Samstag, 2. Februar 2019

Göttingen


Die CDs, die Gabi mir geschenkt hat, waren immer etwas besonderes. Das fing mit einer CD von Triosence an, das war eine Raubkopie, aber ich gewöhnte mich so schnell an diese Musik, dass ich mir die anderen CDs nachkaufen musste. Dann bekam ich von ihr Madeleine Peyroux, über die musste ich gleich schreiben. Und zu Weihnachten gab es von Barbara Dis, quand reviendras-tu?. Mit der Sängerin konnte ich etwas anfangen, weil ich seit fünfzig Jahren eine LP von ihr habe. Die war in der Schallplattenedition des legendären Magazins Twen erschienen.

Die französische Sängerin Barbara war 1964 zum erstenmal in Deutschland aufgetreten. Ich fahre also im Juli nach Göttingen und ärgere mich bereits, dass ich die Einladung angenommen habe, schrieb sie in ihren Memoiren. Die Tochter einer jüdischen Familie, die mit Glück die deutsche Besatzung überlebt hatte. Es war nicht leicht für sie ins Land der boches zu kommen. Das galt ebenso für Juliette Gréco, die ich 1962 in Berlin erlebte. Sie war als Kind von der Gestapo verhaftet worden, ihre Mutter und Schwester überlebten das KZ Ravensbrück. Aber jetzt in den Sixties kommen beide Sängerinnen nach Deutschland.

Der Göttinger Regisseur Hans-Gunther Klein (hier rechts im Bild) hatte Barbara in Paris überredet, nach Göttingen zu kommen. Doch als sie kam, ging alles schief. Sie wollte einen Konzertflügel haben, nicht dieses braune Turnhallenklavier, das auf der Bühne stand. Aber eine alte Dame in der Nachbarschaft stellt ihren Flügel zur Verfügung, Studenten schleppen das Piano ins Theater. Das Konzert beginnt mit zweistündiger Verspätung und wird ein Riesenerfolg.

Tage später schreibt Barbara die erste Version ihres Lieds À Göttingen, à Göttingen: Am letzten Mittag meines Aufenthaltes kritzelte ich ‚Göttingen‘ im kleinen Garten, der an das Theater grenzte, nieder. Am letzten Abend habe ich den Text zu einer unfertigen Melodie vorgelesen und gesungen, wobei ich mich dafür entschuldigte. In Paris habe ich dieses Chanson fertiggestellt. Ich verdanke dieses Chanson also der Beharrlichkeit Gunther Kleins, zehn Studenten, einer mitfühlenden alten Dame, den kleinen blonden Kindern Göttingens, einem tiefen Verlangen nach Aussöhnung, aber nicht nach Vergessen.

In den letzten Zeilen des Chansons heißt es:

O faites que jamais ne revienne
le temps du sang et de la haine,
car il y a des gens que j’aime
à Göttingen, à Göttingen.

Lasst diese Zeit nie wiederkehren
und nie mehr Hass die Weit zerstören:
Es wohnen Menschen, die ich liebe,
in Göttingen, in Göttingen.

Für den jungen Gerhard Schröder, der in Göttingen studierte, wird das Lied zu einer Hymne der deutsch-französischen Aussöhnung. Ein Jahr nach dem Élysée Vertrag wird der Vertrag mit Leben erfüllt. Nicht von den Politikern, sondern von einer französischen Chansonsängerin. Jetzt haben wir den Vertrag von Aachen, aber Frau Merkel kann kein Französisch. Die Zeiten, in denen Richard von Weizsäcker in Paris eine Rede in französischer Sprache halten konnte, sind lange vorbei. Unsere Politiker können kein Französisch, Martin Schulz ist da eine rühmenswerte Ausnahme.

Juliette Gréco sang, was Jacques Prévert schrieb, Barbara schrieb ihre Lieder selbst. Sie hat sie auch auf deutsch gesungen. Man hat Barbara nie vergessen. In Deutschland vielleicht, in Frankreich nicht. Vor zwei Jahren hat Alexandre Tharaud ihre Lieder mit vielen Sängern und Sängerinnen neu aufgenommen. Und im selben Jahr hat Gérard Depardieu Barbaras Lieder gesungen, À Göttingen war auch dabei.

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