Dafür hat Matthew Brady auch noch Zeit. Da denkt man, er ist irgendwo auf den Schlachtfeldern des Bürgerkrieges, um den Krieg zu photographieren, da photographiert er diesen Herrn hier. Den Kaiser Maximilian von Mexiko. Eigentlich kann der natürlich gar kein Kaiser sein, denn meine geneigten Leser wissen natürlich, dass Norton I. von Amerika auch gleichzeitig über Mexiko herrscht. Wir wissen natürlich auch, dass eigentlich ein amerikanischer Schauspieler namens George Macready Maximilian I. ist, weil wir alle Vera Cruz gesehen haben. Das ist dieser Film in dem Gary Cooper viel älter aussieht als er ist. Und Burt Lancaster viel jünger. Wahrscheinlich macht es dieses bleckende Gebiss mit den strahlend weißen Zähnen.
Erinnern Sie das Universum an den schönen Fremden mit dem blonden Haar. Möge es Gott gefallen, dass man sich an uns erinnert, traurig und ohne Hass, hat Maximilians Witwe auf dem Sterbebett zu ihrem Beichtvater gesagt. Sie hat nach dem Tod ihres Mannes ihren Verstand verloren und soll bei ihrem Tode - sechzig Jahre nach dem ihres Gatten - noch geglaubt haben, sie sei die Kaiserin von Mexiko. Aber wir erinnern uns kaum an ihn, der Kaiser Maximilian hat ja nicht so große Spuren hinterlassen. Matthew Brady, Vera Cruz, The Undefeated (wo John Wayne dem Kaiser Pferde liefert), Karl Mays Roman Waldröschen - und natürlich La Paloma. Aber die Geschichte stimmt wahrscheinlich nicht, dass man bei seiner Erschießung La Paloma gespielt hätte. Das war heute vor 144 Jahren, und wir haben alle das Bild vor Augen, weil Manet es gemalt hat. Und natürlich dabei das Bild von Goya im Kopf hatte. Es wird da viel erschossen in Mexiko, da ist immer Revolution.
Dieses Photo ist ein halbes Jahrhundert später gemacht worden, da wird immer noch erschossen. Ob der Photograph das Bild von Manet gekannt hat? Die Komposition ist ähnlich. Heute haben sie da keine Revolution mehr sondern einen Drogenkrieg. Aber es werden viel mehr Menschen erschossen als während der Revolution. Im letzten Jahr sind es nach offiziellen Angaben 15.273 gewesen. Das ist ziemlich die gleiche Zahl von Toten, die die Franzosen mit ihren Hilfstruppen in der Zeit von 1861 bis 1867 hatten.
Es hat natürlich ganz anders ausgesehen als auf dem Bild von Manet (oben in der Mannheimer Fassung, die die bekannteste ist). Wenn diese Abzüge einer photographischen Platte echt sind, sind es die einzigen Aufnahmen von dem Ereignis. Ein unbekannter Künstler hat offensichtlich diese Photographie als Vorlage eines Bildes genommen, das sich heute im Besitz des Museum of Fine Art in Boston befindet. Es ist eine Schenkung von Frank Gair Macomber, einem bedeutenden Bostoner Sammler von chinesischer Kunst, den das Museum zum honorary curator ernannt hatte. Leider finde ich im Internet davon keine Abbildung, im Manet Buch von Françoise Cachin (DuMont) ist das Gemälde aber abgebildet. Françoise Cachin ist die Direktorin aller französischen Museen gewesen (so etwas haben die in Frankreich). Den großformatigen DuMont Band kann man bei Amazon Marketplace ab 14,95 € bekommen, für den Preis gibt es nichts Besseres über Manet. Der wunderschöne Katalog Manet en el Prado ist leider vergriffen.
Wir haben von dem Ereignis am 19. Juni 1867 noch ein zweites Photo, das sehr viel schärfer ist. Es zeigt die Herren des Pelotons im Sonntagsstaat, wie sie für den Photographen posieren. Es ist nicht klar, ob dies Photo vor oder nach der Erschießung des österreichischen Erzherzogs, den Napoleon III als Marionette nach Mexiko gelockt hatte, gemacht wurde. Kann man ihnen das ansehen?
Aber was hat ein französischer Dandy und Flaneur wie Manet mit Mexiko zu tun? Warum malt er das Bild von der Erschießung Maximilians? Und das nicht nur einmal, es gibt noch mehr Fassungen (links die erste, die in Boston hängt) als das Bild in der Kunsthalle in Mannheim. Was für ein Unglück, daß Edouard sich darauf versteift hat! Was für schöne Sachen hätte er in dieser Zeit malen können! hat Madame Suzanne Manet gesagt. Sie versteht ihren Gatten nicht mehr. Zumal der doch weiß, dass er keins dieser Bilder ausstellen kann, er würde den Kaiser Napoleon III beleidigen.Denn Napoleon ist an allem Schuld. Oder vielleicht die Pauline, die heimliche Herrscherin von Paris, die beste Freundin der Kaiserin Eugénie. Hier ist die Fürstin Pauline von Metternich von Franz Xaver Winterhalter gemalt, da sieht sie gut aus. Alle Frauen sehen gut aus, wenn Winterhalter sie malt. Degas hat sie auch gemalt, aber da sieht sie aus wie ein Schimpansenäffchen. Pauline, die zu Hause in Wien die Kaiserin Sissi bis aufs Blut bekämpft (wegen ihrer Klatschsucht nennt man sie auch Mauline Petternich), ist jetzt als Gattin des österreichischen Botschafters in Paris. Da setzt sie sich natürlich dafür ein, dass ein Landsmann bei dem mexikanischen Abenteuer der Großmächte Frankreich, England und Spanien der Kaiser von Mexiko wird.
Es geht nicht nur um ein wenig territoriale Umverteilung, nachdem sich die USA im mexikanisch-amerikanischen Krieg mit dem Vertrag von Guadalupe Hidalgo und dem anschließenden Gadsen Purchase schon die schönsten Tortenstücke gesichert hatten. Mexiko hat gerade seine Staatspleite erklärt und will seine Auslandsschulden nicht mehr bezahlen. Die Großmächte beschließen in London, die Schulden mit allen Mitteln einzutreiben. Das soll jetzt nicht als Vorbild für die europäischen Länder gegenüber Griechenland dienen. Aber die Franzosen, die mit 40.000 Mann kommen, haben noch mehr vor. Und irgendwann läuft das so ab, wie wir es aus dem Film Vera Cruz kennen. Und der arme Österreicher steht mit zweien seiner mexikanischen Generäle vor den Gewehrläufen. Das da oben ist die Kopenhagener Version, sie ist sehr klein (48 x 58) eher eine Ölskizze als ein ausgeführtes Gemälde.
Für den überzeugten Republikaner Manet ist das Gemälde das Bild eines Märtyrers. Er kann die Figurengruppe der Soldaten wenige Jahre später noch einmal verwenden. Diesmal sind es keine mexikanischen Revolutionäre, sondern Franzosen, die ihre Landsleute in den Tagen der Pariser Commune 1871 niederschießen. Die Darstellung der Soldaten ist beinahe identisch. Aber seien wir ehrlich, er hatte die Komposition (mit der zu kleinen Distanz zwischen Erschießungkommando und den Füselierten) eh bei Goya geklaut, ein langer ikonographischer Weg von französischen Soldaten im Jahre 1808, die spanische Aufständische erschießen bis zum Jahre 1871, wo französische Soldaten ihre eigenen Landsleute erschießen.
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