Donnerstag, 31. Januar 2019

Fontane.200


Viele Berühmtheiten haben in diesem Jahr ihren zweihundertsten Geburtstag, klicken Sie doch einmal den Post 1819 an. Den englischen Dichter Arthur Hugh Clough habe ich leider verpasst, wenn Sie etwas von ihm lesen wollen, dann kann ich Amours de Voyage unbedingt empfehlen. Theodor Fontane hat auch den zweihundertsten Geburtstag. Da gibt es schon ein reichhaltiges Programm. Da werden sie alle kommen, Bredow und Bülow, Itzenplitz, Katte und Cohn. Das Fontane Jahr in Brandenburg wird mit knapp 1,9 Millionen Euro vom Land unterstützt vom Bund kommt noch einmal eine Million. Man kann im Internet lesen, dass Fontane, wenn er heute schriebe, wahrscheinlich Blogger wäre. Ich dachte, man brauchte nichts mehr über ihn zu sagen, aber schon wieder gibt es ein neues Buch, Fontane: Ein Jahrhundert in Bewegung.

Wir waren ja eigentlich mit Helmuth Nürnberger zufrieden, der 1968 bei Rowohlt in der Reihe der Rowohlts Monographien den Fontane Band geschrieben hat, und der vor zwanzig Jahren als Summe seines Lebenswerks Fontanes Welt präsentierte. Das eben erwähnte neue Buch ist von einem Autor mit dem eindrucksvollen Namen Iwan-Michelangelo D’Aprile. Sein Titel ist noch eindrucksvoller, er ist an der Uni Potsdam Professur für Kulturen der Aufklärung. Wenn das nichts ist. Sie können hier eine Leseprobe lesen und bei Amazon einen Blick in sein Buch Fontane: Ein Jahrhundert in Bewegung werfen.

Der Friedhard hat mir mal das Buch Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat von Pierre Bayard geschenkt, und das werde ich heute tun: über ein Buch sprechen, das ich nicht gelesen habe. Iwan-Michelangelo D’Aprile löst den Autor von Effi Briest und Der Stechlin aus seinem preußisch-brandenburgischen Nahbereich und sucht Fontane inmitten der beschleunigten, zunehmend elektrifizierten und globalisierten Welt auf, in der er lebte. D’Apriles lebendige und kenntnisreiche Darstellung beleuchtet den großen Schriftsteller immer in Bezug auf die rasanten Entwicklungen des 19. Jahrhunderts und weitet sich so zum Epochenporträt des Zeitalters der Moderne, heißt es in einer Rezension. Dazu passt dieses Bild von Franz Skarbina, einem Maler, den Fontane sehr schätzte, sicher sehr schön.

So furchtbar neu ist die Sache mit der beschleunigten, zunehmend elektrifizierten und globalisierten Welt in der Literatur nicht. Gut, bei William Blake sind die Fabriken noch dark satanic mills, und bei Eichendorff wird in die Industrialisierung in das romantische Bild der Wälder eingebunden, wenn es heißt: Die Wälder rauschten durch die weite Stille, aus der Ferne hörte man nur den dumpfen Schlag eines Eisenhammers. Aber dass sich die Technik nicht nur in der Malerei des 19. Jahrhunderts (wie zum Beispiel in Menzels Eisenwalzwerk) findet, sondern auch überall in der Literatur, darauf ist die Literaturwissenschaft schon gekommen. Wir können die Frage auch auf den Vortrag von C.P. Snow über The two cultures reduzieren.

Es war der Hamburger Goetheforscher Karl Robert Mandelkow, der mit Orpheus und Maschine zum erstenmal etwas zum Thema Industrie, Technik und Literatur publizierte. Ein Jahrzehnt später kam Harro Segebergs Buch Literarische Technik-Bilder: Studien zum Verhältnis von Technik- und Literaturgeschichte im 19. und frühen 20. Jahrhundert heraus. Und 2005 erschien Philipp Franks Dissertation Theodor Fontane und die Technik. Woraus wir schließen können, dass nichts von dem Ansatz von Iwan-Michelangelo D’Aprile wirklich neu ist. Philipp Franks Stil ist etwas, das der Engländer pedestrian nennt, D’Aprile kann besser schreiben, aber sonst sind sie in der gleichen Spur.

Halten wir den Ball flach und kommen wir von dem Professur für Kulturen der Aufklärung und dem Fontane inmitten der beschleunigten, zunehmend elektrifizierten und globalisierten Welt zu dem, was man im Fontane Jahr lesen sollte. Effi Briest sollte man gelesen haben, das haben die meisten in der Schule gelesen, aber man versteht es im Alter besser. Den Stechlin muß man unbedingt lesen. Das Alterwerk, von dem Fontane sagte: Mein neuer dickleibiger Roman, dessen Sie so freundlich erwähnen, beschäftigt sich fast ausschließlich mit dieser Frage; Dynastie, Regierung, Adel, Armee, Gelehrtentum, alle sind ganz aufrichtig davon überzeugt, dass speziell wir Deutsche eine hohe Kultur repräsentieren; ich bestreite das. Und vielleicht lesen Sie noch Vor dem Sturm. Und wenn Sie eine gute Biographie lesen wollen, dann nehmen Sie einfach Helmuth Nürnbergers Fontanes Welt. Dann können Sie schon mitreden, wenn das Gespräch auf Fontane kommt. Und dann könnten Sie noch den großen Fontane Roman Ein weites Feld von Günter Grass lesen. Bis zu Fontanes Geburtstag am 30. Dezember könnten Sie damit fertig sein.

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