Freitag, 4. Juni 2010

Majestät


Wir sind das Salz der Erde, hat er in einer Rede gesagt. Und er meinte das nicht so, wie es in der Bibel steht. Nein, mit dem Salz der Erde meinte er nur die Deutschen. Oder sich, pluralis majestatis. Nein, keine Sorge, kein verbaler Fehltritt eines gegenwärtigen Berliner Politikers. Hier spricht Wilhelm II, 1905 im Bremer Rathaussaal zur Feier der Enthüllung des Denkmals für seinen Vater. Hinterher gab es Schildkrötensuppe, Junges Lamm, Forellen, Trüffel, Hummer, Spargel etc., man fragt sich, ob er da überhaupt noch in die Uniform passt. Aber er hat ja noch genügend andere. Selbst jemand wie der Graf zu Eulenburg spottet mit Sprüchen wie alle Tage Maskenball über die Kostümierungssucht des Kaisers. Damals steht Majestätsbeleidigung noch als Straftatbestand im Strafgesetzbuch. Und trotzdem macht das Volk Witze. Heute sind die Grenzen für laesio majestatis ja etwas tiefer gelegt, steht nicht mehr im Strafgesetzbuch. Ja, da muss man dann eben auch als Präsident zurücktreten, weil die Kritik den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen lässt, nur weil man etwas gesagt hat, was auch Wilhelm II hätte sagen können. Der verkauft in besagter Rede in Bremen das Flottenwettrüsten noch als Friedenspolitik: Die Flotte schwimmt und sie wird gebaut, das Material an Menschen ist vorhanden, der Eifer und der Geist ist derselbe wie der, der die Offiziere der preußischen Armee bei Hohenfriedberg und bei Königsgrätz und bei Sedan erfüllt hat, und mit jedem deutschen Kriegsschiff, das den Stapel verläßt, ist eine Gewähr mehr für den Frieden auf der Erde gegeben. Das klingt doch überzeugend, oder? Was sind schon ein paar läppische Worte über die militärische Verteidigung deutscher Wirtschaftsinteressen dagegen?

Am heutigen Tag vor 69 Jahren ist Wilhelm II gestorben. Er war der letzte deutsche Kaiser, auch er ist zurückgetreten wie unsere letzter Bundespräsident. Als er seine Abdankungsurkunde unterzeichnet, war er schon nicht mehr in Deutschland. Mein Opa liebte ja seinen Kaiser. Der hatte ihm zweimal im Ersten Weltkrieg die Hand geschüttelt, einmal in Galizien. Als mein Opa mir das erzählte, war ich noch so klein, dass ich nicht wußte, wo Galizien auf der Landkarte ist. Jetzt weiß ich es natürlich. Das ist da, wo Joseph Roth seinen Leutnant Trotta in Radetzkymarsch sterben lässt. Mein Opa war nicht der einzige, der seinen Kaiser noch lange liebte. Aber mein Opa ist nicht zur Beerdigung des Kaisers nach Doorn gefahren wie der greise Feldmarschall August von Mackensen. Wilhelm hatte natürlich schönere Uniformen als die Vertreter des Reiches, mit Ausnahme von Mackensen, der seine Husarenuniform mit über neunzig noch stilvoll trug. Bis zu seinem Tode hatte Wilhelm seine Lieblingsuniformen immer wieder angezogen und sich darin photographieren lassen. Ich habe die Photos einmal in einer Ausstellung gesehen, die die letzten Lebensjahrzehnte des Kaisers dokumentierte. Es gab da auch eine ungetragene Admiralsuniform, feinste Berliner Schneiderarbeit. Natürlich alle Knopflöcher Handarbeit. Uniformen sind das Leben des Kaisers gewesen.

Und er hat ja auch für jede Gelegenheit eine Uniform gehabt. Als er 1912 die Schweiz besucht, tut er dies in der Uniform des Gardeschützen Bataillons. Mit der Wahl der Uniform des Regiments, das in der Kaserne in Lichterfelde beheimatet war (wo es immer noch einen Gardeschützenweg gibt), bewies der Kaiser wieder einmal feinstes politisches Gespür. Denn dieses Regiment war 1814 aus Neuchâtel nach Berlin gekommen, und Wilhelm wollte den Schweizern noch einmal zeigen, dass die Preußen einmal Herren über Neuchâtel gewesen waren. Als die Herrschaft des Hauses Orléans über Neuenburg im 18. Jahrhundert zu Ende geht, entscheidet man sich für Friedrich von Preußen. Weil der über seine Mutter Luise Henriette ein Oranier ist. Und so wird der preußische König souveräner Fürst von Oranien, Neuchâtel und Valangin. Als letzter Prinz von Oranien hat sich Wilhelm immer gefühlt, nicht erst seit er in Doorn wohnte. Da wir gerade bei dem Haus Oranien sind: all das, was wir so schön als preußische Tugenden feiern, sind nichts als die puritanisch calvinistischen Tugenden, die über die Gattin des Großen Kurfürsten ins Land kommen.

Der Bremer Bürgermeister Dr. Pauli, der den Kaiser 1905 im Rathaussaal begrüßte, hätte sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, dass eines Tages ein Bremer Bürgermeister (wenn auch nur kommissarisch) die gleiche Rolle einnehmen würde, die der Kaiser hat. Soll der Bürgermeister Jens Böhrnsen jetzt schnell handeln und die Preußen wieder holen? Seit Louis Ferdinand 1950 nach Borgfeld gezogen war, sind das ja schon beinahe echte Bremer. Und Louis Ferdinand hat ja auch nie Zweifel daran gelassen, dass das Haus Preußen bereit stände, wenn man die Monarchie wieder wollte. Und die haben ja bestimmt noch irgendwelche Prinzen. Ausser Prinz Foffi, der geht nun gar nicht. Und dann wollen wir auch schöne Uniformen wieder haben und einen Paragraphen gegen Majestätsbeleidigung im Strafgesetzbuch.

Der Bremer Bürgermeister Wilhelm Kaisen, der auch in Borgfeld wohnte (aber natürlich nicht so fein wie Preußens) und da noch nach der Arbeit im Rathaus seinen kleinen Hof bewirtschaftete, ist auch einmal als Bundespräsident im Gespräch gewesen. Aber dann hat man Theodor Heuss genommen. Als der Wilhelm Kaisen in Bremen besuchte, stehen die beiden Herren bei Kaisen in der Küche, wo noch die Socken zum Trocknen auf der Leine hängen. So wenig pompös war das Leben damals. Theodor Heuss hat durch die Socken in der Küche den notwendigen Respekt für sein Amt nicht verletzt gesehen. Auch nicht dadurch, dass Kaisen seinen Ochsen Theodor getauft hatte. Männer wie Wilhelm Kaisen und Theodor Heuss werden wir wohl nicht wieder bekommen.

Bei YouTube liegt übrigens Matthias Richlings Imitation von Horst Köhler mit 130.000 Aufrufen nur noch knapp vor Köhler (100.000 Aufrufe). Die Herren Pispers, Priol, Schramm und Richling werden jetzt wohl arbeitslos werden, wo sich die politischen Laiendarsteller jeden Abend im Fernsehen in Realsatire versuchen.

1 Kommentar: