Am 1. Juli des Jahres 1938, also heute vor 72 Jahren, wurde in Deutschland eine neue Stadt gegründet. Der Name war Programm, aber ein wenig gewöhnungsbedürftig: Stadt des KdF-Wagens. Dem Namen wurde manchmal noch bei Fallersleben zugefügt. Seit 1945 heißt die Stadt nach dem alten Adelsschloss Wolfsburg. Die Wolfsburg gehörte den Grafen von Schulenburg, aber die müssen jetzt weichen für das, was der junge Architekt Peter Koller im Auftrag Hitlers plant. Eine ganze Stadt rund um das Volkswagenwerk. Ich war zu jung, um Nein zu sagen, hat er später entschuldigend gesagt. Er ist zwei Jahrzehnte später noch Stadtbaurat von Wolfsburg geworden.
Kurz gesagt, die Nazis bauen und finanzieren dem Grafen ein Schloss, das genauso groß wie die Wolfsburg ist. Der letzte Bau eines Schlosses in Deutschland. Und das Ganze mit Zentralheizung, die Wolfsburg hatte 64 Öfen. 1942 ist es fertig geworden. Das ist das Jahr, in dem man die Arbeiten an der Stadt des KdF-Wagens eingestellt hat. Es gibt keinen Nachschub an Baumaterialien. Der Stadtplaner und Architekt Peter Koller geht freiwillig zur Wehrmacht.
Man kann das sehen, Schloss Wolfsburg (neu) ist massiv gebaut, man sieht es dem Schloss von außen nicht an, dass die Basis aus Stahlbeton ist. Wäre es nicht von dieser Massivität, dann hätte es wohl das Feuer, das die Rote Armee hier 1945 gelegt hat, nicht überstanden. Vor den Russen war die 5. US Panzerdivision hier, hat nicht so viel zerstört, hat aber die vier Pfauen gebraten, die die Mittagsruhe ihres Generals störten (man kann die Geschichte, von einem Augenzeugen erzählt, auf YouTube sehen). Die Schulenburgs sind da gerade zurück in ihr altes Schloss Wolfsburg geflohen, es ist ihnen doch lieber, in einer englischen Besatzungszone (statt der sowjetischen Besatzungszone) zu wohnen. Der Architekt von Neumühle ist Paul Bonatz gewesen, beinahe alles, was er seit 1900 gebaut hat, steht noch. Und sieht auch noch nach achtzig Jahren gut aus, wie zum Beispiel der Stuttgarter Hauptbahnhof:
Sieht das aus, als sei es 83 Jahre alt? Bonatz, der seit 1908 Professor in Stuttgart war, hat auch Staudämme gebaut und Autobahnbrücken für Fritz Todt. Massenhaft Brücken, pontifex maximus hat er sich einmal scherzhaft bezeichnet. Mit Hitler hat er sich überworfen, weil der ihm in den Bau des Münchener Hauptbahnhofs reinreden wollte. Adolf Hitler versteht ja viel von Architektur. Und von Malerei. Und vom Krieg. Warum musste dieses Land einen österreichischen Dilettanten, der nix gelernt hat, zum Führer machen? Bonatz, der niemals in der Partei war, verlässt Deutschland. Geht in die Türkei, baut die Oper von Ankara und wird da auch Professor. Das Schloss für die Schulenburgs ist das letzte, was er in Deutschland gebaut hat. Und das hat ihm Spaß gemacht, man kann das noch in seiner Autobiographie Leben und Bauen von 1950 spüren:
Mein letzter Bau in der Heimat war etwas gänzlich Unwahrscheinliches: Ein Grafenschloß mit allem Drum und Dran, wie es in alten Geschichten steht...1938 hatte die Arbeitsfront für die Volkswagenfabrik bei Fallersleben große Gelände des Grafen von der Schulenburg-Wolfsburg enteignet, dazu auch sein schönes altes Schloß Wolfsburg, das man nördlich der Bahnlinie sieht. Da schon damals beim Raubbau des Dritten Reiches alle Materialien knapp wurden, bestand der Graf beim Verkaufsvertrag auf der Bedingung, daß ihm die Arbeitsfront für den Bau eines gleichwertigen neuen Schlosses mit allen Materialien, Arbeitskräften und Transporten helfen müsse. Es war eine völlig unzeitgemäße Aufgabe, also eine Aufgabe nach meinem Herzen. Und dazu paßten die Bauherren...
Das Schloss Wolfsburg, in das die Schulenburgs 1945 zurückkehren, liegt ja nun nicht eigentlich an der Weser, aber es wird allgemein der Weserrenaissance zugerechnet. Man kennt seinen Baumeister nicht, es könnte Johann von Mehle sein, der 1586 das Rathaus in Alfeld an der Leine gebaut hat. Gesichert ist der Name des Hameler Steinhauers Johann Eddeler, der nach 1588 hier tätig war. Die Wolfsburg gehört zusammen mit den Schlössern in Celle und Gifhorn zu den nordöstlichsten Bauten der Weserrenaissance. Dieser Wikipedia Artikel, auf den der Link hinweist, ist ja ganz nett, aber wenn man wirklich einen Eindruck vom Ausmaß dieser regionalen Sonderrenaissance haben will, gibt es eigentlich nur ein Buch: Die Weserrenaissance von Herbert Kreft und Jürgen Soenke, 1964 im Verlag CW Niemeyer in Hameln erschienen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen