Montag, 14. Juni 2010

Verrat


Ja, so könnte es gewesen sein. Patriotische Amerikaner haben gerade einen englischen Gentleman gefangen genommen. Der behauptet Zivilist zu sein. Trägt auch Zivil, also das, was Engländer zu dieser Zeit so tragen. Eine Art blauer Frack, gelbliche Reithosen. Wir kennen es als die Kleidung des jungen Werther. Der Herr versucht unsere tapferen amerikanischen Patrioten noch mit einer goldenen Taschenuhr zu bestechen, und er bietet ihnen auch noch sein Pferd an, aber schon hat man die verräterischen Pläne in seinem Stiefel entdeckt. Geheime Pläne, die den Engländern alles über das Fort West Point verraten können. Der Herr in der Werthertracht ist kein privat reisender Gentleman, er ist Major in der englischen Armee, besitzt allerdings auch Papiere von General Benedict Arnold, die ihn als Amerikaner ausweisen. Er hat in Wirklichkeit nicht so elegante Klamotten getragen, die Zivilkleidung, die er angehabt hatte, gehörte ihm nicht, er hatte sie sich gerade geliehen. Wir sind im Jahre 1780, und es ist Krieg zwischen England und den amerikanischen Kolonien. Auf einem zeitgenössischen Flugblatt sieht die gleiche Szene so aus:

Hier trägt die amerikanische Miliz ja schon etwas Uniformähnliches, und der kniende Soldat liest etwas, was wir auch lesen können: Plan of West Point. Bei dem Amerikaner (er heißt John Paulding) dauert das etwas länger, er ist der einzige von den dreien, der ein wenig lesen kann. Eigentlich wollte der Engländer ja mit dem Schiff auf dem Hudson zurück (das englische Schiff ist auf beiden Abbildungen im Hintergrund zu sehen), aber bei diesem geheimen Treffen mit General Arnold ist alles schiefgegangen.  Major John André ist juristisch gesehen ein Spion, so sieht das auch George Washington. Tod durch den Strang ist das Urteil des Kriegsgerichts, in dem auch unser deutscher Baron Steuben sitzt. André möchte lieber als Offizier erschossen werden. Washington ist untröstlich, betrauert auch das Schicksal des gentleman and gallant officers, aber besteht auf dem Galgen. Immerhin hängt man ihn in Uniform.

In gewisser Weise ist dies Washingtons Rache für den Tod von Captain Nathan Hale, den Sir William Howe auch als Spion hatte hängen lassen. Hale ist derjenige, der angesichts des Todes gesagt hat, dass es schade sei, dass er seinem Vaterland nur ein Leben geben könne (wenn der englische Captain John Montresor, der Ingenieur und Kartograph war, das korrekt aufgeschrieben hat). Hale war Mitglied des von Washington gegründeten Culper Rings, des ersten amerikanischen Militärgeheimdienstes. Deshalb steht auch eine Nathan Hale Statue vor dem Gebäude der CIA in Langley. John Andrés Leiche wird unter dem Galgen verscharrt. Vierzig Jahre später gräbt man sie wieder aus und bestattet den Major in der Heldenecke der Westminster Cathedral.

Da weint Britannia auf dem Sarkophag, neben ihr sitzt der englische Löwe. Das ist eigentlich ein bisschen zu viel Ehre für den Major, der in den dreißig Jahren seines Lebens nichts wirklich Heldenhaftes getan hat. Er konnte tanzen und singen und sprach mehrere Sprachen, konnte gut zeichnen und Scherenschnitte anfertigen. Die Frauen liebten ihn, er soll auch eine Affaire mit Peggy Shippen gehabt haben, bevor sie die Frau von Benedict Arnold wird. Als General Howe Philadelphia besetzt hat und mit seiner Geliebten Elizabeth Loring im Bett liegt, wohnt John André im Haus von Benjamin Franklin. Und organisiert die Feste für das Offizierscorps, während George Washington sich draußen in Valley Forge mit seiner Armee zu Tode friert.

Der General Benedict Arnold hat in der amerikanischen Armee wenig Fortüne gehabt, sein Feldzug nach Quebec 1775 war fehlgeschlagen, man hatte ihn jahrelang auf den Titel eines Generalmajors warten lassen. Und bei der Schlacht von Saratoga hat ihm der General Horatio Gates das Kommando entzogen. Bei dieser Schlacht büßt er auch beinahe ein Bein ein, nachdem er so hysterisch über das Schlachtfeld getobt war, dass seine eigenen Leute ihn für besoffen hielten und ihm androhten, ihn vom Pferd zu schießen. Arnold ist ein tapferer Mann und ein guter Taktiker, aber er ist nicht das, was die Briten einen Gentleman nennen würden. Unbeherrscht, aufbrausend, eitel und nachtragend ist er, und jetzt verhandelt er heimlich mit den Engländern.

Er war an dem Tag eigentlich mit Washington zum Frühstück verabredet. Als Washington ins Haus kommt, ist da zwar der Tisch gedeckt, aber er findet nur eine heulende Peggy Shippen vor. Es gibt auch Berichte, wonach sie sich in ihrer Erregung unziemlich entblößt hätte, aber so etwas verfängt ja bei George Washington gar nicht. Benedict Arnold ist kurz zuvor aus dem Haus gehumpelt, nachdem er gehört hat, dass man John André gefangen hat. Hinunter zum Hudson, hat sich mit einem Ruderboot auf den Marinekutter Vulture (der Major André den Fluss hinauf gebracht hatte) übersetzen lassen und dem Kapitän gesagt, dass er ihn nach New York zu General Clinton (Bild) bringen soll. Sir Henry Clinton ist der neue Oberkommandierende in Amerika, nachdem General Howe die Brocken hingeschmissen hat. Sir Henry hat mit André gerade einen Adjutant General verloren, aber mit Benedict Arnold jetzt einen neuen Brigadegeneral gewonnen (George Washington macht ihm ein Angebot, André gegen Arnold zu tauschen, aber darauf mag Clinton, der sein Leben lang jede Entscheidung scheut, nicht eingehen). Vielleicht ist es passend, dass der Marinekutter Geier heißt. Noch an Bord wird Arnold einen Brief an Washington schreiben, in dem er darum bittet, dass man seine Frau nach England ausreisen lässt.

Arnold erhält zwar von den Engländern 6.000 Pfund Sterling (was damals sehr viel Geld ist) einen Generalstitel und eines Tages von George III das Versprechen, dass seine Söhne eines Tages Offizier in der Armee werden können, aber die Engländer werden ihm nie so recht trauen. Sie vertrauen ihm auch kein echtes Kommando an. Ein amerikanischer Offizier, der einmal sein Gefangener wird, antwortet ihm auf die Frage, was die Amerikaner wohl mit ihm machen würden, wenn sie ihn fangen würden: They will cut off your leg which was wounded when you were fighting so gloriously for the cause of liberty, and bury it with the honors of war, and hang the rest of your body on a gibbet. Sie haben ihn nicht gefangen, er ist heute vor 209 Jahren in London gestorben. Aber auf einer symbolischen Ebene ist die freche Antwort des Amerikaners schon wahr geworden.

Das Monument des Sieges über die England bei Saratoga, wo Gentleman Johnny Burgoyne eine ganze Armee verloren hat, enthält vier Nischen, in denen Figuren der Generäle Gates, Schuyler und Morgan stehen. Die vierte Nische ist leer. Ein Jahrhundert nach der Schlacht hat man auf dem Schlachtfeld von ➱Saratoga ein kleines Denkmal für Benedict Arnold aufgestellt, das allerdings seinen Namen nicht enthält und nur seinen Stiefel zeigt. Es geht doch nichts über politische Symbolik.

Und in der Kirche in Battersea in London gibt es auch noch einen Grabstein und ein buntes Glasfenster für ihn. Die Ölgemälde oben zeigen West Point im frühen 19. Jahrhundert, als es da noch idyllisch ist und Peggy Shippen Arnold mit ihrer Tochter, gemalt von Sir Thomas Lawrence. Darunter sind die Sieger der Schlacht von Saratoga (auf der rechten Bildseite), gemalt von Colonel John Trumbull. General Horatio Gates weigert sich, den Degen von Gentleman Johnny anzunehmen und bittet zu einem kleinen Lunch in sein flaggengeschmücktes Zelt. Man hat zwar nur zwei Gläser für einen Trinkspruch, aber dafür ist der Braten gut. Burgoyne wird artig auf George Washington trinken. Und Gates ohne Zögern einen Toast auf Georg III ausbringen. Der Herr in Weiß ist mein Liebling von allen amerikanischen Revolutionshelden. Er heißt ➱Daniel Morgan, und er hält sich an keine Kleiderordnung. Die Baronin von Riedesel, deren Mann General in englischen Diensten war, und die ihn bei dem amerikanischen Feldzug begleitet hat (und da auch noch Kinder gekriegt hat), fand diese Hinterwäldler wie Daniel Morgan ganz furchtbar. Trotz ihrer bornierten Vorbehalte ist ihr Bericht über die Berufsreise nach Amerika eine ganz wunderbare Lektüre.

1 Kommentar:

  1. Wieder einmal ein wunderbares Stück! Chapeau & danke!
    Herzliche Grüße vom DANDY-CLUB nach Kiel!
    http://dandy-club.blogspot.com

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