Dienstag, 26. Februar 2019

Birken


Auf beinahe jedem Bild der Worpsweder Maler sind sie zu sehen, die Birken. Sie gehören zum Bildinventar der kleinen Worpsweder Welt. Das die Maler schon selbst etwas ironisch betrachteten. So erschien in der Worpsweder Zeitung zur Vierzigjahrfeier der Künstlerkolonie am 11. Oktober 1924 ein satirisches Preisausschreiben, das als ersten Preis folgendes auslobte: 1. Preis: Ein original Worpsweder Motiv, bestehend aus: 1 frisch gestrichenes Strohdachhaus, 1 fleckige Kuh, 1 Paar braune Segel, 1 Dtzd. Gutgewachsene Birken, 1 Ia. Sonnenuntergang (alles vom Verschönerungs=Verein Worpswede eigens angepflanzt und sofort lieferbar). Den richtigen Lösungen des Preisausschreibens waren 20 Mark Worpsweder Notgeld beizufügen. Man muss dazu sagen, dass diese Sondernummer der Worpsweder Zeitung zum 11. Oktober eine Ulknummer war. Aber Satire hin und her, das was da so ironisch beschrieben wird, ist die gesamte Worpsweder Bildwelt.

Natürlich haben Dichter die Birken besungen, so zum Beispiel Thomas Hardy in The Upper Birch-Leaves. Aber da ist es schon November, und der Baum verliert seine Schönheit:

Warm yellowy-green
In the blue serene,
How they skip and sway
On this autumn day!
They cannot know
What has happened below, -
That their boughs down there
Are already quite bare,
That their own will be
When a week has passed, -
For they jig as in glee
To this very last.

But no; there lies
At times in their tune
A note that cries
What at first I fear
I did not hear:
"O we remember
At each wind's hollo -
Though life holds yet -
We go hence soon,
For 'tis November;
- But that you follow
You may forget!"

Bei Börries von Münchhausen wird die Birke in seinem Gedicht Birkenlegendchen richtig sexy:

Birke, du schwankende, schlanke,
wiegend am blassgrünen Hag,
lieblicher Gottesgedanke
vom dritten Schöpfungstag

Gott stand und formte der Pflanzen
endlos wuchernd Geschlecht,
schuf die Eschen zu Lanzen,
Weiden zum Schildegeflecht.

Gott schuf die Nessel zum Leide,
Alraunenwurzeln zum Scherz,
Gott schuf die Rebe zur Freude,
Gott schuf die Distel zum Schmerz.

Mitten in Arbeit und Plage
hat er ganz leise gelacht,
als an den sechsten der Tage,
als er an Eva gedacht.

Sinnend in göttlichen Träumen
gab seine Schöpfergewalt
von den mannhaften Bäumen
einem die Mädchengestalt.

Göttliche Hände im Spiele
lockten ihr blonden das Haar,
daß ihre Haut ihm gefiele,
seiden und schimmernd sie war.

Biegt sie und schmiegt sie im Winde
fröhlich der Zweigelein Schwarm,
wiegt sie, als liegt ihr ein Kinde
frühlingsglückselig im Arm.

Birke, du mädchenhaft schlanke,
schwankend am grünenden Hag,
lieblicher Gottesgedanke
vom dritten Schöpfungstag!


Eine sehr schöne literarische Form haben die Birken in Hermann Kasacks Erzählung Das Birkenwäldchen gefunden. Geschrieben 1944 für seinen Freund Peter Suhrkamp, den die Gestapo ins KZ gebracht hatte. Kasack beschreibt hier ein Birkenwäldchen, das er jeden Tag aus der Eisenbahn sehen kann: Als ich an einem der letzten Tage am Birkenwäldchen vorüberfuhr, sah es aus, als ob über dem krausen Blätterbehang ein grauer Staub lag, wie ihn der Wind an trockenen Tagen durch die Luft treibt. Es müßte ein Regen kommen, um die Blätter blank zu waschen. Was aber ließe sich Besseres sagen, um das Birkenwäldchen jemandem lebendig zu machen, der es so lange nicht erblickte als dies: Ich sehe es beinahe täglich mit deinen Augen.

Die Birke, die von vielen Allergikern nicht geliebt wird, ist einer der ersten Bäume, der im Frühling Blätter trägt, für den Maibaum nimmt man meistens eine Birke. Sie ist ein Symbol des Frühlings und des Lebens. Sie findet sich auch häufig auf Friedhöfen, wahrscheinlich soll sie da ein Symbol des ewigen Lebens sein. Aber Birken leben nicht ewig. Die Birke, die Opa nach dem Krieg auf dem Familiengrab hat pflanzen lassen, war nach einem halben Jahrhundert riesig geworden, ich musste sie auf Wunsch der Gemeinde fällen lassen. Es wurde keine neue Birke gepflanzt, sie wäre ein Fremdkörper geblieben. Die alte Birke hatten alle gekannt, die da unten in den Särgen lagen.

Und so kann sie auch ein Symbol des Todes sein. Ich war gerade zum Gymnasium gekommen, da gab es eine offiziell angesetzte Stunde zur Feier des Kriegsendes. Die fiel bei unserem Klassenlehrer Hermann Bollenhagen, dessen Kriegsverletzungen man jeden Tag sehen konnte, ohne jede Verherrlichung aus. Trocken und spröde erzählte er, wie er als junger Soldat in Russland mit seiner Kompanie in einen Birkenwald ging und links und rechts von ihm die Soldaten plötzlich tot am Boden lagen. Man sah den Feind nicht, man hörte die Schüsse kaum. Da waren nur dieser Birkenwald, der blaue Himmel eines Spätsommertages, und der Tod. Dies war offensichtlich ein anderer Krieg als der Krieg meines Großvaters dreißig Jahre früher in Frankreich.

Während Bollenhagen die Geschichte erzählte, dachte ich an den kleinen russischen Friedhof in einem Birkenwäldchen bei Eggestedt, das wie eine Landzunge in die Äcker hineinreichte, und den ich einmal beim Spielen mit meinen Freunden, auch an einem Spätsommertag mit blauem Himmel, entdeckt hatte. Viele Lehrer erzählten uns in den fünfziger Jahren ihren Krieg, aber niemand sprach von den Zwangsarbeitern, die den U-Boot Bunker in Farge gebaut hatten, an Unterernährung und Entkräftung gestorben waren und da in dem kleinen Birkenwäldchen lagen, mit Grabkreuzen in kyrillischer Schrift. Die Geschichte ist nicht nur in Büchern zu finden, sie schreibt sich auch in die Natur ein. Da ist sie nur schwer zu lesen.

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