Sonntag, 29. Januar 2023

Seume

In Bremen versuchte ichs indessen allein auf meine eigene Hand, und es gelang mir am hellen lichten Tage unter ziemlicher Gefahr. Die nächste Veranlassung war ein Gezänk mit dem Feldwebel über Brotlieferung, in welches sich der kommandierende Offizier etwas diktatorisch handgreiflich mischte. Das Gespenst der Preußen saß mir fest im Gehirn; ich hatte ganz gegen meine Gewohnheit ohne alle Absicht in einigen Gläsern Wein mich etwas warm getrunken und machte kurz und gut auf und davon, am Ufer hin, über die Brücke weg, in die Altstadt hinein. Ein guter, alter, ehrlicher Spießbürger mochte mir doch wohl einige Verwirrung ansehen; er kam freundlich zu mir und fragte: »Freund! Ihr seid wohl ein hessischer Deserteur?« »Und wenn ich denn einer wäre?« sagte ich. »Da muß ich Euch sagen, unser Magistrat hat Kartell mit dem Landgrafen.« Und nun....

An dieser Stelle bricht die Lebensbeschreibung des Johann Gottfried Seume ab. Er ist auf der Flucht. Sein Landgraf Friedrich II von Hessen hatte ihn an die Engländer verkauft. Der ist jetzt ganz groß im Geschäft mit dem Soldatenverkauf an die Engländer. Sein Sohn Wilhelm, wird ihm darin folgen. Die Wilhelmshöhe und die Rembrandts müssen ja irgendwie finanziert werden. Wäre der hessische Landgraf aus meiner Schule hervorgegangen, so würde er seine Untertanen nicht wie Vieh, das an die Schlachtbank geführt wird, an die Engländer verkauft haben. Das ist ein unwürdiger Zug in dem Charakter eines Fürsten. Solches Vertragen ist durch nichts als schmutzige Selbstsucht hervorgerufen, hat Friedrich der Große geschrieben. 

Lassen Sie uns noch einmal zurückspringen zu diesem und nun. Wir sind in Bremen im Spätsommer des Jahres 1783, Seume ist zwanzig Jahre alt. Genau ein Jahr vorher ist er nach mehrmonatiger Überfahrt über den Atlantik in Halifax gelandet. Als Soldat auf Seiten der Engländer, die gegen ihre eigenen Landsleute im Amerika kämpfen. Er wird Indianer sehen, und er schreibt das Gedicht Der Wilde, das früher in jedem Lesebuch war. Und auch heute noch in die Lesebücher gehörte.

Irgendwann hat sein Leiden ein Ende, und das verdankt er einem preußischen General, der eigentlich ein Franzose ist. Guillaume René de l’Homme, Seigneur de Courbière erspart ihm die Strafe des Spießrutenlaufens, er wird ihn begnadigen und ihn zum Hauslehrer seiner Kinder machen. Er sei ihm ein hochherzig mitleidiger Vorgesetzter gewesen, wird Seume schreiben. Leider sagt er uns nicht mehr über seinen Wohltäter, weil ja seine Lebensbeschreibung mit den Worten Und nun abbricht. Der Dichter Christian August Heinrich Clodius, der die Biographie ergänzte, sagt uns: Der brave General Courbière, welchen die Preußen nach der Schlacht bei Jena mit Achtung öffentlich genannt haben, nahm sich seiner an, erleichterte ihm den Dienst, trug ihm auf, seine Kinder zu unterrichten, und empfahl ihn mehreren Familien. Jetzt hatte Seume keine Not. Aber weil er nicht hoffen durfte, wieder loszukommen, und keine Aussicht hatte, befördert zu werden bei der Einrichtung Friedrichs II., nach welcher nur die Adeligen Offizierstellen erhalten konnten, dachte er an einen neuen Versuch, zu entfliehen, ungeachtet der erste so wenig gelungen war.

Die zweite Flucht geht schief, es drohen hohe Strafen, aber da ist wieder der Baron Courbière, der die Hand über den jungen Mann hält: Zum Unglück war der General, sein Gönner, mit dem Obersten des Regiments gespannt; keiner traute dem andern, um etwas für den Arrestanten gegen die fürchterlichen Kriegsgesetze zu wagen. Die angesehensten Männer in Emden verwandten sich für Seume mit allen Kräften, doch ohne glücklichen Erfolg; vergeblich bat fast die ganze Stadt. Endlich kam die Jugend, an ihrer Spitze die eigenen Kinder des Generals, und baten mit Tränen und Händeringen für ihren geliebten Lehrer um Gnade. »Kinder«, sagte der General, konnte aber vor Wehmut kaum sprechen, »Kinder, ich kann nicht, so gern ich wollte.« – Man nahm Seume die Ketten ab und stellte ihn vor das Kriegsgericht, welches ihn zu zwölfmal Spießruten verurteilte. Finster und schweigend trat er ab, als der Oberst »Halt!« rief. Seume trat wieder vor. Der Oberst sprach weiter: »In Rücksicht des sonstigen guten Betragens des Arrestanten, seines moralischen Lebenswandels und des guten Gebrauchs, welchen er von seinen Talenten macht, auch wegen der Art und Weise, wie er in den Dienst gekommen ist, verwandelt das Kriegsgericht die bestimmte Strafe in sechswöchiges Gefängnis bei Wasser und Brot.« – Der General setzte halblaut hinzu: »Arrestant wird es wohl auch nicht übelnehmen, wenn ihm die Bürger zuweilen ein Stück Braten spenden.« Dieser Wink wurde gut verstanden. Seume schmauste während der sechs Wochen seines Arrestes durch die Gutmütigkeit der Bürger in Emden besser als der General und konnte noch von seinem Überfluß den Kameraden reichlich mitteilen.

Der brave General Courbière hat in diesem Blog natürlich schon einen Post. Die braven Bremer hatten dem flüchtigen Soldaten Seume geholfen, über die Weser zu kommen, das ist nicht vergessen. Es gibt heute in Bremen ein kleines Seume Denkmal, diesen Denkstein hatte Hermann Allmers bezahlt. Er hatte damals dazu gesagt: Jenes Stück im Leben des armen Seume ist der einzige Fall, wo Bremen in Beziehung zu einem deutschen Dichter der Vergangenheit tritt, und zwar ehrenvoll genug, denn es hilft ihm, seinen Schergen entfliehen. Dies Ereignis mahnt zugleich an des Vaterlandes traurigste und schmachvollste Zeit; aber es ist gut und heilsam, daß sich das deutsche Volk auch an solche Dinge und solche Tage erinnert.

Wir nehmen das mit der Erinnerung einmal wörtlich. Johann Gottfried Seume wurde heute vor zweihundertvierzig Jahren geboren. Es lohnt sich, an ihn und sein Leben zu erinnern. Und zwei Zitate hätte ich auch zu bieten: Die wahre Freiheit ist nichts anderes als Gerechtigkeit und Das Loos des Menschen scheint zu seyn, nicht Wahrheit, sondern Ringen nach Wahrheit; nicht Freiheit und Gerechtigkeit und Glückseligkeit, sondern Ringen darnach. Und vom Baron Courbière habe ich noch den schönen Satz, den er dem französischen General Savary sagen ließ, der ihm mitteilte, es gäbe keinen König von Preußen mehr (Der Herr, dem Sie zu dienen behaupten, hat uns alle seine Rechte überlassen, indem er uns seine Staaten überließ). Nachdem der Parlamentär, der Oberstleutnant Charles Jean Louis Ayme, ihm das vorgelesen hat, wird Courbière die berühmten Sätze sagen: Votre Général me dit ici qu’il n’y a plus un Roi de Prusse, puis que les Français ont occupé ses états. Eh bien, ça se peut; mais s’il n’y a plus un Roi de Prusse, il existe encore un Roi de Graudenz. Dites cela à votre général.

1 Kommentar:

  1. Danke dass Du an Seume erinnerst. Mich hat sein Bericht "Spaziergang nach Syrakus" so fasziniert, dass ich in den 80ern mal geplant hatte, seine Reise in Fahrrad- und Wander-Etappen für kultur- und landesinteressierte Touristen anzubieten. War sogar nach Rom gereist, um mit dem ialienischen Tourismusbüro ENIT zu kooperieren. Aber sowohl daran als auch an geneigtem Publikum ist das Projekt gescheitert. Heute wäre es wahrscheinlich realisierbarer, backpacker und Radler sind en vogue. Seume hat Unglaubliches mit seiner Wanderung vollbracht, Respekt post mortem.

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