Freitag, 11. Juni 2010

Kulturwandel


Ich bin mit der amerikanischen Kultur der 40er und 50er Jahre aufgewachsen. Meine Heimatstadt Bremen war amerikanische Besatzungszone. Wir hatten für die wenigen Autos, die es gab, das Nummernschild AE, was für amerikanische Enklave stand, und rings um uns herum war jetzt England (BN stand für Britisch Niedersachsen). In unserem Haus waren amerikanische Offiziere einquartiert, unser Hausmädchen hatte einen amerikanischen Freund, mein Onkel hatte mit seiner Wäscherei und Chemischen Reinigung einen Großauftrag der amerikanischen Armee. Und ich war im Schwarzmarktgeschäft, indem ich sorgfältig die Rangabzeichen von den zu reinigenden Uniformen abtrennte und gegen Schokolade tauschte. Für einen Private oder einen Corporal kriegte man nix, aber ein Sergeant war schon etwas wert.

Es gab AFN im Radio und Jeans in den PX-Läden. Echte Jeans, gegen die die Imitationen von Herrn Sefranek nicht bestehen konnten. Der stellte nämlich als erster in Deutschland Jeans her, die zuerst noch Röhrlihosen hießen und definitiv nicht the real thing waren. Seine Marke Mustang soll ja noch heute an den Wilden Westen erinnern.  Die Levis musste man eine Größe größer kaufen und sich dann in eine Badewanne mit heißem Wasser setzen. Danach musste man die Badewanne mit ATA schrubben, sonst hatte man die ganze Woche Ärger. Im Sommer stellte man sich mit einer Levis 501 am besten in die Brandung der Nordsee, das Salzwasser zog dann die blaue Farbe langsam heraus. An dem modischen faded look (den man heute kaufen kann) musste man damals ganz schön arbeiten. 

Amerikanische Soldaten brachten uns Straßenkindern (und in der Nachkriegszeit waren wir alle Straßenkinder, weil nichts auf der Welt so interessant war wie die Straße) mit Vorliebe schlimme Wörter bei. Ich besaß als Sechsjähriger ein Vokabular von amerikanischen Slangausdrücken, das meine erste Englischlehrerin in der Volksschule rot werden ließ. 

Die Amerikanisierung Deutschlands trennte die Generationen. Für Eltern und Großeltern waren es die Siegermächte, meine Generation ging in dieser Kultur des bremischen Mini Amerikas auf. Der American Way of Life erschien uns selbstverständlich, weil er uns von klein auf begleitet hatte. In amerikanischen Armeebussen nach Bremerhaven befördert zu werden, um dort Tennessee Williams oder Arthur Miller im Freizeitcenter der Armee im Original zu sehen, gehörte zum Alltag. In allen Bremer Kinos liefen Filme aus Hollywood. Viele aus der Kriegsgeneration, die in einer amerikanischen Besatzungszone aufgewachsen sind, werden ähnliche Sozialisationserfahrungen gemacht haben. 

Aber es ist auch die gleiche Generation, die trotz aller segensreichen Einflüsse des American Way of Life, trotz Re-Education, trotz der AFS Kinderlandverschickung in die USA, trotz Kulturzeitschriften wie Perspectives/Perspektiven, in den 60er Jahren zu den schärfsten Kritikern Amerikas wurde. Der Anti-Amerikanismus wurde zur Mode einer Generation, die mit Amerika aufgewachsen war. Einer Generation, die tagsüber Amerika Häuser stürmte aber dann abends im Kino amerikanische Western guckte. Denn niemals war die Begeisterung für  amerikanische Westernfilme bei irgendeiner Generation so groß, wie in der Zeit, wo es zum guten Ton gehörte, Amerika zu verachten. Daß diese Generation dabei die geistreichsten Filmkritiken zum Western schrieb, ist vielleicht die Sublimation dafür, daß man sich in den Western trotz aller ideologischen Verbohrtheit ungeniert amüsierte. 

Keine Dankbarkeit mehr für die Care-Pakete, die Schokolade und die Ziggis der Besatzungssoldaten (keine Sprüche mehr wie Chesterfield machen meine Schwester wild), die Levis 501 aus dem PX-Laden, Rock’n Roll von AFN und die Buttondown Hemden der Firma Arrow. Soziologen werden Erklärungen für den Sinneswandel haben, meine Erklärung ist recht einfach: wir wurden älter, aber die kommerzielle amerikanische Kultur blieb die gleiche. Die wandelte sich kaum. Irgendwann verloren bunte Hawaii-Hemden und Schlipse mit Bikinischönheiten unter Palmen ihre Anziehungskraft. 

Außer Jazz, Rock’n Roll und Westernfilmen kam ja nichts Neues aus den USA. Alles andere kannten wir schon, und wenn wir neue Chinos oder Buttondown Hemden brauchten, wußten wir, wo wir sie bekamen. Für junge Bremer bedeutete Pubertät und Erwachsenwerden eine Ablösung von der amerikanischen Kultur, das hatte man schließlich von klein auf gehabt. Man war als Kind kulturell amerikanisch angehaucht, aber man will nicht ewig Kind bleiben.

Jetzt wo man erwachsen wurde, orientierte man sich an England, woran sich Bremer ja schon immer orientiert hatten. Am Radio stellte man statt AFN jetzt BFN ein, hörte die Weihnachtsbotschaft der Queen und endlose Berichte von Cricket Test Matches, obwohl man die Regeln nicht verstand. Englische Schuhe, Burberry Regenmäntel, englische Hemden und Tweedjacketts, diese ganze gefälschte Englishness der Hansestädter löste den American Way of Life ab. 

Auf intellektuellem Gebiet, wo Amerika dank der Beat Generation durchaus noch einen Einfluß auf uns hatte, schlug die alte Welt gegen die seichte Kommerzkultur der USA zurück. Die Franzosen offerierten uns ein intellektuelles Care-Paket, das aus Sartre und Camus, Juliette Gréco, den Filmen der Nouvelle Vague und den ersten Heften der Cahiers du Cinéma bestand (und die beschäftigten sich damals vorzugsweise mit dem Western). Ich hatte meine existentialistische Phase (wie beinahe alle in meiner Klasse: man war eben Exi), trug schwarze Rollkragenpullover, einen Band Sartre unter dem Arm  und hatte eine zerknüllte Gauloisepackung im alten Tweedjackett, das ich meinem Vater abgeschnackt hatte. Es mussten ja damals alte Tweedjacketts sein.

Und ich schwärmte für Juliette Gréco. Gab mein ganzes Taschengeld aus, um sie in Berlin singen zu hören (am Donnerstag 27. September 1962, Komödie am Kurfürstendamm 206, Reihe 12 Sitz 141). Saß unglücklicherweise hinter dem schönsten Mann Deutschlands, dem wohlondulierten Paul Hubschmid (einem Sitzriesen) und konnte leider wenig von Juliette sehen. Heute kann ich über diese Phase lächeln, mais je ne regrette rien. Die Eintrittskarte habe ich immer noch, wie meine ersten Juliette Schallplatten. Es hat mir auch nichts geschadet, dass ich alle Chansons von Jacques Prévert auswendig gelernt habe, die Juliette Gréco sang. Oh! je voudrais tant que tu te souviennes des jours heureux où nous étions amis... Ich will jetzt nicht den neiges d'antan nachweinen, aber irgendwie war früher mehr los. Gute Western werden nicht mehr gedreht, Filme von der Qualität der Nouvelle Vague gibt es nicht mehr und Carla Bruni ist kein Ersatz für Juliette Gréco, Lena kein Ersatz für Françoise Hardy. Das Erstaunliche an der Kultur der fünfziger und sechziger Jahre ist, dass das, was sie hervorgebracht hat, ungeheuer haltbar ist.

Wenn man sich heute wie ein Mod um 1960 kleidet, kann man das noch elegant und stilecht vortragen (die Mode wiederholt sich sowieso immer). Sartre und Camus kann man eh immer noch lesen, Juliette Gréco kann man immer noch hören. Das einzige, was man wirklich nicht zurückwünschen kann, ist die deutsche Kultur der Fifties und Sixties. Nyltesthemden und Treviraanzüge, Heimatfilme, Peter Alexander, Caterina Valente und Lieder, die von Caprifischern handeln (Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt..). Ja, wir waren damals schon schlau, in dem wir uns eine Lebensabschnitts-Kultur aus Amerika, England und  Frankreich gesucht haben (das mit Lebensabschnitts-Kultur© habe ich gerade erfunden, das kriegt jetzt mal ein©). Natürlich hat es auch Leute gegeben, die sich an der deutschen Kultur orientierten, aber die sahen aus wie unsere Knickerbocker tragenden Lehrer oder wie dieser Herr.

Und so wie dieser Mann wollte damals keiner von uns aussehen. Außer dem Bernd, mit dem ich auf der Schule war, der sieht heute noch so aus, aber der ist auch in der CDU und ist Bundesminister. Solche Leute waren auch schon in der Jungen Union, kaum dass sie das Abi in der Tasche hatten. Wenn man damals Gauloises, Gitanes oder Roth-Händle rauchte und Voyage au bout de la nuit im Original las, dann wußte man gar nicht, was die Junge Union war. Wenn man aber das nicht tat und niemals in Jazzkonzerte ging, sondern Quetschkommode spielte, dann blieb einem ja nur die Politik. Irgendwie bin ich John Wayne, François Truffaut, Juliette Gréco und der Savile Row schon dankbar, dass sie mich davon abgehalten haben.

Für das Filmphoto aus einem amerikanischen Western hätte ich ja jedes andere nehmen können, aber ich habe Stagecoach genommen, weil der Duke an einem 11. Juni gestorben ist. Und John Constable ist am heutigen Tag geboren worden. Als ich jung war, habe ich mir von meinem Taschengeld einen Constable Druck in der örtlichen Kunsthandlung auf steifen Karton aufziehen und rahmen lassen. Dann habe ich zum leichten Missvergnügen meiner Eltern das echte Ölbild von Willi Vogel, das sie mir ins Zimmer gehängt hatten, abgenommen und meinen Constable aufgehängt. Er hat mich jahrelang begleitet. Und deshalb gibt es hier zu Schluss noch meinen Constable. Den Willi Vogel habe ich natürlich immer noch.













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