Mittwoch, 4. April 2012

Aimez-vous Brahms?


Wenn man heute den Namen Anthony Perkins (der heute vor achtzig Jahren geboren wurde) hört, dann denkt man natürlich sofort an Hitchcocks Psycho. Und dann läuft vor unserem inneren Auge gleich die Szene mit der ➱Dusche ab. Aber mein Anthony Perkins war vor einem halben Jahrhundert ein anderer. Das war der schlanke schüchterne Mann, der in der Bar ➱Diahann Carroll einen Whisky spendiert. Und sie fragt, was die Liebe ist. Denn er ist unsterblich verliebt in Ingrid Bergman, die ein wenig älter ist als er. Ein solches Thema war damals ein wenig risqué, heute würde das ja niemanden mehr aufregen.

Die literarische Vorlage für den Film stammte von Françoise Sagan, die Jahre zuvor durch ihren Roman Bonjour Tristesse berühmt (oder sollte man sagen berüchtigt?) geworden war. Es war einer der vielen französischen Literaturskandale, die französische Literatur lebt ja irgendwie von Skandalen. Ein halbes Jahrhundert später würde sich kaum jemand über die sexuelle Freizügigkeit des Jahres 1954 echauffieren, auf jeden Fall nicht in Paris.

Für den Film Aimez-vous Brahms? war natürlich die Problematik ein wenig abgemildert, weil man das Ganze ja in Amerika verkaufen musste. Es war eine Hochglanzproduktion, alles war bestens besetzt, die Filmmusik von ➱Georges Auric war erstklassig. Irgendwie hatte man bei ➱Fahrstuhl zum Schafott etwas abgeguckt (allerdings ohne die Morde): viel Paris, viel Jazz, schöne Menschen, elegante Klamotten. Und schöne Autos, Yves Montand fährt einen ➱Facel Vega, Anthony Perkins einen Triumph Sportwagen (mein Bruder hatte mal den gleichen, aus Kalifornien importiert, nach Jahrzehnten immer noch ohne Rost).

Aimez-vous Brahms? war für mich damals der perfekte Identifikationsfilm. Ich arbeitete daran, so auszusehen wie Anthony Perkins. Die Pullover und die Hemden hatte ich schon, die breiten Schultern noch nicht. Dann musste man noch schöne Frauen haben wie Yves Montand. Daran arbeitete ich auch. Und man brauchte natürlich ein englisches Cabrio, in dem Punkt haperte es bei meiner neuen Identität etwas.

Wie Paris aussah, wusste ich, da war ich schon ➱einmal gewesen. Und seit Ende der fünfziger Jahre versäumte ich keinen französischen Film. Als erstes kaufte ich mir nach dem Kinobesuch eine Diahann Carroll Platte. Dann wünschte ich mir zu Weihnachten diese fette Brahms LP-Cassette der Deutschen Grammophon. War vorne Karajan drauf, nicht Brahms, damals war Karajan wichtiger als alles andere. Meine Karajan-Brahms Cassette (Editionsnummer 074) habe ich immer noch, und die Symphonie No. III (die immer wieder im Film vorkommt) kann ich heute noch dirigieren. Auf dem Photo des Covers trug Karajan einen zweireihigen gelben Lamamantel. So ein Teil hatte ich auch, bei Hans Kalich in der Böttcherstraße gekauft. War von der Firma Tiger of Sweden, die damals noch Luxuskleidung produzierte und nicht das modische Billigzeug wie heute, the Times They Are a-Changin’.

Was ich damals im Kino nicht merkte, Anthony Perkins singt auch in diesem Film: ➱Quand Tu Dors Pres De Moi, wieder zu der Melodie von Brahms Dritter Symphonie (Yves Montand hat das später auch auf einer Platte gesungen). Der Text dieses Liedes war von Françoise Sagan extra für den Film geschrieben worden. Ich wusste damals auch nicht, dass Anthony Perkins vor seiner Schauspielerlaufbahn ➱Schlagersänger gewesen war. Das war auch gut so, dass ich das nicht wusste, es hätte meine jugendliche Identifikationsbildung erheblich gestört. Zum einen konnte ich Schlagersänger damals genau so wenig ausstehen wie heute, zum anderen: wenn es jemanden gibt, der nicht singen kann, dann bin ich das.

Diese junge Frau spielt nicht in Aimez-vous Brahms? mit, das Bild ist aus einer anderen Françoise Sagan Verfilmung, die Bonjour Tristesse heißt. Fand man damals toll. Und jugendgefährdend. Dass der Film so gute Kritiken bekommen hatte, hat mich immer gewundert. Ich habe ihn nur wegen Jean Seberg gesehen (und weil ➱Juliette Gréco im Film sang). Erstaunlich bleibt, dass die Franzosen die Verfilmung der beiden Romane von Françoise Sagan den Amerikanern überlassen haben. Paris gehört jetzt den Amerikanern, nicht erst seit Ernest Hemingway die Hotelbar vom Ritz befreit hat. Nicht erst seit dem Film An American in Paris und all den amerikanischen Jazzmusikern, die jetzt in Paris sind (wie man es in Taverniers Film Round Midnight sehen kann). Und nun schickten sie auch noch ihre Schauspielerinnen nach Paris. Erst Audrey Hepburn, die in Funny Face ➱Bonjour Paree singt, und nun kommt Jean Seberg. Wenig später war  Seberg in A bout de souffle zu sehen, da hatte die Nouvelle Vague begonnen. Wenn französische Filme für einen immer noch stilbildend sein sollten, musste man sich jetzt umstellen. Ich hielt mich an ➱Truffaut, da gab es immer ➱Eleganz und ➱schöne Frauen, was braucht man mehr?

Ein Gedicht natürlich. Das fällt mir leicht. Françoise Sagan hat ihren Romantitel Bonjour Tristesse bei Paul Éluard gefunden; da zitieren wir doch mal das Original, das À peine défigurée heißt:

Adieu tristesse,
Bonjour tristesse.
Tu es inscrite dans les lignes du plafond.
Tu es inscrite dans les yeux que j'aime
Tu n'es pas tout à fait la misère,
Car les lèvres les plus pauvres te dénoncent
Par un sourire.
Bonjour tristesse.
Amour des corps aimables.
Puissance de l'amour
Dont l'amabilité surgit
Comme un monstre sans corps.
Tête désappointée.
Tristesse, beau visage.

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