Montag, 2. Mai 2022

das Haus


So hat es vor dem Krieg ausgesehen, ein Bremer Kapitänshaus, das sich der Capitain Ficke Haesloop um 1840 in der Weserstraße hat bauen lassen. Ich lasse das Capitain mal in der alten Schreibweise, wie es sich in einem Einwohnerregister der Stadt aus dem Jahre 1856 findet. Haesloop hat das Haus seinem Sohn Johannes vermacht, der auch Kapitän war. Danach wohnte hier August Wencke, Prokurist einer Seifenfabrik in Lesum. Die Firma hat er später gekauft, es gibt sie heute noch. Wencke zog nach Lesum, wo er sich neben seiner Fabrik ein großes Haus gebaut hatte. 

Der nächste Besitzer des Hauses Weserstraße 31 war der Lehrer und Heimatforscher Diedrich Steilen, der das Buch Geschichte der bremischen Hafenstadt Vegesack geschrieben und das Vegesacker Heimatmuseum gegründet hat. Als Steilen Anfang der zwanziger Jahre nach Bremen ziehen wollte, kaufte ihm mein Opa das Haus ab. Das Kapitänshaus aus dem Jahre 1840 hätte mein Opa von seinem Lehrergehalt nicht bezahlen können, doch er hatte am Anfang des Jahrhunderts reich geheiratet. Hundert Jahre nach der Hochzeit wird mein Onkel Karl fragen: Wie hatte diese Prinzessin aus der reichen Kornhändlerdynastie zu uns herabsteigen können? Er hat meine stille Oma Johanna immer bewundert. Das Haus, über das ich hier schreibe, ist das Haus, in dem ich aufgewachsen bin. 

Die Häuser auf dieser Seite der Straße sehen sich alle ähnlich, sie sind auch beinahe alle aus derselben Zeit. Nur das Haus der Bäckerei Schnatmeyer ist aus dem 18. Jahrhundert. Die Häuser sehen auch diesem Haus in Oldenburg ähnlich, in dem Horst Janssen aufgewachsen ist. Sie sind alle von Kapitänen oder Steuerleuten gebaut worden, 1856 waren es 37 Kapitäne und 9 Steuerleute im Ort. Von Vegesack ist zu erwähnen, das ist ein Ort mit Kapitänen, die von ihrer Arbeit ruhn, und ansonsten gar nichts tun, heißt es in einem Spottvers, der um 1900 entstanden ist. Im 19. Jahrhundert lebten mehr als die Hälfte aller Bremer Kapitäne in Vegesack. Wenn man damals ein Bremer Schiff mit der Speckflagge kommandierte, musste man Bremer Bürger sein, mindestens drei Jahre. Sonst wurde man auch nicht zur Schaffermahlzeit eingeladen. In Vegesack kostete der Bürgerbrief die Hälfte von den Bremer Gebühren, und die Sache mit den drei Jahren wurde auch nicht so eng gesehen. Häufig genügte die Absichtserklärung, Bremer Bürger werden zu wollen. Außerdem konnte man in Vegesack auch leichter ein Haus finden, am liebsten oben in der Weserstraße.

Wir waren beim Kriegsende nicht in dem Haus, wir waren bei Tante Margret, der Schwester von Oma. Mein Opa ist zum Kriegsende von Bad Essen nach Vegesack marschiert. Er wollte sehen, ob sein Haus in der Weserstraße noch steht. In Ritterhude hat er auf dem Deich einen Nachbarn getroffen, der ihm versichern konnte, das Haus stehe noch, aber da seien jetzt die Amerikaner drin. Und die Weserstraße sei sowieso von den Besatzern abgesperrt. Da hat Opa kehrtgemacht und ist wieder nach Bohmte marschiert. Er war vierundsechzig Jahre alt, war aber offensichtlich noch gut zu Fuß. Den Ersten Weltkrieg hatte der kaisertreue Hauptmann überlebt, den Zweiten jetzt auch. Die amerikanischen Besatzungstruppen hatten die ganze Weserstraße abgeriegelt und alle Häuser requiriert. Den Hof von Redeker hatten sie eingezäunt und zum Gefangenenlager gemacht. Die Strandlust hieß jetzt GI Joe's Beer Hall, das war die Beer Hall Nummer 2, die Nummer eins war das Bremer Rathaus. Meine Mutter hat es den Amerikanern nie verziehen, dass sie das Klavier aus dem Fenster geschmissen und das Meißner Porzellan zerdeppert haben.

Die Kapitänshäuser zwischen der Breiten Straße und der Kimmstraße mit den Hausnummern 22 bis 32 bilden ein Ensemble. Mein Freund Peter, der für das Landesdenkmalamt schon die morschen Walkiefer am Utkiek durch eine Bronzenachbildung hatte ersetzen lassen, hat dafür gesorgt, dass alle Häuser unter Denkmalschutz stehen. Zwei der Häuser fallen aus dem Bild heraus: sie sind völlig baugleich. Man nimmt an, dass der Entwurf der Häuser von dem Bremer Stararchitekten Heinrich Müller stammt (der auch die Villa Fritze in der Weserstraße gebaut hat), aber ganz sicher ist man sich da nicht. Der ehemalige Landesdenkmalpfler Rudolf Stein, der das zweibändige Werk Klassizismus und Romantik in der Baukunst Bremens verfasst hat, ist da sehr vorsichtig.

Die andere Seite der Weserstraße, die mit den Gärten zur Weser hinunter, haben die Kapitäne den Bremer Millionären überlassen. Das ist die Seite der Straße, über die Friedrich Engels schrieb: Hier liegen die Villen der Aristokraten, deren Anlagen das Weserufer eine kleine Strecke hin wirklich sehr verschönern. Wirklich schön sind die riesigen Protzbauten des Historismus nicht: weder die Villa Bischoff, noch die Villa Schröder (die später dem Werftbesitzer Friedrich Lürssen gehörte) oder die Villa Fritze. Es gab noch mehr dieser gelbbraunen Kästen, die Villa von Hermann Danziger, die später das St Theresienhaus war, ist inzwischen abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Den Finkenhof, der dem Schwiegervater von Klaus Groth gehörte, gibt es schon lange nicht mehr. Dieses Haus aus dem Jahre 1856 auch nicht. Es stand bei uns gegenüber, es war das Sommerhaus von Arnold Duckwitz, Bürgermeister von Bremen, Reichshandelsminister und Gründer der ersten deutschen Reichsflotte

Das stand auch auf der steinernen Tafel über der Eingangstür: Auf diesem Landsitz wohnte Arnold Duckwitz / 1802 bis 1881 / Bürgermeister von Bremen / 1848 Reichshandelsminister in Frankfurt a.M. / Gründer der ersten deutschen Reichskriegsflotte. Es gab im ganzen Internet kein Bild von dem Haus (bei Rudolf Stein ist es natürlich ausführlich beschrieben und angebildet), bis mir Pastor Ingbert Lindemann aushelfen konnte. Ich schrieb den Post fehlende Bilder, und jetzt findet Google das sofort, wenn man Arnold Duckwitz Haus eingibt. Nachdem Carla Hockemeyer gestorben war, hat der Banause Bernd Hockemeyer diesen historischen Wohnsitz abreißen lassen. Angeblich wusste er von nix, er war sicherheitshalber gerade in der Schweiz. Zahlte hunderttausend Mark Strafe und kriegte zwei Jahre keine Baugenehmigung, dann setzte er zwei bauklotzförmige Apartmenthäuser auf das Grundstück. Aus mir unerklärlichen Gründen ist der Hockemeyer, den ich seit Kindertagen kannte, Bremer Ehrenbürger geworden.

Es gibt ein Buch über die Straße: Kapitäne, Villen, Gärten: Die Weserstraße in Vegesack. Ein Führer von Else Arens. Man sollte es lieber nicht erwähnen, obgleich es schon beim Bremer Landesamt für Denkmalpflege erwähnt wird. Es ist ein fehlerhaft hingeschludertes Werk von einer Frau, die nicht aus dem Ort kommt und niemanden aus der Straße wirklich kannte. Dass Diedrich Steilen in unserem Haus gewohnt hat, weiß sie nicht. Dass im Haus nebenan in den dreißiger Jahren der SA-Sturmführer Westphal wohnte, den die Nazis 1933 anstelle des entlassenen Dr Werner Wittgenstein zum Bürgermeister gemacht hatten, das steht auch nicht in ihrem Buch. Unser Nachbar Alfred Pohl wohnt nach ihren Angaben seit 1958 hier, in Wirklichkeit hatte er das Haus 1938 gekauft. Der Professor Heino Hohnholz heißt bei ihr sowohl Heino als auch Heinrich; ich erwähne den, weil ich ihn, ohne seinen Namen zu nennen, in den Post Leo Spitzer hineingeschrieben habe. Ich verdanke ihm die Bücher von Benedetto Croce und Karl Vossler. Und Vosslers Übersetzung von Dantes Göttlicher Komödie

Man kann sich bei Else Arens von Seite zu Seite, von Haus zu Haus, vorarbeiten und Fehler über Fehler entdecken, falsche Namen, falsche Jahreszahlen noch und noch. Der Besitzer des Hauses Nr 78 heißt Neyer, nicht Meyer, ich war mit Gabi Neyer in der Volksschule, ich weiß das. Ich kenne alle Häuser und ihre Besitzer, weil ich jeden Morgen an ihnen entlang zur Schule gehe. Else Arens kennt die Weserstraße nur aus irgendwelchen Verzeichnissen. Das einzige, das in ihrem Buch stimmt, sind die Beschreibungen der Häuser. Die hat die Autorin wörtlich aus Rudolf Steins Standardwerk Klassizismus und Romantik in der Baukunst Bremens abgeschrieben. Mich wundert, dass Nils Aschenbeck das Buch verlegt hat. Dem verdanken wir das hervorragende Buch zu dem Vegesacker Architekten Ernst Becker-Sassenhof, dieses Machwerk hier ist damit nicht zu vergleichen.

Wie man auf diesem Photo aus dem Jahre 1962 sehen kann, hat hat sich das Haus baulich ein wenig verändert. Die Kugeln am Dach sind nicht mehr da, die sind von der englischen Artillerie, die im Mai 1945 Vegesack von Lemwerder aus beschoss, getroffen worden. Aber die Haustür aus einem seltenen Tropenholz, die ist noch original. Die Kapitäne waren stolz auf ihre Haustüren, deren Holz sie aus der Südsee mitgebracht hatten. Nebenan, wo damals der Oberingenieur vom Vulkan Bruno Trube wohnte, hat einmal Dr Albrecht Roth sein Haus gehabt. Der hatte am Weserufer einen Park angelegt. Das Land für den Park schenkt ihm der König von England (wir gehörten damals nicht zu Bremen, sondern zum englischen Hannover), der auf den jungen Forscher aufmerksam geworden ist. Er könne soviel Land haben, als er bebauen könne und wolle

Das Land ist nichts wert, ein ödes Sandgebiet, auf dem nur Heide wächst. Und ein paar Bäumchen. Bei Hochwasser und Sturmflut frisst die Weser das Land weg. Wahrscheinlich glaubt George III, dieser junge Dr Roth wolle einen Landschaftsgarten anlegen, wie er jetzt in England Mode ist. Roth wird noch Land dazu kaufen, bis ihm das ganze Unterland der heutigen Weserstraße gehört, von der Strandlust bis zur Langeschen Werft (dem Vorläufer des Bremer Vulkans). Der Park, den der Botaniker und Landmedicus Albrecht Roth anlegen wird. enthält die seltensten Bäume. Es sind einhundert exotische Bäume und Stauden auf zwei Hektar Grund. Roth und seine Erben werden den Park peu à peu an die Bremer verkaufen, die oben in der Weserstraße ihre Villen bauen. Zuerst an den Weinhändler Albert Dietrich Finke, dessen Tochter Doris den Dichter Klaus Groth heiraten wird. Der wird viel Zeit hier verbringen, auf seine Frau und das liebliche Vegesack hat er das Gedicht Idyll geschrieben. Den Löwenanteil wird der Bremer Kaufmann und Senator Carl Wilhelm August Fritze erwerben, Arnold Duckwitz kauft das Nachbargrundstück.

Ich bin auf die Idee gekommen, dies hier zu schreiben, weil mich der Historiker Thomas Begerow (von dem Sie hier einen interessanten Aufsatz über Vegesacker Kapitäne lesen können) gefragt hat, ob ich ein Photo von dem Haus vor 1945 besäße. Ich habe ein halbes Dutzend Photoalben, in denen die Familie bis 1890 zurück repräsentiert ist, durchgesehen. Kein Bild des Hauses. Thomas Begerow sagte, er würde Ingbert Lindemann fragen. Pastor Lindemann hat ein sehr großes Archiv von alten Photos, davon habe ich schon mehrmals profitiert. Ingbert Lindemann, mit dem ich vor Jahrzehnten in der Evangelischen Jugend zusammen war, schickte Begerow und mir das Photo da oben. Und da dachte ich mir: schreib' doch mal über das Haus. Und mein Dank geht natürlich an Ingbert Lindemann und Thomas Begerow.

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