Freitag, 29. Mai 2020

Seenot


Wir begeben uns mit diesem Thema auf See, aber ich bin da auf sicherem Boden. Denn über die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, die heute vor 155 Jahren in Kiel gegründet wurde, habe ich schon mehrfach geschrieben. Weil Adolph Bermpohl, einer der Gründer der Gesellschaft, aus meinem Heimatort kam, und es in unserem Heimatmuseum einen ganzen Saal zum Thema Seenotrettung gab. Der ist etwas kleiner geworden, seit das Heimatmuseum aus der Weserstraße in das Schönebecker Schloss umgezogen ist, aber die wichtigen Dinge sind noch da.

Das hier ist die Küste von Nordjütland im Jahre 1882. Die schwarzen Punkte zeigen Totalverluste, die weißen Punkte zeigen gestrandete Schiffe, die wieder flottgemacht wurden. Der Strandungskommissionär Christopher Berent Claudi (1799-1880) war auf eigene Faust und eigene Kosten nach England gereist, um zu sehen, wie die Engländer das Rettungswesen organisiert haben. Denn die haben nicht nur Grace Darling, dort war schon 1824 eine National Institution for the Preservation of Life from Shipwreck gegründet worden, die in den Jahren von 1824 bis 1839 6.716  Schiffbrüchige retten wird. Was Christopher Berent Claudi dem dänischen König vortragen wird, führt dazu, dass Christian VIII im Jahr 1847 fünftausend Reichstaler für Raketenapparate, Schwimmgürtel und Rettungsboote bewilligt.

Claudi hätte auch nach Holland reisen können, denn die haben seit 1824 auch schon eine Rettungsgesellschaft, genau genommen sogar zwei. Am 14. Oktober 1824 waren siebzehn Schiffe vor der holländischen Küste gestrandet (hier die De Vreede), das war der Anlaß für die Gründung der Noord- en Zuid-Hollandsche Redding-Maatschappij (NZHRM) und der Zuid-Hollandsche Maatschappij tot Redding van Schipbreukelingen (ZHMRS). Wenn sich Adolph BermpohlGeorg Breusing und Arwed Emminghaus 1865 zusammentun, dann sind wir mit der Gründung einer nationalen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger die letzten in Europa.

Der Navigationslehrer Adolph Bermpohl (hier links neben Breusing und Emmighaus) war 1859 Leiter der privaten Seefahrtsschule in Vegesack geworden. In einem anonymen Zeitungsartikel schreibt er: Ist es nicht eine Schande für ganz Deutschland, daß so etwas an seinen Küsten vorkommen kann? Warum werden, wie in England, nicht auch an unseren Küsten Rettungsboote stationiert mit einer fortwährenden Küstenbewachung? 1860 verfasst er einen flammenden Aufruf zu Beiträgen für Errichtung von Rettungsstationen auf den deutschen Inseln der Nordsee. Da war kurz zuvor eine Brigg bei Borkum gestrandet, deren Passagiere man hätte retten können, wenn eine Ausrüstung dafür da gewesen wäre. Die Inselbewohner sind an der Rettung nicht interessiert, denn dank des sogenannten Strandrechts gehört alles ihnen, was von den zahlreichen Havaristen an Land geschwemmt wird. Die Ostfriesen kommen auch in Bermpohls Aufruf nicht gut weg:

Während die Ufer der meisten zivilisierten Staaten... den mit der Wut der Elemente Kämpfenden durch Rettungsstationen wenigstens die Möglichkeit einer Hilfe vor dem Äußersten bieten, bringen die deutschen Ufer dem Schiffbrüchigen nicht nur keine Hilfe, sondern dieser ist, selbst wenn sein Leben gerettet werden könnte, zu sehen genötigt, wie einzelne entmenschte Inselbewohner seinen Tod wünschen, um in erbärmlicher Habsucht das sogenannte Strandrecht ausüben zu können! Sprich, sie lassen die Schiffbrüchigen am Strand sterben, um die Leichen fleddern zu können. Bermpohls Aufruf, in dem er das Rettungswerk zur See zur Aufgabe der gesamten deutschen Nation macht, verhallt ungehört.

Bermpohl wird jetzt von Vegesack aus einen Artikel nach dem anderen in der Vegesacker Wochenschrift schreiben. Er wird 1863 die Bremische Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gründen und nicht aufhören zu kämpfen, bis am 29. Mai 1865 in Kiel die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gegründet wird. Weshalb das Kiel war, weiß ich nicht, denn diese Stadt spielte bei all den Bemühungen keine große Rolle. Die sogenannte Gründung ist eigentlich nichts mehr als eine Absichtserklärung, juristisch konstitutiert sich in Gesellschaft wenig später in Hamburg. Und als Sitz wird die Hansestadt Bremen festgelegt. Da ist die DGzRS noch heute beheimatet. Dahin kam 1957 auch der Bundespräsident Theodor Heuss, als seine Schwiegertochter einen Rettungskreuzer auf seinen Namen taufte. Wir hatten an dem Tag schulfrei und hingen alle am Geländer vom Garten des Hotels Strandlust, um Papa Heuss unter uns vorbeigehen zu sehen. Die Photos mit meiner Agfa Isola (6x6) habe ich leider verwackelt. Der Seenotrettungskreuzer Theodor Heuss ist seit 1977 im Deutschen Museum in München zu besichtigen.

Der Tag der Seenotretter der DGzRS ist Corona bedingt ins Internet verlegt worden.

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