Mittwoch, 27. November 2019

No sex please, we're British


Es tut sich etwas in England. Nicht in Sachen Brexit, sondern in Sachen englischer Film. Die in der Directors UK organisierten Filmregisseure haben gerade Richtlinien veröffentlicht, wie beim Drehen mit der Nackheit umzugehen ist. Also Richtlinien, die über das ✺No sex please, we're British hinausgehen. Dieses Photo stammt aus dem Film ✺Naked as Nature Intended (1961), der damals als Dokumentarfilm deklariert wurde und so die Regeln des British Board of Film Censors unterlief.

Zeitgleich mit den neuen puritanischen Regeln hat eine gewisse Emilia Clarke, von der ich noch nie gehört habe, erklärt, dass sie bei den Dreharbeiten zu Game of Thrones (offensichtlich einem filmischen Meisterwerk) zu Nacktszenen gezwungen wurde. Die BZ titelte: Nur mit Alkohol überstand sie die Nacktszenen.  Im Jahre 2011 redete sie noch ganz anders über ihre Rolle: One of the many things I love about Daenerys is she's given me an opportunity to fly the flag for young girls and women, to be more than just somebody's wife and somebody's girlfriend.

In der Zeitschrift Marie Claire konnte man lesen: Thanks to HBO's 'the more naked people, the better' policy, 'Game of Thrones' has gotten to explore some boundary-pushing sex scenes—and not all of them are without controversy. But the show's *best* sex scenes aren't the ones that are simply controversial. They're the ones that are gorgeously filmed, sex-positive, and a break from the norm. Here's the best of the best, which we went ahead and rated on a scale of dracarys (dragonfire) flames, because we are unabashed nerds. Dass diejenigen, die sich so etwas angucken unabashed nerds sind, will ich gerne glauben.

Auch Charlotte Rampling, die sich von 1974 (The Night Porter) bis 2009 (Life During Wartime) beinahe in jedem Film nackt ausgezogen hat und dem Playboy und Helmut Newton hüllenlos zur Verfügung stand, hat neuerdings Bedenken: I’ve always thought this. Despite all that ‘Oh, Charlotte Rampling, you’ve stripped off so much in your life’ stuff, I’ve always thought that unless you’re into group sex you don’t want to share those intimate moments with people watching. Hätte sie sich das nicht früher überlegen können? All das sieht ja eher danach aus, dass man wieder einmal in die Schlagzeilen kommen möchte.

Wenn man in England schon keine wirklich erotischen Filme drehen kann, so hatte man in dem Jahrzehnt, das vom Geschmack vergessen wurde, doch ein Schmuddelkino, das beim Publikum Anklang fand. Why is it that the heart sinks, the knees sag and stark horror grips the soul at those three words: British Sex Comedy? fragt Tim Healey, der das Buch The World's Worst Movies herausgegeben hat. Vor allem in den Carry On Filmen (dieses Photo ist aus Carry On England) konnte man sicher sein, dass sich Barbara Windsor mindestens einmal ein wenig entblösste. One of her most iconic scenes was in Carry On Camping in 1969, where her bikini top flew off during outdoor aerobic exercises, heißt es im englischen Wikipedia Artikel. Für solche iconic scenes kann man in England geadelt werden, Barbara Windsor ist inzwischen Dame Barbara.

1959 kam Jack Claytons Film Der Weg nach oben (Room at the Top) in die Kinos, der das British Board of Film Censors vor große Probleme stellte. Laut Wikipedia ist die Verfilmung von John Braines gleichnamigen Roman mit Simone Signoret und Laurence Harvey der erste britische Film, in dem Sexualität realistisch und lustvoll dargestellt wird und nicht nur als Quelle der Sünde. Ich muss gestehen, dass ich damals bei der durchaus ernstzunehmenden Literaturverfilmung davon überhaupt nichts gemerkt habe. Bei Ingmar Bergman merkte man schon, dass es da Erotik auf der Leinwand gab.

Im gleichen Jahr wie Jack Clayton drehte Michael Powell den Film Peeping Tom, der große Ähnlichlichkeiten mit Hitchcocks Film Psycho hat, es geht um Sex, Voyeurismus und Tod. Das war den Engländern zuviel. Der Film hat der Karriere von Michael Powell und Karlheinz Böhm sehr geschadet. Krankhaft, abwegig und peinlich geschmacklos, urteilte der Katholische Filmdienst. So etwas müssen die sagen, das geht nicht anders. Aber auch die englischen Kritiken waren vernichtend. Derek Hill schrieb in der TribuneThe only really satisfactory way to dispose of Peeping Tom would be to shovel it up and flush it swiftly down the nearest sewer. Even then the stench would remain. Der Film gilt heute als ein Klassiker.

Der erotischste britische Film ist nach Meinung des BFI Peter Stricklands The Duke of Burgundy aus dem Jahre 2014, das BFI schränkte diese Aussage aber sogleich wieder ein: serious British films about eroticism remain as rare as the more exotic butterflies on display in Strickland’s film, despite the considerable relaxation in censorship post-2000. Manche Filmkritiker fanden die Filmmusik noch das Beste an Stricklands Film.

Dieser Cartoon von Ronald Searle erschien 1955 im französischen Figaro, nicht in einer englischen Zeitung. Das sagt uns viel über die Engländer. Die Briten haben keinen Sexfilm, sie haben auch keinen Sex mehr. Sagt der GuardianIf, as Philip Larkin claimed, sex began in 1963, it appears to be fizzling to an end in the early decades of the 21st century. We British, never international avatars of sexual prowess, now seem to be living up to our billing: we are too tired, too stressed, or too drunk to screw. Vielleicht ist der Brexit doch keine so schlechte Idee.

Einen Film sollte ich noch erwähnen, der auf der Liste des BFI für die zehn besten englischen Erotikfilme steht. Er heißt Eskimo Nell, und die BFI Seite sagt über den Film: this one isn’t particularly erotic either, but it does cast a keenly satirical eye on how the sex-film business was run at the time, with wide-eyed ingénues on both sides of the camera and a plot that contrives multiple adaptations of the notoriously filthy poem to please different backers: hardcore porn, a gay western, a kung-fu musical and a family-friendly compromise.

Der neueste englische Film zu dem Thema heißt Proper British Sex. Er dauert sechs (sex?) Minuten.

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