und tötend. Truffaut hat einmal über Jeanne Moreau gesagt, sie habe alle Vorzüge eines Mannes, aber ohne seine Fehler. Jeanne Moreau selbst hat gesagt: Oui, j’ai vécu comme un garçon.
Wir können Sie hier dazu hören. Sie konnte Englisch, ihre Mutter war Engländerin. Truffaut konnte kein Englisch. Proust übrigens auch nicht. Jeanne Moreau rauchte Ziggis, mit ihrer rauchigen Stimme klingt ihr Englisch herrlich ordinär.

Aber das Zitat ist noch nicht ganz zuende: Oui, j’ai vécu comme un garçon. Ça m’irrite de dire cela. J’aurais préféré dire: j’ai vécu comme une femme libre. Die Braut trug Schwarz ist ein Farbfilm, Jeanne Moreau trägt darin nur weiße und schwarze Kleider. Schwarz steht ihr immer. Auch wenn sie in einem schwarzen T-Shirt auf einem Citroen sitzt (das Photo wurde während der Dreharbeiten zu Die Braut trug Schwarz gemacht).

Une femme libre, das ist sie immer gewesen, auch wenn sie so alberne Klamotten trug wie in Viva Maria. Ich nehme an, dass sie die Rolle nur angenommen hat, weil ▹Louis Malle der Regisseur war. Wahrscheinlich hat sie sich auch ein wenig amüsiert, ▹Gregor von Rezzori hat sich auf jeden Fall gut amüsiert. Auf dem Photo von der Szene mit der Erfindung des Striptease ist natürlich auch Brigitte Bardot zu sehen, die beiden waren nicht unbedingt Freundinnen.

Die Bardot hat behauptet, dass Truffaut ihr die Hauptrolle in La Sirène du Mississippi angeboten hätte. Was nicht stimmte. Der Film war die zweite Verfilmung eines Thrillers von Cornell Woolrich durch Truffaut, Die Braut trug Schwarz war die erste gewesen. Der Film war an den Kinokassen ein Flop, aber Hitchcock schrieb an Truffaut: J'ai tout particulièrement savouré la scène ou Moreau regarde mourir à petit feu l'homme qu'elle a empoisonné. Avec mon humour un peu particulier, je crois que j'aurais fait durer le plaisir : Moreau aurait délicatement posé un coussin sous sa tête de façon qu'il meure avec plus de confort encore !

Als Truffaut in Geldschwierigkeiten war, gab ihm Jeanne Moreau (die ja auch mal mit Truffaut eine Affaire hatte) das Geld für den Film. Es ist übrigens ein Film, der ▹hier einen ganz langen Post hat. Cornell Woolrich, der Autor der Romanvorlage, hatte damals noch nie etwas von François Truffaut gehört, ließ ihm aber durch Truffauts amerikanische Agentin ausrichten, dass er durchaus in der Lage sei, einen Brief in französischer Sprache zu lesen, falls Truffaut ihm schreiben wolle. Er hat den Erfolg von La Mariée était en noir und La Sirène du Mississipi nicht mehr erlebt. Es ist eine traurige Sache, da schreibt einer großartigen melodramatischen Kitsch - ich kann den Roman Phantom Lady nur empfehlen - und Regisseure wie ▹Jacques Tourneur und ▹François Truffaut machen daraus wunderbar kitschige melodramatische Filme.

Jeanne Moraeau war gut darin, die Femme Fatale zu spielen und Männer wie Idioten aussehen zu lassen. Wie in Joseph Loseys Film Eva, einem Film, der in Deutschland nicht so bekannt geworden ist. Wenn Sie den Post ▹The Go-Between gelesen haben, dann wissen Sie, dass ich von Joseph Losey eine Menge halte. Ein Jahr liegt zwischen La Notte und Eva, zwei völlig verschiedene Rollen, verschiedener geht es nicht. Aber es ist die gleiche Frau, die das spielt. Nicht viele können das. Brigitte Bardot konnte mehr als man ihr zutraute, Catherine Deneuve kann wenig mehr als schön sein. Veronica Ferres kann ... ach, lassen wir das.

Den Namen Eva trägt Jeanne Moreau auch in dem Film Das Irrlicht (Le feu follet) von Louis Malle. In dem Post ▹Fahrstuhl zum Schafott steht auch ein wenig zu Le feu follet. Das ist der Film, in dem Maurice Ronet seine Armbanduhr als Trinkgeld wegschenkt und am Ende Selbstmord begeht. Aber nicht, ohne zuvor endlich ▹The Great Gatsby zu Ende gelesen zu haben.

Jeanne Moreau ist am letzten Julitag im Alter von 89 Jahren  gestorben. Ich weiß nicht, wer sie die Muse der Nouvelle Vague genannt hat, aber das war sie sicher. Viele Regisseure waren in sie verliebt, nicht nur Truffaut. Ich habe nicht alle ihrer 120 Filme gesehen, aber doch viele. Ich war in den sechziger Jahren viel im Kino, es war eine große Zeit des Films. Ich habe schon mehrfach in diesem Blog gesagt, dass ich damals davon träumte, Filmkritiker zu werden. Filmkritiker waren damals für mich das Größte, auch Truffaut hat ja so angefangen. Ich träumte damals nicht davon, an einer Uni zu unterrichten. Aber jetzt, wo das mit der Uni zuende ist, bin ich Blogger, da kann ich über Filme schreiben, soviel ich will - schauen Sie doch einmal in meinen Themenblog ▹Silverscreen. Da habe ich das Layout extra so gestaltet, dass es ein wenig wie ein Filmstreifen aussieht.

Jeanne Morau hat mit ihrer rauchigen Stimme auch gesungen, und das soll sie für uns am Schluss noch einmal tun. Ich glaube, sie hat den Text zu diesem ▹Chanson selbst gschrieben:

Dans l'eau du temps qui coule à petit bruit
Dans l'air du temps qui souffle à petit vent
Dans l'eau du temps qui parle à petits mots
Et sourdement touche l'herbe et le sable
Dans l'eau du temps qui traverse les marbres
Usant au front le rêve des statues
Dans l'eau du temps qui muse au lourd jardin
Le vent du temps qui fuse au lourd feuillage
Dans l'air du temps qui ruse aux quatre vents
Et qui jamais ne pose son envol

Dans l'air du temps qui pousse un hurlement
Puis va baiser les flores de la vague
Dans l'eau du temps qui retourne à la mer
Dans l'air du temps qui n'a point de maison
Dans l'eau dans l'air dans la changeante humeur
Du temps, du temps sans heure et sans visage

J'aurai vécu à profonde saveur
Cherchant un peu de terre sous mes pieds
J'aurai vécu à profondes gorgées
J'aurai vécu à profondes gorgées
Buvant le temps, buvant tout l'air du temps
Et tout le vin qui coule dans le temps
Et tout le vin qui coule dans le temps

Die Dokumentation Jeanne Moreau - Die Selbstbestimmte ist bei arte noch bis zum 20.8. 2020 zu sehen.

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