Freitag, 3. Juni 2011

Thomas Hardy


Wir kennen ihn als Romanautor, er selbst hat sich eher als Dichter gesehen. Und hat auch irgendwann aufgehört, Romane zu schreiben. Wahrscheinlich weil er es leid war, dass die Pfarrer auf der Kanzel gegen seine unmoralischen Romane wetterten. Ein Bischof namens William Walsham How hat den Roman Jude the Obscure öffentlich verbrannt. Die Viktorianer wissen schon was gottgefällig ist und was nicht. Das Jahrhundert, das nach der Königin Viktoria benannt ist, bedeutet ein Dreivierteljahrhundert englischer Verlogenheit. Dabei enthalten Hardys Romane eigentlich keinerlei Pornographie. Die von D.H. Lawrence vielleicht, der ist letztlich nur ein Thomas Hardy mit krasseren und beschränkteren Mitteln.


Thomas Hardys Vater ist Steinmetz und Baumeister gewesen, und Baumeister ist Hardy auch geworden. Obgleich seine Mutter für eine gute schulische Erziehung gesorgt hat, ist Hardy nie auf einer Universität gewesen. Die Familie hatte nicht das Geld dafür. Der Held von Jude the Obscure, ein Baumeister, der von der Universität träumt, ist sicher ein Stück Autobiographie. Hardy arbeitet als Assistent eines Londoner Architekten und restauriert Kirchen. In keinem Jahrhundert sind in England so viele Kirchen gebaut worden wie in dem Victorian Age. Nebenbei beginnt er zu schreiben. Kirchen werden immer wieder in seinem Werk vorkommen. Zum Beispiel in Far From the Madding Crowd, wenn die arme Fanny Robin in der falschen Kirche auf den Bräutigam wartet. Und Sergeant Troy (nein, nicht der aus Inspector Barnaby) in einer anderen Kirche wartet.

Als das Photo oben gemacht wird, das Hardy mit seiner zweiten Frau zeigt, da ist er schon weit oben in der auf das Klassenbewusstsein fixierten englischen Gesellschaft angekommen. Seine Heimat Dorset wird in den Romanen zu einer Landschaft namens Wessex werden, der Name eines angelsächsischen Königreiches in einer Zeit, als man hier noch altenglisch sprach. Erstaunlicherweise haben sich in der Gegend manche Sprachreste aus dem Altenglischen tausend Jahre gehalten.

Es ist eine literarische Landschaft, die vorher nicht auf der Landkarte der Literatur war. Ähnlich wie Faulkner mit seinem Yoknapatawpha schafft sich Hardy mit den Wessex Novels seinen eigenen literarischen Kosmos, a merely realistic dream country wie er gesagt hat. Es ist, wie auch Faulkners Welt, eine Welt im Untergang. So wie in Faulkners Romanen die Welt der Großgrundbesitzer untergeht, geht bei Hardy das einfache ländliche Leben angesichts der Industrialisierung immer mehr verloren. Große Literatur ist häufig Untergangsliteratur. Wie bei Proust, der den Untergang der Pariser Aristokratie beschreibt. Wie bei Conrad, der den Untergang der Welt der Segelschiffe beschreibt. Wie bei Joseph Roth, der den Untergang der k.u.k Welt beschreibt. Das Wort Untergangsliteratur ist © Jay, ich habe das gerade erfunden. Es fällt einem beim Schreiben ja erstaunlich viel ein, Kleist hatte mit der allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden schon recht. Er hätte aber besser Schreiben sagen sollen. Aber davon abgesehen ist der Gedanke mit der Welt im Untergang bei Hardy, Conrad, Proust und Roth nicht schlecht. Reicht wahrscheinlich nicht für eine Literaturtheorie, aber vielleicht mach' ich noch mal was draus.

Mehr als ein Dutzend Romane, tausend Gedichte. Wo anfangen? Sie könnten ➱hiermit anfangen, ist für amerikanische High School Kiddies. Wahrscheinlich werden wir eines Tages dahin kommen, dass Literatur so vermittelt wird. Wenn man Bilder für die Welt von Thomas Hardy haben möchte, und jetzt nicht die Illustrationen von Helen Paterson Allingham für Far from the Madding Crowd (oben: Sergeant Troy und Bathsheba Everdene) ausstehen kann und dem bunten Bildern von Polanskis Tess oder Schlesinger Far from the Madding Crowd mißtraut, dann sollte man zu dem Band Thomas Hardy's Wessex greifen. Der ist beim Macmillan Verlag vor hundert Jahren erschienen und enthielt Schwarz-Weiß Photographien von Hardys Freund und Nachbarn Herman Lea. Eine Auswahl der Photographien ist zuletzt 1989 mit einem Essay von John Fowles und einem sehr sachkundigen Text von Jo Draper erschienen, man kann das Buch noch antiquarisch finden. Auf der Seite des Victorian Web gibt es eine gallery, wo man eine Vielzahl von Photographien von Herman Lea sehen kann.

Aber bleiben wir mal bei den Bildern, Bilder sind immer gut. Auch für die Literatur. Meine Empfehlung für einen Zugang zur Welt von Thomas Hardy wäre: kaufen Sie sich Far from the Madding Crowd. Nicht die neue ITV Verfilmung, sondern den alten ➱Schlesinger Film mit Julie Christie, Alan Bates, Peter Finch und Terence Stamp. Und dann lesen Sie gleich anschließend den Roman!

Es gibt wenige englische Romanautoren, die die Musik so geliebt haben wie Thomas Hardy. Sein erster Roman Under the Greenwood Tree ist voller Musik, und auch seine Lyrik hat viel von einer Musik auf dem Land. Sein Vater hatte noch mit der Fidel bei Dorffesten aufgespielt, und der kleine Thomas Hardy hat ihn dabei begleitet. Und so darf auch in Far From the Madding Crowd ein Lied nicht fehlen, ➱hier von Julie Christie gesungen. Viele Gedichte von Hardy sind auch vertont worden, dass allerdings ein Gedicht wie The Oxen zur ➱Kirchenmusik geworden ist, das wundert mich doch ein wenig.

Vielleicht hebe ich es mir für ein anderes Mal auf, über die Gedichte von Hardy zu schreiben. Mein Tip für Neulinge in der Welt von Hardy ist Richard Burton. Das muss man dem alten Saufkopp ja lassen, er hat eine wunderbare Stimme. Lassen Sie ihn doch mal einfach auf ➱dailymotion das Gedicht Weathers vortragen.

Weathers

This is the weather the cuckoo likes,
And so do I;
When showers betumble the chestnut spikes,
And nestlings fly;
And the little brown nightingale bills his best,
And they sit outside at 'The Traveller's Rest,'
And maids come forth sprig-muslin drest,
And citizens dream of the south and west,
And so do I.

This is the weather the shepherd shuns,
And so do I;
When beeches drip in browns and duns,
And thresh and ply;
And hill-hid tides throb, throe on throe,
And meadow rivulets overflow,
And drops on gate bars hang in a row,
And rooks in families homeward go,
And so do I.

Seinen Kollegen Henry James hat Hardy nicht so recht geliebt, denn der hatte mal böse Dinge über ihn gesagt. Hatte von the abomination of the language gesprochen. Hardy ist sehr dünnhäutig, was Kritik betrifft. Und so sagt er in seiner Autobiographie über Henry James: a writer who has no grain of poetry, or humour, or spontaneity in his productions. Als jemand, der von der schweren Henry James Phase in seiner Jugend längst geheilt ist, kann ich dem nur zustimmen. Man kann Hardy heute noch mit Gewinn lesen, denn er hat, wie Virginia Woolf sagte, die Menschen befreit from the cramp and pettiness imposed by life. Our imaginations have been stretched and heightened...It is no mere transcript of life at a certain time and place that Hardy has given us. It is a vision of the world and of man's lot, as they revealed themselves to a powerful imagination, a profound and poetic genius, a gentle and humane soul.

Als Hardy 1928 starb, wäre niemand mehr auf die Idee gekommen, seine Bücher verbrennen zu wollen. Zu den Sargträgern zählten der englische Premierminister und der Oppositionsführer. Und George Bernard Shaw, Rudyard Kipling, J.M. Barrie, John Galsworthy, Edmund Gosse und A.E. Housman. Seine Asche liegt im Poet's Corner der Westminster Abbey neben Dickens und Tennyson begraben. Aber sein Herz liegt in Stinsford, da wo schon sein Großvater begraben ist. Wo er getauft wurde und in die Sonntagsschule der Kirche gegangen ist. Aber in Wirklichkeit ist sein Herz nicht unter dem weißen Stein, auch wenn da drauf steht Here lies the heart of Thomas Hardy. O.M., sein Herz ist in all dem, was er geschrieben hat.

Thomas Hardy wurde heute vor 171 Jahren geboren, den 170. Geburtstag habe ich im letzten Jahr verpasst, ich musste mal eben was wieder gutmachen.

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