Montag, 18. November 2019

Ertrinken verboten


Sie steht am frühen Morgen unter der Dusche, als sie hört, dass zwei Einbrecher ihren Freund im Nebenzimmer bedrohen. Sie nimmt ihre Pistole, die in dem Halfter an der Wand hängt, und fordert die maskierten Eindringlinge auf, ihre Waffen fallen zu lassen. So beginnt der Kriminalfilm La Guerre des polices, den Dominik Graf in seiner Liebeserklärung an den Polar, den französischen Kriminalfilm, zitiert. Ich wollte das heute zuerst Polar nennen, aber ich weiß nicht, ob Sie mit diesem Wort, das aus Police und Argot gebildet wurde, etwas hätten anfangen können. Dominik Graf habe ich mit seinem Film Zielfahnder schon in dem Post Nackt erwähnt, seit Monaten will ich etwas über ihn schreiben (er wird schon in dem Post Klaus Wennemann erwähnt, aber das reicht nicht). Irgendwann kriege ich das hin. Marlène Jobert hat natürlich ihre Pistole in der Dusche, weil sie bei der Polizei ist, sie hat in diesem Film eine ganz andere Rolle als in Le Passager de la pluie. Doch das Photo ist auf jeden Fall ein guter Anfang, um über den französischen Kriminalfilm zu schreiben.

Im französischen Kriminalfilm haben Kommissare große Macht, vielleicht mehr Macht als in der Wirklichkeit. Das hat auch etwas mit der Struktur der französischen Polizei zu tun. Fans von Kommissar Maigret wissen, dass sein Arbeitsplatz der Quai des Orfèvre ist, aber er wird immer wieder in die Provinz beordert, um dort Morde aufzuklären. Wie zum Beispiel in Maigret kennt kein Erbarmen (Maigret et l'Affaire Saint-Fiacre), wo er in seinen Heimatort zurückkehrt. Die Romanvorlage gilt als einer der besten Romane von Simenon.

Die Kommissare kommen aus der Großstadt, aber sie durchschauen die ländliche Gesellschaft schnell. Wie der Inspektor Lavardin, den wir aus den Filmen von Claude Chabrol wie Hühnchen in Essig (Poulet au vinaigre) kennen. Oder der Kommissar Pierre Niémans in dem Film Die purpurnen Flüsse (Les Rivières pourpres). Die haben da zwar in der Provinz auch Polizei, aber das ist die Gendamerie, die kann in der Welt der Filme die schwierigen Fälle nicht lösen, da muss schon ein Kommissar von der police nationale aus der Großstadt kommen.

In dem Film Ertrinken verboten (✺Noyade interdite) kommen gleich zwei, Paul Molinat (Philippe Noiret) und Leroyer (Guy Marchand). Sie können einander nicht ausstehen, und Kommissar Molinat vermutet, dass Leroyer nicht nur wegen der Toten am Strand in dem kleinen Badeort am Atlantik auftaucht, sondern dass er auch wegen seiner Vergangenheit hier ist. Ich habe den Film vor Jahrzehnten einmal gesehen, und ich mochte ihn sehr. Lakonisch, bösartig, mit schwarzem Humor. Ich habe ihn auch schon in dem Post Les Films de ma Vie erwähnt. Ich habe jahrelang versucht, eine DVD zu bekommen, vergeblich. Die Romanvorlage von Andrew Coburn war erhältlich, der Film nicht. Aber dank der russischen Quelle, die ich schon mehrfach empfohlen habe, kann man ihn jetzt sehen.

Kommissar Molinat ist aus Bordeaux angereist, aber der kleine Badeort ist ihm nicht unbekannt. Er hat hier mal gewohnt, ist fortgezogen, als seine Frau ins Meer gegangen war. Nie wieder aufgetaucht. Jetzt finden sich beinahe täglich Leichen am Strand. Guy Marchand kennt den Ort nicht, aber er scheint etwas von der Vergangenheit von seinem Kollegen zu wissen.

Ich mag Philippe Noiret und Guy Marchand (der schon in dem Post Léo Malet auftaucht) und all die schönen Frauen, die in dem Film zu sehen sind. Sie werden noch Karriere machen. Die hübsche Marie Trintignant (die Tochter von Jean-Louis Trintignant), die Noiret hier im Arm hält, leider nicht so lange, weil sie von ihrem Freund im Drogenrausch umgebracht wurde.

Die Blonde in der Mitte ist Gabrielle Lazure. Die hatte eine ihrer ersten Rollen in dem Film✺La Belle Captive, aus dem diese Bild stammt. Der Film, der damals eine Sensation war, ist von Alain Robbe-Grillet, und über dessen Softporno Filme habe ich in dem Post Robbe-Grillet schon Böses gesagt. Der Film hat der Karriere von Gabrielle Lazure allerdings nicht geschadet, sie ist in furchtbar vielen Filmen zu sehen, aber kaum jemals wieder in einem guten Film wie Noyade interdite. Sie hat gerade in dem Buch Maman... cet océan entre nous mit ihrer Mutter abgerechnet, der sie offenbar eine schlimme Kindheit verdankte.

Neben Gabrielle Lazure steht Elisabeth Bourgine. Die kennen wir schon, wir können sie zur Zeit immer wieder bei ZDFneo in den Wiederholungen von Death in Paradise sehen. In dem Post Polanski wird sie auch schon erwähnt. Wir brauchen diese drei hübschen Frauen, nicht nur weil François Truffaut gesagt hat Le cinéma c'est de l'art de faire faire de jolies choses à de jolies femmes, sie sind für die Handlung unentbehrlich.

Kommissar Leroyer hat sich in den schönen jungen Frauen getäuscht, so wie wir uns als Zuschauer in ihnen getäuscht haben. Wenn Leroyer mit Marie Trintignant, mit der er flirtete, wenn sie halbnackt am Strand lag, jetzt im Bett liegt, hat die plötzlich eine Pistole in der Hand. Das wird er überleben. Auch dass ihn Gabrielle Lazure die Treppe hinunterstürzt. Aber das lange Messer, das Elisabeth Bourgine in der Hand hält, das überlebt er nicht. Spätestens jetzt wissen wir, dass auch die Leichen am Strand auf das Konto der jungen Frauen gehen, die so leicht bekleidet durch den Film flitterten und so unschuldig wirkten.

Am Ende des Films verstauen sie ihr Gepäck in einem weißen Golf mit Pariser Kennzeichen und reisen ab. Aber sie kommen nicht bis Paris, die Polizei ist ihnen schon auf den Fersen. Da bleibt ihnen am Schluss nur ein Ende wie in ✺Thelma & Louise. Für unseren Kommissar Molinat wird es ein Happy End geben, er wird in dem kleinen Ort bleiben und sich mit der hübschen Marie (Anne Roussel), der Tochter seiner ehemaligen Geliebten Winny (Stefania Sandrelli) zusammentun.

Solche Kriminalfilme zu drehen, ist etwas, was die Franzosen können. Und sie haben auch die Filmkritiker, die das würdigen: Pierre Granier-Deferre ménage une ambiance chargée d'électricité. L'humour y est noir. Presque dérangeant. Un policier qui sort des sentiers battus, se mouvant au rythme du ressac de l'océan. Un érotisme soft porté par des actrices qui n'hésitent pas à se dévêtir devant l'objectif du cinéaste pour contenter le regard voyeur de certains personnages comme des spectateurs masculins en général. On pourrait lui reprocher son manque de rythme mais connaissant l’œuvre de ce cinéaste auquel il arrive de prendre son temps 'Noyade Interdite', en terme de vélocité, demeure dans la continuité...

Der Film wurde in St Palais sur Mer gedreht. Ich weiß sogar, wo das ist. Als ich die kleine Geschichte Sommerurlaub schrieb, wollte ich meine Heldin da am Strand plazieren. Aber das ging nicht, sie sollte Elisabeth Bourgine und Marie Trintignant keine Konkurrenz machen. Die schöne Buchhändlerin mochte eine Zicke sein, eine femme fatale war sie nicht. Bei den Dreharbeiten suchte die Filmfirma junge Mädchen, die sich am Strand tummeln sollten. Natürlich nicht für einen érotisme soft porté par des actrices qui n'hésitent pas à se dévêtir devant l'objectif du cinéaste. Die Filmfirma verlangte eine Beurlaubung durch die Schule oder die Begleitung von Erwachsenen. Die Schülerinnen des Lyzeums aus dem benachbarten Royan stellten vergeblich einen Antrag auf Unterrichtsbefreiung. Sie waren dennoch bei den Dreharbeiten dabei und präsentierten dem Direktor am Tag danach Entschuldigungsschreiben von ihren Eltern. Vielleicht ist eine von ihnen ja Schauspielerin geworden, das weiß man in Frankreich nie.

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