Mittwoch, 3. Oktober 2012

Johann Heinrich Tischbein d.Ä.


Also, das ist nicht von ihm, das ist von einem anderen Tischbein. Ich habe das Bild einmal in einer Ausstellung gesehen, die Goethe in Italien hieß. Das da links auf dem Bild ist Goethe, er rettet gerade ein Pferd. Alle Italiener stehen nur herum und jammern - man könnte das Bild wahrscheinlich auch zur Illustration der Eurokrise nehmen. Aber unser deutscher Dichterfürst ist ein Mann der Tat, er rettet Pferde. Eine Variation von Mir schlug das Herz; geschwind zu Pferde. Welches Ereignis auf dem Bild dargestellt ist, sagte der Ausstellungskatalog leider nicht. Ich fand das Bild damals schreiend komisch.

Dieses Bild finden wir natürlich nicht komisch, es gehört zu unserem Kulturerbe wie die betenden Hände von Dürer oder der Tetschener Altar von Caspar David Friedrich. Das Bild ist auch viel größer (und Goethes Touristenkleidung ist eine Spur förmlicher) als das kleine Aquarell mit dem Pferd. Beide Bilder stammen von dem selben Maler, nämlich Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, den wir auch gemeinhin den Goethe-Tischbein nennen. Wir wissen jetzt weshalb.

Goethe war das Bild für's Wohnzimmer zu groß, so notierte er in seiner Italienischen ReiseIch bemerkte wohl, daß Tischbein mich öfters aufmerksam betrachtete, und nun zeigt sich's, daß er mein Porträt zu malen gedenkt. Sein Entwurf ist fertig, er hat die Leinwand schon aufgespannt. Ich soll in Lebensgröße als Reisender, in einen weißen Mantel gehüllt, in freier Luft auf einem umgestürzten Obelisken sitzend, vorgestellt werden, die tief im Hintergrunde liegenden Ruinen der Campagna diRoma überschauend. Es gibt ein schönes Bild, nur zu groß für unsere nordischen Wohnungen. Ich werde wohl wieder dort unterkriechen, das Porträt aber wird keinen Platz finden.

Das große Bild von Goethe in der Campagna gab es damals in der Ausstellung nicht zu sehen, das hatte das ➱Städel nicht herausgerückt, es gab nur eine Reproduktion zu sehen. Ist nur fair, Goethe hatte es ja auch nicht zu Hause hängen. Dafür besaß er aber diese aquarellierte Federzeichnung, an deren Entstehung sich sein Freund, der Maler Heinrich Meyer, so erinnerte: Ich glaube im Umriß W. Tischbeins Feder, in der Landschaft den G. Schütz aus Frankfurt zu erkennen, und ausgetuscht ist die Figur, wenn ich nicht sehr irre, von Fr. Bury aus Hanau; alle waren damals Hausgenossen von Kayser und Goethe.

Das alles hat mit dem Johann Heinrich Tischbein d.Ä, der heute vor 290 Jahren geboren wurde, nichts zu tun. Denn der ist nicht der Goethe-Tischbein, sondern der Kasseler Tischbein. Es gibt ja so viele Tischbeins aus der ➱Familie, dass man bei manchen einen Ort dazusetzt. So haben wir einen Hanauer Tischbein, einen Leipziger Tischbein und einen Lübecker Tischbein. Und natürlich den Kasseler Tischbein, hier auf einem Selbstportrait. Die haben da viele Tischbeins in ➱Kassel hängen, über hundert. Ich weiß das, weil wir da mal auf Klassenfahrt waren. Der Führer, der uns durch die Wilhelmshöhe geleiten sollte, war offensichtlich Tischbein Liebhaber, er redete stundenlang über Tischbein.

Bis ich ihn ziemlich unhöflich unterbrach und ihn fragte, was eigentlich mit den Rembrandts wäre. Mein Klassenlehrer, der den schönen friesischen Namen Tammo hatte, hat sich mal wieder fürchterlich für mich geschämt. Wir schämten uns andererseits auch ein bisschen für Tammo, denn er trug auf Klassenfahrten ein Norfolkjackett und Knickerbockerhosen. Das Ganze wurde komplettiert durch eine umgehängte Kartentasche und eine Baskenmütze, irgendwie sah er aus, als wäre er aus dem Film Feuerzangenbowle entsprungen.

Mein Verlangen, endlich die Rembrandts zu sehen, war nicht ganz unberechtigt. Denn die haben da sehr viele Rembrandts in Kassel. Und zwischen der Rokoko Landschaft von Tischbeins Maifest (oben) und Rembrandts Mühlenbild sind malerisch schon gewaltige Unterschiede. Was die Zahl der Rembrandtbilder in Kassel anbetrifft, ist man heute vorsichtiger als vor einem halben Jahrhundert. Ich zitiere einmal die Internetseite des Museums: Noch heute verfügt die Gemäldegalerie Alte Meister in Kassel mit zwölf Originalen über eine der umfangreichsten Sammlungen von Rembrandt-Gemälden innerhalb Deutschlands. Dieses Privileg verdankt sie dem Galeriegründer, Landgraf Wilhelm VIII. (1682-1760), der mit großer Hingabe und viel Geschick Werke des holländischen Meisters durch seine Kunstagenten in ganz Europa ankaufen ließ: 34 eigenhändige Werke verzeichnet das erste Inventar der Galerie, das ab 1749 angelegt wurde. Der Bestand wurde jedoch zum einen geschmälert durch den französischen Kunstraub unter Napoléon und Jérôme. Von den zwischen 1806 und 1815 verschleppten Rembrandt-Bildern kehrten acht niemals nach Kassel zurück, sondern gelangten teilweise in andere öffentliche oder private Sammlungen. Zum anderen schreibt die Kunstwissenschaft heute einige der noch in Kassel vorhandenen Gemälde Schülern zu, sie gelten als Werkstattarbeit oder Kopie und befinden sich damit vereinzelt im Depot.

Hatte sich schon der Landgraf Wilhelm VIII. (dessen Bruder schwedischer König ist) den Künsten zugewandt, so wird es sein Sohn Friedrich II. sein, der Kassel zu einem Zentrum von Kunst und Wissenschaft macht. Er fördert eine rege Bautätigkeit in seiner Landgrafschaft, siedelt Industrie und Manufakturen an. Er ist einer der größten Unternehmer des Landes, was auch darin begründet ist, dass ihm mehr als Zweidrittel von Grund und Boden in Hessen-Kassel gehören. Und er holt Künstler (wie Johann Heinrich Tischbein) und Gelehrte nach Kassel. Gründet das Fridericianum (hier auf einem Bild von Tischbein) und die Akademie der Künste, die ein Nachfolger des Collegium Carolinum ist. Dort war Tischbein, den schon ➱Wilhelm VIII. zum Hofmaler ernannt hatte, Professor gewesen, dort stieg er noch zum Akademiedirektor auf. Das mit der Akademie muss man sich nicht so großartig vorstellen, alle kleinen Fürstentümer haben jetzt Akademien - in der Zeit von 1760 bis 1780 entstehen mehr als ein Dutzend in Deutschland. Es sind zuerst einmal Zeichenschulen gewesen, denn Zeichnen ist die Seele der Malerei, wie Tischbeins Freund, der Kasseler Oberhofbaumeister ➱Simon Louis DuRy, bei der Eröffnung der Kasseler Akademie sagte.

All das wird von Friedrich II. gefördert, der sich als leutseliger, aufgeklärter, liberaler Fürst gibt - und dies in einer anonymen Schrift Pensées diverses sur les Princes auch darlegt (die ihm wahrscheinlich von seinem Bibliotheksdirektor Marquis de Luchet geschrieben wurde). In einer der Trauerreden nach Friedrichs Tod hieß es über den Landesvater: Friedrichs Wunsch war es, so viel Menschenglück zu verbreiten, als je ein Fürst verbreiten kann. Kein Zweig menschlicher Glückseligkeit entging seiner Aufmerksamkeit. Alle Wissenschaft, Künste, Gewerbe hatten sich seines Schutzes, Huld, Gnade, Unterstützung und Belohnung zu erfreuen. Welcher Fürst hat auf Gelehrsamkeit und Künste mehr als Friedrich verwendet?

Leider gibt es da ein paar schmutzige Flecken auf dem schönen Bild des  aufgeklärten Provinzfürsten Friedrich II., die nicht wegzuwischen sind. Da könnte man mit Lady Macbeth Out, damned spot! rufen solange man wollte. Und diese Schönheitsflecken kommen von dem Soldatenhandel (dem auch ➱Johann Gottfried Seume zum Opfer fällt), mit dem der Landgraf seine Kassen füllt. Wäre der hessische Landgraf aus meiner Schule hervorgegangen, so würde er seine Untertanen nicht wie Vieh, das an die Schlachtbank geführt wird, an die Engländer verkauft haben. Das ist ein unwürdiger Zug in dem Charakter eines Fürsten. Solches Vertragen ist durch nichts als schmutzige Selbstsucht hervorgerufen, hat Friedrich der Große geschrieben.

Oder noch schärfer im Antimachiavell: Der Gegenstand bringt mich von selbst auf die Fürsten, die mit dem Blute ihrer Untertanen einen niederträchtigen Schacher treiben. Ihre Truppen gehören dem Meistbietenden. Das ist die reine Versteigerung, wo die, die in Form von Subsidien das größte Angebot machen, die Soldaten dieser unwürdigen Landesfürsten zur Schlachtbank führen. Erröten müßten sie ob ihrer Verkommenheit, das Leben von Menschen zu verkaufen, die sie landesväterlich beschützen sollten! Diese kleinen Tyrannen sollten die Stimme der Menschlichkeit hören, die einen solchen grausamen Mißbrauch der Macht verabscheut, die ihnen darum auch jede Würdigkeit abspricht, eine höhere Stufe einzunehmen und eine Krone zu tragen. Der Soldatenhandel hat - zu Recht - eine schlechte Presse. In Schillers Kabale und Liebe ruft Lady Milford, nachdem sie erkennen muss, dass der ihr verehrte Schmuck mit dem Soldatenhandel bezahlt wurde: Weg mit diesen Steinen – sie blitzen Höllenflammen in mein Herz.

Ist unser Hofmaler ein Fürstenknecht, der nur für den schönen Schein sorgt? Man kann in dieser galanten Zopfzeit des schönen Scheins selten in die Köpfe und Herzen der Personen, die zu einem Hof gehören, hineinschauen. Auch zur Schau getragene Empfindsamkeit ist ja wie die grassierende bürgerliche Pflege einer Seelenverwandtschaft nur eine Mode. Als Hofmaler muss Tischbein Standesporträts der landgräflichen Familie abliefern, die repräsentativ und konventionell sind. Die Vielzahl der Portraits des Landesvaters wird beinahe seriell hergestellt. Manche der Portraits - vor allem die Damenbildnisse - scheinen schon einen Hauch von Karikatur in sich zu tragen. Im Gegensatz zu dieser Brotarbeit stehen die ➱Selbstportraits, die Bilder der Freunde und die Bilder seiner ➱Familie, die viel mehr an Wärme und Individualisierung verraten.

Johann Heinrich Tischbein, der mit Klopstock befreundet ist, bewegt sich im Kreis von Intellektuellen, der Landesvater lässt an seinen Akademien viel liberale Gedankenfreiheit zu. Tischbein malt auch für Johann Wilhelm Ludwig Gleims groß angelegtes Vorhaben für einen ➱Freundschaftstempel einige Bilder. Diese Freundschaftstempel Galerie ist eine Art von bürgerlichem Äquivalent für die Portraits des Hofes, Tischbein schenkt Gleim (den er hier portraitiert hat) auch ein Selbstportrait. Für Klopstocks Lesegesellschaft malt er 1773 das ➱Bild, das Die Vorlesung oder Das Bild der Teone heißt. Gleim verfasst sofort ein Loblied auf dieses Gemälde. Tischbein ist auch Gast im Musenhof ➱Warthausen bei seinem Mäzen, dem Grafen Stadion; und er gehört - und das ist schon beinahe revolutionär - der Freimaurerloge Zum gekrönten Löwen an. Ebenso wie der junge ➱Knigge und Georg Forster (hier von Tischbein gemalt). Die tummeln sich auch an dem Hof, den die Nichte Friedrichs des Großen - die zweite Frau von Friedrich II. - in Kassel unterhält. Darüber vielleicht ein anderes Mal mehr.

Fast siebzig Ölgemälde hat der Hofmaler für die Schönheiten- und Ahnengalerie des Lustschlosses Wilhelmsthal gemalt, dazu kommen noch zahlreiche Historienbilder. Die allerdings häufig ziemlich scheußlich sind, wie dieses Hermann mit seinen Trophäen nach dem Sieg über Varusa, das im Schloss Pyrmont hängt. Es ist die Replik eines kleinformatigen Gemäldes, das Tischbein für seinen Landesvater gemalt hatte, als Hessen-Kassel im Siebenjährigen Krieg von den Franzosen besetzt war. Der Triumph von Arminius über die Römer sollte seinem Landgrafen wohl Trost spenden. Es ist übrigens die erste Darstellung des Arminius in der deutschen Malerei (obgleich die deutsche Literatur das Thema längst entdeckt hatte, allerdings gefiel Klopstock der Hermann gar nicht: zu kurz u zu dick), viele andere werden folgen. Immer, wenn Deutschland am Boden liegt.

Zu seinen berühmtesten Bildern gehört dies Bild der jungen Gräfin Auguste Reuß zu Ebersdorf als Artemisia. Damals ist sie achtzehn, da ahnt sie noch nicht, dass sie eines Tages die Großmutter der englischen Königin Victoria sein würde. Und da ich gerade England erwähne: gegen die englischen Portraitmaler des 18. Jahrhunderts hätte Tischbein keine Chance zu bestehen, auch nicht mit seinem Arminius (das Paar Hermann und Thusnelda hat er auch gemalt) gegen einen Historienmaler wie Benjamin West. Er könnte auch nicht in Rom sein Geld mit Portraits englischer Bildungsreisender verdienen wie das Pompeo Batoni tut (obgleich Sir William Hmilton bei der Durchreise durch Kassel seine Werke gelobt haben soll). Tischbein kann schon froh sein, dass er seinen Landgrafen als Arbeitgeber hat.

Obgleich er zu seiner Zeit in Deutschland ein sehr angesehener Maler war, muss man sagen, dass die international berühmten ➱Angelika Kauffmann oder ➱Raphael Mengs doch in einer anderen Liga malen. Denn, so hübsch die Gräfin Reuß im französischen Stil gemalt ist, viele Damenportraits fallen dagegen ab. So zum  Beispiel dieses. Oder die Anna Victoria Maria von Rohan, ➱Prinzessin von Soubise. So etwas malt Copley in seinen Anfängen besser. Wir haben im deutschsprachigen Raum in dieser Zeit nicht so furchtbar viele Maler außer den vielen Tischbeins - es gibt da sonst noch Franz Anton Maulbertsch, Heinrich Füger und Anton Graff. Wahrscheinlich können wir uns, obgleich damals niemand an so etwas denkt, nicht einmal mit den Amerikanern (Benjamin West, John Singleton Copley, Gilbert Stuart, John Trumbull, Charles Willson Peale und Ralph Earl) messen.

Ist diese Dame hier mit ihrem Bild glücklich gewesen? Sieht ihre Nachfolgerin als Landgräfin (auch von Tischbein ➱gemalt) besser aus? Die Portraitierten zu verschönern, wie das die englischen Gesellschaftsmaler tun, scheint nicht das erklärte Ziel von Tischbein gewesen zu sein. Das hier ist Her Royal Highness The Princess Mary. Die ist mit Friedrich verheiratet gewesen. Sagen wir es zurückhaltend: die Ehe war nicht glücklich. Mary ist mit ihren Kindern nach Dänemark gezogen. Zwei ihrer Söhne werden dänische Prinzessinnen heiraten. Auch ihr Sohn Karl (oder Carl), der Freimaurer ist und die Gründung der Loge vom Gekrönten Löwen anregt. Karl wird dänischer General und dänischer Statthalter von Schleswig und Holstein - und nach ihm heißt die Carlshütte Rendsburg Carlshütte.

Die Kunstgeschichte hat sich mehr auf den Goethe-Tischbein als auf Johann Heinrich Tischbein d.Ä. gestürzt, Goethe in der Campagna kann man auf ➱Postkarten kaufen. Postkarten von dem Kasseler Tischbein gibt es wohl nur in Kassel im Museum. Allerdings ist es nicht unmöglich, heute noch im Kunsthandel Werke von dem Kasseler Tischbein zu finden. Kindlers Malerei Lexikon erwähnt ihn nicht, Harald Kellers Die Kunst des 18. Jahrhunderts (Propyläen Kunstgeschichte) gönnt ihm ein dutzend Zeilen. ➱Johann-Heinrich Tischbein als Mensch und Künstler von seinem Freund Joseph Friedrich Engelschall von 1797 bleibt immer noch eine kleine Fundgrube. In Kassel sind zwei Ausstellungskataloge 1964 (mickrige 21 Seiten) und 1989 (240 Seiten) erschienen, wobei man den 1989 bei Weber und Weidemeyer verlegten Katalog noch antiquarisch finden kann. 1997 gab es von Anna-Charlotte Flohr mit Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722-1789) als Porträtmaler ein kritisches Werkverzeichnis, das aber leider völlig vergriffen ist. In Leipzig fand 2006 eine Ausstellung 3 x Tischbein und die europäische Malerei um 1800 (mit Katalog) statt , die hat aber wohl keine wirkliche Tischbein Renaissance ausgelöst. Vielleicht kommt die ja jetzt.

1 Kommentar:

  1. Sie haben recht, Sie sind hier sehr unterhaltsam und natürlich verdienstvoll, Fridericus Rex, der mich gerade vorwurfsvoll ob nachfolgender Worte anschaut, als Büste, hat dabei doch ziemlich geheuchelt, aber so war er halt hin und wieder.

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