Dienstag, 16. Februar 2016

Vaterlandsstolz


Du bist ein Deutscher. Wohlan, sei stolz auf deinen Hermann, auf den Helden Friedrich, auf Katharina, die Wohltäterin der Menschen! Nenne Leibniz, Klopstock und Lessing der Nachwelt! Nenne Deutschlands Erfinder, wenn England seine Darsteller neben Königen begräbt und Gallien seine Dekorateurs unter die Vierziger setzt! Uns fehlen zwar Geschichtschreiber und Redner, aber weder Dichter noch Taten. Dennoch laßt uns gerecht sein und nicht vergessen, daß kaum vor dreißig Jahren noch Gottsched der deutsche Addison war, daß itzt noch Laune, Witz und Grazie im deutschen Boden nur mühsam gedeihen und daß Vaterland und Freiheit in unsrer Sprache nicht viel mehr als Töne ohne Meinung sind. Wenn die Abenakis und die Mikimakis, die Chawanesen und die Cherokesen bei jedem Krieg ihrer Nachbarn die Axt gegen ihre Brüder erheben, kämpfen sie fürs Vaterland?
     Wo ist der lebendige Geist, der uns allgewaltig, und zu einem Endzweck, ergreifen, der uns an einer Kette halten sollte, wie Jupiter die Schicksale hält? Wo ist Regulus' Tugend, Leidenschaft, ein Opfer zu werden fürs Vaterland?
     Sprich den Fürsten nicht hohn, freiheittrunkner Jüngling, der du vielleicht als Mann zu ihren Füßen kniest! Und sie verdienen auch deinen Bardeneifer nicht, denn viele unter ihnen sind freundlich und gut und verleihen selbst den Fürstenhassern Brot. Aber träume nicht von Freiheit, solange noch an jedem Hof jeder Laut des Muts verstummt, solang unser Eigentum nur von einer Schatzverordnung zur andern sicher ist, solang unser Blut eine Lands- und Domänenware bleibt, solang wir auf jeden Wink wie Cäsars Kriegsknechte ausrufen:

     »Pectora si fratrum, gravidave in viscera matris
      Imperat, invita peragam tamen omnia dextra.«

Tröste dich damit, daß Freie nicht immer glücklich sind, daß es Sokrates und Phokion nicht waren und daß es Sklaven sein können unter Antoninen.

Dieser Text ist schon etwas älter, genauer gesagt wurde der Essay Über den Vaterlandsstolz des deutschen Aufklärers Helfrich Peter Sturz im Jahre 1782 in Bremen bei Cramer gedruckt (er war zuvor 1776 in der Zeitschrift Deutsches Museum veröffentlicht). In der Hansestadt Bremen ist der Verfasser dieses Textes (der heute vor 280 Jahren geboren wurde) auch gestorben. Literaturhistoriker haben ihn den ersten deutschen Essayisten genannt. Der Verlag des Buchhändlers Johann Heinrich (Hinrich) Cramer (1736-1804), in Bremen und Hamburg beheimatet, ist der Wikipedia keinen Eintrag wert, Dieter Bohlen schon. Sagen wir mal so: der Verlag war nicht unbedeutend. Er zählte ➱Lessing und ➱Johann Heinrich Voss zu seinen Autoren. Hier erschien ➱Laurence Sternes Yoricks empfindsame Reise durch Frankreich und Italien (übersetzt von Johann Joachim Christoph Bode). Und hier erschienen auch die Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur von Heinrich Wilhelm Gerstenberg, einem Freund von Sturz.

Das Buch Geistiges Bremen, herausgegeben von ➱Alfred Faust, kennt Cramer, der einst Lessings Hamburgische Dramaturgie herausgab, natürlich. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle einmal sagen, dass wir uns täuschen, wenn wir glauben, dass alles im Internet steht. In Büchern steht noch viel mehr. Wenn Helfrich Peter Sturz in Bremen stirbt, dann heißt das nicht, dass er da lebte, er hatte nur in der Hansestadt einen Freund besucht. Die Hansestadt scheint den Vertretern der deutschen Aufklärung nicht gut zu bekommen, drei Jahre vor Sturz war ➱Adolph Knigge in Bremen gestorben. Sturz war jetzt in den Diensten des Oldenburger Herzogs Peter Friedrich Ludwig (Bild), das ist der Landesherr, der Oldenburg ➱klassizistisch umbaut. Zuvor war Sturz in den Diensten des dänischen Königs Christian VII gewesen. Das ist der König, der ein klein wenig geisteskrank ist. Er kommt mehrfach in diesem Blog vor, unter anderem in dem Post ➱Kiel Frieden, aber da ist er schon tot.

Er wird immer wieder erwähnt. Wegen dem Dr Struensee (der auf diesem Bild ein wenig anders aussieht als Mads Mikkelsen im Film Die Königin und der Leibarzt). Struensee und die Liebesaffaire erwähne ich immer wieder (wie zum Beispiel in dem Post ➱Henning Mankell), weil ich immer wieder den Roman von Per Olov Enquist Der Besuch des Leibarztes anpreise. Nicht, weil ich den Übersetzer kenne, sondern weil das ein schöner Roman ist. Für den dänischen Legationsrat Helfrich Peter Sturz ist es eine schöne Zeit, wenn er (zusammen mit Struensee) den König auf dessen ➱Grand Tour nach Frankreich und England begleitet. Struensee und er fahren in derselben Kutsche, aber sie können sich nicht ausstehen. Obgleich sie beide Männer der Aufklärung sind.

Sturz wird sich in London der Malerin Angelika Kauffmann (hier auf dem Selbstportrait, zerrissen zwischen den Musen der Malerei und der Dichtung) in ihrem Atelier vorstellen. Die brauche ich Ihnen jetzt nicht vorzustellen, die hat schon lange einen ➱Post. Sturz ist selbst Amateurmaler, er hat die Königin Caroline Mathilde (die schon in dem Post ➱Hannover erwähnt wird) gemalt.

Deren Tochter Louise Augusta hat er auch portraitiert. Sturz wird auch den Schauspieler David Garrick (den dieser ➱Blog auch schon kennt) kennenlernen. Sturz versteht etwas vom Theater, er hat selbst ein ➱Theaterstück geschrieben und mit Lessing gefachsimpelt. Man wird in den Salons von London und Paris noch lange über diesen angenehmen Mann reden. Sturz wird in Heinrich Christian Boies Zeitschrift Deutsches Museum noch seine Briefe eines Reisenden vom Jahre 1768 veröffentlichen, die einen interessanten Blick auf England und Frankreich werfen (auch die englische ➱Ossian Begeisterung wird in ihnen erwähnt). Seine Schriften sind 1976 unter dem Titel Die Reise nach dem Deister: Prosa und Briefe von Rütten und Loening herausgebracht worden. Man kann diesen Band ganz billig im Antiquariat finden (mein Exemplar hat einen Cent gekostet), lohnt sich unbedingt.

Wenn Struensee stürzt, fällt auch der Weltmann, Essayist und Künstler Helfrich Peter Sturz. Man hält ihn für einen Komplizen von Struensee, verhaftet ihn im Hause seiner Braut und inhaftiert ihn für Monate. Wenn er freigelassen wird, kann er endlich seine Braut heiraten, aber, wie es 1894 in der Allgemeinen Deutschen Biographie heißt: der Lebensmuth des sonst so heiteren Gesellschafters war durch die Verfolgungen in Hypochondrie verkehrt, seine Gesundheit durch die Gefängnißhaft und Kummer gebrochen. Doch die Tristesse des piffeligen Oldenburgs bringt den ➱Schriftsteller in Sturz hervor. Kurz vor seinem Tod entschließt sich Sturz auf Anraten seines Freundes Dr Johann Georg Zimmermann zur Publikation seiner Schriften. Sturz hat berühmte Freunde, Zimmermann ist nicht nur ein Gesprächsparter von Friedrich dem Großen und Goethe, er hat seine Dissertation über die Einsamkeit geschrieben. Dissertationen werden normalerweise kaum gelesen, diese schon.

Wir kehren noch einmal nach Bremen zurück. Nicht wegen des Verlegers Johann Hinrich Cramer, sondern wegen des Bremer Postmeisters Dr Albert Schumacher. Der hat auch noch den Titel eines Hofrats, was für Bremer sehr untypisch ist. Aber Schumacher ist der Interessenvertreter des Oldenburger Herzogs im Lande Bremen, deshalb der Titel Hofrat. Zeitweise ist er auch dänischer Gesandter in Bremen gewesen. Er ist ein alter Freund von Sturz, und ihn wird Sturz im Herbst 1779 besuchen. Schumacher (dessen Sohn Bremer Bürgermeister wird) wohnt seinem Titel entsprechend auf einem Landgut (das Gut Landruhe besitzt er übrigens auch noch). Dieses hübsche klassizistische Gebäude ist nicht das Landhaus, das ist nur die Straßenseite des Hofmeierhauses von 1790.

Das Haus, in dem Sturz sterben wird, ist heute nicht mehr in dem schönen Originalzustand, in dem das Hofmeierhaus ist. Aber der Park, in dem es steht, den gibt es noch. Er heißt heute nach einem späteren Besitzer Heinekens Park, und er ist einer der schönsten ➱Parks der an öffentlichen Gärten sicherlich nicht armen Stadt. Der ➱Park war ursprünglich im französischen Stil angelegt worden, nicht im Stil des englischen ➱Landschaftsgartens. Ihn zieren Nachbildungen von Statuen aus dem Schloss Fredensborg, das war Schumacher seinen Verbindungen zu Kopenhagen schuldig. Dies ist der Eingang zum Park. Das Tor habe ich auch schon einmal photographiert, aber damals stand dies blöde Schild noch nicht da.

Lassen Sie mich vom Ende zum Anfang kommen, zu Sturzens Über den Vaterlandsstolz. Für den Aufklärer Helfrich Peter Sturz bedeutet Vaterland: Dichter, Denker und Freiheit. Auch wenn er klagt, dass Vaterland und Freiheit in unsrer Sprache nicht viel mehr als Töne ohne Meinung sind. Für Frau Frauke Petry, die ihr Vaterland mit geladener Waffe verteidigen möchte, bedeutet Vaterland offensichtlich etwas anderes. Für den im schwedischen Groß Schoritz geborenen und im preußischen Bonn gestorbenen Ernst Moritz Arndt sollte es das ganze Deutschland sein. Zu dem Essay Über den Vaterlandsstolz findet sich eine Interpretation in der 86-seitigen Habilitation Helferich Peter Sturz: ein Kapitel aus der Schrifttumsgeschichte zwischen Aufklärung und Sturm und Drang von einem gewissen Adalbert Schmidt. Klingt interessant, ist aber leider 1939 erschienen. Im Jahr zuvor war der Verfasser in die NSDAP eingetreten, nach 1945 wurde im die Habilitation aberkannt. Es ist eine schwierige Sache mit dem Vaterlandsstolz.

Was ist des Deutschen Vaterland? Ist’s Preußenland? Ist’s Schwabenland? Ist’s, wo am Rhein die Rebe blüht? Ist’s, wo am Belt die Möwe zieht? O nein, nein, nein! Sein Vaterland muss größer sein! Arndts Frage nach dem deutschen Vaterland hat der Bundespräsident Gustav Heinemann bei seinem Amtsantritt 1969 ganz einfach beantwortet: Es gibt schwierige Vaterländer. Eines davon ist Deutschland. Aber es ist unser Vaterland. Hier leben und arbeiten wir. Darum wollen wir unseren Beitrag für die eine Menschheit mit diesem und durch dieses unser Land leisten.

1 Kommentar:

  1. Man kann ja wieder viel von Ihnen lernen. Über das oder besser unser Vaterland zu schreiben ohne aktuelle politische Plattheiten zu verwenden, wenn mich einer gefragt hätte, mir wäre loomings-jay eingefallen.
    Aber: Man möge von wikipedia halten was man will, wenn ein Artikel fehlt, dann schreibe man ihn selber. Das ist bei wikipedia nun mal so.
    Seien Sie herzlich gegrüßt.

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