Dienstag, 14. Juni 2011

Romananfänge


Late in the afternoon of a chilly day in February, two gentlemen were sitting alone over their wine, in a well-furnished dining parlor, in the town of P -- -- , in Kentucky. There were no servants present, and the gentlemen, with chairs closely approaching, seemed to be discussing some subject with great earnestness.

For convenience sake, we have said, hitherto, two gentlemen. One of the parties, however, when critically examined, did not seem, strictly speaking, to come under the species. He was a short, thick-set man, with coarse, commonplace features, and that swaggering air of pretension which marks a low man who is trying to elbow his way upward in the world. He was much over-dressed, in a gaudy vest of many colors, a blue neckerchief, bedropped gayly with yellow spots, and arranged with a flaunting tie, quite in keeping with the general air of the man. His hands, large and coarse, were plentifully bedecked with rings; and he wore a heavy gold watch-chain, with a bundle of seals of portentous size, and a great variety of colors, attached to it, -- which, in the ardor of conversation, he was in the habit of flourishing and jingling with evident satisfaction. His conversation was in free and easy defiance of Murray's Grammar, and was garnished at convenient intervals with various profane expressions, which not even the desire to be graphic in our account shall induce us to transcribe.

His companion, Mr. Shelby, had the appearance of a gentleman; and the arrangements of the house, and the general air of the housekeeping, indicated easy, and even opulent circumstances. As we before stated, the two were in the midst of an earnest conversation.


So fängt er an der Roman, der sofort zu einem Bestseller werden sollte. Draußen ist es kalt, drinnen ist es warm, das haben wir als Leser immer gern. Wenn wir lesen, wie Sherlock Holmes durch das regnerische kalte London streift oder im Moor den Hund von Baskerville jagt, dann sitzen wir gerne im gemütlichen Zimmer. So wie die beiden Gentlemen hier im Roman, von denen der eine wohl kein wahrer Gentleman ist. Wir wissen als Leser, dass wir in Kentucky sind, aber nicht genau wo. Die Stadt heißt P----, eine Konvention in Romanen in jener Zeit. Man möchte manches anonymisieren. Wir wissen auch nicht genau, wann dieser Roman spielt. Manche Romane wie Pelle der Eroberer sind da genauer: Es war der erste Mai 1877, früh in der Morgendämmerung. Von der See kam der Nebel dahergefegt mit einer grauen Schleppe, die schwer auf dem Wasser lag. Aber wir wissen schon nach der Lektüre der ersten Absätze unseres Roman, dessen Titel ich noch verheimliche, dass es noch Gentlemen gibt. Und schwere goldene Uhrketten. Und Diener. Von dem, wovon der Roman eigentlich handelt, erfahren wir gar nichts.

Das ist bei meinem nächsten Beispiel schon anders: In Front des schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnten Herrenhauses zu Hohen-Cremmen fiel heller Sonnenschein auf die mittagsstille Dorfstraße, während nach der Park- und Gartenseite hin ein rechtwinklig angebauter Seitenflügel einen breiten Schatten erst auf einen weiß und grün quadrierten Fliesengang und dann über diesen hinaus auf ein großes, in seiner Mitte mit einer Sonnenuhr und an seinem Rande mit Canna indica und Rhabarberstauden besetzten Rondell warf. Ein schöner Anfang, ein klassischer Romananfang. Ja, natürlich ist es Effi Briest. Leider wird das Idyll nicht so bleiben. Aber der Romananfang lädt sofort zum Weiterlesen ein.

Was nicht jeder Romananfang tut: Nur die Zeitangabe mußte ich mir lange überlegen, denn es ist mir fast unmöglich, 'heute' zu sagen, obwohl man jeden Tag 'heute' sagt, ja, sagen muß, aber wenn mir etwa Leute mitteilen, was sie heute vorhaben - um von morgen ganz zu schweigen -, bekomme ich nicht, wie man oft meint, einen abwesenden Blick, sondern einen sehr aufmerksamen, vor Verlegenheit, so hoffnungslos ist meine Beziehung zu 'heute', denn durch dieses Heute kann ich nur in höchster Angst und fliegender Eile kommen und davon schreiben, oder nur sagen, in dieser höchsten Angst, was sich zuträgt, denn vernichten müßte man es sofort, was über Heute geschrieben wird, wie man die wirklichen Briefe zerreißt, zerknüllt, nicht beendet, nicht abschickt, weil sie von heute sind und weil sie in keinem heute mehr ankommen werden. Wollen wir das lesen? Ich nicht. Ich bin auch kein Fan von Ingeborg Bachmann. Dann doch lieber Rattatá Rattatá Rattatá. So fängt Arno Schmidts Seelandschaft mit Pocahontas an, und irgendwann wird uns beim Lesen klar, dass wir in einem Eisenbahnabteil sind, dann macht das Rattatá Rattatá Rattatá des Anfang schon einen Sinn.

Aber das hier, das lese ich gerne: Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen. Manchmal fielen mir die Augen, wenn kaum die Kerze ausgelöscht war, so schnell zu, dass ich keine Zeit mehr hatte zu denken: ‚Jetzt schlafe ich ein'. Und eine halbe Stunde später wachte ich über dem Gedanken auf, dass es nun Zeit sei, den Schlaf zu suchen; ich wollte das Buch fortlegen, das ich noch in den Händen zu haben glaubte, und mein Licht ausblasen, im Schlafe hatte ich unaufhörlich über das Gelesene weiter nachgedacht, aber meine Überlegungen waren seltsame Wege gegangen; es kam mir so vor, als sei ich selbst, wovon das Buch handelte: eine Kirche, ein Quartett, die Rivalität zwischen Franz dem Ersten und Karl dem Fünften.

Die meisten Romanautoren schreiben den Anfang zum Schluss. Außer sie heißen John Fowles und haben diesen Romananfang mit der einsamen Frau auf der Mole im Traum und konstruieren The French Lieutenant's Woman um dieses Traumerlebnis herum. Romananfänge sind kalkuliert, sie sollen uns in den Text ziehen, und das tun sie ja auch meisten, selbst wenn sie den Augenblick der Niederschrift problematisieren: Indem ich die Feder ergreife, um in völliger Muße und Zurückgezogenheit - gesund übrigens, wenn auch müde, sehr müde (so daß ich wohl nur in kleinen Etappen und unter häufigem Ausruhen werde vorwärtsschreiten können), indem ich mich also anschicke, meine Geständnisse in der sauberen und gefälligen Handschrift, die mir eigen ist dem geduldigen Papier anzuvertrauen, beschleicht mich das flüchtige Bedenken, ob ich diesem geistigen Unternehmen nach Vorbildung und Schule denn auch gewachsen bin.

Mit den Anfängen von Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull oder der Suche nach der verlorenen Zeit (im oberen Absatz) kann unser Romananfang ganz oben nicht konkurrieren. Der Roman, aus dem er stammt ist auch literarisch eher Schrott, obgleich seine Sprache durchaus nicht in free and easy defiance of Murray's Grammar ist. Aber der Roman war sehr erfolgreiche Propaganda. So you are the little woman who wrote the book that started this great war. soll Abraham Lincoln zu der Autorin gesagt haben. Es ist der erfolgreichste Roman der Pastorentochter aus Neuengland, die heute vor zweihundert Jahren geboren wurde. Ich weigere mich aber, über Uncle Tom's Cabin zu schreiben. Reicht schon aus, dass ich diese Illustrationen hierher gezaubert habe, die meisten sind von Hammatt Billings. Sie brauchen den Roman wirklich nicht zu lesen. Es sei denn, sie studieren Amerikanistik und sitzen gerade in einem Harriet Beecher-Stowe Seminar.

Uncle Tom's Cabin erscheint in Fortsetzungen in einem Magazin (damals eine übliche Form des Erscheinens, auch Charles Dickens' Romane erscheinen zuerst als Fortsetzungsroman) im gleichen Jahr in dem Melvilles Moby-Dick erscheint. Wir sind immer der Meinung, dass um 1850 die amerikanische Literatur ihren Höhepunkt hat. Melville, Hawthorne, Thoreau, Emerson, Irving, Cooper, Longfellow, Poe und wie sie alle heißen. Schön und gut, aber die Bücher von Melville und Hawthorne verkaufen sich nicht. Was sich verkauft, sind Bücher von Autoren, für die Hawthorne die schönen Sätze gefunden hat: America is now wholly given over to a damned mob of scribbling women, and I should have no chance of success while the public taste is occupied with their trash–and should be ashamed of myself if I did succeed. Wird ihm heute noch von Feministinnen um die Ohren gehauen. Schauen wir uns doch einmal den Romananfang von Amerikas Bestseller No. 1 an, heißt Wide Wide World und ist von einer Autorin namens Susan Warner:

"Mamma, what was that I heard papa saying to you this morning about his lawsuit?"
"I cannot tell you just now. Ellen, pick up that shawl and spread it over me."
"Mamma! are you cold in this warm room?"
"A little, there, that will do. Now, my daughter, let me be quiet a while don't disturb me."
There was no one else in the room. Driven thus to her own resources, Ellen betook herself to the window, and sought amusement there. The prospect without gave little promise of it. Rain was falling, and made the street and everything in it look dull and gloomy. The foot-passengers plashed through the water, and the horses and carriages plashed through the mud; gaiety had forsaken the side-walks, and equipages were few, and the people that were out were plainly there only because they could not help it. But yet Ellen, having seriously set herself to study everything that passed, presently became engaged in her occupation; and her thoughts travelling dreamily from one thing to another, she sat for a long time with her little face pressed against the window-frame, perfectly regardless of all but the moving world without.


Wenn man das liest, beginnt man schon, Uncle Tom's Cabin für große Literatur zu halten. Die Schleusentore des schlechten Geschmacks sind jetzt weit geöffnet. Man wird sie nie mehr schließen können. Susan Warner, die als Elizabeth Wetherell schreibt, hat mit Wide Wide World den Erfolg von Uncle Tom's Cabin erst möglich gemacht. Wenig später wird Maria Susanna Cummins diese Erfolge mit The Lamplighter noch übertreffen. Jede dieser Damen wird mehr Exemplare verkaufen als Melville und Poe und alle Autoren der American Renaissance zusammen. Einen Erfolgsautor wie James Fenimore Cooper eingeschlossen. Wenn Uncle Tom's Cabin 1852  in Buchform erscheint (und da haben schon Millionen den Roman im Magazin gelesen), werden in drei Wochen 20.000 Exemplare verkauft, 75.000 in den ersten drei Monaten, 305.000 im ersten Jahr. Die dreitausend Exemplare, die von Melvilles Moby-Dick gedruckt wurden, sind bei seinem Tod 1891 immer noch nicht verkauft.

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