Donnerstag, 12. April 2012

Malkunst


'Der Maler in seinem Atelier' in Wien. Wie gern hätte ich dieses Bild gesehen! Das ist wie Athen: Mein ganzes Leben habe ich davon geträumt, dorthin zu gehen, schwärmte Auguste Renoir über das allegorische Bild Vermeers, das auch den Titel ➱Die Malkunst hat. Das Bild ist etwas komplexer als Eduard Daeges Bild von der ➱Entstehung der Malerei. Wenn Sie alles darüber wissen wollen, kann ich nur den kleinen Band Jan Vermeer Die Malkunst: Aspekte eines Berufsbilds von ➱Hermann Ulrich Asemissen empfehlen. Erschienen in der Fischer Reihe Kunststück, die ganz vorzüglich ist.

Der Maler (vielleicht ist es sogar Vermeer selbst, die Forschung ist sich da nicht einig) malt ein Modell, das eine Muse darstellen soll. Es soll Klio sein, die Muse der Heldendichtung und der Geschichtsschreibung, wir können das aus den Attributen folgern, mit denen das Modell kostümiert wurde: eine Trompete, ein Buch (ein konventionelles Symbol der Weisheit, auf dem in manchen Abbildungen noch Thukydides steht) und ein Lorbeerkranz. Mit dem Lorbeerkranz fängt der Maler an, wenn wir ihm über die Schulter schauen. Das Immergrün symbolisiert das Fortbestehen der Kunst. Was bleibet aber, stiften die Dichter, heißt es bei Hölderlin. Und natürlich ist Klio auch für die Dichtung verantwortlich, aber die Maler (meistens Männer, selten Frauen) stiften auch Bleibendes, vita brevis, ars longa.

Es sind beinahe immer Männer, die Frauen malen. Selten wird (wie hier bei Domenico Corvi) die Malkunst durch eine malende Frau symbolisiert. Auf den meisten Bildern von Vermeer sind Frauen zu sehen, allein oder in Gesellschaft. Nur wenige schauen den Betrachter an, keine sucht so sehr unseren emotionalen Kontakt wie das Mädchen mit dem Perlenohrring. Es ist ein Frauenbild ohne Attribute, keine Briefe, die am Fenster gelesen werden, keine Milch, die ausgegossen wird, kein Musikinstrument, das gespielt wird. Es sind Bilder von großer Intimität, die Personen wirken in den Interieurs gefangen wie Hieronymus im Gehäus. Eine große Ruhe geht von diesen intimen Bildern aus, und sie haben immer wieder die Schriftsteller (und neuerdings die ➱Filmemacher) angezogen.

Proust hat diese petit pan de mur jaune auf der ➱Ansicht von Delft in seine Suche nach der verlorenen Zeit hineingeschrieben. Und eine Vielzahl von Dichtern hat sich Vermeers Bilder als Thema eines Gedichts genommen, ut pictura poesis. Ich habe ➱hier vor zwei Jahren schon einmal das Gedicht von Robert Lowell zitiert. Ich möchte heute einen anderen amerikanischen Dichter, nämlich Howard Nemerov mit einem Vermeer Gedicht vorstellen, das genau so still ist wie Vermeers Bilder:

Taking what is, and seeing it as it is,
Pretending to no heroic stances or gestures,
Keeping it simple; being in love with light
And the marvelous things that light is able to do,
How beautiful a modesty which is
Seductive extremely, the care for daily things.

At one for once with sunlight falling through
A leaded window, the holy mathematic
Plays out the cat's cradle of relation
Endlessly; even the inexorable
Domesticates itself and becomes charm.

If I could say to you, and make it stick,
A girl in a red hat, a woman in blue
Reading a letter, a lady weighing gold . . .
If I could say this to you so you saw,
And knew, and agreed that this was how it was
In a lost city across the sea of years,
I think we should be for one moment happy
In the great reckoning of those little rooms
Where the weight of life has been lifted and made light,
Or standing invisible on the shore opposed,
Watching the water in the foreground dream
Reflectively, taking a view of Delft
As it was, under a wide and darkening sky.

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