Mittwoch, 9. September 2020

Lew Tolstoi


Ich habe Tolstoi als Leser sehr spät entdeckt. Vielleicht ist das auch gut so, man versteht Krieg und Frieden im Alter besser. Und vielleicht ist es auch gut, wenn man zuerst Theodor Fontanes Roman Vor dem Sturm gelesen hat. Der Roman war es, der mich zu Tolstoi brachte. Und das ständige Drängen von Friedrich Hübner, dem Mann, der alles über die russische Literatur weiß. Ich vertraue seinen Literaturempfehlungen eigentlich immer, weil er einer der gebildetsten Menschen ist, die ich kenne. Zum ersten Mal wurde Tolstoi in diesem Blog in einem Post erwähnt, der Maciejowice heißt. Da hatte ich noch nicht den Mut, über Krieg und Frieden zu schreiben. Aber vier Wochen später habe ich mir gedacht: warum eigentlich nicht? Schließlich hatte ich ein halbes Dutzend Verfilmungen gesehen und las den Roman gerade zum zweiten Mal. Ein Jahr später schrieb ich dann über Sergei Bondartschuks geniale Verfilmung.

Bondartschuks Verfilmung kann ich Ihnen heute hier in voller Länge anbieten. Und ich habe noch mehr an bewegten Bildern, nämlich einen Film über die letzten Tage von Lew Tolstoi, in dem Christopher Plummer den Schriftsteller spielt. In Bondatschuks Verfilmung von Waterloo war er noch Wellington, jetzt ist er Tolstoi, Helen Mirren spielte voller Verve seine Ehefrau. Es war sicher passend, Dame Helen für die Rolle von Sofja Tolstaja zu nehmen, kommen ihre Vorfahren doch aus der russischen Aristokratie.

Der Film mit Mirren und Plummer heißt The Last Station (der deutsche Verleihtitel ist Ein russischer Sommer), Fritz Göttler hat es in seiner Rezension in der Süddeutschen nicht unbedingt gefallen. Aber immerhin waren Mirren und Plummer 2010 für den Oscar nominiert worden. Da ich bei Verfilmungen bin, habe ich noch etwas Schönes für die Augen. Wie oft der Roman Anna Karenina verfilmt worden ist, weiß ich wirklich nicht. Wir kennen natürlich alle den Film mit Greta Garbo oder Vivien Leigh (es gab auch mal eine Fernsehversion mit Jacqueline Bisset und einen Film mit Keira Knightley). Ich kann Ihnen heute die neueste russische Verfilmung aus dem Jahre 2017 mit der russischen Schönheit Elizaveta Boyarskaya als Anna Karenina (hier im Bild) anbieten.

Der Film ist nicht synchronisiert, Sie werden wahrscheinlich nichts verstehen, aber das macht nichts. Es sind wunderbar plüschige Bilder, zwei Stunden und zwölf Minuten lang. Hollywood Made in Russia. Der Regisseur Karen Schachnasarow, der glaubt, dass sein Film unbedingt für den Oscar nominiert werden müsse, ist nebenbei Präsident von Mosfilm. Er ist ein Fan von Staatspräsident Putin und hat öffentlich die Annexion der Krim gelobt, dort hat er auch einen großen Teil der Außenaufnahmen des neuen Films gedreht. Es ist erstaunlich, was man mit Tolstoi alles machen kann.

Bei der Vielzahl der Anna Karenina Verfilmungen ist die russische ✺Verfllmung von 1967 mit der bildschönen Tatjana Samoilowa (die zehn Jahre zuvor mit Wenn die Kraniche ziehen berühmt geworden war) leider ein wenig untergegangen. Der Film von Alexander Sarchi sollte 1968 in Cannes, wo man die Samoilowa als die die russische Audrey Hepburn bezeichnete, gezeigt werden, aber das Festival fiel wegen der Maiunruhen aus. Dies ist ein Farbfilm in zurückhaltenden Farben, der manchmal lieber ein Schwarzweißfilm sein möchte. In seiner Kameraführung, der Schnitttechnik und der Montage ist er die modernste Verfllmung des Romans. Aber das Publikum will wohl keine avantgardistische Kunst sehen, sondern lieber Keira Knightley Kitsch oder den Film von dem Putin Kumpel. Das ist sehr schade.

Der Film The Last Station hatte einen amerikanischen Regisseur und wurde zum größten Teil in Deutschland gedeht. Er basiert auf einem Roman von Jay Parini. Den Roman habe ich zwar nicht gelesen, aber ich weiß, wer Jay Parini ist. Ich habe ihn in dem Post kein Melville am 1. August zitiert, und ich habe sein Buch über Melville (The Passages of H.M.) und seine Biographien über John Steinbeck und Gore Vidal gelesen. Parini ist ein Meister der Biographie, und wahrscheinlich ist sein Roman The Last Station viel besser als der Film. Auf jeden Fall war der Roman vor dreißig Jahren ein Bestseller. Und Millionen von Lesern haben auf diese Weise Lew Tolstoi kennengelernt, vielleicht nicht die schlechteste Art und Weise, um sich Tolstoi zu nähern. Der Titel des Romans hat natürlich etwas mit der Eisenbahnstation zu tun, in der Tolstoi vor hundertzehn Jahren starb (lesen Sie mehr dazu in dem Tolstoi Post la belle inconnue).

Der erste Absatz des heutigen Posts stand hier schon am 9. September 2013 in dem Post Tolstoi, das war der 185. Geburtstag des russischen Grafen. Ich komme jetzt an seinem Geburtstag noch einmal auf ihn, weil er mir ständig wiederbegegnet ist, als ich über Isaak Lewitan schrieb. Ich hätte ihn erwähnen können, weil ich bei der Recherche auf diese interessante Seite gestoßen war. Es fiel mir vor zehn Jahren verhältnismäßig leicht, über Krieg und Frieden zu schreiben, weil ich den Roman damals zum ersten Mal gelesen hatte. Und ihn gleich ein zweites Mal in einer anderen Übersetzung las. Und ich bin gerade dabei, Teile des Romans noch einmal zu lesen. Was ich vor zehn Jahren noch nicht wusste, war die Tatsache, dass der Post über Krieg und Frieden beinahe zehntausend Leser gefunden hatte. Ich habe erst Jahre später gemerkt, dass ich viele dieser Leser wohl dem Wikipedia Artikel zu Krieg und Frieden verdanke, in dem es einen Link zu meinem Blog gibt.

Schon zu Lebzeiten Tolstois (hier ein Portrait seines Freundes Ilja Repin) sind seine Werke ins Deusche übersetzt worden. Einer der ersten Übersetzer war Raphael Loewenfeld. Sein 1901 erschienenes Buch Leo N. Tolstoi: Sein Leben, seine Werke, seine Weltanschauung können Sie hier lesen. 2010, hundert Jahre nach Tolstois Tod, kam die vielgelobte Neuübersetzung von Krieg und Frieden von Barbara Conrad auf den Markt, 2009 war eine neue Übersetzung von Anna Karenina von Rosemarie Tietze erschienen. Und Barbara Conrad übersetzte den Roman Auferstehung neu (Hanser 29016). Conrads Übersetzung von Krieg und Frieden kostet bei Hanser leider immer noch 58 Euro.

Man kann den Roman natürlich viel preiswerter bekommen, die alten Übersetzungen von Hermann Röhl (dessen Übersetzung aus dem Jahre 1915 bei Zeno zu lesen ist), Erich Boehme (1924), Werner Bergengruen (1953) oder Marianne Kegel (1956) sind noch auf dem Markt. Marianne Kegels Übersetzung kam 2002 durch Patmos Verlagsgruppe wieder auf den Markt, neu mit Literaturhinweisen, einem 20-seitigen Nachwort und Anmerkungen von Barbara Conrad versehen. Wenn man dieses Buch preiswert findet, scheint es mir ein idealer Text zu sein. In England erschien 2010 Tolstoy: A Russian Life von Rosamund Bartlett, 2014 erschien in der Reihe der Oxford Classics ihre Übersetzung von Anna Karenina. Und bei Suhrkamp gbt es immer noch Isaiah Berlins berühmten Essay Der Igel und der Fuchs (dazu habe ich hier eine Zusammenfassung).

Beinahe fünfzig Jahre war in der Reihe der rororo monographien der Band
Lev Tolstoj in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten von Janko Lavrin (in der Übersetzung von Rolf-Dietrich Keil) lieferbar gewesen, 2010 kam ein neuer Band in der Reihe von Ursula Keller und Natalja Sharandak (die auch Eine Ehe in Briefen: Lew Tolstoj, Sofja Tolstaja übersetzt und herausgeben hatten). Die beiden Autorinnen haben auch bei Suhrkamp das Buch Iwan Turgenjew und Pauline Viardot: Eine außergewöhnliche Liebe veröffentlicht. Ich habe das schon in dem Post Ernst Rowohlt gesagt, dass ich von den Bänden dieser Reihe beinahe zwei Regalmeter besitze, und dass ich Kurt Kusenberg (der auch Jacques Prévert übersetzt hat) ewig für diese Reihe dankbar bin. Vor zwei Jahren hat der C.H. Beck Verlag das Buch Für alle Tage: Ein Lebensbuch mit gesammelten Lebensweisheiten Tolstois auf den Markt gebracht (hier eine Leseprobe). Kostet soviel wie Krieg und Frieden. Wenn man 58 Euro für Tolstoi ausgibt, sollte man Krieg und Frieden kaufen, gesammelte Lebensweisheiten enthält der Roman auch genug. Man muss nur anfangen, den Roman zu lesen. Aufhören kann man dann sowieso nicht mehr.

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