Dienstag, 1. Juni 2010

Klaus Groth


Lütt Matten de Has
de maak sick een Spaß
he weert bi't Studeern                   
dat Danzen to lehrn
un danz ganz alleen
op de achtersten Been.

In meinem Blog gibt es ständig Englisch, Französisch und Latein, da muss jetzt auch mal ein bisschen Platt rein. Zumal wir heute doch mal an Klaus Groth denken müssen, der ist an diesem Tag vor 111 Jahren in Kiel gestorben. Er hat das Plattdeutsche wieder gesellschaftsfähig gemacht. Mit seiner Gedichtsammlung Quickborn war er auf einen Schlag berühmt. Vielleicht nicht so berühmt wie Lena nach den Gewinn des Grand Prix, aber doch berühmt. Die Universität Bonn verleiht ihm einen Ehrendoktortitel, in Kiel wird er ein Jahrzehnt später Professor werden. Feine Leute sprechen damals schon kein Platt mehr, obgleich das Plattdeutsche in Bremen noch eine Art lingua franca ist, in der sich Pfeffersäcke und Zigarrenmacher verständigen können. Anton Kippenberg setzt in seinem Buch Geschichten aus einer alten Hansestadt noch voraus, dass seine Leser Platt verstehen. Als ich jung war, konnte man in Bremen noch an jeder Straßenecke Leute Platt snaken hören. Mein Großvater, der vor über hundert Jahren aus Westphalen nach Bremen gekommen war, konnte genauso Platt wie mein Vater, der vor über achtzig Jahren aus Dithmarschen nach Bremen kam. Mein Vater mochte Klaus Groth, weil der wie er aus Dithmarschen kam. Er hatte aber auch nichts dagegen, Fritz Reuter zu lesen. Klaus Groth gehörte bei uns beinahe zur Familie. Weil er nämlich mal in unserer Straße gewohnt hatte. Er ist da beinahe jeden Sommer gewesen, obgleich er seine angeheiratete puckelige Bremer Verwandtschaft nicht geliebt hat.

Denn der junge Dichter hatte eine Frau aus einer reichen Bremer Familie geheiratet, der Vater von Doris Groth (geborene Finke) war Weinhändler. Mit Weinen aus Bordeaux (wo Finke eine eigene Dependance hatte) kann man im 19. Jahrhundert in den Hansestädten gute Geschäfte machen. Albert Dietrich Finke (Bild) hat auch einen Landsitz in Vegesack auf der Geestkante, mit schönem Blick über die Weser ins Oldenburger Land. Dort auf dem Finkenhof (der in der Familie auch manchmal Kio heißt) wird Klaus Groth so manchen Sommerurlaub verbringen. Den Park an der Weser hat Finke von den Erben des ➱Dr. Albrecht Roth gekauft. Der war um 1800 Deutschland berühmtester Botaniker, und er hatte hier auf dem Land am Weserufer, das ihm der englische König geschenkt hatte, einen Park mit den seltensten Bäumen angelegt. Vielen von denen stehen da heute noch und sind jetzt der Stolz des Vegesacker Stadtgartens.

Die reichen Bremer Verwandten lassen es den armen Dichter (erst 1866 bekommt er als Professor ein Gehalt von 800 Talern) bei jedem Aufenthalt in der Weserstraße spüren, was sie von plattdeutsch dichtenden Nichtsnutzen halten. Die Tagebücher von Doris, die 1985 unter dem Titel Wohin das Herz uns treibt bei Boyens veröffentlicht wurden, zeigen diese Spannungen deutlich auf. Man kann dieses schöne und rührende Dokument einer deutschen Ehe zur Zeit bei Amazon ab 1 Cent kaufen (Dieter Bohlen kann man ab 7 Cent kaufen). Irgendwann hat es bei Klaus Groth dann doch für eine standesgemäße Wohnung in Kiels Schwanenweg (Bild) gereicht.

Man kann Quickborn auch nach 150 Jahren noch lesen, viele Gedichte von Groth sind vertont worden, manche von seinem Freund Johannes Brahms. Selbst ➱Hannes Wader hat mal Lütt Matten de Has gesungen, und viele Folklore Gruppen haben sich für Groth begeistert. Und für Klaus Groth Freunde und für alle, die noch nie ein Gedicht von Klaus Groth gelesen haben, gibt es heute eins seiner schönsten Gedichte:

Ik wull, we weern noch kleen Jehann.
Do weer de Welt so grot!
Wir seten op den Steen, Jehann,
Weest noch? bi Nawers Sot.
An Heben seil de stille Maan,
Wi segen, wa he leep,
Un snacken, wa de Himmel hoch
Un wa de Sot wul deep.

Weest noch, wa still dat weer, Jehann?
Dar röhr keen Blatt an Bo,
So is dat nu ni mehr, Jehann,
As höchstens noch in Drom.
Och ne, wenn do de Scheper sung
Alleen, int wide Feld:
Ni wahr, Jehann? dat weer en Ton!
De eenzige op de Welt.

Mitünner inne Schummertid
Denn ward mi so to Mod,
Denn löppt mi't langs den Rügg so hitt,
As domals bi den Sot.
Denn dreih ik mi so hasti um,
As weer ik nich alleen:
Doch Allens, wat ik finn, Jehann,
Dat is - ik sta un ween.

Wenn man klein ist und im Mondlicht bei Nachbars Brunnen sitzt, dann ist die Welt noch ein Abenteuer. Jahrzehnte später gibt es diese Welt nur noch im Traum und in der Erinnerung. Weshalb der Dichter in Zeile fünf das Plattdeutsche heben (englisch heaven) für den Himmel gebraucht und zwei Zeilen später das neuhochdeutsche Himmel, das weiß ich nicht. Falls Sie Ausspracheschwierigkeiten haben, versuchen Sie doch mal diesen ➱Link. Ach, ich sehe gerade, Plattdeutsch ist nicht dabei. Aber für alle anderen Sprachen ist es toll; TTS, Text to Speach heißt so etwas, und man kann dafür nur dankbar sein. Aber natürlich gibt es Klaus Groth auch auf Plattdeutsch vorgelesen, dafür hat zum Beispiel der Kieler Plattdeutsch-Professor ➱Reimer Bull gesorgt.


P.S. (2.6.2010) Aus der Vielzahl der Zuschriften, das Plattdeutsche betreffend, möchte ich meinen Lesern eine bezaubernde kleine Geschichte nicht vorenthalten: Im großherzoglichen Oldenburgischen Theater (die kleine Geschichte ist wohl schon hundert Jahre alt) soll es Pferde auf der Bühne geben, auf jeden Fall erzählt man sich das in Westerstede so. Sofort beschließt eine Delegation von Bauern: Dat möt wi seihn! In Oldenburg wird Verdis Aida gespielt, da waren ja in anderen Teilen der Welt als Oldenburg schon mal Elefanten auf der Bühne. Unsere Bauerndelegation sitzt etwas verunsichert in der Oper, die Lichter verlöschen, die Ouvertüre beginnt. Und als die mal für einen Augenblick etwas leiser ist, ruft es aus der Dunkelheit des Saales: Nu hört mol up mit dat Gedudel und lot de Päär rut!

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