Montag, 27. Juni 2011

Jacob Cohen Jeans


Eigentlich trage ich ja keine Jeans mehr. Nicht weil ich zu alt dafür wäre, nein, die Dinger ruinieren jeden Sessel, wenn man sie zu Hause trägt. So wie andersherum früher die Mercedes Sitze die maßgeschneiderten Hosen des Herren am Volant ruinierten. Den Bundesminister, der sich im gleichen Schreibtischsessel sitzend, mehrere Hosen ruinierte und die neuen Schneideranzüge dem Steuerzahler in Rechnung stellte, will ich jetzt nicht erwähnen. So softig der Jeansstoff auch aussehen mag, er kriegt à la longue jeden Sessel klein. Aber wenn ich auch keine Jeans mehr trage, habe ich immer noch eine Handvoll alter Levis 501 im Schrank, die ja ein klassenloser Klassiker sind. Auch wenn man vergessen hat, dass es sie jahrelang gar nicht mehr gab, und sie erst durch eine Werbekampagne von den Toten auferweckt wurden. Nachdem sich das Modell vorher überhaupt nicht verkaufte und nur noch das Erkennungszeichen der schwulen Gemeinde von San Francisco war. In einer Zeit, die von der Semiotik der Alltagsobjekte geprägt wird, muss man schon ganz schön aufpassen mit den Sachen, die man anzieht. Aber jetzt ist die 501 natürlich wieder ein Klassiker. Wegen der Werbung.

Ich habe noch meine alte 501 aus dem Jahre 1957 im Schrank, passe ich natürlich nicht mehr rein. Die war noch aus dem Stoff, mit dem man sich vor dem Tragen in die heiße Badewanne setzen musste, damit die Jeans einlief: shrink to fit hieß es so schön in der Werbung. Hinterher nahm man die im Sommer mit an die Nordsee und stellte sich stundenlang in die Brandung, das Salzwasser bleichte dann den Denimstoff so schön aus. Ich habe über diese prägende Erfahrung vor einem Jahr unter dem Thema ➱Kulturwandel hier etwas geschrieben. Heute braucht man das alles natürlich nicht mehr, weil die Jeans im used look geliefert werden, sandgestrahlt und stonewashed. Und Levis hat vor Jahren die gute alte shrink to fit Jeans wieder auf den Markt gebracht, da habe ich aber die Finger davon gelassen.

Dass heute jeder Jeans im used look haben will, aus dem längst ein destroyed look geworden ist, bringt Gefahren mit sich, an die Jeanskäufer kaum denken. Es sei denn, Sie hätten schon einmal versucht, ihre Jeans in der Badewanne mit Domestos zu behandeln und sich dabei Verätzungen der Lunge zugezogen. Wenn die Industrie Natriumhypochlorit verwendet, tut sie letztlich nichts anderes. Und da ich den Namen Domestos schon mal erwähnt habe, Domestos Jeans scheinen neuerdings wieder in zu sein. Auf jeden Fall in bestimmten Kreisen. Wie zum Beispiel Neonazis. Unglücklicherweise bevorzugen Skinheads inzwischen auch schon die Levis 501. Und dann der nächste Horror: Moonwashed, der letzte Schrei der DDR aus den achtziger Jahren, soll auch wieder im Kommen sein. Wenn wir lange genug warten, kommen auch noch die Bundfaltenjeans wieder. Mit Bügelfalte.

Der Preisunterschied liegt in der Waschung, sagte mir ein Verkäufer auf die Frage, weshalb die eine Jeans doppelt so teuer sei wie eine andere des gleichen Herstellers. Da können wir ja nur hoffen, dass die Firma genau diesen Preisunterschied in die Lebensversicherung der Arbeiter einzahlt, die sich beim Hantieren mit den Giften der Waschung und mit dem Sandstrahlen des Denim Stoffes die Gesundheit ruinieren. Das weiß man schon etwas länger, aber wir alle scheinen vergessen zu haben, was uns Naomi Klein vor zehn Jahren mit ihrem Buch No Logo sagen wollte. Und meistens findet das ja in Pakistan statt und ist sowieso Kinderarbeit, da kümmert es uns nicht so sehr. Das bringt nun die italienischen Hersteller von Luxusjeans ein klein wenig in Schwierigkeiten. Um ihre Produkte als made in Italy verkaufen zu können, können sie diesen Teil der Fertigung natürlich nicht in Pakistan erledigen lassen. Aber vielleicht lassen sie italienischen Luxusfirmen, die jetzt ganz groß im Designerjeans Geschäft sind, die schmutzige Arbeit von den Chinesen erledigen, die in Italien schon zu einem Wirtschaftsfaktor geworden sind.

Designerjeans hat es in den achtziger Jahren ja schon einmal gegeben, als amerikanische Firmen wie Jordache und Gloria Vanderbilt auf die Idee kamen, auf ihre Billigjeans große Firmenlogos draufzunähen und die teuer zu verkaufen. Aber die Designerjeans der letzten Jahre sind doch etwas anderes. Teuerste und beste japanische Stoffe und angeblich (so Jacob Cohen) handgenäht. Und schweineteuer. Meine neuen Jacob Cohen Jeans kosten 299 €. Habe ich zum Leidwesen von Michael Rieckhof natürlich nicht bei Kelly's gekauft, sondern bei ebay ersteigert. Für 39 €. Der Preis ist O.K. Eine Woche später ritt mich der Teufel, und ich habe mir noch eine zweite ersteigert. Bei einem österreichischen Händler, bei denen bietet ja keiner (bei ebay ist Krieg zwischen Deutschland und Österreich). Für sechs Euro (plus 13,80 Porto) war sie meine, unglaublich.

Und der Schneider bei mir um die Ecke hat sie mir von einem Tag auf den anderen gekürzt. Den muss ich mal eben erwähnen, weil der ganz toll ist. Zum einen ist das Ehepaar Yesilyurt riesig nett, und zum anderen ist Herr Yesilyurt ein Meister mit Nadel und Faden. Hat mir vor Jahren ohne mit der Wimper zu zucken ein Futter in die Vorderhose eines Savile Row Anzugs genäht. Denn in der Savile Row gibt es ja Firmen, die der Meinung sind, dass gefütterte Hosen etwas für italienische Weichlinge sind. Wenn man als Kind von den Eltern nach Gordonstoun verbannt wurde, wie Prince Philip und Charles, und sich in ungeheizten Schlafräumen den Arsch abgefroren hat, dann mögen ungefütterte Hosen ja O.K. sein. Aber ich möchte doch lieber gefütterte Hosen tragen. Hat Herr Yesilyurt erstklassig hingekriegt. Der kann auch hervorragend die Ärmel von Oberhemden kürzen. Schneidet die nicht nur unten ab, sondern versetzt den Ärmelschlitz mit dem kleinen Knopf weiter nach oben. Dieser kleine Knopf heißt übrigens im Englischen gauntlet button, was mir erst bewusst wurde, als ich in ihn einem deutschen Text als ➱Handschuhknopf wiederfand. Die Schneiderei Yesilyurt ist in Kiel an der Ecke von Esmarchstraße und Feldstraße, gegenüber vom Weinhaus ➱Tiemann, wo toute la Kiel seinen Wein kauft. Hat auch einen Parkplatz vorm Haus (Tiemann natürlich auch).

Dass es die Marke Jacob Cohen gibt, weiß ich seit den achtziger Jahren, weil ich da ein Abo auf die italienische L'Uomo Vogue hatte. Damals waren sie noch nichts besonderes, kein Objekt der Begierde. Und nicht so aasig teuer. Offensichtlich haben sie vor Jahren ein relaunch gemacht und sich nach ganz oben orientiert. Dafür werden die Jeans dann auch innen mit Etiketten vollgepflastert, haben versilberte Nieten und Knöpfe. Und bei irgendeinem Modell kriegt man noch Taschentücher, Nähfaden und einen Bimsstein zum Schmirgeln dazu. Auf der Seite des Herrenausstatters Braun in Hamburg steht noch: Highlight ist das aufgenähte Jacob Cohen Label aus echtem Ponyfell. Aber hallo, ein Highlight. Mit welchen Trivialitäten man doch überteuerte olabukse verkaufen kann! Das Wort olabukse ist norwegisch, schönes Wort. Habe ich im Netz gefunden, wo jemand versicherte, das Jacob Cohen the best olabukse in the world macht. Das Highlight aus Ponyfell ist natürlich schon ab. Erstens zerlegt es sich sowieso nach wenigen Waschgängen. Und zweitens will ich mich von Wanda und Carlo nicht fragen lassen: Hat man für deine Hose ein Pony totgemacht? Aber sonst ist die Jeans gut, sogar sehr gut. Die zweite (die für sechs Euro) sitzt nicht so gut, weil es ein anderes Modell mit einem anderen Schnitt ist, aber was kann man für sechs Euro verlangen? Bei Aldi kosten die Jeans 9,99 € (und da macht auch noch jemand Gewinn).

Jacob Cohen sind nicht die einzigen, die sich im Marktsegment da oben bei 299 € tummeln, da gibt es noch True Religion, Seven for all Mankind, PRPS, Adriano Goldschmied und wie sie alle heißen. Manche sind offensichtlich exklusiver als andere. Von den 172.806 Herrenjeans bei ebay sind 783 von True Religion und 551 von Seven for all Mankind, aber nur zwei von Jacob Cohen. Adriano Goldschmied gibt es schon bei Conleys. Wenn man da gelandet ist oder massenhaft bei YOXX auftaucht, ist man nicht mehr exklusiv. Was natürlich sehr exklusiv ist, ist bei ebay 60.000 Dollar für eine 155 Jahre alte Levis (oben) zu zahlen. Hat 2005 ein anonymer Japaner gemacht. Hoffentlich passt sie. Sonst kann ich mit der Adresse einer sehr guten Änderungsschneiderei aushelfen (siehe oben!). Die Japaner sind sowieso an allem Schuld. Eine Firma wie Kurabo (1889 gegründet) hat ihre alten Webstühle für das ring denim nie ausgesondert, dass zahlt sich aus, wenn bessere Qualitäten gefragt sind. Später haben die Japaner die alten Webstühle von den Amerikaner gekauft, um darauf ihr selvage denim zu produzieren, dann haben sie daraus die ersten wirklich teuren Jeans gemacht. Wie zum Beispiel die Firma Evisu. Ist wohl kein Zufall, dass evisu im Japanischen der Gott des Geldes ist.

In den fünfziger Jahren in Bremen eine Levis 501 (natürlich noch eine Big E) der besten Denim Qualität zu kaufen, war keine Schwierigkeit. Zwar waren wir keine amerikanische Enklave mehr, aber die Amerikaner waren immer noch da, die mochten den port of embarkation Bremerhaven (wo ja auch Elvis ankam) nicht aufgeben. Und es gab auch genügend Läden, die mit army surplus handelten. Dennoch waren Blue Jeans kein dominierendes Kleidungsstück. Kann man auf allen Photos aus dieser Zeit sehen. Und ich hatte auch nur diese eine Levis 501, keine zweite. Die hat aber aufgrund ihrer Qualität erstaunlich lange gehalten. Ich hatte Chinos, Cord- und Flanellhosen, damit kommt man durchs Leben. Fürs Segeln waren Jeans gut, das gebe ich gerne zu. Aber man braucht sie eigentlich nicht wirklich.

Das merkt auch die Firma Levis seit einigen Jahren, die sich in einer schweren Krise befindet. Auch japanische Billigfirmen, die sich auf dem japanischen Markt bekämpfen und Jeans für 5,10 € auf den Markt werfen, kämpfen einen vergeblichen Kampf gegen die chinesische Konkurrenz. Die können das mit Kinderarbeit und der Produktion in Gefängnissen noch unterbieten. There is nothing in the world that some man cannot make a little worse and sell a little cheaper, and he who considers price only is that man's lawful prey. Soll Ruskin gesagt haben (so sicher ist das nicht), aber Ruskin oder nicht, der Satz bleibt wahr. Was hat sich seit den sweatshops der viktorianischen Zeit und Thomas Hoods Song of the Shirt geändert? Der cartoon da oben ist übrigens aus dem Punch des Jahres 1845.

Als ich nicht mehr in meine alte 501 passte, begann für mich eine Odyssee. Oder eine Gralssuche nach der richtigen Jeans. Wann immer man eine gefunden hatte, die gut passte, gab es wenig später das Modell nicht mehr. Das Prinzip der planned obsolescence gilt nirgendwo so wie auf dem Jeansmarkt. Wie gut Jeans sind zeigen sie erst nach Jahren. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass wenn Männer über Jeans reden, sie immer die Vergangenheitsform benutzen? In Sätzen wie: Die Pepe, die ich damals hatte, die war gut. Die überteuerten Designerjeans (und all die anderen Marken, die dadurch berühmt werden, dass sie letzte Woche von Brad Pitt getragen wurden) sind natürlich kein echter Wirtschaftsfaktor. Vielleicht sind sie nur die Götterdämmerung in der Krise der Jeansindustrie. Zu deren Krise ich natürlich beigetragen habe. Weil ich meine Jeans seit Jahren nur noch im Second Hand Laden kaufe.

Und zum Schluss habe ich noch einen Musiktip: die türkische Rockband bANDISTA, die laut und energisch gegen die Bedingungen kämpft, unter denen Jeans in der Türkei hergestellt werden, hat ihren nächsten Auftritt am 30. Juni in Hannover.

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