Nein, man hat nichts in der Milch gefunden, die Katastrophennachrichten betreffen im Augenblick nur Schokoriegel und Bier. Warsteiner, nicht zu glauben. Fettmilch steht hier als Titel, weil man heute vor vierhundert Jahren den Vincenz Fettmilch in Frankfurt hingerichtet hat. Und seinen Kumpel Gerngroß (und noch zwei andere) dazu. Fettmilch & Gerngroß - was für Namen, um einen Aufstand zu machen. Knipperdolling ist natürlich auch nicht schlecht, aber mit dem Namen wären wir in Münster. Oder bei ➱NSU, weil ich eins meiner Autos Knipperdolling getauft hatte. Ich fand den Namen so witzig.
Es geht heute um den Frankfurter ➱Fettmilch Aufstand, der vor vielen Jahren auch mal Gegenstand eines deutschen Fernsehspiels war. Mit Günter Strack als Fettmilch. Dem in der Wirklichkeit natürlich nicht das widerfuhr, was dem Lebkuchenbäcker Vincenz Fettmilch widerfahren sollte: ihm wurden die beiden Schwurfinger abgehackt, dann der Kopf. Danach wurde er gevierteilt und die Körperteile an den Ausfallstraßen aus Frankfurt aufgehängt. Fettmilchs Kopf spießte man an der Brücke auf. Sein Haus wurde abgerissen, seine Frau mit den zehn Kindern aus Frankfurt verbannt. An der Stelle des Hauses wurde eine Schandsäule errichtet. Das sind noch mal Strafen, gelle?
Zu Goethes Zeiten konnte man noch den Schädel an der Brücke sehen, denn der Dichter schreibt in Dichtung und Wahrheit: Unter den altertümlichen Resten war mir, von Kindheit an, der auf dem Brückenturm aufgesteckte Schädel eines Staatsverbrechers merkwürdig gewesen, der von dreien oder vieren, wie die leeren eisernen Spitzen auswiesen, seit 1616 sich durch alle Unbilden der Zeit und Witterung erhalten hatte. So oft man von Sachsenhausen nach Frankfurt zurückkehrte, hatte man den Turm vor sich, und der Schädel fiel ins Auge. Ich ließ mir als Knabe schon gern die Geschichte dieser Aufrührer, des Fettmilch und seiner Genossen erzählen, wie sie mit dem Stadtregiment unzufrieden gewesen, sich gegen dasselbe empört, Meuterei angesponnen, die Judenstadt geplündert und gräßliche Händel erregt, zuletzt aber gefangen und von kaiserlichen Abgeordneten zum Tode verurteilt worden.
Was am 28. Februar 1616 beendet wird, zieht sich über Jahre hin, allein der Prozess gegen Fettmilch dauert ein Jahr. Die Geschichte des Fettmilch Aufstands - in der sich eine Vielzahl von Parallelen zur heutigen Zeit finden - beginnt mit dem Kaiser Matthias, anlässlich dessen Wahl der Frankfurter Rat wie gemeinhin üblich seine Privilegien öffentlich verlesen lassen sollte. Was er nicht tut, man will jahrelange Misswirtschaft verdecken. Hier kämpfen jetzt die Handwerkszünfte mit ihrem Sprecher Fettmilch gegen die Patrizier. Als im Jahre 1613 bekannt wird, dass die Stadt beinahe pleite ist und große Geldmengen veruntreut wurden, wird der Römer gestürmt. Die Zünfte übernehmen dann peu à peu die Gewalt über die Stadt. Heute hat die Stadtverwaltung von Frankfurt 13.000 Mitarbeiter, soviel Einwohner hatte Frankfurt damals nicht. Wenn heute in Frankfurt Geld verbrannt wird, dann macht das nicht die Stadtverwaltung, das macht die Deutsche Bank.
Wo die im Jahre 1613 fehlenden 9½ Tonnen Goldgulden geblieben sind, weiß niemand. Der Rat der Stadt hat keine Belege. Das Schutzgeld, das die Juden damals zu zahlen hatten, war unter den Ratsmitgliedern aufgeteilt worden. Veruntreuung der Einnahmen in großem Stil. Das kennen wir, so etwas haben wir heute noch, von der Armut der Kommunen bis zu verschwundenen Millionen, für die es keine Belege gibt. Und der Herr Schäuble, der in der CDU Spendenaffäre im Jahre 2000 Geld verschwinden ließ, ist heute Finanzminister. Irgendwie hätte Fettmilch etwas Besseres verdient als die Enthauptung.
Es gibt in Frankfurt 1612 und 1613 noch keine wirkliche Revolution, man verhandelt über Interessen. Man macht einen Bürgervertrag, und die Zünfte bekommen durch den Neuner Ausschuss Einsicht in die Finanzen der Stadt. Prekär wird es, wenn Fettmilch die Stadttore von seinen Anhängern besetzen und den Rat für abgesetzt erklären lässt. Zuvor ist noch nichts Böses geschehen. Die Zünfte versuchen, wenn man so will, Recht und Ordnung wieder herzustellen. Da könnten wir noch mit Thomas Jefferson sagen: I hold it that a little rebellion now and then is a good thing, and as necessary in the political world as storms in the physical.
Aber die Mitglieder des Rats verhaften, das geht nun nicht. Der Kaiser Matthias (Sie kennen den aus ➱Franz Grillparzers Ein Bruderzwist im Hause Habsburg) droht am 22. August 1614 die Reichsacht an. Den Kaiser wähnten die rebellischen Zünfte eigentlich ein wenig auf ihrer Seite, jetzt wendet sich ihre Wut gegen eine ganz andere Gruppe: man stürmt und plündert die Frankfurter ➱Judengasse. Aus Kritik, Auflehnung und Aufstand wird ein Pogrom. Dazu beigetragen hat eine Urkunde aus dem Jahre 1349 mit der Kaiser Karl IV seine Rechte über die jüdischen Einwohner an die Stadt abgetreten hatte. Darin steht der Satz, dass wenn Juden von Todes wegen abgingen oder verdürben oder erschlagen würden, falle ihr Eigentum an die Stadt. Was umgehend zur Frankfurter Judenschlacht von 1349 führte. Es ist ein Satz, den man 1614 wieder gebrauchen kann. Später braucht man für Pogrome keine Rechtfertigung mehr.
Nach der Hinrichtung Fettmilchs (Bild) wurden die ausgewiesenen Juden, die in Höchst und Hanau Zuflucht gefunden hatten, wieder nach Frankfurt zurückgeführt. Die Jüdische Gemeinde von Frankfurt feiert seit 1616 alljährlich am 20. Adar das Freudenfest Purim Vintz (Purim Vincenz), das an Fettmilchs Aufstand, das Pogrom und an die feierliche Rückführung der Gemeinde in die Judengasse erinnert. Die Entschädigungen, die ihnen zugesprochen wurden, haben sie nie erhalten.
Aus der Zeit von Fettmilch ist das Vintz Hans Lied erhalten, das nach der Melodie des Frundsberg Liedes gesungen wurde:
Ein schön Lied hübsch und bescheidlich
Für Weiber un Meidlich,
Zu erkennen Gotts Kraft un Macht
Wie der Schomer Isroel hat bei uns gewacht.
Es hat hundert Strophen, im Internet findet sich nur diese erste Strophe, deshalb lassen wir das jetzt mal weg und lassen den Vinzenz Fettmilch reden. Auf jeden Fall so, wie er das in dem Drama von Adolf Stoltze (➱hier im Volltext) tut:
Fettmilch (allein). Ihr Glücklichen, die nur die eigenen Sorgen drücken; fast neide ich euch um euren frohen Sinn. (Läßt sich auf die Bank nieder. Abendröte.) Erquickung spendet dieser stille Ort; – vor mir des Altkings sanftgeschweifte Höhen, die abschiednehmend noch der Tag umglüht. Ein milder West kühlt mir die heiße Stirne und gibt dem Körper neuen frischen Schwung. Ist's doch, als zög mein ganzes Leben in diesem Augenblick an mir vorüber, belastend und versöhnend mein Gewissen ... Tief senkte sich die Schale des Erfolges an meiner Lebenswage, doch ob ihr Zünglein niemals schwankend wird, ist eine Frage, die die Zeit nur löst ... Schon steigen dunkle Schatten auf vor meiner Seele und bange Ahnungen umschleichen mein Gehirn ... Zum Teufel, Fettmilch, bist du noch der alte?! der Mann der Tat, den kein Bedenken schreckt? Der Zweifel ist des Handelns größter Feind, er drängt dich in das Nebelmeer der Schwäche. Beklagenswert sind auch für mich die Opfer meiner Taten, doch fühle ich frei mich von der Schuld, die sie geboren. Wär ich ein schwacher Mann gewesen, hätte ich der Bürger Gunst schon längst verscherzt. Zusammenfassen mußte ich die Leidenschaften des wild erregten Volkes und Richtung geben ihr nach einem Ziel. Ich mußte handeln wie ich es getan, das Urteil überlasse ich dem ewigen Richter, der sicher gnädig sein Verzeihen spricht. Bei Gott, ich lieb' mein Weib und meine Kinder, doch höher noch steht mir das Wohl der Stadt und seiner Bürger. Schon in der Jugend zog's mich mächtig zu ihr hin, in ihr erbaute ich den eigenen Herd und fand die neue Heimat, die mir lieb und teuer. Auf Rosen war ich wahrlich nicht gebettet, und bitterschwer ward mir der Kampf ums Brot. Doch habe niemals mit gekrümmtem Rücken nach Amt und Würde ich geäugt, für die Befähigung mir ein Anrecht gaben. Ein offen Wert ist meines Daseins Atem. Ich fand das Recht gebeugt durch einen Adel, der in dem freien Bürger Untertanen sah. – Mit Gleichgesinnten schloß ich mich zusammen zum Schutz der Freiheit und der heiligen Rechte. (Stützt den Kopf müde in die Hand.) Der Sonne letzter Strahl verglüht und mahnt zur Heimkehr und zu – neuen Sorgen.
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