Sonntag, 27. Juni 2010

Moby-Dick


Heute vor 54 Jahren hatte John Hustons Moby-Dick Verfilmung Premiere. Fiel, trotz des künstlerischen Aufwandes bei Kritik und Publikum, glatt durch. Man lobte Orson Welles's Auftritt als Father Mapple, aber Gregory Pecks Ahab konnte keinen begeistern. Am wenigsten Leslie A. Fiedler, den wilden Mann der amerikanischen Literaturkritik. Gregory Peck hätte besser des Wal gespielt, höhnte er in seinem Buch Waiting for the End. Fiedler ist ein Mann der wunderbar gewagten Formulierungen, wie jeder weiß, der einmal sein fetziges Buch Love and Death in the American Novel gelesen hat. Fiedler hat auch einmal in einem Vortrag gesagt, dass die einzige überzeugende Frauenfigur in der amerikanischen Literatur der weiße Wal in Melvilles Roman Moby-Dick sei. Er hatte auch kein gutes Wort für John Barrymore übrig, der in den Moby-Dick Verfilmungen von 1926 und 1930 (die von 1930 ist eigentlich nur ein Tonfilm Remake der Version von 1926) den Kapitän Ahab als einen leicht irren John Barrymore gespielt hatte.

Enttäuschte Liebe hat in diesem Film Kapitän Ahab zur Jagd nach dem Wal gebracht, diesen love interest finden wir im Buch ja nun gar nicht, aber Barrymore hatte für seine jeweiligen Geliebten das Drehbuch umschreiben lassen. Wer interessiert sich schon für Herman Melville, wenn sich die ganze Welt der Traumfabrik Hollywood nur für John Barrymore interessiert? Dabei hatte sich John Huston mit dem Film große Mühe gegeben, er ist auch einer der wenigen amerikanischen Regisseure, der kommerzielle Interessen (zum Leidwesen der Studios) gegenüber der Originaltreue bei einer Literaturverfilmung zurückstellte. Die junge Journalistin Lillian Ross vom New Yorker hatte Hustons  Dreharbeiten von The Red Badge of Courage begleitet und darüber im New Yorker geschrieben. Die Reportage ist später in Buchform unter dem Titel Picture erschienen.

Es ist eins der besten Bücher, die über eine Literaturverfilmung geschrieben worden sind (man kann es heute noch kaufen und die deutsche Übersetzung Film gibt es bei Amazon ab 0,47 €). Und man merkt bei Ross (die zwei Jahre zuvor im New Yorker die Macho Attitüden von Hemingway demontiert hatte) auf jeder Seite, wie Huston gegen das Studio um den Originaltext kämpft. Huston wird (wie jeder Leser von Moby-Dick weiß) gewusst haben, dass Moby-Dick unverfilmbar ist, aber er hat versucht, das Unmögliche möglich zu machen. Sein Film ist nicht nur eine einfache Abenteuergeschichte. Dafür hat schon sein Drehbuchautor gesorgt, kein Hollywood Profi, sondern Ray Bradbury, der gerade Fahrenheit 451 geschrieben hatte. Und auch für die Filmmusik hatte Huston auf jemanden gesetzt, der nichts mit Hollywood zu tun hatte. Der englische Komponist Philip Sainton schrieb die Musik, die ein wenig an Debussy, Delius und Korngold erinnert. Das Label Marco Polo hat 1998 die Filmmusik von Philip Sainton auf einer CD herausgebracht. Die Dreharbeiten dauerten drei Jahre, fünfzig Prozent waren Aussenaufnahmen in Irland, vor der Küste von Wales und vor Madeira (alles, was im Roman im Pazifik spielt, wurde dort gedreht). Die andere Hälfte wurde in den Elstree Studios in London gedreht. Nichts in Amerika. John Huston, der seit 1947 die Hexenjagd der HUAC Komitees bekämpft hat, ist jetzt irischer Staatsbürger.

Huston hatte sich vor den Dreharbeiten alte kolorierte Stiche und Lithographien aus dem 19. Jahrhundert angesehen. Und er wollte seinen Film, trotz der satten Farben von Technicolor bewusst in diesem Stil haben. Sein Kameramann hielt sich an diese Anweisungen, und so gibt es in diesem Film eine immer eine gewisse Unschärfe und Farben, die eher milchig wirken.

Huston hatte vorher schon mit Ähnlichem experimentiert, bei Moulin Rouge hatte er einen Schwarzweißfilm über den Farbfilm kopiert, was im Ergebnis an eine malerische Technik erinnerte. Und auch in Moby-Dick haben die Bilder häufig etwas Malerisches, einen trüben Lichtschimmer und eine glanzlose Gischt mit der die pessimistische Grundstimmung Melvilles mit einer schleierlosen Kälte, aber nicht ohne den Schimmer düsterer eschatologischer Romantik gezeigt wird (auf jeden Fall so im Verständnis des anonymen Rezensenten, der im ersten Heft der neuen Zeitschrift Filmkritik 1957 den Artikel Melville zum Gruß schrieb). Oswald Morris, der mit Huston schon Moulin Rouge gedreht hatte (und noch in vielen Filmen sein Kameramann sein wird) hat das Filmmaterial beim Entwickeln nachbehandelt, bis er diese milchigen Pastelltöne hinbekommen hat.

Eigentlich hätte man das Ganze auch gleich in Schwarzweiß drehen können. Ray Bradbury war mit seiner Familie nach Irland zu Huston gezogen. Er hatte Huston in Kalifornien kennengelernt, und er hatte einmal als junger Autor auf die Frage Wann schreibst Du denn mal ein Drehbuch? die scherzhafte Antwort gegeben Wenn John Huston mich anruft. Nun hatte John Huston angerufen. Bradbury war nicht zuhause gewesen, weil er mit seinem Freund Ray Harryhausen in den Antiquariaten von Venice herumstöberte, auf der Suche nach Büchern über Monster. Wir sind in den frühen fünfziger Jahren, da gibt es noch nicht so viele Bücher über Monster. Das hat sich heute geändert. Und alles, was Ray Harryhausen für die Welt der filmischen Monster erfunden hat, braucht man heute nicht mehr. Ich habe Harryhausen einmal kennengelernt und ihn mit einer kleinen Einleitung dem Publikum vorgestellt. Dafür durfte ich dann auch bei seinem Vortrag neben ihm sitzen und hatte einen Logenplatz, als er ein kleines hochkompliziertes Monster nach dem anderen aus seinem Koffer holte. Die kleine mechanische Eule, die in Clash of the Titans (1981) durchs Bild saust, ich habe sie in der Hand gehabt. Das war ein netter Abend. Warum Bradbury Huston seinen Freund Harryhausen nicht als Trickfilmspezialisten empfohlen hat, weiß ich nicht. Die beiden Rays sind heute immer noch Kumpel (sie werden in diesem Jahr beide neunzig Jahre alt).

Aber als John Huston zum zweiten Mal anrief, war Bradbury zuhause. Musste allerdings zugeben, dass er den Roman noch nie gelesen hatte. Von dem Abend an hat er für das nächste Jahr nichts anderes mehr getan, eines Tages guckte er morgens in den Spiegel und sagte I am Herman Melville und schrieb den Rest des Drehbuchs. Hat er in einem Interview gesagt, aber er hat viele widersprüchliche Dinge über seine Zusammenarbeit mit Huston gesagt. In dem Interview mit Sight & Sound 1974 hat er auch gesagt, dass Gregory Peck eine Fehlbesetzung war.

Gut, wir haben ihn ja alle lieber als Captain Hornblower (links), aber war er wirklich so falsch als Ahab? Ist Patrick Stewart vom Raumschiff Enterprise 1998 besser? In dieser Verfilmung durfte der Ahab von 1956 den Father Mapple spielen. Bradbury lenkt mit solchen Sätzen davon ab, dass sein Drehbuch den Text von Moby-Dick an entscheidenden Stellen elementar verändert hat (der Filmkritiker Brandon French fand das in Lost at Sea katastrophal). Ich glaube manchmal, dass Peck gegen Bradburys Text noch etwas von Melvilles Ahab zu retten versuchte. Aber es steht fest, dass Huston Peck nicht gewollt hat, den hatte ihm das Studio (Warner Bros.) aufgedrückt, damit wenigsten ein bekannter amerikanischer Schauspieler im Film war. Wäre der Film besser geworden, wenn er länger geworden wäre? Sergei Bondartschuk nimmt sich für Krieg und Frieden 484 Minuten Zeit, Moby-Dick ist (bei gleicher Länge des Romans) nur 116 Minuten lang. Es wird niemandem gelingen, Prousts Suche nach der verlorenen Zeit zu verfilmen. Obgleich Raoul Ruiz Le temps retrouvé (1999) sicher als gelungen zu bezeichnen ist.

Nach einem halben Jahrhundert ist man als Kritiker gegenüber dem Film sicherlich milder gestimmt. Man hat mittlerweile so viele schlechte Filme gesehen, dass einem Moby-Dick jetzt schon wieder gut vorkommt. Als Melville den Roman schrieb, hatte der Walfang als Amerikas nationale Industrie längst seinen Höhepunkt hinter sich. Und heute hat der Walfang einen ganz anderen Stellenwert als 1851. Niemand würde ein Epos über einen japanischen Walfänger schreiben, der hinter einer Kanone auf einem japanischen Walfangschiff steht. Das Abenteuer, das den jungen Melville auf der Acushnet begeisterte, ist dem unsinnigen mechanisierten Morden gewichen. Kein faustischer Ahab versucht mehr, the whiteness of the whale zu ergründen.

Ray Bradbury lässt in seinem Drehbuch Moby Dick sterben, aber in Melvilles Roman stirbt er nicht. Moby Dick wird niemals sterben, wird immer ein Rätsel und ein Geheimnis bleiben. Ebenso wie der Roman immer ein Rätsel bleiben wird, so oft man ihn auch liest. Hustons Film hat große Momente, so fehlerhaft er ist. Er kann auch Zuschauer dazu bringen, einmal den Roman zu lesen.


John Hustons Film ist als DVD leicht erreichbar. Mit guten Moby-Dick Ausgaben sieht es schon schwieriger aus. Da die Ausgabe von Mansfield und Vincent (Hendricks House 1952) nicht mehr erreichbar ist, steht die von Harold Beaver kommentierte Penguin Ausgabe (über 300 Seiten Kommentar!) bei mir an zweiter Stelle der Empfehlungen. Gefolgt von der Norton Critical Edition, die Harrison Hayford und Hershel Parker herausgegeben habe. Bei deutschen Übersetzungen überwiegen die schlechten und schlimmen Texte. Meine Lieblingsübersetzung bleibt die bei Manesse erschienene Übersetzung von Fritz Güttinger. Es hat im letzten Jahrzehnt zwei deutsche Neuübersetzungen gegeben, wobei die von Matthias Jendis die lesbarste ist. Die von Friedhelm Rathjen bei Zweitausendeins erschienene Übersetzung hat den Vorteil, dass das Buch die schönen Illustrationen von Rockwell Kent enthält. Allerdings haben sich prominente Kritiker vernichtend über Rathjens Übersetzung geäußert. Ich auch. Die beste und lesbarste neuere Biographie zu Melville ist von Andrew Delbanco (Knopf 2005), die es inzwischen glücklicherweise auch schon in einer deutschen Übersetzung gibt.

Man kann natürlich auch Moby-Dick lesen und dabei die Songs of the Humpback Whale hören. Was aber sicher gar nicht geht, ist das hier unten:



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