Der Verleger Ernst Rowohlt wurde heute vor einhundertdreißig Jahren in Bremen geboren. Ein Genussmensch, larger than life würden die Engländer sagen. Leutnant im Ersten Weltkrieg, Hauptmann im Zweiten, Berufsverbot bei den Nazis. Ich kenne den Namen Rowohlt, seit ich lesen kann. Weil ich mit diesen Büchern aufwuchs, auf denen rororo stand. Was nichts anderes als Rowohlts Rotations Romane hieß. 1954 erschien der 10 Millionste rororo Band. 1950 waren die ersten vier rororo Taschenbücher erschienen: Hans Fallada Kleiner Mann – was nun?, Graham Greene Am Abgrund des Leben, Rudyard Kipling Das Dschungelbuch und Kurt Tucholsky Schloß Gripsholm. Die Auflage betrug je 50.000 Exemplare, der Preis je 1,50 DM. Bis Mitte Oktober folgen weitere acht Bände, die Gesamtauflage beträgt zu diesem Zeitpunkt 620.000 Exemplare. Die ersten Bücher, noch im Zeitungsformat, wurden vom Verleger so beworben:
Die Entwicklung der deutschen Literatur wurde im Jahre 1933 jäh unterbrochen. Was seitdem erschien, hat kaum Bestand. Dem Dichter und Schriftsteller, im Jahre 1945 plötzlich der Fesseln entledigt, fehlen noch neue Worte zu neuer Zeit. Es gibt eine ganze Generation von jungen Leuten, die nichts wissen von der Literatur vor 1933, auch nichts vernommen haben von den Stimmen des Auslandes, die spärlich nur - und auch nur in den ersten Jahren des nationalsozialistischen Regimes - zu uns drangen. Die Bibliotheken sind zerstört, die Bücher vernichtet oder einst auf Scheiterhaufen verbrannt. Deshalb machen wir den Versuch, einen Teil der wesentlichen Werke der in- und ausländischen Literatur, die zu kennen notwendig ist, um wieder in europäischem Zusammenhang denken zu lernen, in einer hohen Auflage und zu billigem Preis an den Leser zu bringen. Dieses Unternehmen aber kann nur Erfolg haben, wenn Sie uns helfen. Wir brauchen Ihre Wünsche, wir brauchen Ihre Anregung, wir brauchen Kritik. Was wünschen Sie zu lesen? Von welchen Büchern glauben Sie, daß es notwendig sei, sie erneut vorzulegen? Was ist Ihre Meinung zu dem vorliegenden Werk? Was halten Sie von dem Autor? - Schreiben Sie uns! Stimmen Sie unserem Plan zu? In welcher Weise, glauben Sie, ließe er sich verbessern? Wünschen Sie die Form der Rotations-Romane nur als Notlösung betrachtet zu wissen, geboren aus der Armut unserer Tage, oder sehen Sie in ihr auch Möglichkeiten für die Zukunft? - Schreiben Sie uns auch dies! Haben Sie, falls Ihnen dies Buch gefallen hat, den Wunsch, es auch für später aufzubewahren, es in haltbarerem Gewande zu besitzen? Dann sprechen Sie mit dem Buchhändler, bei dem Sie diesen Rotations-Roman erwarben! Der Plan, den wir uns vorgenommen haben, kann nur gelingen, wenn Sie uns unterstützen mit Ihrem Rat und Ihrer Kritik. Scheuen Sie nicht das offene Wort! Wir werden mit Dankbarkeit auf Sie hören!
Das stand zwar schon in dem Post ➱Alain-Fournier, aber ich glaube, man kann es immer wieder zitieren: so hat die deutsche Nachkriegsliteratur begonnen. Dass 1950 Kleiner Mann – was nun? als Taschenbuch erschien, hat seinen Grund in der Verlagsgeschichte. 1932 war der Roman ein Weltbestseller, der zur Sanierung des stark angeschlagenen Verlags beitrug und sich in zehn Jahren 188.000 mal verkaufte, die Lizenzausgaben nicht mitgezählt. Rowohlts Lektor für Falladas Romane war damals übrigens Harald Eschenburg (der ➱hier schon einen Post hat).
Und der seinen ehemaligen Chef später in seine autobiographische Romantrilogie hineinschrieb, da heißt Ernst Rowohlt dann Wasserschout und Väterchen. Und natürlich wird erwähnt, dass er alle seine Autoren unter den Tisch trank. Das Lektorat der Fallada Manuskripte hat Spuren bei Eschenburg hinterlassen: stilistisch gesehen, ist Falladas Werk 'Bauern, Bonzen und Bomben' mein Vorbild, besonders in 'Wind von vorn', hat er in einem Interview gesagt. Aber auch, dass Thomas Mann und Theodor Fontane seine Vorbilder gewesen seien. Ich sehe Eschi noch vor mir, wie er verbissen auf seiner kleinen Reiseschreibmaschine tippte. Man kann seine Kieler Familientrilogie heute noch antiquarisch finden. Sie lohnt unbedingt die Lektüre.
Mit den amerikanischen Autoren, die Rowohlt in den dreißiger Jahren gewonnen hatte (➱Faulkner, ➱Hemingway, Sinclair Lewis, Thomas Wolfe), konnte er nach dem Krieg noch immer punkten. Aber auch Wolfgang Borcherts Draußen vor der Tür wurde ein Bestseller. Und der umstrittene Fragebogen von Ernst von Salomon. Keine Bestseller waren ➱Friedo Lampe und ➱Arno Schmidt, aber immerhin brachte Rowohlt sie auf den Markt. Mein Lieblingstitel bei den rororo Büchern ist ein kleiner satirischer Spionageroman von ➱Peter Fleming (dem Bruder von Ian Fleming), The Sixth Column. Kam als Die sechste Kolonne 1953 auf den deutschen Markt, der Übersetzer war kein Geringerer als Arno Schmidt.
Wofür ich dem Rowohlt Verlag wirklich dankbar war - und immer noch bin - das waren seine Reihen: Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft, rowohlts deutsche enzyklopädie und Rowohlts Monographien. Die Rowohlts Klassiker (RK) halfen mir, durch die Weltliteratur zu kommen; die von Kurt Kusenberg (der auch ➱Jacques Prévert übersetzt hatte) herausgegebene Reihe der Rowohlts Monographien half mir, alles über die Autoren zu wissen. Ich habe beinahe zwei Regalmeter von der rm Reihe. In der es natürlich auch einen Band mit dem Titel Ernst Rowohlt gab. Geschrieben 1957 von seinem ehemaligen Lektor Paul Mayer, kann man heute immer noch lesen.
Aber das Sahnehäubchen bei den Reihen, das war Rowohlts Deutsche Enzyklopädie, eine Wissenschaftsreihe. Hemingway zu verkaufen, das war die eine Sache, aber eine richtige seriöse wissenschaftliche Sachbuchreihe zu haben, das war etwas ganz anderes. Hockes Die Welt als Labyrinth habe ich 1962 gelesen, das steht in dem Post ➱perlegi. Ich habe das Buch auch in dem Post ➱Aktmalerei erwähnt, das ist übrigens ein Post, der ein echter Bestseller ist. Und warum nicht? Es gibt nackte Frauen auf der Leinwand, der Post ist ganz witzig, aber auch seriös. Das ist die Zauberformel dieses Blogs.
Auch in der Reihe rde erschien dieses Buch, steht bei mir noch immer so im Regal. Manchmal ersetze ich ein Buch Jahre später durch eine Hardcover Ausgabe. Ich habe gerade ➱Andrew Delbancos schönes Melville Buch für einen Euro in der Hardcover Ausgabe gefunden, da muss die Paperback Ausgabe weichen. Aber den ➱Camus würde ich durch nichts ersetzen wollen, wie so viele andere der rde Titel. Im Antiquariat Eschenburg gibt es ein ganzes Regal nur für die rde Titel, ich gucke da jede Woche nach, ob da nicht noch etwas ist, was ich noch nicht kenne.
Kein Autor wird dich im Wesen richtig erkennen. Entweder bist du für ihn ein pfiffiger Kaufmann oder ein freundlicher Mäzen; du bist aber keins von beiden. Du hast den blödesten Beruf der Welt ergriffen, hat Rowohlt mal gesagt. Aber ich glaube, dass er glücklich in seinem Beruf war, mit vielen seiner Autoren war er befreundet. Ob er heute glücklich wäre, wo Bücher keine so große Rolle mehr zu spielen scheinen, das weiß ich nicht. Reading is a revolutionary act. The siren calls of email, Twitter, smart phones, and iPods conspire to pull us away from the long-form writing of books, las ich letztens auf dem Cover von David L. Ulins Buch The Lost Art of Reading. Da sind wir nun in einer overnetworked society, where every buzz and rumor is instantly blogged and tweeted, and it is not contemplation we desire but an odd sort of distraction. Gegen diese Form der kontinuierlichen Ablenkung und Verwirrung hilft nur eins: Bücher lesen.
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