Donnerstag, 2. Februar 2023

Federhalter


Meine ersten Federhalter waren noch keine Füllfederhalter. Sie waren aus Holz, man steckte eine Schreibfeder aus Metall in sie. Das Tintenfass stand auf der Schulbank. Solche Federhalter gibt es heute immer noch, Grafiker und Zeichner brauchen sie für die Kunst der Kalligraphie. Diese Federhalter aus meinen Schultagen war nicht verschieden von dem Schreibgerät, mit dem Marcel Proust seine Recherche schrieb. Er hatte mehrere, mindestens fünfzehn. Er hätte sich einen Füllfederhalter kaufen können, die waren schon erfunden, aber er schrieb mit den Federhaltern. Wir sollten immer bedenken, dass die wichtigsten Werke der Weltliteratur mit Gänsekiel und Federhalter geschrieben wurde.

Nicht jeder kann Prousts Handschrift lesen: Haben Sie immer noch Lust, mit Ödipus zu rivalisieren und die einer Sphinx würdigen Rätsel meiner Handschrift zu entziffern? Wenn ja, schicke ich Ihnen einige Hefte, deren Rätselhaftigkeit alles übersteigt, schreibt er an seinen Sekretär Albert Nahmias. Der kann die Schrift entziffern, er hatte Prousts Manuskript von Du côté de chez Swann abgetippt. Die 712 Seiten fanden keinen Verleger, Proust veröffentlichte das Buch auf eigene Kosten. Er kann sich das leisten, er ist Millionär. Er könnte sich Federhalter aus Elfenbein und die besten englischen Stahlfedern kaufen, er tut es nicht.

Prousts Haushälterin Céleste Albaret kauft Federn und Federhalter, nicht die beste Qualität: Je ne l'ai jamais vu employer un stylo — à l'époque, l'usage commençait pourtant à s'en généraliser. J'achetais les plumes par réserves de boîtes et de boîtes. Quant aux porte-plume, il y en avait en permanence une bonne quinzaine à sa portée, puisque, s'il lui arrivait de laisser échapper et tomber celui dont il se servait. il était interdit de le ramasser, par peur de la poussière. Da ist er, der gefürchtete Staub, der gefährlich für das Asthma des Schriftstellers ist: Das Rasseln meiner Atemzüge übertönt das meiner Feder und das eines Bades, das im Stockwerk über mir eingelassen wird. Die einzige, die seine Federhalter aufheben darf, ist Céleste, die später in einem Radiointerview sagen wird: C'était un homme qui ne faisait rien par lui-même. Si son porte-plume tombait par terre, il ne le ramassait pas. Quand tous les porte-plume étaient par terre, alors il me sonnait.

Proust schreibt schnell mit seinen Federhaltern: Ich glaube, bedeutsam ist, daß seine Schrift sehr stark vorwärtsdrängt. wenn man sich Prousts Schrift anschaut, weiß man sofort, daß er schnell schrieb, sagt Roland Barthes. Und zitiert einen Brief von Proust, wo es heißt: Wenn ich im Galopp schreibe ... Ich weiß sehr wohl, daß man nicht im Galopp schreiben sollte. Aber ich habe so viel zu sagen. Es zieht mich vorwärts wie ein Strom. Aber als Proust diesen Brief schreibt, ist er siebzehn, da denkt er noch nicht an die Recherche mit ihren 1.267.069 Wörtern, die er schreiben muss. Doppelt so viele Wörter wie Krieg und Frieden. Prousts Leben ist zum Schreiben geworden, mit Federhaltern mit schlechten Federn und seinem Schüler-Tintenfaß. Prousts Biograph Jean-Yves Tadié sagt uns: Er lebt, um zu schreiben; sein Leben wird zu einem Laboratorium; die Erinnerungen genügen nicht mehr; wie der Gelehrte löst er Experimente aus und erfindet das Reale, um es in literarische Sprache zu verwandeln. Ein Ausgang, eine Einladung, ein Konzert, alles muss von diesem Moment an aufgeschrieben werden.

Roland Barthes hat in einem Interview gesagt: Ich glaube, es gibt einen Moment, wo man keine Lust mehr hat, über Proust zu schreiben, sondern Lust bekommt, wie Proust zu schreiben. Und auch noch: Wenn man mich fragen würde, welches Werk zu schreiben ich fähig gewesen wäre, würde ich antworten, die 'Suche nach der verlorenen Zeit'. Diese Sätze finden sich in dem Buch Proust: Aufsätze und Notizen, das ich schon in dem Post Marcel Proust vorgestellt habe. Die Sätze stammen aus einem langen Interview, das Jean Montalbetti 1978 mit ihm geführt hat, man kann das Interview in drei Teilen bei YouTube hören. Hätte Barthes so etwas wie die Recherche schreiben können? Mit einem Federhalter und eingesteckter Metallfeder? Die Franzosen neigen immer ein klein wenig zur Übertreibung.

So etwas wie dies hier hat Proust nie besessen. Es ist ein Marcel Proust Füllfederhalter aus Montblancs Writers Edition, 1999 auf den Markt gebracht, sofort ausverkauft. Für ein dreiteiliges Set (Federhalter, Kugelschreiber, Bleistift) muss man mindestens fünftausend Euro auf den Tisch legen. Wer kauft sich so etwas? In der Writers Edition (dafür hat man kein deutsches Wort, in der Welt von Werbefuzzis und Schlagersängern klingt Englisch ja immer so toll) gibt es heute Modelle von Edgar Allan Poe bis Dumas, von F. Scott Fitzgerald bis Thomas Mann (der seinen Füller einen sinnreichen Tintenspender genannt hatte). Ich nehme an, dass keiner der Schriftsteller mit einem Montblanc geschrieben hat. Hemingway ganz bestimmt nicht, weil der mal für Montegrappa und Parker Reklame gemacht hat. Ich bin auch davon überzeugt, dass ein Füllfederhalter aus der Writers Edition keinen seiner Besitzer zu einem Schriftsteller machen wird. Ich habe sowieso leichte Aversionen gegen die Marke Montblanc (die irgendwie das Äquivalent zu Rolex sind), weil ich seit mehr als einem halben Jahrhundert nur Pelikan benutze. Oder einen geerbten schwarzen dreißiger Jahre Soennecken, aber der leckt leider inzwischen ein wenig. Bei Pelikan gibt es glücklicherweise keine Writers Edition.

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