Dienstag, 8. Januar 2019

Bauarbeiten


Ich schreibe jetzt unsere Geschichte auf, sagte ich ihr am Telephon. Da musst Du Dich aber beeilen, sagte sie. Beeilen, weshalb? Weil wir schon so alt sind? Theodor Fontane war fünfundsiebzig, als er
den autobiographischen Roman Meine Kinderjahre und Effi Briest schrieb. Aber es ist richtig: die Zeit eilt im Sauseschritte, ich sollte mich beeilen. Meine Freundin weiß nicht, wieviel an Autobiographischem ich schon geschrieben habe, sie liest meinen Blog nicht. Die Sache mit unsere Geschichte ist doppeldeutig. Woran ich schreibe, ist zwar eine Geschichte von ihr und mir, aber es ist auch die Geschichte unserer Generation. Kriegskinder, dann das Wirtschaftswunder, dann 1968 und die wilden siebziger Jahre. Für meine Heimatstadt ist es erst einmal eine Zeit der Zerstörung und der amerikanischen Besatzung, aber für uns sind es dann auch echte amerikanische Jeans und AFN.

Die autobiographischen Erinnerungen waren von Anfang an in meinem Blog. Ich war gerade mal zwei Tage in der schönen neuen Welt der Blogosphäre, als ich schrieb: Vor einem halben Jahrhundert bin ich in der Nacht mit dem Fährschiff von Kopenhagen nach Bornholm gefahren. Es war eine schöne Sommernacht, die kleine Meerjungfrau hatte bestimmt ihren Platz auf dem kleinen Felsen an der Langen Linie verlassen und ist uns nachgeschwommen. Irgendwann in der Nacht hat ein dänisches Mädchen auf dem Oberdeck ein Lied gesungen, das klang wunderschön. Ich habe es nie vergessen. Aber jetzt, wo ich im Alter angefangen habe, meine Lebensselbstbeschreibung (vulgo Autobiographie) zu schreiben, fehlt mir der Titel des Liedes. Ich weiß nur noch, dass Wald darin vorkam. Und Einsamkeit.

Bevor ich den Blog begann, schrieb ich an meiner Lebensselbstbeschreibung. Nach einem Jahr hatte ich knapp fünfhundert Seiten geschrieben. Ich hatte einen Plan, was alles in den Text hinein sollte.  Einen Bauplan für das memoria Gebäude. Pläne sind erst einmal immer gut. Ob was daraus wird, zeigt sich beim Schreiben. Ein Kapitel, das noch fehlte, waren Strände vom Schönebecker Sand, dem Paradies unserer Jugend, bis zum gleißend weißen Sand von Dueodde. Das Kapitel wäre leicht zu schreiben, denn Sandstrände waren schon häufig in diesem Blog erwähnt worden. Natürlich werden die Strände mit hübschen langbeinigen Frauen besiedelt, und die kleine Schlampe unten aus dem Ort, die mit sechzehn mit einem gehäkelten Bikini aus grüner Wolle zum Schönebecker Sand kam, die werde ich natürlich auch nicht vergessen. Nein, das Kapitel war easy, deshalb habe ich erst einmal liegenlassen.

Mehr Arbeit wird das Kapitel über Villen und Landgüter bereiten. Das Schloss der Lahusens kommt da natürlich hinein, die Villa von Arnold Duckwitz auch. Und dann sind da noch diese ganzen pseudogotischen Schlösser (wie hier das Schloss in Wätjens Park), die sich reiche Bremer im 19. Jahrhundert bauen lassen. Die Hamburger sind da anders, Kaufleute und Bankiers wie Georg Friedrich Baur, Jenisch und Godeffroy setzen auf kühlen weißen Klassizismus, die Bremer auf Scheußlichkeiten des Gothic Revival.

Eines dieser Bauwerke steht vor den Toren Bremens in Leuchtenburg. Ein Bremer Kaufmann, der mit einer Engländerin verheiratet war, hat ein Jahrhundert nach Strawberry Hill hier Lowther Castle nachgebaut (na ja, nicht das ganze Schloss Lowther Castle, sondern nur einen Seitenflügel). Riesiger Park drumherum. Später hat er es an einen gewissen George Albrecht verkauft, der eine Tochter des Barons Knoop geheirate hatte. Sein Enkel Ernst Albrecht wuchs hier auf. War mal Ministerpräsident von Niedersachsen (und ist der Vater von Ursula von der Leyen). Später hat die Familie es verkauft, es diente dann der Lufthansa als Pilotenschule, heute ist es ein Hotel. Natürlich ist der Park nicht mehr so herrlich vergammelt wie in meiner Jugend, das Haus sah damals so aus, als ob alle Edgar Wallace Filme da drin gedreht worden seien.

Vieles von der einstigen Pracht steht nicht mehr. Das Schloss, das sich der Baron Knoop hat bauen lassen, ist nur noch auf einem Gemälde und alten Photographien zu sehen. Die Villa Lesmona, Heimat von Marga Berck, die den bittersüßen Briefroman Sommer in Lesmona schrieb, ist 1980 ausgebrannt (und zum Teil restauriert). Verschwunden ist auch das im neugotischen Tudorstil von dem Bremer Architekten Heinrich Müller für Christian Heinrich Wätjen gebaute Schloss. Peter hat mir damals gezeigt, wie man da hineinkommt. War alles streng verboten. Heute ist Wätjens Park öffentlich zugänglich, aber die scheußlich-schönen Bauten sind nicht mehr da.

Natürlich gibt es auch Landgüter, deren Besitzer nicht dem englischen Gothic Revival Kult verfallen waren. Nicht jeder ist ein Fürst Pückler. Als ich den Post zu dem deutschen Aufklärer Helfrich Peter Sturz schrieb, hatte ich erwähnt, dass er auf dem Landgut eines Bremer Freundes gestorben ist. Das Gut Landruhe gibt es heute noch, mein Freund Peter weiß mehr darüber als ich. Nachdem er den Post zu Sturz gelesen hatte, schickte er mir Tage später ein Buch über das Gut und seine Besitzer. Das war der Abschlussbericht zu den Restaurierungsarbeiten, die er für das Landesamt für Denkmalschutz geleitet hatte. Privatdruck, nie im Buchhandel.

Ich bin der Architekt des Gebäudes meiner Erinnerungen, ich stehe vor dem Haus und habe meinen Plan in der Hand. Die Rhetorik von Antike und Renaissance stellte sich, wie Frances Yates in the Art of Memory gezeigt hat, ein Haus vor, in dem man bestimmte Teile einer Rede unterbrachte. Soweit sind wir noch nicht, das Haus der Erinnerung ist noch nicht fertig, ich weiß noch nicht, was in welches Stockwerk kommt. In den letzten neun Jahren habe ich immer wieder kleine Teile meines Manuskripts in diesem Blog untergebracht. Auch das Fundament, das erste Kapitel, das den Titel Das schwarze Heft hat. Wenn Sie diese autobiographischen Fragmente lesen wollen (und das wollen offensichtlich ganz viele Leser), dann finden Sie die als Links auf dieser Seite.

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