Freitag, 30. Juli 2010
Michelangelo Antonioni
Heute vor drei Jahren ist Michelangelo Antonioni in Rom gestorben, er war 95 Jahre alt. Viele haben nur in den Nachrufen der Zeitungen gelesen, dass er einer der bedeutendsten Regisseure Italiens war, denn man hatte ihn zu seinem Lebensende schon ein wenig vergessen. Ausser natürlich Wim Wenders, der ihm beim Drehen von Jenseits der Wolken geholfen hat und dann noch ein Buch darüber geschrieben hat. Ältere Regisseure scheinen Wenders zu faszinieren, wie sein Film über Nicholas Ray zeigt.
Wenn man in den fünfziger Jahren aufwuchs, als das Fernsehen noch keine Rolle für das Leben spielte, dann ging man natürlich ins Kino. Und für einen durch Sartre, Camus und Juliette Gréco geprägten Jungintellektuellen gab es damals natürlich nur italienische und französische Filme (na ja, vielleicht noch ein bisschen Ingmar Bergman). Auf keinen Fall deutsche Filme, diese schrecklichen verlogenen Heimatfilme oder Kriegsfilme mit Blacky Fuchsberger. Es ist natürlich ein schöner Zufall des Lebens, dass die Kinojugend mit der Nouvelle Vague und Michelangelo Antonioni zusammenfiel, dem Goldenen Zeitalter des Kunstfilms. Zumal damals in Filmclubs und Filmkunsttheatern (schönes Wort) auch noch das Frühwerk von Antonioni gezeigt wurde. Also die Filme von Cronaca di un amore bis Il Grido, für die ich immer noch schwärme. Und dann natürlich diese mittlere Periode seines Schaffens, Filme wie L'avventura, La notte und L'Eclisse, die eine klare Entwicklungslinie haben und zu Die rote Wüste führen. Die rote Wüste war der erste Farbfilm des Regisseurs (und der vierte Film mit Monica Vitti. die er bei gemeinsamer Theaterarbeit kennengelernt hatte), aber er wirkt mit seinen seltsamen Farben der Industrielandschaft ein wenig wie ein nachträglich kolorierter Schwarzweißfilm.
Blow-Up war sicher ein netter Film, war aber nicht mehr mein Antonioni. Und Zabriskie Point, über den ich damals in jugendlichem Überschwang in einer längst untergegangen kleinen Zeitschrift einen Verriss schrieb, war für mich der künstlerische Ruin des Regisseurs. Regisseure können es eben jungen Filmkritikern nicht immer recht machen. Antonioni kam aus einer begüterten Familie, sicher nicht so begütert wie die Familie von Luchino Visconti, dessen Vater immerhin ein Herzog war, aber doch reiches italienisches Bürgertum. In seiner Jugend hat er Tennis gespielt und zahlreiche Turniere gewonnen (seine Pokale verkaufte er in der Nachkriegszeit, um Geld für den Lebensunterhalt zu haben). Wenn Sie jetzt beim Betrachten von Blow-Up das Plop-Plop eines imaginären Tennisspiel hören, wissen Sie wo es herkommt. Er hat in Bologna studiert, wollte Geisteswissenschaften studieren, schrieb sich dann aber aus Liebe zu einem Mädchen, die am Technischen Institut studierte, dort für Ökonomie und Handel ein. So richtig hat ihn sein Studium nicht interessiert, weil er nur Theater und Film im Kopf hat. Er schließt aber das Studium mit einem Diplom ab. 1939 ist er in Rom und schreibt für die Zeitschrift Cinema und arbeitet an dem Centro Experimentale, fliegt da aber schnell raus. Die beiden Institutionen unterstehen dem Sohn von Mussolini, und man hat später versucht, Antonioni eine Nähe zum Faschismus anzudichten.
Aber das ist völliger Unsinn. Denn der ganze italienische Neorealismus, der jetzt unter dem Schutzmantel der Faschisten entsteht, die die Herrschaft über das Kino an sich gerissen haben, ist ja gegen das System gerichtet. Beinahe alle italienischen Regisseure wie Rossellini, Fellini und Visconti haben zum salotto von Vittorio Mussolini gehört, der selbst Filmemacher war. Der Neorealismo ist sicher vom amerikanischen Kino beeinflusst, das man in Italien länger sehen kann als in Deutschland. Viscontis Ossesione verdankt James Mallahan Caines The Postman Always Rings Twice eine ganze Menge. Natürlich gibt es auch einen Einfluss des Poetischen Realismus des französischen Kinos, Antonioni wird Marcel Carné (und Jacques Prévert, der für Carné die Drehbücher schreibt) nach dem Krieg bei einem gemeinsamen Projekt kennenlernen.
Auch Antonionis erster langer Spielfilm Cronaca di un amore mit der schönen Lucia Bosé zeigt amerikanischen (und französischen) Einfluss, es ist eine Art Variation von The Postman Always Rings Twice. Wunderschöne lange Kamerafahrten, keine aufgeregte Hektik. Schauen Sie sich mal diese Szene an, drei Minuten lang, keine Schnitte. Das nennt man mise-en-scène, und Antonioni ist ein Meister darin. Das ist eine andere Sorte Kino als Im weißen Rössl mit Willi Forst und Johanna Matz, was man zu der Zeit in Deutschland sehen kann.
Der Film, der mir aus dieser Zeit am besten gefällt (also La Signora Senza Camelie mit Lucia Bosé mal ausgenommen) ist Il Grido. Ein Film, in dem schon der ganze spätere Antonioni steckt. Figuren in der Landschaft, Sehnsucht nach Liebe, Einsamkeit und Entfremdung. Tolle Bilder. Klicken Sie mal auf den Trailer.
Ich merke gerade, dass ich jetzt Tage (oder Wochen) über Antonioni weiter schreiben könnte. Ich höre erst einmal auf und stelle das ein. Vielleicht ein anderes Mal. So dacht ich. Nächstens mehr, wie Hölderlin am Ende von Hyperion sagt.
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”Il Grido/The Cry” is the director’s examination of the traumatic encounter of an Italian industrial worker, a decent person and gentle soul with a fiasco of his marital relationship which destroys his whole life. No, there were no black shirts intervention into his life, nor allied bombings crushed the roof of his house. The events of the film take place during the period of economic-cultural modernization after WWII that after a long Mussolini’s rule was considered as an incredible luck for all the Italians.
AntwortenLöschenAldo doesn’t expect from life too much – he is happy just to live with the woman he loves, to have a stable job and help his daughter to grow up. But while a new promising period of intense economic and cultural development offered people opportunity to earn extra-money and enjoy more entertainment, these “benefits” were complicated by the destabilization of personal relationships, jobs and living arrangements and withdrawal from or losing concentration on political issues and thinking about life..
Antonioni focuses on Aldo’s love life which became nomadic and fractured and finally made it impossible for him to continue to live. “Il Grido” is a “proletarian” introduction to a number of Antonioni’s films about the problems of human love in post-war life (which he made after “Il Grido”) based on the life of middle class couples (L’Avventura – 1960, “La Notte” – 1960, “L’Eclisse” – 1961, and “Red Desert” – 1964).
Analyzing Aldo’s relationships with women Antonioni depicts what can be named as the four phases of de-privatization of intimate relationships which express degradation of amorous potentials of human love in conjunction with particularities of life under destabilizing conditions of a “nomadic” economy, mass culture of cheap entertainment and growing consumerism.
Relations with Irma (Alida Valli) whose rare gift of psychological wholeness of her reactions made her for Aldo a personification of Being which he could unconditionally rely on, he lost by unexpectedly learning from her about her infidelity. For him it was more than the break of togetherness with a woman he loved and the mother of his daughter – losing her was for Aldo like being banished from the very origins of life. The incredible, simultaneously sensual and “abstractly enigmatic” acting of Alida Valli made Irma a personification of Italy of economic miracle, which betrayed its children (Irma leaves, and Aldo became an eternal wanderer searching for love, jobs and hope).
Antonioni describes four phases of the shattering of the very human ability to love – psychological separation between love and sex (represented by Aldo’s relations with Alvia and Edera), intervention of despotic conditions of work into a private time (his relations with Virginia, the owner of a gas station), and intervention of other amorous/business relations into beloveds’ privacy (Aldo’s relationships with Andreina). Without love and without a decent job Aldo returns to his old town where he used to live with Irma and where she now lives with her new husband and their new born baby and Irma and Aldo’s daughter. Is Aldo return to die (without conscious intentions to be over-dramatic)?
It is Irma’s “cry” when she saw Aldo feeling lightheaded and losing his balance on the tower of the factory where he once worked, and falling down in front of her, what provided the title of the film and what signifies the inability of the human culture to care about its sons during the most prosperous and cheerful period of Western economy.
Antonioni is not idealizing Aldo – he doesn’t transform him into “pure victim” of circumstances or “system”. He tries to understand his psychological particularities (Aldo can share with others) which makes him unable to resist the dead ends modern culture puts under feet of many people as time bombs.