Das kleine Kaff, aus dem ich komme, hat eine ruhmreiche Geschichte im Bau von Segelschiffen. Von den vielen Werften (hier die Langesche Werft um 1835) von der Lesummündung bis zum Fährgrund ist nicht mehr viel übrig geblieben. Nach der Pleite des Bremer Vulkans sind nur noch Abeking & Rasmussen und Lürssen da, die aber durch ihre Spezialisierung sehr gut im Geschäft sind. Die Segelmachereien sind auch so gut wie weg. Beilken ist noch da, aber die Tage, wo ohne die Brüder Beilken bei den deutschen Admiral Cuppers nichts ging, sind lange vorbei. Die schönen Holzsteuerräder der Steuerradfabrik F.W. Bauer in der Weserstraße werden heute als Dekorationsstücke gehandelt, moderne Schiffe haben so etwas nicht mehr. Je weiter die Tage der Segelschiffe entfernt sind, desto teurer werden die Erinnerungsstücke: von Schiffschronometern bis zu hölzernen Steuerrädern.
Natürlich gibt es an der Weser außer Abeking und Lürssen noch ein paar Werften. Die Werft in Elsfleth hat gerade den Auftrag für die Reparatur der Gorch Fock bekommen. Zum Entsetzen der Kieler Lindenau Werft, die den Auftrag schon in der Tasche zu haben schien, und die jetzt vor der Pleite steht. Aber die wenigen Werften, die noch übrig geblieben sind (und die sich gegenseitig die Aufträge wegschnappen) sind natürlich nichts gegen die große Zeit des Schiffbaus an der Weser im 19. Jahrhundert.
Welche dankenswerterweise durch einen Liebhaber namens Peter-Michael Pawlak mustergültig dokumentiert worden ist. Der promovierte Jurist, der Richter am Amtsgericht Blumenthal war, hat in drei reich illustrierten Bänden jedes Schiff dokumentiert. Von der Weser in die Welt: Die Geschichte der Segelschiffe von Weser und Lesum und ihrer Bauwerften 1770 bis 1893 ist uns Vegesackern natürlich am liebsten, weil dieser ➱Band I unseren Heimatort behandelt. Der ➱Band II hat die Elsflether und Oldenburger Werften zum Thema, und der vor kurzem erschienene ➱Band III nimmt sich den Rest der Weser vor. Das alles im Großformat, über fünfzehnhundert Seiten - und beinahe fünfzehnhundert Abbildungen.
Und nicht nur alle Daten zum Bau und zur Geschichte eines jeden Schiffes finden sich bei Pawlik, es gibt auch Übersichtsartikel über die Marinemalerei aus Vegesack. Von Malern wie Fedeler und Jaburg, die jeder Vegesacker kennt, weil sie die Wände des Heimatmuseums (jetzt im Schönebecker Schloss) und des Focke Museums in Bremen zieren. Sie sind uns lieb und teuer. Heute natürlich teuer, weil Darstellungen von Segelschiffen des 19. Jahrhunderts auf dem Kunstmarkt immer teurer werden.
Aber irgendwann sind die Bremer Reeder mit den Werften an der Weser nicht mehr so glücklich. Sie suchen robuste Frachtsegler, die man leicht umbauen kann, die man sowohl für die Passagierfahrt (die Auswanderung nach Amerika wird jetzt zu einem schönen Geschäft) als auch den Walfang verwenden kann. In Amerika haben sie da einen Schiffstyp, den die Unterweserwerften nicht haben. Also kauften Bremer Reeder sich (meist second-hand) die an der amerikanischen Ostküste (Downeasters) oder in Kanada (Nova-Scotians) gebauten unverwüstlichen Universalschiffe, tauften sie um und gaben ihnen eine neue Flagge. Die Werften an der Unterweser hatten dem Technologievorsprung der Amerikaner nichts entgegenzusetzen.
Denn täuschen wir uns nicht, so sehr wir aus Lokalpatriotismus unsere Werften und unsere Schiffe lieben, und obgleich dies der Höhepunkt von Deutschlands maritimer Geschichte ist: Die Amerikaner sind schon viel weiter. Denn das 19. Jahrhundert ist gleichzeitig der Höhepunkt amerikanischer Schiffbaukunst. Kathedralen Amerikas hat der amerikanische Seefahrtshistoriker Arthur H. Clark diese Schiffe genannt. Sein Buch The Clipper Ship Era: An Epitome of Famous American and British Clipper Ships, Their Owners, Builders, Commanders and Crews 1843-1869 soll hier nicht verheimlicht werden. Der Kauf von diesen Downeasters und Nova Scotians schadet natürlich der heimischen Werftindustrie. Hier beginnt eine Entwicklung, die dazu führen wird, dass Bremer Reeder ihre Schiffe nicht mehr an der Weser bauen lassen, sondern eines Tages auf den shipyards von Strathclyde. Die Schotten sind billiger. Und eines schönen Tages verlagert sich der Schiffbau nach Korea. Hyundai Heavy Industries ist heute die größte Werft der Welt.
Die Downeasters sind von der Forschung ein wenig vernachlässigt worden. Weil sie nicht so schön sind wie die amerikanischen Clipper. Aber sie sind der Liebhaberforschung nicht entgangen. Sie kommen natürlich in Otto Hövers Klassiker Von der Galiot zum Fünfmaster (1934), vor. Und in dem kleinen Büchlein des Kapitäns Rolf Reinemuth Segel aus Downeast (1971), und selbstverständlich lässt Pawlik sie nicht aus. Vor neun Jahren erschien mit dem Buch Downeasters und Nova-Scotians. Amerikanische und kanadische Segler von der Weser von Wolfgang Walter sicherlich das definitive Buch zu dem Thema.
Die Clipper gehörten eigentlich nicht in das Buch, weil sie einen anderen Rumpf und eine völlig andere Besegelung hatten, aber Wolfgang Walter (gelernter Schiffbauer und ehemaliger Konstruktionsleiter bei der Bremer AG Weser) bezieht sie hier mit ein. Das hat seine Berechtigung, zumal er dankenswerterweise auch eine kurze Geschichte der amerikanischen und kanadischen Seefahrt seit der Kolonialzeit liefert. Das Buch verzeichnet akribisch die Lebensläufe von 339 Schiffen. Dabei orientiert sich die ganze Aufmachung an Pawliks Von der Weser in die Welt. Wolfgang Walters Buch ist leider schon wieder vergriffen, das Deutsche Schiffahrtsmuseum und der Convent Verlag sollten sich mal einen Ruck geben und das Buch neu drucken.
Bilder: 1) Lange Werft 1835, unbekannter Künstler 2) Carl Fedeler 3) und 4) Oltmann Jaburg. Dann folgen Bilder von dem Downeaster Henry B. Hyde und dem Clipper Flying Cloud. Der Segeldampfer ist von einem Vegesacker Maler namens Fritz Müller (über den man nicht so viel weiß) und das letzte Bild ist wieder von Carl Fedeler.
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