So sah der Anfang der Vegesacker Strandstraße in den fünfziger Jahren aus. Da ist die Lotsenstation, auf deren Bällen auch der Wasserstand angezeigt wurde. Im Hintergrund der Bremer Vulkan, auf der anderen Weserseite die Werft von Lürssen. Die Strandstraße wurde von Bäumen gesäumt, links von den Bäumen war der Strand. Man kann auf Schwarzweißbildern viel sehen. Viele Kunsthistoriker ziehen reprofähige Schwarzweißbilder einem Farbbild vor: man erkennt in Details mehr darauf. Dieses Photo wurde mit einem Gelbfilter gemacht, man erkennt das an den schön konturierten plastischen Wolken. Das ist alles dahin, den Strand gibt es nicht mehr, da ist heute eine Spundwand. Und auch die schöne Schwarzweiß Photographie der fünfziger Jahre, als die Magnum Photographen die Szene beherrschten, sieht man heute kaum noch.
Die fünfziger Jahre waren die große Zeit der Photographie. Photoapparate stratifizieren die Gesellschaft der Adenauerzeit genau so wie die Automobile: Wenn man eine Leica (oder einen Mercedes-Benz) hat, ist man oben. Viele der Eltern haben die neuesten Kameras (wie zum Beispiel eine Minox) nur als Statussymbol, die photographieren nicht wirklich. Die Photographie ist für mich und meine Freunde ein wichtiger Teil unseres Lebens, wir haben unsere Photo-Bibel, den millionenfach verbreiteten Photo Porst-Katalog (in dem alle Photoapparate liebevoll detailliert beschrieben sind), schon beinahe auswendig gelernt. Und man darf ja davon träumen, eines Tages eine Contax zu besitzen oder eine Robot Royal III mit Schnellaufzug.
Wir kennen auch die Vor- und Nachteile aller Objektive. Namen wie Steinheil Cassar, Color Skopar, Schneider Xenon und Summicron (Bild) gehen uns ganz locker von der Zunge. Einzelne Hefte der Photozeitschrift Magnum sind wohlgehütete Schätze. Wir haben Photo Lehrgänge in der Volkshochschule besucht und haben alle ein kleines Photolabor im Keller oder auf dem Boden. Ich entwickle da noch nebenbei die Röntgenfilme für meinen Vater, wenn er es nicht lieber selbst macht, er ist solch ein Perfektionist.
Ich habe ein Liesegang Vergrößerungsgerät (Bild). Ekke, der sein Labor in der Waschküche hat, hat ein teureres Vergrößerungsgerät mit einem besseren Objektiv. Manche von uns experimentieren jetzt auch schon mit der Farbphotographie, aber ich bleibe bei Schwarzweiß. Da kann man Entwickler und Photopapier (in der Gradation extra hart) ja noch bezahlen. Und für schwierige Sachen, die mein Liesegang nicht hinkriegt, gibt es ja noch das Photolabor im Gemeindehaus. Das hat eine vorzügliche Ausstattung. Wenn man einen Film entwickelt (Namen wie Tetenal, Atomal und Neofin blau muss man jetzt kennen) und Abzüge und Vergrößerungen gemacht hat, muss man noch ein paar Stunden draufrechnen, bis die Photos fixiert, gewässert und getrocknet sind. Das ist eine einsame Arbeit unten im Keller in dem kleinen Rotlichtkabuff. Natürlich haben die Geräte noch keine Belichtungsautomatik, das wird frei nach Schnauze gemacht. Erfahrung ist besser als Belichtungsautomatik. Und natürlich gibt es nur coole randlose Hochglanzbilder. Nicht diesen Chamois Kitsch mit Büttenrand, den die Photogeschäfte liefern.
Wir Hobbyphotographen haben mit von den Eltern geliehenen 6x9 Kameras angefangen (mit einer Box oder einer billigen Agfa Isola, die kostet damals neun Mark neunzig). Jetzt beginnen wir mit der Kleinbildkamera. Peter besitzt irgendwann eine Spiegelreflex, um die ich ihn beneide. Ekke würde ja gerne mit einer der Leicas seines Vaters photographieren, aber der gibt die nicht aus der Hand. Dafür hat Ekke dann eines Tages eine 6x6 Rollei. Gert sogar eine geerbte alte Leica.
Wir schleppen unsere Photopparate bei allen Spaziergängen mit uns herum, photographieren uns an der Weser entlang, durch den Bremer Hafen, photographieren die Weserbrücken in Bremen, Stapelläufe beim Bremer Vulkan (Bild oben) und das Gewirr der Vulkan Kräne in Lobbendorf, die Heringslogger an der Lesummündung (hier von Hans Saebens photographiert) und hochpolierte Mahagoniheckspiegel von Luxusyachten bei Abeking und Rasmussen, neblige Lesumdeiche und die Bäume in Knoops Park. Photographieren die kalte klassizistische Schönheit von Polzins Vegesacker Kirche und die kleinen verlassenen Kirchen mit den alten Grabsteinen hinter dem Deich auf der anderen Weserseite. Photographieren den stillen Eggestedter Wald von den Kiesgruben bis zum Silbersee, den Farger U-Boot Bunker, Fähranleger und immer wieder die Schiffe, die die Weser heraufkommen.
Meine Kleinbildkamera heißt ab 1959 Werra. Das ist ein guter Name für einen Bremer, denn eigentlich ist das der alte Name für Weser, wirra findet sich noch auf mittelalterlichen Urkunden. Diese Werra ist mit grünem Kunstleder überzogen (synthetischer Kautschuk aus den Buna Werken), die gleiche Farbe wie die Uniformen der NVA. Oder die der Ledersitze der Reichsbahn in der 1. Klasse der DDR Eisenbahn. Einfach nur gräsig. Ich habe sie nur wegen des Objektivs gekauft: des Zeiss Tessar mit der Lichtstärke 1:2,8, von Photoamateuren das Adlerauge genannt. Zeichnet die Welt schärfer als alle anderen Objektive.
Leider kann man damit nicht die Effekte erreichen, dass man Vorder- oder Hintergrund unscharf zeichnet, wie es die Magnum Photographen machen. Wie zum Beispiel bei diesem berühmten Portrait Sartres von Henri Cartier-Bresson. Das Tessar zeichnet alles scharf. Meine DDR-Werra ist offiziell bei der Drogerie Tüscher in der Breiten Straße gekauft, mit Importurkunde, nicht aus der DDR herausgeschmuggelt. Später werde ich entdecken, dass sie bei dem Quelle Shop in Bremen für 99 Mark verkauft wird, dreißig Mark weniger, als ich bezahlt habe.
Die halbe deutsche feinmechanische Industrie sitzt in der Sowjetischen Besatzungszone, DDR darf man nicht sagen, verkündet Axel Springers Bild Zeitung, weil man dadurch den Unrechtstaat anerkennen würde. Ob es Carl Zeiss in Jena ist oder Ihagee Exakta (wie sie James Stewart in Hitchcocks Rear Window benutzt) in Dresden, sie bauen hervorragende Apparate. Und sie haben schon Spiegelreflexkameras auf dem Markt, als der Westen nur die Zeiss Ikon Contaflex bieten kann. Bei der kostet das Modell mit dem Tessar fünfmal soviel wie meine Werra. Da die DDR Währung nichts wert ist, sind die DDR Spiegelreflexkameras, wenn illegal erworben, spottbillig. Die DDR Grenztruppen kontrollieren bei Ein- und Ausreise nur Photoapparate. Sie sind alle aus Sachsen. Ihre Sätze, die mit Gänsefleisch anfangen, sind berühmt. Gänsefleisch soll eigentlich Können Sie vielleicht heißen, wie in Gänsefleisch mal den Kofferraum aufmachen? Meine Werra besitzt ein Zertifikat des DDR Außenhandelsministeriums, was bei Grenzschützern automatisch gute Laune und Wohlwollen auslöst. War es von Günter Mittag oder Alexander Schalck-Golodkowski unterschrieben? Ich weiß es nicht mehr, ich weiß nur noch, dass es mir bei unzähligen Berlinreisen zwischen 1958 und 1963 eine Art carte blanche für einen reibungslosen Grenzübertritt bescherte.
Eltern photographieren auch, Beweise für durchgeführte Reisen und Hobbies. Es ist die Wirtschaftswunderzeit, man will zeigen, was man hat. Wir gucken uns alles an, was die Eltern photographieren, aber meistens artet das in Diaabende aus (eine furchtbare Erfindung der fünfziger Jahre), bei denen man oh und ahh sagen muß. Da kann man im Halbdunkel Salzstangen knabbern, bis einem schlecht wird, photographisch kann man da nicht viel lernen. Ich werde auch nie mit einem Diafilm photographieren, und es gibt bei uns zuhause auch keinen Diaprojektor. Historisch interessant sind auch die alten braunen Bilder, die Dirk Havighorsts Vater sammelt. Der Werftbesitzer in der x-ten Generation trägt alles über das alte Blumenthal und die Blumenthaler Werften zusammen. Vor fünfzig Jahren ist das noch ein bisschen spleenig, heute sind Historiker dafür dankbar. Teile seiner Sammlung sind auch später im Heinrich Döll Verlag erschienen.
Irgendwann wird Hans Saebens mein Vorbild. Der Bremer, der ein Haus in Worpswede am Weg zum Weyerberg hatte, hatte als Landschaftsmaler begonnen und war dann zu Photographie gekommen. Beinahe immer mit seiner Leica, die er sich 1930 gekauft hatte, kaum dass die Kamera auf dem Markt war. Es gelingt ihm, das Charakteristische der norddeutschen Tiefebene in dramatischen, stimmungsvollen Aufnahmen festzuhalten. Das weite Land und die mächtigen Wolkenzusammenballungen werden in deutlich voneinander abgegrenzten hellen und dunklen Bildzonen festgehalten.
Vor allem seine späten Aufnahmen sind durch Sparsamkeit der Ausdrucksmittel und strenge Komposition gekennzeichnet, schrieb Helmut Brandt, der die Ausstellung Hans Saebens Photographien 1930–1969 in der Landesbildstelle Bremen organisiert hat. Es ist erstaunlich, was Saebens (mit viel Gelbfilter) aus dem Kleinbildfilm der Leica herausholt. Andere Photographen verwenden für Landschaftsaufnahmen eine Großbildkamera. Denn natürlich hat Ansel Adams Moonrise. Hernandez, New Mexico mit einer Großbildkamera gemacht.
Selbstverständlich machen wir auch Urlaubsphotos, und bei den Freizeiten der Evangelischen Jugend wird photographiert, dass man die Bilder schon nicht mehr zählen kann. Wird jetzt alles im Gemeindehaus entwickelt und vergrößert. Wir machen auch Familienphotos, auf jeden Fall die Sorte von Bildern, für die man nicht zu dem Vegesacker Photographen Erich Maack geschickt wird. Und stundenlang still sitzen muß, obgleich irgendetwas immer kneift und juckt.
Aber dafür haben diese Photos dann auch eine Art Ewigkeitswert, weil sie von einem Berufsphotographen sind, und sie kommen dann in einen Silberrahmen. Oder hängen gerahmt im Wohnzimmer, wie das Farbbild von Mammi im Abendkleid mit der Fuchsschwanzstola um die Schultern. Erich Maacks Tochter Annegret, mit der ich in der Volksschule war, hat mir damals als Geheimnis anvertraut, dass ihr Vater gar keine Farbphotos machte. Die milchig pastelligen Farben auf Mammis Portrait sind nachkoloriert. Das habe ich Mammi aber nie erzählt, und ich habe das große Geheimnis der kleinen Photographentochter, die so schön You are my sunshine sang, fünfundsechzig Jahre lang stillschweigend bewahrt. Bis jetzt.
Solche steifen Portraits und Gruppenaufnahmen wie Erich Maack sie macht, zieren auch unsere Photoalben, in denen hundert Jahre Familienleben dokumentiert ist. Die Aufnahmen, zum Teil auf steifem Karton, manche mit eingeprägtem Namen des Photographen, haben sich in der Dunkelheit des Photoalbums erstaunlich gut gehalten. Das älteste Bild, Mammis Urgroßmutter aus Epe (was heute Bramsche ist), ist irgendwann einmal von einer Daguerretypie umkopiert worden. Die Verwandtschaft mütterlicherseits ist bis zum Jahre 1900 zurück ziemlich vollständig. Vatis Vorfahren sind unterrepräsentiert, was wohl daran liegt, dass diese Photoalben mit dem Haus in Bremen abgebrannt sind.
Oma Johanna mit ihren schönen Schwestern und deren Männern ist auf vielen Bildern. Die Damen elegant, selbstbewusst, eine nachdenklich. Oma und Tante Margret etwas träumerisch. Die Herren bürgerlich gesetzt mit Stehkragen und Uhrenkette über der Weste. Dann der erste in Uniform, mit Pickelhaube, Mantel und Säbel. Und dem Schnurrbart vom Typ es ist erreicht, er könnte für einen Doppelgänger vom Kaiser durchgehen (die Photographie wurde von einem M. Hoffmann in Oldenburg, Heiligengeiststrasse 2 gemacht). Vom Kaiser ist auch ein ein Photo auf diesen Seiten, eine Postkarte Das Kaiserpaar mit seinen Enkelkindern mit der Adresse eines Berliner Hof-Photographen. Der Kaiser trägt natürlich Uniform, und das tun alle abgebildeten Herren auf den nächsten Seiten auch. Es ist Krieg. Gleich das erste Photo zeigt Opa und Oma mit dem kleinen Gustav (natürlich im Matrosenanzug), Opa hält seinen Offizierssäbel in der linken Hand, im Knopfloch ist das schwarzweißrote Band vom Eisernen Kreuz. Er guckt etwas griesgrämig, während Oma wirklich nett lächelt.
Neben den Familienphotos und den Passphotos, für die Maack ein Monopol hat (bis Foto Hallfeldt kommt), hat Erich Maack ein zweites Standbein: er photographiert alle Neubauten der Großwerft Bremer Vulkan. 1932, als sein Vater gerade den Laden in der Gerhard Rohlfs Straße von dem Photographen Gustav Dähn gekauft hatte, lernte der 18-jährige Erich Maack den Vulkandirektor Robert Kabelac kennen. Von da an ist er der Photograph des Vulkan bis zu dessen traurigem Ende. Die Photographien werden heute im Bremer Staatsarchiv aufbewahrt. Hier hat Maack die Festlichkeiten zur 150 Jahrfeier der Werft photographiert, in der ersten Reihe sehen wir Wilhelm Kaisen, den Baron H. H. Thyssen-Bornemisza, Werftdirektoor Kabelac, und Prinz Luis Ferdinand von Preußen ist auch irgendwo mit drauf.
Man kann von Erich Maacks Industriephotographien viel lernen, die er manchmal in den Schaufenstern seines Ladens ausstellte. Durchkomponierte Aufnahmen in Schwarzweiß, mit einer Plattenkamera (oder einer Linhof Technika) aufgenommen. Mit starkem Gelbfilter für Himmel und Wolken, die Prag oben wäre ein Beispiel dafür. Das Ehepaar Bernd und Hilla Becher hat es geschafft, dass seine Photos von Schornsteinen im Kohlenpott als Kunst angesehen werden. Das hat Erich Maack mit seinen Schiffsbildern nicht geschafft, vielleicht kommt das ja noch.
Es werden heute immer noch aus In- und Ausland alte Photos aus der Sammlung nachbestellt, die Fritz Maack mit Haus und Laden von seinem Vorgänger Gustav Dähn gekauft hatte. Dähn war als Photograph nicht unbekannt, dieses Photo aus dem Jahre 1927 des von Ernst Becker-Sassenhof gebauten Hauses für den Vegesacker Ruderverein ist ein beinahe schon ikonisches Bild der Neuen Baukunst geworden. Es findet sich auch im Katalog der Oldenburger Ausstellung Neue Baukunst! Architektur der Moderne in Bild und Buch.
Er wird wohl keinen Nachfolger finden. Photoläden gehen ein wie Buchläden. Heute wird mit dem Handy oder einer Digitalkamera photographiert, meine Welt ist das nicht. Braucht es auch nicht zu sein.
Noch mehr Photographie in den Posts: Ludwigslust, Werra, Wuddel, Zeiss, Photoalbum, Zahlenspielereien
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