Sonntag, 3. April 2016

Lurley


Wir kommen heute noch einmal an einen Ort der deutschen Romantik zurück, zu diesem Felsen am Rhein, der da Lurlei heißt. Hat natürlich schon einen Post, der ➱Loreley heißt. Und mein persönliches Felsenerlebnis mit einem Rheindampfer voller amerikanischer Großmütter steht in dem Post ➱Drachenfels. William Turner hat auch sein Lurlei Erlebnis gehabt, er hat es nicht ausgelassen, diesen Felsen zu malen.

Es gibt keine Frau, von der die Deutschen mehr hingerissen waren als von der Loreley. Es gibt aber auch kein Motiv, das mehr zum Klischee verkommen ist als eben diese Loreley. Sie war einmal Galionsfigur der deutschen Romantik. Sie wurde zum Erotikon deutscher Philister. Sie war die Verkörperung libidinöser Zwangs-, Traum- und Wahnvorstellungen.., schreibt Wolfgang Minaty im Vorwort zu dem Lesebuch Die Loreley des Insel Verlages, in dem Gedichte, Prosatexte, ➱Opern und Bilder zum Thema der Sängerin auf dem Felsen versammelt sind.

Mein heutiges Gedicht stammt von Otto Heinrich Graf von Loeben, der am 3. April 1825 starb. Er ist nicht alt geworden, nur neununddreißig Jahre. Die letzten Kriegsjahre des napoleonischen Krieges war er in einem sächsischen Freikorps. Er war mit Eichendorff befreundet, dessen Mentor er für einige Zeit gewesen ist. Und unser Graf von Loeben weiß auch, dass der Zusatz -lei im Rheinischen Fels oder Schiefer bedeutet. Seit dem 14. Jahrhundert. Wir reden hier also von keiner Frau, die Lore mit Vornamen und Lei mit Nachnamen heißt. Dies hier ist übrigens nicht die Lorelei, das ist irgend so eine Sirene, die John William Waterhouse gemalt hat.

Diese Wasserfrauen sind ja bekannt dafür, dass sie Fischer in den Tod ziehen: Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll, Netzt’ ihm den nackten Fuß; Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll Wie bei der Liebsten Gruß. Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm; Da war’s um ihn geschehn; Halb zog sie ihn, halb sank er hin Und ward nicht mehr gesehn. Sirenen, Nixen und Hexen haben Konjunktur in der Romantik und dann wieder am Ende des Jahrhunderts. Da fällt uns allen sicher jemand wie ➱Böcklin ein. Und dann dauert es noch ein wenig, bis Ella Fitzgerald Gershwins Lorelei singt (gibt es nirgendwo im Internet, aber ➱dies ist auch nicht schlecht):

Back in the days of knights in armor
There once lived a lovely charmer
Swimming in the Rhine
Her figure was divine

She had a yen for all the sailors
Fishermen and gobs and whalers
She had a most immoral eye

They called her Lorelei

Manchmal tauchen die Wasserfrauen auch im Wald auf. Ich habe da einen schönen Post zu dem Thema, der ➱Meerjungfrauen + Waldnixen heißt. Und auch unsere Loreley ist im Wald anzutreffen. Das ist diese typische Situation der Romantik, wir brauchen den deutschen Wald. Und die Nacht. Und einen Ritter, der einer schönen Frau, die einsam durch den Wald reitet, Hilfe anbietet. Bis zu diesem Augenblick ist noch alles gut, aber wir ahnen - nein, wir wissen es - dass das nicht gut ausgeht. Lauschen wir doch mal eben den Worten dieses Dichters:

Es ist schon spät, es wird schon kalt,
Was reitst du einsam durch den Wald?
Der Wald ist lang, du bist allein,
Du schöne Braut! Ich führ dich heim!

»Groß ist der Männer Trug und List,
Vor Schmerz mein Herz gebrochen ist,
Wohl irrt das Waldhorn her und hin,
O flieh! Du weißt nicht, wer ich bin.«

So reich geschmückt ist Roß und Weib,
So wunderschön der junge Leib,
Jetzt kenn ich dich – Gott steh mir bei!
Du bist die Hexe Lorelei.

»Du kennst mich wohl – von hohem Stein
Schaut still mein Schloß tief in den Rhein.
Es ist schon spät, es wird schon kalt,
Kommst nimmermehr aus diesem Wald!« 

Das Gedicht, nach dem wir nicht mehr so gut schlafen können, heißt Waldgespräch. Joseph von Eichendorff hat es 1812 geschrieben, es wurde 1815 veröffentlicht. Es findet sich später auch im 15. Kapitel von Ahnung und Gegenwart. Ich habe dieses schön schräge Bild auf der Seite von Werner Stoll gefunden. Knapp zehn Jahre nach Eichendorff schreibt sein Freund Otto Heinrich von Loeben mit Der Lurleyfels seinen Beitrag zum nationalen Loreley Mythos. Sein Gedicht ist distanzierter als das von Eichendorff, wahrscheinlich hat es Heinrich Heine zu seiner Lore-Ley angeregt:

Da wo der Mondschein blitzet
Um's höchste Felsgestein,
Das Zauberfräulein sitzet,
Und schauet auf den Rhein.

Es schauet herüber, hinüber,
Es schauet hinab, hinauf,
Die Schifflein ziehn vorüber,
Lieb' Knabe, sieh' nicht auf!

Sie singt dir hold zum Ohre,
Sie blickt dich thöricht an,
Sie ist die schöne Lore,
Sie hat dir's angethan.

Sie schaut wohl nach dem Rheine,
Als schaute sie nach dir,
Glaub's nicht daß sie dich meine,
Sieh' nicht, horch nicht nach ihr!

So blickt sie wohl nach allen
Mit ihrer Aeuglein Glanz,
Läßt her die Locken wallen
Unter dem Perlenkranz.

Doch wogt in ihrem Blicke
Nur blauer Wellen Spiel,
Drum scheu die Wassertücke,
Denn Flut bleibt falsch und kühl. 

Es ist ein konventionelles Gedicht, doch die letzten beiden Zeilen haben für den Grafen eine besondere Bedeutung. Der Unterleutnant von Loeben musste auf dem Weg nach Paris mitansehen, wie die Hälfte seiner Kompanie bei Miltenberg im Main versank. Das erste große deutsche ➱Fährunglück des 19. Jahrhunderts, da bekommen die Verse Drum scheu die Wassertücke, Denn Flut bleibt falsch und kühl eine ganz andere Dimension. Loebens Der Lurleyfels ist auf dieser ➱Seite des Goethezeitportals neben das Gedicht von Eichendorff gestellt worden, deshalb habe ich heute auch beide Gedichte nebeneinander gestellt. Der Artikel Orte kultureller Erinnerung von Jutta Assel und Georg Jäger ist eine Fundgrube der zeitgenössischen Loreley Rezeption.

Wolfgang Minaty geht mit seinem Insel Taschenbuch (it 1065) weiter, er bleibt nicht bei der Goethezeit stehen. Und so ist Manfred Schmidt mit Rheinwein, Rummel und Romantik (ein Kapitel aus Mit Frau Meier in die Wüste) in dem Band vertreten. Und Alan Ginsberg auch (lesen Sie hierzu den Post ➱Ruhrgebiet). Und diesen schrecklichen englischen Film (mit Oh-Weh Fischer und Juliette) mit dem deutschen Verleihtitel Die schwarze Lorelei hat er auch nicht ausgelassen. Pablo Neruda auch nicht, der in Gesang auf Deutschlands Ströme dichtete:

Auf dem Rhein in der Nacht, das Wasser führt
einen Mund mit
und der Mund eine Stimme und die Stimme eine Träne
und eine Träne rinnt den ganzen goldenen Rhein hinab,
wo die Süße der Loreley nicht mehr lebt,
eine Träne durchtränkt die aschfarbenen Reben,
auf daß auch der Wein Geschmack von Tränen habe.
Auf dem Rhein in der Nacht, das Wasser führt eine
Träne,
eine Stimme mit, einen Mund, der mit Salz ihn anfüllt.

In dem Band findet sich auch das schöne kleine Gedicht Lorelei von Rose Ausländer aus dem Jahre 1982, das diesen Post beschließen soll:

Unter dem Rhein
singt die Lorelei

Fische
verschweigen das Lied

Ein hellhöriger Angler
fängt es heraus
schenkt es


uns allen

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