Donnerstag, 21. November 2019

Mio caro Händel


Mein lieber Händel, beginnt die Sängerin ihren Brief, welche Ehrfurcht und Demut empfinde ich für Sie! Ich verneige mich vor Ihrem Genie und fühle mich mit Ihnen so tief verbunden wie eine Seelenverwandte. Am Ende des Briefes geht sie von dem Sie zum Du über: Deine Musik atmet Erhabenheit, tiefe Menschlichkeit und Wahrhaftigkeit. Und ihre spirituelle Kraft strahlt bis ins Heute. Eines Tages werden wir uns begegnen, zu himmlischen Klängen. Ich liebe Dich von Herzen und umarme Dich mit meiner ganzen Seele. Und sie zeichnet den Brief mit Deine Simone Berlin, im Sommer 2018. Die Liebeserklärung an Georg Friedrich Händel findet sich in dem Booklet zu der CD Mio caro Händel von Simone Kermes, die in diesem Jahr auf den Markt gekommen ist.

Sie war mal ein Punk mit roten Haaren, aber jetzt sieht sie anders aus: Soll ich auf dem Cover meiner neuen Händel-CD aussehen wie die junge Helene Fischer? Das sieht gut aus, gar keine Frage. Aber es hat mit der Sache nichts zu tun, mit dieser Musik. Also mache ich meine eigenen Fotos mit meiner eigenen Fotografin und bezahle die auch selbst. Ich kann nicht anders, ich habe mich immer schon eingemischt. Ein wenig von der Zeit als Punk ist übrig geblieben, wenn man ihre Kleidung betrachtet. Julia Frasi, Händels Sängerin bei The Triumph of Time and Truth, soll auch etwas exzentrisch gewesen sein, aber sicher nicht so wie die Die verrückte Königin der Barockmusik, wie die Welt die Sängerin nannte. Das hier trug sie bei der Echo Klassik Verleihung im Jahre 2014.

Sie entwirft ihre Kleider selbst, sie orientiert sich am Stil des 2010 verstorbenen Modeschöpfers Alexander McQueen, den sie bewundert hat. Über die Kleider ihrer Kolleginnen hat sie wenig Schmeichelhaftes zu sagen: Die stehen auf der Bühne in einem langen, uninspirierten Kleid von der Stange, das aussieht wie ein Scheuerlappen. Das kommt nicht immer gut an: Viele Sängerinnen haben ein Problem mit mir und meiner Art, mich zu kleiden. Es ist kein Zufall, dass ich vor allem Solokonzerte gebe. Sie kann leicht Solokonzerte geben, denn sie hat mit den Amici Veneziani ihr eigenes Orchester.

Sie hat lange mit Teodor Currentzis zusammengearbeitet und hat die Gräfin Almaviva in Le nozze di Figaro gesungen. Sie singt das Porgi amor anders, als man es sonst hört. Auf jeden Fall anders als die Callas. Ein Kommentator namens Kedem Berger schrieb dazu bei YouTube: This is so awful in so many ways, I can't even begin to explain why. She should be executed. Ich dachte, die Hasskommentare finden sich nur bei Politikern, jetzt sind die Klatschenkallis auch schon bei Mozart angekommen.

Currentzis (hier mit Simone Kermes als Donna Anna) hat das ganz gerne, wenn seine Sänger und Sängerinnen die Arie etwas anders angehen, er ist ja häufig bemüht, das Opernhafte aus der Oper zu nehmen. Sein Ottavio (Kenneth Tarver) in Don Giovanni zum Beispiel singt das Dalla sua pace ganz anders, als der es gemeinhin tut. Der Rezensent der Zeit fand übrigens ihr Porgi amor nicht awful: 'Porgi amor' die Cavatine der Gräfin aus dem zweiten Akt, die Klage einer betrogenen Ehefrau, klingt bei Kermes, als wüsste die Gräfin bereits, was nach dem Leben mit dem Grafen kommt. In jedem Fall scheint sie zu wissen, dass es gut sein wird, bei aller seidigen Traurigkeit der Töne. Und schön. Das ist etwas anderes als die Argauer Zeitung, die schrieb: Die fundamentlose Stimme von Barockstar Simone Kermes flattert milchweiss durch ihre Auftrittsarie 'Porgi amor'. Lassen wir das mal unkommentiert. Kermes ist bei den Mozart Opern von Currentzis, den sie mit einem Vampir verglich, die Contessa, die Donna Anna und die Fiordiligi. Man kann sich für alle drei Rollen andere Stimmen vorstellen, aber gegen ihre engelsgleiche Stimme im Contessa, perdono (zu dem es schon zwei Posts gibt) wird kein Kritiker etwas sagen können.

Ich hörte die Stimme von Simone Kermes letztens nachts im Radio, da sang sie Guardian Angels aus Händels Oratorium Il trionfo del Tempo e del Disinganno, das war in der Dunkelheit der Nacht sehr schön. Es ist auch am Tag noch schön:

Guardian angels, oh, protect me,
And in Virtue's path direct me,
While resign'd to Heav'n above.
Let no more this world deceive me,
Nor let idle passions grieve me,
Strong in faith, in hope, in love.
Guardian angels...

Händels Oratorium hat eine seltsame Geschichte. 1707 in Rom zum erstenmal aufgeführt (als Oratorium, um das römische Opernverbot zu umgehen), damals noch italienisch. Später gab es eine englische Fassung The Triumph of Time and Truth, und kurz vor seinem Tod konnte Händel noch die letzte Fassung in London erleben, dirigiert von seinem Assistenten John Christopher SmithRaymond Chandler hat vom cannibalizing gesprochen, wenn er Teile von frühen Stories noch einmal verwendete, Händels Oratorium ist ein einziges cannibalizing. Alles kommt noch mal hinein, auch das Lascia ch'io pianga, das er schon in zwei Opern verwendet hatte. Simone Kermes singt auf Mio caro Händel zwei Stücke aus dem Oratorium. Wenn Sie Teile daraus sehen wollen, dann habe ich hier einen Schnipsel von Jürgen Flimms Inszenierung. Ist vielleicht nicht so schlimm wie die Mozart Oper, die ich in Flimm ist schlimm erwähnte, aber doch irgendwie komisch.

Für Simone Kermes' CD Mio caro Händel brauche ich keine Werbung zu machen, das macht die Firma Sony schon, doch wenn Sie sie kaufen, weil Sie Händel lieben, machen Sie keinen Fehler.

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